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UNGARISCHE REVUE
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MIT UNTERSTÜTZUNG
DEB
UNGARISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
HKBAUBGKOKBieiif
PAUL HÜNFALVY UND GUSTAV HKINKICH
1891.
BILFTBR JAHKaANCi.
^ IN OOMMISSION BBI
F. A. BBOCKHAUS
IN LEIPZIG, BERLIN UND WIEN
1891.
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MAY 10 1892
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DRUCK DES FRANKLIN-VEREIN.
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INHALTSVERZEICHNISS.
I. ABHANDLUNGEN.
Seite
;(:* ^ Graf Julius Andrässy ... ... .. ... 273
Alexander Bemh,, Petöfi's Gattin . ..^ . ._. ... ... 843
BaU<ufi Aladdr^ Budapest vor hundertsiebzig Jahren. ... 75
Berzeviczy Alberto Denkrede auf Karl Szathm&ry _ . ... ... 531
Coppee Frangois, üeber die ungarische Literatur . . .. ... ... „_ 262
Csergheö Oeza, Mittelalterliche Grabdenkmäler aus Ungarn.
VI. Grabstein des Andreas Scolari. XV. Jahrhundert . . . ... .177
VII. Familiengrabstein der Berzeviczy. XV. Jahrhundert 180
Eötvös Rolandy Baron, Eröffnungsrede in der Jahresversammlung der
ungarischen Akademie _.. ^ . 489
Franz Josef-Brücke, die, bei Fressburg .. . . ... 168
Gytdai Paul, Eröffnungsrede in der Jahresversammlung der Kisfaludy-
Gesellßchaft ... ........ ... ._ ... . ... 253
Historische Gesellschaft, Jahresversammlung 1891 363
Jankö Johann, Graf Moritz Benyovszky als geographischer Forscher. ... 97
Jekeifalussy Josefe Die Eisenbahnen im ungarischen Staatshaushalte ._ 292
Journalistik, Ungarische im Jahre 1891. _ ... ... ... 266
Kdllay Benjamin, Denkrede auf Graf JuUus Andr4ssy 504
KeleU Karl, Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung 189Ü.__ ... ... 282
jKraZy PawZ, Ulpia Trajana ... .. ... ... _.. _ 743
Kis&ludy-G^esellschaffc, XLIV. Jahresversammlung. ... ... 253
Kvacsala Johann, Beiträge zur Geschichte des Slovakischen „ . 840
LaMts Franz, Die Landnahme der Ungarn und die Astronomie ... ... 732
Majldth Bdla, Die Maschenpanzer des National-Museums. Mit acht Illu-
strationen . _- - _-. _„ ... 608
Meyer Josef, Beziehungen des Königs Mathias Corvinus zu Wiener- Neu-
stadt und der Corvinus-Becher . . . ... ... _ — ... 212
Moldüwan Gregor, Eine Antwort auf die Denkschrift der Bukurester
Üniversitäts-Jugend ._ , ... 377
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VI INHALT.
Sete
Munkdcsy Michael, Die Qualen des ersten Erfolges _ _ ... 848
PicMer Fritz, Boleslaw IL von Polen .__ .. . . . 641, 790
Popp Georg, Der Ursprung des Argirus- Märchens .-. . ... 223
Pubtzky Karl, Auf Ungarn bezügliche Renaissance -Denkmäler Mit sechs
Illustrationen ... _.. 1
Schmidt Wilhelm, Die Kinga-Sage ... ... 82
Schvarcz Julius, Der Aristoteles -Papyrus des British Museum.. 341
Montesquieu und die Verantwortlichkeit der Kate der Krone . . 753
Schwarz Ignaz, Ungarn betreffende Sanitäts- Verordnungen Josefs 11. .49
Schtcicker Joh. Heinrich, Ungarns Industrie, Handel und Verkehr im
Jahre 1889 . . . . . . ... -. 193, 422
Die Wirksamkeit des kgl. ungar. Landesverteidigungs-Ministeriums
in den Jahren 1877—90 . . 572
Süberstein Adolf, Graf Stefan Sz^chenyi's Briefe 119
Szana Thomas, Julie Szendrey, Petöfi's Gattin . . . . . ... _._ . 843
SzarvoA Leoftold, Graf B^la Sz^chenyi's Heise im östlichen Asien .. . 315
Szüäyi/i Alea^ander, Siebenbürgen und der Krieg im Nordosten. Mit fünf
Illustrationen ... 442
Szily Koloman, Generalsecretariats-Bericht in der Akademie .. 494
Szvorenyi , Josef, Johann Danielik _ 185
Tisza Ste/an, Das Budget Ungarns für das Jahr 1891 . ... 35
Vargha Julius, Die Getreide- Versorgung Oesterreich Ungarns und Deutach-
lands . - 241
Die Ernte Ungarns im Jahre 1891 .., ... 825
Vdri Rudolf, Die Lesarten des Ravennas 136 Hl D2 des Lucanus . . ... 618
Weftfier Moritz, Glossen zur bulgarischen Zaren-Genealogie IL 17, 145
Die fürstlichen Nemanjiden -.. . . ..... . ... 536
Thomas von Sz^cs^ny, Wojwode von Siebenbürgen 715
Wosinsky Moritz, Das prähistorische Schanzwerk von Lengyel. Mit zahl-
reichen Illustrationen _ . .. - . . . ... _ _ _ . -. . . 463
Zawadowski Alfred, Die Hochwasser- und Wasserbau- Angelegenheiten
Ungarns _ — . _ _.. ._. — 681
U. KÜRZE SITZUNGSBERICHTE.
Akademie der Wissenschaften, laufende Angelegenheiten 95, 191, 270,
486, 628, 638, 855
ihr Budfjet pro 1891 .. _. . 192
LI. Jahresversammlung... ... ... ... ... ... . . ._. ._. ... 489
Ballagi Aladdr, Ehescbliessungen in Ungarn im XVII. Jahrhundert . 269
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INHALT. VII
Seite
Balassa Josefe Classification und Cliarakteristik der ungarischen Mund-
arten.. .- ... ... ... _ . _.- -.- -.- ... - - . - 93
Beöthy Zoltdn, Bericht über die Wirksamkeit der Kisfahidy-Geselißchaft 259
Berczik Az-päd, Bericht über den Teleki-Dramenpreis _. .., .-. 375
Das ungarische politische Lustspiel der 40-er Jahre .. ... _. 857
Csonton Johann^ Geschichte zweier modenesischer Corvina-Codices ... ... 632
Dalmadii Viktor^ Matthias' Geburtshaus. — Losungswort . ^ -. ..- 261
Fraknöi Wilhelm ^ Denkrede auf Florian R6mer _ - -.. — 368
Gonda Bela^ Das Eiserne Thor und die Regulirung seiner Katarakte . . 639
Halardts Jnliu^% Das Aranyos-Gebirge im Comitat Krassö.. —
Hampel Josef, Denkrede auf Florian R6mer __ 485
Historische Gesellschaft, Jahresversammlung 1891 . .. .-. .__ .._ .-_ 363
Jekelfalumf Josef Die Eisenbahnen in unserem Staatshaushalte ... ... 190
Joannovics Grorrj, Die endlose Frage ... -- 92
Kisfaludy- Gesellschaft, XLIV. Jahresversammlung ... .. ..- 253
Kdgl Alexander, Studien zur Geschichte der neueren persischen Literatur 373
Könif/ Julius, I)enkrede auf Eugen Hunyady . ... ... 95
Kuldntji Karl, Die volkswirthschaftlichen und Culturzustände im Arvder
Comitat . .. . . - - . - - -.. - - 630
Kunoss Iffnaz, Die türkischen Handschriften der Akademie. ... 863
JAnczy Juliiiff, Dante und Bonifaz VHI — - — -.- 373
h'vay Josef Der alte Nussbaum -.. ... .-. ^ -. -- - 262
Ueber Robert Bums ... .-. 631
Majldth Be'lu, Die BibUothek des Dichters Nikolaus Zrinyi .- ... ... 488
Mandello Julius, Die rechtliche Bedeutung des Wähmngswechsels . ... 93
MaÜekoiits Alexander, Denkrede auf Stefan Apdthy 270
Ndmethy Geza, Cato's Weisheitssprüche _.. __. ._. -_. — . -_ ... 190
Ortvay Theodor^ Denkrede auf Friedr. Pesty.-. -.. -. - 863
Pör ArUon, Denkrede auf Joh. Hyacinth Rönay. ... .- .-- .-. -.. 635
Pulszky Franz, Ungarisch- heidnische Gräberfunde. ._. .._ _._ - . .__ 268
Schvarcz Julius^ Zur Verfassungsgeschichte Athens ._. ... .- .-. ... 373
Die neuentdeckte 'A;^vaifüv ^oXiteia __ 860
Simonyi Sigmund, Die Sprachneuerung und die Fremdartigkeiten .. -.. 190
Ueber die ungarische Rechtschreibung.- ..- - _.. .- 487
Szarvas Gabriel, Das ungarische sprachgeschichtliche Wörterbuch und die
Kritik. ... ... ... _ - ... -. - --- — 632
Szdsz Karl, Erinnerungen an Michael Tompa _.. . . . . ... ..- ... 260
Szicsen Anton Gi-af, EröflFnimgsrede in der Ungar. Historischen Gesell-
schaft . ... ._ -. ... — — — -. - —363
Szigeti Josef, Bericht über den Hertelendy-Dramenpreis.. -- 856
Sziläyyi Alexander, Siebenbürgen und der Krieg in Nordosten 1648 — 55 93
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VIII INHALT.
Seite
SzUdgyi Alexander^ Jahresbericht in der Historischen Gesellschaft .-- -_ 367
Georg n. R4k6czy in Polen . . -- 627
Szvorenyi Josef, Denkrede auf Johann Danielik ... _._ _. .. 191
Teglds Gabriel, Ethnographische Verhältnisse und administrative Organi-
sation des dacischen Bergbaues der Römer ._ . 190
Thewreick Emil, Griechische Epigramme in ungarischer Uebersetzung... 370
Vadnai Karl, Hymen, Erzählung von einem heiratsföhigen Jüngling ... 262
Vdri Rudolf y Schollen zu Nicanders Alexipharmaca 371
Telfy Johann, Kisfaludy's Elegie «Mohacsi in griechischer Uebersetzung . 267
Wminsky Moritz, Die älteste Leichenbestattungsweise der Urzeit ... _.. 94
Zirhy Anton, An St. Sz^chenyi gerichtete Briefe 1827—35 . . ..267
Bericht über den Farkas-Raskö-Preis 486
m. DICHTXJNGEN.
Dalmady Viktor, König Matthias' Geburtshaus, deutsch von Adolf Hand-
mann . .__ _., ... _ _ -.. . . -._ _.. -.. . ... ... 750
Endrodi Alexander, Mädchen räche, deutsch von Stefan R<Snay. ... . . 96
Petofi Alexander, Das Lied der Hunde, deutsch von Stefan Rönay ... .271
Das Lied der Wölfe, von demselben ... _ —
Väradi Anton, Der fahrende Holländer, von Ad. Handraann . .. _. 853
Vörösmarty Micfiael, Trauerflor, deutsch von Adolf Handmann .. .. 375
We}>er Rudolf, Obschied, Gedicht in Zipser Mundart... .. .. . . . . 749
Zichy Geza, Es starb ein Weib, deutsch von Stefan R6nay _ 75^)
Ungarische Bibliographie .. .. ... 272, 376, 751, 864
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PAUL HMFALTY
der Begründer dieser Zeitschrift, ist am 30. November 1891,
nahezu 82 Jahre alt, unerwartet gestorben.
Ein Gelehrter ersten Banges von universellem Gesichts-
kreise und imponirendem Wissen, ein epochaler Forscher auf
den grossen Gebieten der vergleichenden Sprachwissenschaft,
der Qeschichtschreibung und der Völkerkunde, ein edler und
guter Mensch ist in dem Entschlafenen von uns geschieden.
Heute kann nur der Schmerz über den unersetzlichen
Verlust zu Worte kommen, die Würdigung seiner grossen,
bleibenden Verdienste muss ruhigeren Tagen vorbehalten
bleiben.
Ehre und Segen seinem Angedenken !
Budapest, 1. December 1891.
Gustav Heinrich.
#
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AUF UNGARN BEZli(;LICHE RENAISSANCE-DENKMÄLER
I.
Wenn man die Beschreibung der in den königlichen Mnseen zu Berlin
aufgestellten Bildwerke der christlichen Epoche aufmerksam durchblättert,
wird die Aufmerksamkeit ungarischer Ikonographen vorzüglich durch die
Bestimmung zweier Bildnisse gefesselt, welche folgenderweise lautet (Bode
undTschudi: Beschr. der Bildwerke. Berlin 1888, p. 31—33): •Verocchio^
Andrea di Michele de Cioni, gen. Andrea del Verocchio. Goldschmied, Bild-
hauer, Maler, geb. 1435 zu Florenz, gest. 1488 zu Venedig. In einem von
Baldinucci eingesehenen Manuscript, das noch dem XV. Jahrhundert anzuge-
hören scheint, ausdrücklich als Schüler des Donatello bezeichnet. Thätig in
Florenz und Venedig. Hauptsächlich als Thonbildner und Bronzetechniker
wirksam, war er für die Entwickelung der Kunst Mittel-Italiens in den
letzten Jahrzehnten des Quattrocento von der grössten Bedeutung
98. Bildniss des Mathias Corvinus. Halbrelief, unter der Achselhöhle
abgeschnitten. Parischer Marmor, Spuren von Vergoldung. H. 0*345,
Br. 0*25. Erworben 1842 von Marchese Orlandini in Florenz. — Tieck-
Gerhard, Verz. d. B.-W. Nr. 741 ; Bode, Ital. Porträt- Skulpt. p. 34 (mit
Abbildung) ; Bode, Ital. Büdh. d. Ken. p. 255. — Abb. T. VH.
Im Profil nach links gewendet. Bartloses Gesicht, das Haar mit einem
Eichenkranz geschmückt. Ueber dem Schuppenpanzer auf der linken Schulter
ein Mantel.
Gegenstück zu Nr. 99. — Mathias Corvinus (Hunyady), geb. 1443,
1458 König von Ungarn, gest. 1490, war eifrig bemüht italienische Kunst
und Wissenschaft nach seinem Lande zu verpflanzen. Ein ähnliches Belief,
das den König um 10 — 12 Jahre älter darstellt, in der 11. Gruppe der Kunst-
historischen Sammlungen des österreichischen Kaiserhauses. — Die etwas
oberflächliche wenig individuelle Behandlung scheint darauf hinzudeuten,
dass das Bildniss nicht nach der Natur, sondern in Italien nach einer Me-
daille oder dergleichen angefertigt wurde. Dass dies aber trotz des Floren-
tinischen Charakters der Arbeit nicht in Florenz selbst geschehen, dafür
spricht der Umstand, dass sie in parischem Marmor ausgeführt ist. Während
üngttiMhe BeTM, XI. 1801. I. Haft. ]
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^ AUF UNGABN BEZUGUCHE RENAISSANCE -DENKMÄLER.
Florenz seinen Bedarf durchweg aus den Brüchen von Garrara bestreitet,
ist es Venedig, das des leichteren Transportes halber den Marmor der grie-
chischen Inseln bevorzugt. Eben zu der Zeit, in die wir die Entstehung
dieses und des folgenden Reliefs versetzen, arbeitete der Florentiner Verocchio
am CoUeoni-Denkmal, dessen stilistische Eigentümlichkeiten wir in diesem
Eelief und namentlich in dem Gegenstück erkennen.
99. Bildniss der Beatrice von Arragonien. Halbrelief in halber Brust-
höhe abgeschnitten. Parischer Marmor, Spuren von teilweiser Vergoldung
und Bemalung. H. 0*38, Br. 025. Erworben 1842 von Marchese Orlandini
in Florenz. — Tieck- Gerhard, Verz. d. B.-W. Nr. 685; Bode, Ital. Porträt-
Skulpt. p. 34 (mit Abbild.); Bode, Ital.Bildh. d. Ben. p. 255 (mit Abb.). —
Abb. Tafel VH.
Im Profil nach rechts gewendet Auf dem kurzen lockigen Haar, durch
das sich Winden schlingen, ein dicker Perlenkranz, der über der Stime von
einem reichgefassten Edelstein festgehalten wird. Eine sechsfache Perlen-
schnur fällt auf die Brust. Auf der linken Schulter eine Agraffe. Im Haar
und an den Schmucksachen noch Beste der Bemalung und Vergoldung.
Gegenstück zu Nr. 98. — Beatrice von Arragon, Tochter Ferdinands I. Kö-
nigs von Neapel, 1476 mit Mathias Corvinus vermählt. Zwei bezeichnete Por-
trät-Darstellungen dieser Fürstin, eine Büste in der Sammlung von G. Drey-
fuss in Paris und ein Relief in der 11. Gruppe der kunsthistorischen Samm-
lungen des österreichischen Kaiserhauses, weisen unter sich und mit dem
Berliner Belief nicht unerhebliche Verschiedenheiten auf; indess ist doch
die Verwandtschaft der beiden Beliefs so gross, der Umstand, dass sie Pen-
dants zu den unzweifelhaften Bildnissen von Mathias sind, so entscheidend,
"dass an der richtigen Benennung nicht gezweifelt werden kann. »
Um nun jene Frage, welche uns hier beschäftigt, ob wir in diesen
beiden Bildnissen auch richtig Mathias L und seine Gemahlin Beatrice
erkennen dürfen oder nicht, zu entscheiden, muss ich aus einer Arbeit
des einen Verfassers der Beschreibungen, Herrn Wilhelm Bode, aus den
1887 erschienenen «Italienische Bildhauer der Benaissance», die auf diese
Beliefs bezüglichen Erörterungen hier anführen (pag. 254 u. folg.) : «Einen
interessanten Vergleich zwischen der venetianischen und Florentiner
Auffassung des Beliefporträts gestatten uns die beiden Profilbildnisse eines
jungen Ehepaares, welches die Berliner Sammlung 1842 von Marchese
Orlandini in Florenz erwarb. Wie das venetianische Relief bildniss dienten
sie offenbar zur Verzierung eines Thür- oder Kaminsturzes, in dessen Deco-
ration sie eingelassen waren. Wie dies geschah, davon gibt uns ein, zwar
nur handwerksmässig hergestelltes, aber doch mit feinem Gefühl erfundenes
Florentiner Kamingesims im Besitz des Berliner Kunstgewerbe-Museums
ein Bild. Die Durchbildung ist in diesen Florentiner Arbeiten von gleicher
Vollendung, wie in jenen venetianischen Reliefbildnissen. Das Relief,
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ANOEBUCHES BILDNISS DES MATHIAS CORMNUS.
Berliner Sammlung No 98.
1*
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* AUF UNGARN BEZUGLICHE RENAISSANCE-DENKMALER.
obgleich ebenfalls flach gehalten, zeigt eine kräftigere Modellirung nach der-
Mitte zu. Die Auffassung trägt jenen der Florentiner Kunst eigenen Cha-
rakter von Grösse und Feinheit in der Wiedergabe der Individualität, ver-
bunden mit einer Anmut, welche einen Künstler wie Antonio Bossellino-
oder Benedetto da Majamo verrät.
Diese beiden Bildnisse wurden namenlos gekauft und bis vor Kurzem-
als «unbekannt» in der Sammlung angeführt. Der eigentümliche Kopf-
schmuck des Mannes, ein Eichenkranz im welUgen Haare, den ich nur noch
bei einem zweiten italienischen Bildnisse, bei dem BeUefporträt des Mathias-
Gorvinus in der Ambraser Sammlung in Wien, nachzuweisen im Stande
bin, legt die Vermutung nahe, dass auch das Berliner Belief denselben dar-
stelle. In der That sind die Züge sehr verwandte, nur um etwa zwölf bia
fünfzehn Jahre jünger. Noch überzeugender ist die Aehnlichkeit mit der-
bekannten Medaille des Fürsten, die ihn gleichfalls mit dem Eichenkranz
geschmückt zeigt. Auch der Schuppenpanzer, welchen wir in beiden Por-
träts finden, passt auf den streitbaren Ungarnkönig.
Dsa Gegenstück müsste dann seine Gattin darstellen, und zwar —
nach dem Alter des Mathias — seine zweite Gemahlin, Beatrice, Tochter
Königs Ferdinand von Arragon, welche er im Jahre 1476 heiratete. Die
Züge dieser Gemalin sind uns in verschiedenen, durch gleichzeitige Unter-
schriften beglaubigten Bildnissen erhalten : als Gegenstück jener Beliefbüste
des Mathias in der Ambraser-Sammlung, sowie als Marmorbüste im Besitz
des Herrn Gustave Dreyfuss in Paris mit der Inschrift : DIVA BEATBIX
ABAGK3NIA. Wir haben der letzteren bereits bei Besprechung der Marmor-
büste von Marietta Strozzi Erwähnung gethan. Während nun das Wiener
Bildniss des Mathias, wie bereits erwähnt, mit dem Berliner BeUefporträt,
wenn man von der Verschiedenheit des Alters absieht, sich sehr wohl ver-
einigen lässt, weichen die Züge in der Büste der Beatrice, obgleich augen-
scheinlich beinahe gleichalterig mit der auf dem Berliner Relief Darge-
stellten, nicht unwesentlich von derselben ab. Ebensowenig stimmt aber
auch das Wiener Belief zu der Büste, obgleich die Unterschriften auf beiden
Arbeiten keinen Zweifel lassen, dass ein und dieselbe Person darin darge-
stellt sein solle. Namentlich zeigt das Wiener Belief eine vorspringende und
gewölbte Stirn, sowie eine etwas aufwärts gerichtete Nasenspitze, während
die Stirn in der Büste bei Herrn Dreyfuss auffallend niedrig und zurück-
tretend erscheint, auch die Nase spitz zuläuft. Den Zügen des Wiener
Beliefs entspricht nun im wesentlichen das Berliner Belief; dasselbe zeigt ^
auch schon die Neigung zur Beleibtheit, welche sich bei der etwa zwölf Jahre
älteren Frau, wie sie in dem Wiener BeUefbildniss erscheint, bereits aus-
gebildet hat. Gemeinsam ist dagegen der Büste wie den Beliefbildnissen dai^
kurzgehaltene lockige Haar, welches in dem Berliner Belief in dem Kranz»
von Winden (wohl aus Goldemail) der sich unter den Locken hindarch-
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ANGEBUCHES BILDNISS DER BEATRICE VON ARRAÖON.
Berliner Sammlung No 99.
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*> AUF UNGARN BEZUGLICHE RENAI8SANCE-DENKMALER.
schlingt, und in dem dicken Perlenkranz, den ein reichgefasster Edelsteia-
oben über der Stirn festhält, einen reizvoll angeordneten Schmuck erhalte»
hat. Als Grattin des Ungarnkönigs und Tochter des stolzen Tyrannen von
Süditalien verrät sie sich auch in dem übrigen Schmuck, der breiten sechs-
fachen Perlenkette und dem mit Perlen eingefassten Edelstein, welcher
an der linken Schulter als Agraffe befestigt ist.
Diese Keliefbildnisse geben ein beredtes Zeugniss für das Interesse, wel-
ches Mathias Hunyady bekanntUch an der italienischen Kunst nahm. Noch
heute ist eine beträchtliche Zahl der Manuscripte erhalten, welche der König
in Italien schreiben und mit Miniaturen von den ersten Künstlern schmücken
liess; im Jahre 1480 arbeiteten nach urkundlichen Nachrichten die Bild-
schnitzer Andrea und Francesco CelUni, die Oheime Benvenutos am Hofe
des Mathias; und Vasari erzählt uns ausführlich von dem Aufenthalte des
jungen Benedetto da Majano in Ungarn, der zuerst als Intarsiator, später
als Bildhauer für den König beschäftigt war. Sollte Benedetto damals viel-
leicht jene beiden Profilporträts der Berliner Sammlung angefertigt haben,
die dann als Geschenke des Ungarnkönigs nach Italien kamen ? Mit der
Zeit ihrer Entstehung würde das übereinstimmen, da Banedetfco, nach
Vasaris Angabe, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Ungarn die Thür
im Audienzeaal des Palazzo Vecchio zu Florenz anfertigte, welche 1481
vollendet war. Doch lässt der Umstand, dass das Porträt des Mathias, im
Gegensatz gegen das sehr individuelle Bildniss der Gattin, etwas Allgemeines
und Lebloses hat, eher darauf schliessen, dass das männliche Bildniss nicht
nach dem Leben und daher beide ßehefs wohl in Italien angefertigt wurden.»
Wenn wir die hier wiedergegebenen Ansichten des Herrn W. Bode aus
den Jahren 1887 und 1888 mit einander vergleichen, so stossen wir auf
Abweichungen in wesentlichen Punkten seiner Anschauungen. Im Jahre 1887
hielt er Antonio Rossellino oder noch wahrscheinlicher Benedetto da Majano
für den Bildner der Berliner Belief porträts ; im J. 1888 beschreibt er sie ß\&
sichere Arbeiten des Andrea del Verocchi», ohne diese Meinungsänderung
näher zu begründen. Aus der Thatsacbe, dass diese Bildnisse aus pariscbem
Marmor gehauen sind, zieht er 1887 keine Folgerung, während er dies 1888
als entscheidenden Umstand anführt für die Hypothese, dass sie von einem
Florentiner Bildhauer in Venedig gearbeitet wurden, — und vielleicht hat
ihn gerade dieses darauf geleitet, Bildwerke Verocchios in ihnen zu erken-
nen, da es allbekannt ist, dass der berühmte Florentiner Meister in den
achziger Jahren des XV. Jahrhunderts in Venedig thätig war. Die Stich-
haltigkeit dieses Gedankenganges wird jedoch von Herrn Bode selbst unter-
graben in seinem Werke «Italienische Bildhauer der Renaissance», wo er
uns ja belehrt, dass der Gebrauch des parischen Marmors keineswegs aus-
schliessliche Eigentümlichkeit der in Venedig schaffenden Künstler war.
Auf Seite 25 bespricht er zwei neapolitanische Bildwerke aus parischem
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BEATRIX VON ARRAGONIKN.
MarmorbÜ8te bei Herrn. G. Drevfuss in Paris
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ö AUF UNGARN BEZUGLICHE RENAIS8ANCE-DENKMALER.
Marmor und eine in Siena — also Toecana — gleichfalls nicht aus italieni-
schem, sondern aus griechischem Marmor gearbeitete Madonna.
Diese Aenderung der Ansichten Herrn Bodes, welche er durch neue
Gründe nicht rechtfertigt, kann unser Vertrauen zur Endgiltigkeit und Voll-
ständigkeit seiner Bestimmung erschüttern und müsste eingehend gewür-
digt werden, wollten wir die Stelle der Berliner Reliefs in der Reihe der
Monumente italienischer Bildhauerei näher bestimmen; diese Frage ist
jedoch für den Zweck dieser Zeilen von untergeordneter Bedeutung, da
wir hier nur zu untersuchen haben, mit welchem Recht diese Bild-
nisse die Namen Mathias Corvinus und Beatrix von Arragon führen, und
in wie ferne sie innerhalb der ungarischen Ikonographie eine Stelle bean-
spruchen können.
Die Reliefs waren, als sie 1842 in Florenz gekauft wurden, • namenlos»
und wurden seitdem bis 1887 als Porträts unbekannter Persönlichkeiten
aufgeführt. Herr Bode taufte sie Mathias und Beatrix auf Grund des
Umstandes, dass der dargestellte Mann, gerade so wie Mathias auf dem
durch die Inschrift beglaubigten Ambraser Bildniss und auf der bekann-
ten Medaille — nämlich der grösseren — mit einem Eichenkranz geschmückt
ist und daraufhui, dass wir kein viertes mit Eichenkranz geschmücktes italieni-
sches Männerporträt aus dem XV. Jahrhundert kennen. Es sei nebenbei
bemerkt, dass die Behauptung, Mathias sei auf dem Wiener ReUef oder auf
der Schaumünze in Schuppenpanzer gekleidet, den Thatsachen nicht ent-
spricht. In den «Ital. Bild, der Renaissance» behauptet Herr Bode, dass die
Gesichtszüge des auf dem Berliner Relief Dargestellten sehr verwandt sind
mit jenen des Mathias auf dem Wiener Bildniss, die Verschiedenheiten ent-
sprächen dem Altersunterschied von 12 — 15 Jahren, und femer sei die
Aehnlichkeit der Köpfe auf dem Berliner Porträt und auf der (grösseren)
Medaille des Königs noch überzeugender. In den Erörterungen, welche wir
in der Beschreibung aus dem Jahre 1888 leser, betont er stärker, was er
1887 nur nebenbei bemerkt: dass die Behandlung des Berliner Männerbild-
nisses «etwas oberflächlich und wenig individuell sei» mit anderen Worten,
dass man es nicht für ein treffendes Bildniss einer bestimmten Persönlich-
keit halten dürfe ; hieraus folgert er jedoch nur, dass es «nicht nach der
Natur, sondern in Italien angefertigt wurde», das heisst, dass der Künstler
den König selbst niemals gesehen hat, sondern nur seine Bildnisse kannte.
Er begründet die Benennung des weiblichen Bildnisses durch den Umstand,
es sei das Pendant eines unzweifelhaften Porträts des Mathias, also unbe-
dingt das seiner Gattin, trotzdem es von der Dreyfuss'schen Büste voll-
ständig abweicht, trotzdem er selbst der Ansicht ist, dass die auf dem Ber-
liner Belief und in der Pariser Büste dargestellten Frauen beinahe gleich-
altrig sind, und dass beide sehr individuelle, treffend ähnliche Bildnisse
von dem Künstler nach der Natur gearbeitet wurden. In diesem Falle bestrebt
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AUF UNOARN BEZUOUCHE RENAISSANCE-DENKMALER. ^
er sich die Willkürlichkeit der Namengebung dadurch zu mildern, dass er die
Aehnlichkeit des Berliner und Wiener Beliefs und die wesentlichen Ver-
schiedenheiten des Wiener und Pariser Bildes zu beweisen sucht. Hätte er
nun darin recht, so müsste er es für möglich halten, dass ein ausgezeich-
neter itaUenischer Künstler des XV. Jahrhunderts — denn er hält sowohl
den Bildhauer des Beliefs, als den der Büste dafür — angesichts der Natur
im Stande war von ihr wesentlich abweichende Züge darzustellen, und dass
-er nicht vermochte ein treffendes BUdniss zu schaffen.
Ich glaube, dass wir die rechte Antwort auf die uns hier beschäftigende
Frage eher finden können, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf jenen Teil
richten, welcher die reichhaltigere und verlässUchere Grundlage bietet, näm-
lich die Bestimmung des Frauenbildnisses versuchen, also gerade den ent-
gegengesetzten Weg einschlagen, als der verdienstvolle Director der Ber-
liner Sammlungen, dessen Ausgangspunkt die Bestimmung des Mannes
bildete. Nicht nur die Thatsache setze ich als unzweifelhaft voraus, dass das
Berliner Frauenrelief das Werk eines italienischen Künstlers ist, sondern
auch jene, dass die Dargestellte eine Italienerin ist, wofür ja die Bekleidung
und die eigentümliche Haartracht zeugen. Ist dies richtig, so haben wir uns
mit der MögUchkeit nicht zu befassen, als sei hier die 1464 gestorbene
Tochter des Böhmen Podiebrad dargestellt. Wenn überhaupt eine Ge-
mahlin des Mathias hier abgebildet ist, kann nur Beatrice von Arragon in
Betracht kommen. Abgesehen von den in den Handschriften erhaltenen
Miniaturbildem, welche wohl nie nach der Natur gemalt wurden und des-
halb zu einer ikonographiscben Bestimmung als Beweise sieb wenig eignen,
sind uns die Züge der neapolitanischen Königstochter sicher in drei Kunst-
werken erhalten: in der Pariser Büste, in der Medaille des ungarischen
National-Museums und im Wiener ReUef. Auf allen dreien versichert uns
die Inschrift, es sei Beatrice dargestellt.
Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich die Büste als das frü-
heste Bildniss der Beatrix bezeichne. Die lebensgrosse Büste ist unter der
Schulter gerade abgeschnitten. Den zarten Formen des Busens entspricht
der schlanke Hals, auf dem das leise gegen die linke Schulter geneigte Haupt
ruht. Die schiefe SteUung der Augen und die eigentümliche Art ihrer Dar-
stellung, — dass nämlich das obere Augenlid den Augapfel bis zur Hälfte ver-
deckt, — wiederholt sich bei einer ganzen Beihe Florentiner Mädchenbüsten,
welche Bode auf Seite 227 — 228 der «Ital. Bildh. d. Ren.» zusammen-
gesteUt hat Er erklärt die auffallende Eigentümlichkeit folgenderweise : «Die
Künstler haben damit, so scheint es, einer allerdings sonst nicht nachweis-
baren Anschauung ihrer Zeit entsprechend, den Ausdruck des jungfräulich
Sittsamen und Bescheidenen wiedergeben wollen.» Diese Erklärung würde
meine Hypothese, dass die Büste Beatrix noch als Mädchen darstellt,
bekräftigen ; man kann jedoch die merkwürdige Modellirung der Augen
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AI'F UN(4ARN BEZUGLICHE RENAISSANCE- DENKMALER.
vielleicht richtiger damit erklären, dass die Büsten, bei denen sie vorkommt^
an einem hochgelegenen Platz aufgestellt waren, in welchem Fall ihr Blick
so auf den Beschauer fiel, während er sich in die Ferne gerichtet hätte,
wäre das Auge mehr geöffnet dargestellt worden, und der Ausdruck des Bild-
werkes dadurch an Lebendigkeit verloren hätte. Dass die Stirne auf der Büste,
verglichen mit jener auf dem Relief «auffallend niedrig und zurücktretend
erscheine,» wie Herr Bode es behauptet, vermag ich nicht wahrzunehmen.
Es bleiben ja von der Stirne nur fünf Millimeter oberhalb der Augenbrauen
frei, den übrigen Teil verdeckt der Schleier, unter welchem auch die Haare
verborgen sind. Auch was diese anbelangt, kann ich der Ansicht des Herrn
Bode, dass sie nämlich kurzgehalten und lockig seien, nicht beistimmen.
Allerdings hängen beiderseits an den Schläfen, wo das Haar unter
dem Schleier hervortritt, je zwei Strähnchen, drei Centimeter weit auf die
Wangen herab, das übrige leicht gewellte Haar aber zieht sich wieder
unter den Kopfputz und lässt uns klar erkennen, dass es nicht kurzge-
schoren, sondern am Hinterhaupt in einen Schopf zusammengefasst ist. Rück-
wärts dagegen dringt das gleichmässig geschnittene Haar zwei ein halb Cen-
timeter lang unter dem Schleier hervor, und glatt gekämmt bedeckt es den
Nackenansatz. Wenn wir die Büste im Profil nach rechts gewendet ansehen
in derselben Lage, in welcher Beatrix auf der Medaille und dem Relief abge-
bildet ist, so können wir beobachten, dass der Nasenrücken etwas gebogen
ist, und dass dieser mit der Stirne einen Winkel von höchstens 135 Grad
bildet. Wir sehen auch, dass die obere Linie des oberen Augenlids, also
jene, welche am tiefsten liegt, und den oberen ümriss des Augapfels andeu-
tet, fast parallel mit der Linie der Brauen läuft ; ja sogar dass der äussere
Augenwinkel dem äusseren Ende der Augenbrauen etwas näher kommt, als
der am höchsten liegende Punkt des oberen Augenlids dem entsprechenden
Punkte der Brauen. Endlich müssen wir auch den geschwungenen ümriss
des Rückens und Nackens verfolgen, von welchem der entsprechende üm-
riss auf dem Berliner Relief durch seine Steilheit so wesentlich abweicht,
während jener auf dem Wiener Bildnisse sich äusserst ähnlich schwingt.
Die Vermutung, die Büste sei angefertigt worden, als Beatrix noch nicht
verheiratet war, stütze ich nicht nur auf die fast unentwickelte jungfräuliche
Erscheinung, sondern auch auf den umstand, dass die Inschrift ihrer könig-
lichen Würde nicht gedenkt, sie nur DIVA BEATRIX AÜAGONIA nennt,
während die Inschrift des nächsten Bildnisses, jene der Medaille DIVA
BEATRIX HVNGARIAE REGINA lautet. Die Formen, besonders die des
Busens und des Halses sind hier zwar etwas entwickelter, sonst aber
stimmen die Züge vollständig mit jenen überein, welche uns die Büste
zeigte, die Biegung des Nasenrückens ist dieselbe, und auch der Winkel,
unter dem er zur Stirne stösst, ist derselbe. Auch hier verdeckt ein Schleier
den oberen Teil der Stirne, er ist jedoch hier nicht hinten aufgebunden.
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AUF UNGARN BEZÜGLICHE RENAISSANCE-DENKMÄLER. H
sondern hängt auf den Bücken herunter. Auch hier wird das Haar nur bei
der Schläfe sichtbar, doch können wir uns auch in diesem Fall überzeugen,
dass es nicht kurz gehalten ist. Die Form des Auges entspricht ebenfalls
jener, welche wir bei der Büste beobachteten, nur dass hier, wo Beatrix
geradeaus vor sich hinblickt, dessen Kleinheit auffallender ist, als auf dem
Dreyfuss'schen Bilde, wo wir den Eindruck, dass die Augen klein seien,
der eigentümlichen Art und Weise zuschreiben könnten, mit welcher der
Künstler sie halbgeschlossen darstellte. Wenn wir der Abweichungen und
üebereinstimmungen beider Denkmäler Bechnung tragen, so erkennen wir,
dass nur wenig Jahre zwischen der Anfertigung der Büste und der Medaille
verflossen sein können, so dass, wenn erstere vor der Hochzeit, etwa 1474
bis 1475 entstand, letztere gewiss vor 1480 modellirt worden sein wird.
Wesentlich später, etwa am Ende der achziger Jahre wurde da»
Wiener Belief angefertigt, dessen Inschrift : BEGINA HVNGAEIAE BEA-
TEIX DE ABAGK3NIA lautet. Aus dem zierlichen, unentwickelten Mädchen,
dem Modelle der Büste ist hier eine mächtige, üppige Frau geworden. Der
Schnürleib spannt sich straff über den hochgewölbten Busen und das Kinn
hat sich im Laufe der Jahre verdoppelt. Schon bei der Medaille lassen
sich die Keime dieser Neigung zum Fettwerden beobachten. Der von der
Stime und dem Nasenrücken gebildete Winkel ist auch hier derselbe wie
bei der Büste und der Medaille. Die Nasenspitze ist wie sämmtliche Gesichts-
teile runder und fleischiger geworden, doch ist der ümriss des Nasen-
rückens noch immer gebogen, so dass ich nicht glauben kann, Herr Bode
habe die Zeilen, in welchen er behauptet «die Nasenspitze sei aufwärts
gerichtet» angesichts des Bildes geschrieben. Gerade wie auf der Me-
daille hängt hier der Schleier auf den Bücken herunter, und verdeckt die
Haare^ welche nur bei der Schläfe sichtbar werden, jedoch genügend um
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AUF UNOARN BEZUGLICHE RENAISSANCE- DENKMÄLER.
festzustellen, dass es nicht kurzgescbnitten ist ; dagegen bleibt die Stirne
frei. Das Auge entspricht genau jenem der Medaille.
Aus Allem, was wir hier beobachtet haben, geht hervor, dass die drei
Denkmäler zweifellos ein und dieselbe Persönlichkeit in drei Phasen ihrer
Entwicklung darstellen, dass bei allen dreien die wesentlichen Formen ähnlich
bleiben, während die Unterschiede die durch das Vorschreiten der Jahre
Terursacht-en Verschiedenheiten wiederspiegeln. Sie sind richtig beobachtete
Merkmale des zunehmenden Alters der Königin, und gerade dadurch beweisen
sie, dass die Künstler die Aehnlicbkeit in allen drei Fällen richtig trafen. Unter-
suchen wir nun d»8 Berliner Relief und was Herr Bode darauf bezüglich
behauptet. Gewiss ist der Umstand, dass es ein Pendant bildet zu dem Por-
trät eines Mannes ; wenn es also Beatrix darstellt, sehen wir sie frühestens
in jener Zeit, wo sie die Braut des Mathias war, also ist es jedenfalls später
entstanden, als die Pariser Büste. Wenn wir andererseits Herrn Bode zustim-
men, dass das Frauenrelief nach der Natur, während das Männerrelief nach
einem Bilde gearbeitet wurde, so können die beiden Rehefs nur bevor sie
nach Ungarn gieng, in Italien gemacht worden sein, also früher als die
Medaille. Zwar ist es nur ein äusserlicher Umstand, doch verdient es be-
merkt zu werden, dass auf den beiden gesicherten Bildnissen Beatricens,
von denen das eine sie etwas jünger, das andere sie etwas älter darstellt,
sie lange Haare trägt, die jener Dame, die wir auf dem Berliner Relief
aehen, dagegen kurz gehalten sind. Viel wesentlicher ist es aber, dass kaum
ein Zug des Berliner Bildes mit jenen der Büste oder der Medaille überein-
stimmt. Der Hals auf dem Relief ist fast cylindrisch im Gegensatz zu jenem
der Büste, welcher entschieden kegelförmig zuläuft. Auf dem Relief bilden die
Umrisse des Kinnes nahezu einen rechten Winkel, während auf der Büste
und auf der Medaille sie etwa unter 112 Grad sich trefifen. Auf dem Relief
ist der Nasenrücken geradlinig und der Winkel, unter dem er zur Stirne
«tösst, mindestens 158 Grad. Das geradeaus blickende Auge ist gross, der
höchstliegende Punkt des oberen Lides hegt viel näher dem entsprechenden
Punkte der Brauen als der äussere Augenwinkel, während wir bei den
gesicherten Bildnissen der Beatrix geradedas Entgegengesetzte beobachten
konnten. Das Vergleichen der Stirne wird dadurch erschwert, dass Beatrice
auf allen ihren beglaubigten Bildnissen einen Schleier trägt, welcher den
Haar- Ansatz verbirgt, während der auf dem Berliner ReUef dargestellte
Kopf unbedeckt ist ; wir können nur soviel entschieden wahrnehmen, dass
bei dem letzteren die niedrige Stirn mit stark geschwungenem Bogen sich
wölbt, auf den sicheren Bildnissen Beatricens dagegen der Umriss der Stirn
viel flacher verläuft. Herr Bode betont, dass das Berliner Frauenbildniss
sehr individuelle Züge aufweist, woraus wohl folgt, dass es die charakteri-
stischen Eigentümlichkeiten der dargestellten Dame getreu schildert ; indess,
da diese Züge einzeln und im Gesammten wesentlich von jenen der Beatrice
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AUF UNGARN BEZÜGLICHE RENAISSANCE -DENKMÄLER. ^^
abweichen^ mässen wir den Schluss ziehen, dass der Künstler hier nicht
Beatrice darzustellen beabsichtigte.
Was den Männerkopf anlangt, behauptet Herr Bode, er sei wenig
individuell behandelt, also dem lebenden Modell kaum ähnlich. Zu meinem
Bedauern kann ich auch diesmal dem ausgezeichneten Berliner Gelehrten
nicht beistimmen. Die bestimmt gegliederte Stirne, das leise Zusammen-
ziehen der Brauen, wodurch Strenge in den Gesichtsausdruck kommt;
die Linie des Nasenrückens, welche so fein geschwungen ist, dass maa
bei oberflächlichem Betrachten glaubt, sie sei ganz gerade ; der etwas offene
Mund, die bei der Nasenwurzel, bei dem Mundwinkel und an der Wange sa
mannigfaltige Modellirung sind lauter Eigenheiten, welche nur auf Grund
von Naturbeobachtung gebildet werden konnten, und fast ausschliessen,
dass wir es hier mit einem Idealbilde, und nicht mit der Darstellung einer
bestimmten Persönlichkeit zu thun haben. Allerdings ist es richtig, dass die
Gesichtszüge an jene des Mathias Gorvinus überhaupt nicht erinnern, so wie
wir sie auf dem Wiener Belief und seinen zwei Medaillen sehen. Nur betreffs
eines Umstandes stimmt das Berliner Belief mit dem Wiener und der einen
Medaille übereins, — doch dieser ist ganz äusserlich — dass auf allen dreien,
der Dargestellte mit einem Eichenkranz geschmückt ist. Auf der kleineren
Medaille ist Mathias mit Lorbeer bekränzt. Die Thatsache nun, dass
weder Herr Bode, noch andere ein eichenkranztragendes itaUenisches Man-
nerbüd aus dem XV. Jahrhundert namhaft machen können, ausser die drei
hier angeführten, berechtigt kaum dazu in jedem so geschmückten, gleich-
zeitigen Bildnisse den Ungamkönig zu erkennen.
n.
Haben die Verfasser der Beschreibung der Berliner Bildwerke christ-
licher Epoche durch ihre Namengebung die unerfüllte Hoffnung in uns wach-
gerufen, dass wir Gelegenheit haben von einem ausgezeichneten Künstler
geschaffene Bildnisse des grossen Ungarnkönigs und seiner Gattin kennen zu
lernen, und durch ihre wohlverdiente wissenschaftliche Autorität uns gezwun-
gen, mit langwieriger Auseinandersetzung jede ihrer Behauptungen zu contro-
liren, damit wir mit Beruhigung dem Ergebniss entsagen können, zu welchem
sie gelangt sind, so bieten sie durch das reiche Material, das sie publicirt-
und die Gründlichkeit, mit welcher sie es bearbeitet haben, die sichere
Grundlage zur Bestimmung eines vor längerer Zeit (S. Arch. ^rt. X.
p. 253) angeblich in Visegräd zum Vorschein gekommenen Denkmales.
Auf dem aus rotem Marmor gearbeiteten Lunettenrelief sehen wir
die Jungfrau Maria in Halbfigur, welche mit der rechten Hand das auf einem
Kissen stehende Jesuskind stützt und mit der Linken einen Bausch ihrea
Mantels erfasst. Unter ihrem linken Ellbogen guckt ein Engelkopf hervor^
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AUF UNOARN BEZÜGLICHE RENAISSANCE -DENKMALER.
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Das mit einem Hemdeben bekleidete Kind erbebt segnend die Bechte^
^yäbrend es in der an seine Brost gedrückten Linken ein Yögelcben
bält Hinter den Köpfen beider Gestalten sehen wir verzierte Heiligen-
scheine. Auf dem Hintergrund sind Wolken durch längliche Wülstengruppen
angedeutet. J. Hampel, der uns auf dieses Bildwerk neuerUch aufmerk-
sam machte^ erkannte sofort aus der Composition und Zeichnung, und aus
dem antikisirenden Charakter der BahmengliederuDg» dass es ein Werk eines
italienischen Künstlers aus dem XV. Jahrhundert sein müsse. Um seiner
Aufforderung, den Platz dieses BeUefs in der Beihe der italienischen Denk-
mäler näher zu bestimmen, Genüge zu leisten, muss ich ein Ergebniss der
Forschungen des Herrn Bode zur Hülfe nehmen. In den «Italienischen Bild-
MEISTER DER MARMORMADONNEN.
No 76. Berliner Sammlung. No 77.
hauem der Benaissancet ist eine lange Beihe von Statuen und Behefs zusam-
mengestellt, welche augenscheinUch einem und demselben Künstler zuge-
schrieben werden müssen, dessen Namen uns aber weder eine Inschrift noch
mit den Bildwerken nachweisbar zusammenhängende Urkunden verraten,,
und welchen Bode als «Meister der Marmormadonnen» bezeichnet. Wenn
wir die im BerUner Verzeichniss unter Nummer 76 und 77 aufgeführten
Madonnen mit der Visegräder vergleichen, gewinnen wir die Ueberzeugung,
-dass sie auch eine Arbeit des Meisters der Marmormadonnen ist. Das Christ-
kind ist fast ohne Aenderung von Nummer 77 übernommen ; die Haltung
des Kopfes, die Bewegung der segnenden Bechten, die Stellung der Beine,
•die ModeUirung des Unterleibes, der Kniee und der Fussgelenke stimmen
^enau überein. Nur die Bewegung des linken Armes ist verschieden : auf
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AUF UNGARN BEZUGLICHE RENAISSANCE-DENKMALER.
dem Belief Nr. 77 streckt das Christuskiod auch diesen aus, indem es mit der
linken Hand einen Apfel emporhebt, auf dem Visegräder hält es in der
Linken einen Vogel, den es an seine Brust drückt. Dieses Motiv hat der
Künstler nun auf dem Belief Nr. 76 benutzt. Die eigentümliche Art, wie die
Hand der Madonna mit gespreizten Fingern dargestellt ist, springt sowohl
bei dem Belief Nr. 77 als auch bei dem Visegräder in die Augen. Auf beiden
Beliefs ist das Unterkleid knapp unter dem Busen, hoch gegürtet,,
und sowohl die schweren in sehr spitzen Winkeln zusammenstossenden
Falten des Untergewandes, als die feinen Parallelfaltchen des Aermels
wiederholen sich als charakteristische Eigenheit des Künstlers auf allen
drei Bildwerken. Schade, dass sowohl das Gesicht der Maria, als jenes dea
Christkindes so sehr verstümmelt sind, dass wir ihre Behandlung mit den
Gesichtern auf den übrigen Beliefs nicht vergleichen und G^wiss-
heit erlangen können, ob das Visegräder Belief auch hierin der Charakte-
ristik entspricht, welche die Verfasser des Berliner Katalogs aus dem einge*
henden Studium sämmtlicher bekannter Werke des anonymen Künstler»
zusammengefasst haben. «Meister der Marmormadonnen» unter diesem
Namen mag, nach dem Vorgang der deutschen Kunstgeschichte, bis auf
weiteres ein anonymer Künstler gehen, auf den sich eine nicht unerhebliche
Anzahl von Werken — mit Ausnahme einiger Büsten, durchgehends Ma-
donnenreliefs in Marmor — zurückführen lässt. Der Meister gehört dem
Kreise der Florentiner Marmorbildner an und steht etwa zwischen Antonio
Bosselino und Mino, in der weichen Fleischbehandlung dem ersten, in der
manierirten Faltengebung und dem starren, zuweilen karrikierten Gresichts-
ausdruck den Werken der früheren Zeit des letzteren nahe kommend, mit
dem er dann auch im Kunsthandel beharrlich verwechselt wurde. Dass der
Künstler seine Hauptthätigkeit etwa zwischen 1460 — 70 entfaltete, wird
ausserdem noch durch die, eng an Donatelleske Tradition anschliessende^
Ornamentik wahrscheinlich gemacht.
Der Umstand, dass die Visegräder Madonna aus ungarischem Marmor,
also hier zu Lande gearbeitet ist, bietet uns die Gewissheit, dass wir den
Namen des anonymen Meisters in der Liste jener Italiener zu suchen haben,
die am Hofe des Mathias Corvinus beschäftigt waren, und indem dadurch
das zu durchforschende Gebiet eng begrenzt wird, wächst die Wahrschein-
lichkeit, dass es gelingen wird, diese noch offene Frage zu lösen.
Karl v. Pülszky.*
- Ans .Archseologiai Ertesitö», 1890. S. 311 ff.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE. 17
GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE.
11. Kinder Johann Asens II.
a) Aus der Ehe mit Maria von Ungarn.
Mit Bestimmtbeit kennen wir hier nur folgende :
a^) H e 1 e n e.
Geboren im Jahre 1225, wnrde sie frühzeitig in das Getriebe politi-
scher Gombinationen hineingezogen.
Als nach der Flacht des Kaisers Bobert aus Konstantinopel die Krone
auf dessen 1217/8 geborenen knabenhaften Bruder Balduin (11.) übergieng
und man dringend der Verwaltung eines kraftvollen Mannes bedurfte,
rieten einige der Beicbsgrossen, man möge den mit Balduin verschwägerten
Johann As£n zum Beichsverweser ernennen und diesem Verhältnisse durch
Vermählung des jungen Kaisers mit Johann As^ns Tochter Helene die
rechte Weihe geben.* Jedoch zerschlug sich die Sache und man wählte
den französischen Grafen Johann v. Brienne.
Empört über die erfahrene Zurücksetzung, verband sich nun
Johann As£n mit dem Kaiser Johann Vatatzes von Nikaea, um gemein-
same Sache gegen das lateinische Kaisertum in Koustantinopel zu machen.
Das Bündniss wurde durch die Verlobung Helene's mit dem Tronerben
Nikaea's äusserlich besiegelt. Als nämlich Vatatzes im Sinne des mit dem
Bulgarenzaren eingegangenen Bündnisses im Jahre 1 235 die Stadt G^li-
poli erobert hatte, kamen beide verbündete Herrscher, von ihren Gemahlin-
nen begleitet, in der eroberten Stadt zusammen. In Lampsakos wurde nun
die bereits im Vorjahre geplante Verlobung der Prinzessin Helene mit dem
im Jahre 1223 geborenen Prinzen Theodor von Nikaea gefeiert.
Im Jahre 1237 trat zwischen den Verbündeten eine Spannung ein;
Johann As^n unternahm mit seiner Gemahlin Maria eine Beise nach
Adrianopel und drückte Vatatzes gegenüber den Wunsch aus, er möchte
gerne sein Töchterchen an seiner Seite sehen, worauf er es wieder an den
nikäischen Hof zurücksenden wolle. Kaiser Vatatzes mochte wohl Johann
Aflins Absichten durchschaut haben, denn er erinnerte ihn an die Hei-
ligkeit des Eides und an den obersten Bichter. Sobald die junge Prinzessin
in Adrianopel war, trennte sie Asin von ihrem nikäischen Geleite, setzte
die sich weinend Sträubende unter Gewaltandrohungen vor sich auf sein
* Sanndo ap. Bongars, Gesta Dei per Francos 11. 73.
Ungaritehe Beme, XL 1801. L Heft. 2
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE,
Pferd und ritt nach Timova; als aber noch im selben Jahre Gemahlin und
Sohn Johann AaSns plötzlich starben, sah der Bulgarenzar hierin einen
Fingerzeig der Vorsehung, worauf er Helene ihrem Verlobten zurücksandte
und sich mit Vatatzes versöhnte.
Helene 's Gemahl bestieg als Theodor II. den Tron von Nikaea, starb
aber schon im August 1 258. Helene's Schicksale, sowie die Zeit ihres Todes
sind unbekannt. Ihre Kinder sind gleichfalls der Spielball der Politik
geworden (s. u.).
a*) Zar Koloman I.
Geboren im Jahre 1232,* folgte er seinem Vater 1241. Seine Vor-
münder hatten mit Vatatzes Frieden geschlossen und sind aus der kurzen
Begierungszeit dieses Zaren keine bemerkenswerten Ereignisse zu ver-
zeichnen. Noch weniger wissen wir, ob er verlobt wurde. Er starb Ende
September 1246; es heisst, er sei vergiftet worden.
a^) Anonymer Sohn.
Gleichzeitig mit der Zarfn Maria und dem Patriarchen von Timova
ist 1237 ein Sohn Johann As^ns IL einer Epidemie zum Opfer gefallen.
Weder der Name noch das Alter dieses Knaben ist bekannt.
a*) T h a m a r.
Diese Prinzessin wird von Akropolita ausdrücklich eine Schwester
Ealimans und Tochter der ungarischen Maria genannt.
Engel 417 hat folgenden Passus: «Jedoch hatte die Wittib (Johann
Asins II.) Irene dem jungen Mich. Asan (ihrem Sohne) eine Begierde, sie
und ihren Bruder Demetrius an den griechischen Kaisern zu rächen, ein-
geflösst. Diese ßachbegierde kannte man, und man wollte ihr noch bei
Lebzeiten des Vatatzes durch eine Heirat zwischen Michael Comnenus,
Sohn des thessalonischen Statthalters Andronicus, und zwischen Thamar,
Schwester des Colomann, zuvorkommen.» — Jireßek 268 führt hingegen
auf seiner Stammtafel der As^niden den Michael Komnenos ausdrücklich
als Gemahl der Thamar an und beruft sich hierbei auf Akropolita 738.
Zur Klärung dieser von Engel nur angedeuteten, von Jire6ek apo-
diktisch zugegebenen Allianz ist es nötig, die Person dieses Michael Kom-
nenos näher zu beleuchten.
Sein Vater ist Andronikos Komnenos Palaiologos, Gross-Domestikus,
vom Kaiser Johann Vatatzes zum Präfekten von Thessalonike ernannt ;
* Nach Anderen wäre er beim Tode seines Vaters schon im 14. Lebensjahre
gestanden ; doch verdienen die Angaben der Byzantiner, er wäre damals ein 9j ähriger
Knabe gewesen, mehr Glauben. Den Namen Eoloman erhielt er jedenfalls über
Antrag seiner ungarischen Mutter, die einen gleichnamigen Bruder (König von Halics,
I 1^1) hatte. Er kommt auch als Kaliman vor.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
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^wurde mit einer Flotte and an der Spitze der gesammien Heeresmacht
nach Rhodos geschickt, um den Bebellen «Csesar» Gabalas zu unter-
werfen.^ Seine Mutter ist die Tochter des Alexius Falaiologos und der Irene
Eomnena Angela, einer Tochter des Kaisers Alexius III. (a. d. H. der
Angeli). Beider Sohn Michael (den Akropolita c. 46, 50 etc. meistens Michael
Eomnenos, seltener Falaiologos nennt) ist 1224 geboren. Er wurde poli-
tischer Umtriebe halber durch Nikolaus Manglabites, der es von Anderen
gehört haben wollte, bei Kaiser Johann Yatatzes angeklagt und dessen ver-
dächtigt, da SS er nach dem Tode des Demetrius Tomikos in Thessalonika
-eine unabhängige Herrschaft errichten wolle; um dies zu ermöglichen,
gedenke er sich mit Thamar, der Tochter Johann As^ns U., zu vermählen
und auf diesem Wege ein Bündniss zwischen den Bulgaren und seiner
eigenen Herrschaft zu Stande zu bringen. Die seitens des Kaisers eingelei-
tete Untersuchung ergab jedoch, dass derjenige, von dem Manglabites die
Sache gehört haben wollte, Michael für unschuldig erklärte und die ganze
Anklage eine Erfindung des Anklägers sei. Nachdem sich noch von frän-
kischer (lateinischer) Seite Stimmen zu Gunsten Michaels erhoben, fand
«8 Kaiser Yatatzes geraten, Michael von der ihm auferlegten Probe, eine
glühende Eisenkugel in den Händen zu halten, ohne sich zu brennen, zu
dispensiren und ihn vollständig freizusprechen.
Unter Theodor 11., dem Sohne und Nachfolger des Kaisers Johann
Yatatzes, wurde Michael Gross-Gonnetable ; unter der Begierung des jün-
geren Johann Laskaris, des Sohnes und Nachfolgers Theodor's IL, dessen
Yonnund er geworden, erhielt er die Würde eines Gross-Domestikus und
Despoten, schliesslich wurde er 1260 Kaiser in Nikaea und am 25. Juli
.1261 Kaiser in Konstantinopel.
Unser Michael Komnenos ist also Niemand Anderer als der byzan-
tinische Kaiser Michael YIII., der erste Palaiologe auf dem Trone ; er
starb 1282. Nach seiner unter Johann Yatatzes erfolgten Freisprechung sollte
«r die Enkelin dieses Kaisers, nämlich die Tochter des Tronfolgers Theodor,
Irene heiraten, welche Ehe jedoch vielleicht wegen zu naher Yerwandt-
schaft nicht geschlossen wurde. Es bestand nämlich zwischen dem Faare
folgende Yerwandtschaft:
Kaiser Alexius m. (Angelos Komnenos)
Gern« Euphrosyne Dukaena a. d. H. Kamateros.
Irene Komnena Anna Komnena
Oem. 1. Andreas Kontostephanos, Gern. 1. Isak Komnenos, Sebastokrator \ um 1196,
2. Alexias Palaeologos. 2. Theodor Laskaris I. Kaiser von Nikaea.
2. Tochter 2. Irene
Gern. Andronikos Palaeologos, Gross- Gem. 1. Andronikos Palaeologos, Despot,
Domestikns. 2. Kaiser Johann Yatatzes.
Michael Komnenos Palaeologos 2. Kaiser Theodor IL
(Kaiser Michael Vlll.). Gem. Helene, Tochter des Zaren Johannes Asfo II.
Irene.
* Akropolita cap. 46. (Seite 46 der Pariser Ausgabe).
2*
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20 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
Irene war also gewissermassen MicbaeFs Nichte. Nachdem sich dieseir
Heirateplan zerschlagen, nahm sich Michael eine Enkelin des Bruders des
Kaisers Johann Vatatzes zur Frau.
Ihr Name ist Theodora ; ihr Vater beisst Isak Dukas, ist Sebastokra-
tor; ihre Mutter ist die Tochter des Sebastokrators Johann Dukas.
Wir ersehen aus dem Bisherigen, dass eine Ehe zwischen der Prinzessin
Thamar und einem Michael Eomnenos nie existirt bat, ja dass es Letzterem
niemals ernstlich eingefallen war, dieselbe auch nur anzubahnen. Somit
wissen wir über die Schicksale dieser As^nidentochter nichts Goncretes.
Es gibt aber einen Weg, um sowohl über eine etwaige Allianz dieser
Prinzessin, als auch über einen dunkeln Punkt der AsSnidengenealogie
einige — wie ich glaube gerechtfertigte — Vermutungen aufzustellen.
Am 15. Juni 1253 haben die Bagusaner mit dem Bulgarenzaren
Michael AsSn ein Schutz- und Trutzbündniss gegen den Serbenkönig Stefan
Urosch I. geschlossen ; * die Bestimmungen des Vertrages haben aber nicht
nur für Michael allein Geltung, sondern sie erstrecken sich auch auf die
Person und auf das Gebiet des Sebastokrators Peter.
Die Urkunde nennt diesen Peter: tZemle zete svetoho ti caristvo
Petra sebastokratora» «tvolo svetoho ti caristva. . . Petra visokoho sebasto-
kratora.» Ich bin leider nicht in der Lage, über das in der Urkunde aus-
gedrückte Affinitätsverhältniss des Sebastokrators Peter zum Zaren Michael
As2n mir persönliche Auskunft zu verschaffen, muss mich somit auf die
Angaben Anderer stützen. Wenzel übersetzt nan die betreffenden Stellen
der Urkunde folgendermassen ins Ungarische: «Die Leute und Eaufleute
Deiner heil. Zarlichkeit und des Schwiegersohnes Deiner heil. Zarlich-
keit, des Sebastokrators Peter . . . sollen in Ragusa Schutz finden» «Ebenso
die Eaufleute Bagusa's, die des Handels wegen in das Gebiet Deiner heil.
Zarlichkeit oder in jenes des Schwiegersohnes Deiner Zarlichkeit, des
Sebastokrators Peter kommen. — » Jireßek 268 und 386 führt den
Sebastokrator Peter gleichfalls mit Berufung auf obige Urkunde als Schwie-
gersohn Michael's an ; doch widerruft er diese Angabe an anderer Stelle,**
indem er Folgendes sagt: «In der Genealogie der As^niden in meiner . .
Geschichte der Bulgaren p. 268 . . ist u. A. ein grosser Fehler : Peter Sevas-
tokrator war nicht Schwiegersohn, sondern Schwager des Zaren Michael
AsSn.» Nachdem es nun ein für allemale unmöglich ist, in Peter einen
Schwiegersohn Michaels anzunehmen — weil Zar Michael 1253 ein höch-
■•'- Veröffentlicht u. A. in Miklosich Monum. Serb. 35, "Wenzel 11. pag.
358 seqq.
-*'* Schreiben des Herrn Prof. Konstantin Jireöek an mich do. Prag 27. Dezem •
her 1887.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE. 31
«tens ISjähiiger JäDgling gewesen, — acceptire ich, gestützt auf Jire6eks
Autorität, den Sebastokrator Peter als den Schwager Michaels.
Zar Michael, ein jüngerer Sohn Johann As^ns TL, ist — wie wir unten
sehen werden — bestenfalls 1238 geboren und 1253 noch unvermählt
gewesen, somit kann die Schwagerschaft Peters sich nur dahin erklären,
-dass Peter der Schwestermann Michaels gewesen. Fragen wir nun, welche
seiner Schwestern wohl an Peter vermählt gewesen sein konnte, so ergibt
sich die Antwort, dass es keine der jüngeren Schwestern Michaels gewesen,
-da sich dieselben 1253 noch in sehr jugendlichem Alter befanden, und
dass sich als Gattin Peters ganz entschieden die Prinzessin Thamar anneh-
men lässt, nachdem sie 1253 sich in der vollsten Reife weiblicher Ent-
wickelung befinden konnte und wir keinen anderen Gatten ihrerseits
kennen.* Damit will ich nun nicht mit absoluter Gewissheit gesagt haben,
Peter sei Thamar's Gemahl, ich will damit nur die Möglichkeit anbahnen,
diesen documentarisch sichergestellten Schwager des Zaren Michael AsSn
auf der Stammtafel der As^niden zu unterbringen und dies glaube ich am
richtigsten durchzuführen, indem ich ihn als fraglichen Gütten Thamar's
aufnehme.
b) Aus der Ehe mit Irene Angela :
a^) Zar Michael I. (Äsen).
Da Johann As^n U. sich frühestens Ende 1237 mit Irene vermählt,
könnte Michael, wenn er das erste Kind dieser Verbindung gewesen,
frühestens 1238 geboren sein. Jedenfalls war er, als er 1246 seinem Bru-
der Eoloman in der Regierung folgte, ein unmündiger Knabe, für den
seine Mutter Irene die Regierung führte.**
Die Regierungszeit MichaeFs ist eine Kette von fruchtlosen Versuchen^
die Grösse Bulgariens in jenem Maasse herzustellen, in welchem sie sich
zur Zeit des Todes seines Vaters befunden. Die erfolglosen Kriege, in die
•er sein Land gestürzt, mögen wohl im Vereine mit den Tronaspirationen
seines Verwandten, des Prinzen Koloman, den Ausbruch der Unzufrieden-
heit einer grossen Partei gefördert haben, als deren Opfer Michael 1257
fiel. Er befand sich ausserhalb seiner Residenz, als er von Koloman, den
eine Schaar Timovaer begleitete, erschlagen wurde.
* üeber das Jahr ihrer Vermählung stehen uns keine Daten zur Verfügung.
Nach einer Notiz ap. Engel 411, bemerkt Nikephor, dass Thamar noch nach dem
Jahre 1245 unverehelicht gewesen sei.
** Eine Münze ap. Ljubic, Opis jugoslavenskih novaca, Agram 1875, ^t IE.
^r. 17 hat folgende Inschiift: c(ai) Michail — c(arica) Erina.
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22 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
Michaels Gattin war die Tochter des «Bosses Uros», in dem wir den^
Borikiden Bostislav, Fürsten von Halles und Ban von Macsö, Schwiegersohn
des Ungamkönigs Bela IV. zu erkennen haben.
Akropolita ^ erzählt, dass sich der Bulgarenzar Michael I. As£n (um
1255) mit der Tochter des «Bossos Uros», eines Schwiegersohnes des Königs
von Ungarn, vermählt. Dieser Bossos Uros gelangte dadurch in die Lage,
sich in die Angelegenheiten Bulgariens zu mengen. Im Frühjahr 1257 ver-
mittelte er z. B. einen Frieden zwischen seinem Schwiegersohne und dem
Kaiser Theodor 11. von Nikäa.
Als nach Michaels Ermordung der Usurpator Koloman IL sich der
jungen Zarin- Witwe, der Tochter Bossos Uros', bemächtigte, zog Bossos
Uros, der diese Verbindung seiner Tochter nicht billigte, 1258 nach Bul-
garien, rückte mit einer Armee gegen Timova vor, worauf der Usurpator
die Flucht ergriflf und auf derselben getödtet wurde.
Obzwar nun die griechischen Quellen nur den einen Erfolg dieses sieg-
reichen Vorgehens Bossos Uros' in Bulgarien anerkennen, dass er seine
Tochter den Händen des Usurpators entrissen und nach Hause genommen,
ist es aus abendländischen Quellen sichergestellt, das Bossos Uros, in dem
wir unseren Bostislav zu erkennen haben, durch seinen Sieg über den Usur-
pator sich eine Zeit lang zum Herrn der zerrissenen Situation in Bulgarien
gemacht, dass er auf kurze Zeit die Zügel der Herrschaft in seiner Hand
vereinigte und dass er den Mytzes unter seiner Oberhoheit zum Zaren der
Bulgaren einsetzte.
Nun existirt aber eine ansehnliche Anzahl von Autoren, die in Bossos
Uros nicht unseren Bostislav, sondern jemand Anderen vermuten. Nament-
lich that dies 1841 Palacky,* der den Beweis zu erbringen bestrebt war,
dass sich der Bericht des Akropolita nicht auf Bostislav, sondern auf den
Serbenkönig Stefan Urosch L beziehe.
Die kräftigsten Verteidiger der Palackyschen Hypothese waren der
Busse Golubinski und der neueste Autor der Geschichte der Bulgaren :
Jire6ek.' Letzterer behauptet, das dass Akropolitasche Oupo^ die Schreibweise
für das serbische : Uros sei, während andere Byzantiner allerdings dafür
Oipeatq schreiben.
Dafür, dass wir unter Bossos Uros unseren Bostislav zu verstehen
haben, sprachen sich schon vor langer Zeit Gebhardi, Engel, Fessler,
* Bonner Ausgabe, 1836, pa/. 1:34. — Hier sei nur zum Beweise des Behaup-
teten angeführt, dass sich Bostislav um die erwähnte Zeit den Titel eines Zaren von
Bulgarien beigelegt, wie dies aus einer Urkunde Bd. I pag. 3 der gräflich Zichyschen
Urknndensammlung ersichtlich ist («Nos Razlaus Dux Galaoinp ac Imperator Bul-
garorumi).
* In seiner Abhandlung «lieber den russischen Fürsten Bostislav • Radhost II 27^w
« Geschichte der Bulgaren 1876, pag. 266, 270.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAKEN-GENEALOGIB.
23
C. H. Palanzow ^ u. A. aus. Ihnen reiht sieh Wenzel in seiner öfter erwähn-
ten Abhandlung über Bostislav an. Die Gründe^ die er zur Verteidigung
seiner Ansicht ins Treffen führt, sind etymologischer, politischer und
genealogischer Natur.
1. Wenzel geht von der Ansicht aus, dass die Bezeichnung «dominus
de Machout mit «Herr» oder dem ungarischen tur» gleichbedeutend ist;
das Wort «Herrt sei aber sowohl bei abendländischen als morgenländischen
Autoren im Sinne des « Führers • gebraucht worden.^ Damit stehe nun im
Zusammenhange, dass das AkropoUtasche Bossos Uros einen «ür» russischer
Abstammung bezeichne, was vollständig dem 1254 urkundlich vorkommen-
den «Dominus de Machout im Sinne des «Führers • oder «Herzogst
entspreche.
2. Dazu, dass wir einen so wichtigen historischen Akt, wie Bostislavs
Intervention in Bulgarien, leugnen sollten, hält Wenzel die unbestimmte
Sofareibweise eines Personeneigennamens nicht für genügend, dazu gehören
jedenfalls quellenmässig beglaubigte Daten, weil Bostislavs bulgarische
Intervention an und für sich mit bewiesenen historischen Thatsachen in
Uebereinstimmung steht. Und schliesslich ist ja die Unbestimmtheit in den
Personeneigennamen auch nicht vollständig ausgesprochen. Stefan Uros
kann man nicht einen rassisch-ungarischen Herrn nennen ; auch bezeichnen
ihn die byzantinischen Autoren nicht als solchen, sondern immer als
«Uresis».
3. Die präzise Angabe Akropolitas, dass Bossos Uros Schwiegersohn
des Königs von Ungarn gewesen, ist keineswegs auf Stefan Urosch von Ser-
bien anzuwenden, dessen Gattin Helene zwar abendländischer Abstammung,
aber keinesfalls die Tochter eines ungarischen Königs gewesen.
4. Nicht nur Gomides hält Bostislav bulgarischen Ursprunges, sondern
noch zahlreiche andere ältere und neuere Autoren ; z. B. Neplach,^ Pul-
kava * etc., die, so oft sie von Bostislavs Tochter Kunigunde sprechen, sie
* In der Abhandlung «Rosztizlav Macsevskit im 71. Bande des Journals des
mssiBchen Unternchtsministeriums.
* Kinnamos und Niketas Choniata z. £. geben an, dass Kaiser Manuel
Ladislans ü. auf den Thron Ungarns erhoben, und neben ihn seinen Bruder Stefan
in jene Würde eingesetzt habe, die die Ungarn «ür» nennen (ti^v Ovqov/4 inexk^-
Qioaav); Kinnamos, Bonner Ausgabe 1836, 203, Niketas do. 1835, lß5. — Die Abend-
länder hingegen (nämlich deutsche Chronisten) erwähnen gelegentlich der Wieder-
gabe der ungarischen Geschichte des X. Jahrhunderts ungarische Anführer des
Namens tAssuri, «Sur», «Surai ; dies sind keine Eigennamen, sondern Verballhor-
nungen des Wortes «az ür» = der Herr.
^ cFiliam Bostyslai Ducis Bulgarorum» ap.Petz II 1083; Dobner, Monum. VII 113
^ cCnnegundem filiam Hostislai Ducis Bulgarorum, ueptem Bela^ Regis Unga-
roromt ap. Dobner III 231.
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-^ GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
eine Tochter des Bnlgarenförsten Bostyslaus oder Hostyslaos nennen. Aach
Dlugosz nennt die Griffina^ Gemahlin Leszeks des Schwarzen Ton Erakan,
bulgarischen Ursprunges.*
5. Bostislav selbst nennt sich «Imperator Bulgarorumf.**
Wir haben der Wenzelschen Auseinandersetzung unter voUer Aner-
kennung ihrer Stichhaltigkeit Folgendes zuzufügen :
1. Was die etymologische Seite der Sache anbelangt, gebe ich zu, dass
«Uros» die gräzisirte Form des ungarischen «ürt sei, doch scheint mir die
sprachliche Erklärung des «Bossost als «russisch» misslungen. Mir scheint
«Bossos» die gräzisirte Form von «Bos», der Anfangssilbe des Namens
Bostislav, zu sein.
± Politischerseits haben wir zu erwägen, dass Zar Michael I. von Bul-
garien deshalb die Tochter des Bossos Uros zur Gemahlin genommen, weil
er durch diese Ehe ein Gegengewicht gegen die Aspirationen des griechischen
Hofes sich verschaffen wollte.
Nun liegt es doch auf der Hand, dass durch ehelichen Anschluss an
den Schwiegersohn des Königs von Ungarn sich dieses Gegengewicht viel
sicherer erlangen liess, als durch eheliche Allianz mit den damals noch
unbedeutenden und politisch nicht sehr in die Wagschale fallenden Nema-
njiden ; zudem ist uns ja nichts von einer solchen Tochter Stefan ürosch' I.
überliefert.
3. Ganz abgesehen davon, dass ja Akropolita deutlich den Bossos Uros
einen Schwiegersohn des Königs von Ungarn nennt, ist nicht zu vergessen,
dass einer Vermählung Michaels mit einer dem Ärpädenhause verwandten
Prinzessin schon durch die Vermählung seines Vaters ein mächtiges Prä-
zedens geboten ward und dass die Allianz sowohl ungarischer- als bulga-
rischerseits genealogisch und politisch gerechtfertigt war :
Andreas II. von Ungarn,
t 1235.
B61aIV., Marie, — ^ Johann Asön n.,
t 1270. t 1237. 1220/1. f 1241.
Anna. 3. Oem. Irene Laskara.
Gem.: Roatislav. ^ |
Tochter. — ,, 3) Michael I. (Äsen),
am 1255. f 1257.
Ich schliesse mich also ganz üb4 &^ ^^^ Meinung an, dass unter
Bossos Uros ausschliesslich Bostislav von Maöva zu verstehen sei.
Bostislav's und seiner Gemahlin Anna (Todhter Bela*s IV.) ungenannte
und um 1255 an Michael I. vermählte Tochter ist, da sie unter ihren
Schwestern als die zuerst vermählte erwähnt wird, jedenfalls das älteste
* cMatrona Bulgariae ortai ed. Lips. 1711, VII 858. \
** Zichysches ürkundenbuch I 3. \
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GLOSSEN ZUR BULGABISCHEN ZAREN -GENEALOGIE. ^^
Kind ihrer Eltern. Sie dürfte somit 1244 geboren und in ihrem 11-ten
Xiebensjahre vermählt worden sein. Ob sie nach dem Tode ihres Oatten^
Yon dessen Nachfolger, Koloman 11.^ legitim geehlicht wurde^ oder nur als
Erbstück des ermordeten Michael ohne Weiteres übernommen wurde, ist
nicht genau bekannt. Ueber ihre ferneren Schicksale stehen uns keinerlei
Daten zur Verfügung.
a*) Maria.
üeber diese Prinzessin vgl. 13) Mytzes.
a') Theodor a.
Diese wird von Akropolita gleichfalls als Irene's Tochter angeführt^
-doch begeht er die Inconsequenz, sie auch Anna zu nennen. Ihre Geschichte
ist vollständig unbekannt.
Ausser den bisher Angeführten kennen wir noch folgende Töchter
Johann AsSnsII:
a**) B e 1 o s 1 a V a (W 1 a d i s 1 a v a).
Die Erörterung ihrer Verhältnisse s. unter Stefan Wiadislav von
Serbien. (Vgl. meine genealogische Geschichte der südslavischen Dynas-
tien — ung. — )
a®) Maria.
Natürliche Tochter Johann As^ns II. von unbekannter Mutter.
Als Theodor Angelos, Despot von Epiros, die Grenzen seines Reiches
mehr und mehr erweiterte^ musste es zwischen ihm und Johann Äsen II.
2U Auseinandersetzungen kommen. Der Bulgarenzar fand es Anfangs
geraten mit Theodor auf freundschaftlichem Fusse zu stehen und ein Aus-
fluss dieses Bundes war die Vermählung Maria's, der natürlichen Tochter
des Zaren, mit dem Prinzen Manuel Angelos, Theodors Bruder.
Das Jahr der Vermählung lässt sich nicht apodiktisch festsetzen^ doch
gehen wir nicht irre, wenn wir dafür ca. 1225 annehmen. Da diese Maria
jene Tochter Johann AsSn's II. ist, die sich unter ihren Schwestern am
frühesten vermählte, so ist sie sicherlich ihres Vaters erstes Kind und
muss sie deshalb die Reihe der Kinder Jobann Asens II. eröffnen.
Als Theodor — nachdem er den Freundschaftseid gebrochen — in
<ler Schlacht bei Klokotnica im April 1230 aufs Haupt geschlagen wurde,
Hess Johann AsSn seinen Schwiegersohn im Besitze von Tbessalonich und
•einigen Stücken von Epiros, worauf Manuel den Kaisertitel annahm.
Als nun Johann Äsen 1237/8 sich mit Irene Angela, der Nichte
ifanuers verheiratete, mag ihm die Verschwägerung mit seinem Schwieger-
sohne denn doch nicht ganz bequem für sein religiöses Gewissen erschie-
nen sein. Er Hess daher seinen Schwiegervater, den in der Schlacht bei
'Klokotnica gefangenen und geblendeten Theodor frei und bot ihm genü-
gende Hilfe, sich Thessalonichs wieder zu bemächtigen. Theodor nahm den
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2ö GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE.
Kaiser Manuel gefangen, internirte ihn in dem pamphilischen Attalia und
schickte die Kaiserin Maria zu ihrem Vater nach Bulgarien zurück.^
12. Zar Eoloman II.
Wie wir wissen hat Zar Johann As^n I. zwei unmündige Söhne hin-
terlassen, deren jüngerer den Namen Alexander geführt. Dieser teilte die-
Schicksale des älteren Bruders Johann Äsen bis zu dessen Tronbesteigung^
Er dürfte sofort nach dem Begierungsantritte desselben die Würde einea
Sebastokrators erhalten haben und es ist fast sicher anzunehmen, dass er
Johann AsSn II. nicht überlebt hat, weil es sonst unerklärlich wäre, dass wir
gelegentlich der Regierung seiner beiden minderjährigen Neflfen Koloman
und Michael nicht auf sein politisches Wirken stossen.
Aus seinem Leben wissen wir nur sehr wenig.* Aus einer unten aus-
führlicher zitirten Urkunde ersehen wir, dass er in einem gegen Ungar»
geführten Kriege das bulgarische Heer kommandirte (was aber vor 123S
verfolgt ist.) Nichtsdestoweniger ist es aber heute gang und gäbe, ihm
einen Sohn Namens Koloman zuzuschreiben, denselben nämlich, der den
Zaren Michael I. 1258 ermordete. Niketas nennt ihn nur einen Verwandten
Michael's. Die Provenienz seines ungarischen Namens betreffend, ist anzu-
nehmen, dass er wahrscheinlich gleichzeitig oder kurz nach Johann
Asen's 11. Sohn Koloman geboren wurde oder dass seine Mutter vielleicht
auch eine Ungarin gewesen.
Koloman IL suchte den durch einen Mord erworbenen Tron dadurch
zu kräftigen, dass er sich mit thunlichster Eile zum Gatten der jungen
Zarenwitwe aufdrängt. Bostislav, von der Wendung der Dinge in Bulgarien
unterrichtet, zog mit einem Heere gegen Timova ; bevor er aber noch
daselbst eintraf,^ war der Usurpator nicht mehr am Leben. Koloman hatte
(entweder auf die Nachricht von Rostislavß Anzüge hin oder einer ihm feind-
lichen einheimischen Partei weichend) die Flucht ergriffen und fand auf
derselben seinen gewaltsamen Tod.
Mit ihm ist der Mannesstamm der Aseniden ausgestorben und hän-
gen sämmtliche Herrscher Bulgariens bis zu den Zeiten der jüngeren Sis-^
maniden entweder durch mütterliche Abstammung oder nur durch Ver-
schwägerung mit den Aseniden zusammen.
* Engel 414 meint, Johann Aßdn habe Manuel's Sturz mir deshalb befördert,,
damit er durch Trennung der Ehe Manuel's die Wirkung der gegenseitigen Verwandt-
schaft aufhebe.
' Der Pomenik erwälmt ihn als Alexander, Sebastokrator, Bruder des grosseik
Zaren Asön.
* Jirecek 267.
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GLOSSEN ZUR BULGAM8CHEN ZA REN -GENEALOGIE.
27
13. «Zart Mytzes.
Wenn wir die Berichte der Byzantiner Georg Pachymeres nnd Nike-
phor Gregoras * snmmiren, so ergeben sich für die auf Eoloman's II. Tod
gefolgten unmittelbaren Ereignisse folgende Besultate :
Bostislay hatte, als er nach Michael's und Eoloman's II. Ermordung
die Ordnung in Bulgarien hergestellt, den Mytzes, den Gemahl der Maria,,
einer Tochter Johann Asen's ü. und der Irene Angela, zum Machthaber in
Bulgarien eingesetzt. Mjrtzes, ein energieloser und träger Mensch, zeigte sich
jedoch nicht gewachsen, die ihm zugefallene Aufgabe zu lösen und sa
gelang es dem von der nationalen Partei aufgestellten Konstantin (siehe
Konstantin), den Kampf gegen Mytzes siegreich zu Ende zu führen. Der
erste Schritt hierzu war die Einnahme Timova's, aus dem Mytzes floh und
in welchem sich Konstantin zum Zaren krönen Hess. Mytzes gelang es
zwar bald darauf seinem Gegner eine Schlappe beizubringen, in Folge-
deren sich derselbe in das Schloss Stenimachos zurückziehen musste, doch
gelang es den mit Konstantin verbündeten Truppen des nikäischen Kaisern
Theodor 11. den Belagerten zu entsetzen. Der im August 1 258 erfolgte Tod
Theodor's 11. war für Mytzes ein grosser Nachteil und wir irren wohl nicht,,
wenn wir behaupten, dass er sich nun nur mit ungarischer Hilfe in den
Gebirgsgegenden um Tirnova herum gegen Konstantin kümmerlich behaup-
tete. Als aber um 1 264 Mytzes auf sich allein angewiesen war, zwang ihn
Konstantin zur Flucht. Er floh nach Meeembria und warf sich bald in die
Arme des Kaisers Michael Palaiologos von Konstantinopel, dem er Meaem-
bria und Anchialus gegen einige erträgliche Güter am Skamander in Kol-
chis übergab. Was mit Mytzes ferner geschehen, ist unbekannt; es scheint
dass er 1278 (als sein Sohn zum Zaren Bulgariens ersehen wurde) nichi
mehr am Leben gewesen; auch über die Geschicke seiner Gattin Maria
sind wir im Unklaren ; sie hat jedenfalls — gleich ihrem Gatten ~ ihr
Leben auf den Gütern am Skamander beschlossen.
Jire^ek 270 leugnet die Herrschaft des Mytzes, lässt nach Koloman's IL
Ermordung sofort den Konstantin zum Zaren gewählt werden und hält ea
für sehr wahrscheinlich, dass dieser Mytzes Niemand Anderer, als der
durch Sagen entstellte Zar Michael AsSn (Mica, Diminutiv für Michail) sei.
Er begründet dies Alles damit, dass der Zeitgenosse Akropolita, der doch
1260 den Zaren Konstantin persönlich kennen gelernt, von der 2jarenschaft
des Mytzes Nichts erwähne, und dass wir unsere Nachricht über Letzteren
nur dem späteren Zeitgenossen Pachymeres und dem Epigonen Nikephor
Gregoras verdanken. Dem gegenüber haben wir Folgendes zu erwägen:
* Ergterer lebte 1242—1308, Letzterer 1295—1360.
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^8 GLOSSEN ZUR BULGARISCEtEN ZAREN -GENEALOGIE.
a) Mytzes ist yon Bostislav sicherlich nicht zum Machthaber ganz
Bulgariens eingesetzt worden.
h) Sofort nach dem Antritt seiner Herrschaft hat die mit seiner Per-
son und der ungarischen Oberherrlichkeit unzufriedene nationale Partei
<len Konstantin zum Zaren gewählt.
c) Mytzes war somit nach kurzer Herrlichkeit zur Bolle eines angefein-
deten und verfolgten Prätendenten gelangt, während Konstantin sowohl
Ton seinen eigenen Unterthanen, wie auch vom kaiserlichen Hofe zu Kon-
«tantinopel als faktischer und legitimer Beherrscher Bulgariens anerkannt
worden ist.
Somit haben wir allenfalls das Becbt, Mytzes — der niemals zur
selbstständigen und unbeschränkten Herrschaft gelangt war — nicht in
<lie Zarenreibe aufzunehmen (in der er als Michael U. figuriren müsste) ;
aber daraus, dass der Weihnachten 1260 am Hofe Konstantins glänzend
empfangene Akropolita einzig und allein nur Konstantin als Zaren Bulga-
riens kennt und seine Tronbesteigung ohne Berücksichtigung der mit
Bezug auf den in den Augen des kaiserlichen Gesandten illegitimen Prä-
tendenten Mytzes sich abgespielten Ereignisse, als ein Faktum erzählt,
welches 1258 sofort nach Koloman's U. Ermordung sich vollzog: dürfen
wir noch durchaus nicht behaupten, dass Pachymeres, der z. B. 1265, als
Mytzes sich in Griechenland als Privatmann zurückgezogen, schon eia
23jähriger Mann gewesen, seinen Mytzes mit dem durch Sagen entstellten
Zaren Michael Äsen verwechselt habe.
Yon Mytzes* Kindern kennen wir nur folgende zwei mit Bestimmtheit :
1) eine ihrem Namen nach unbekannte Tochter, die 1279 an Georg
Terterij I. (s. d.) vermählt wurde.
2) Zar Johann Äsen III. Als der Usurpator Ivajlo auf der Höhe
^seiner Erfolge gestanden, fand es der griechische Hof geraten, ihm in der
Person eines As^niden einen Gegner aufzustellen. Mytzes war damals ent-
weder nicht am Leben, oder hatte er sich durch die kurze Zeit seiner bul-
garischen Herrscherschaft als viel zu untau&^lioh erwiesen, kurz os wurde
sein Sohn Johann vom Staatsrate dazu aust-rsehen, dem mächtigen Aben-
teurer die Spitze zu bieten. Um die asSnidische Abkunft des neuen Tron^-
hewerbers noch durch einen aktuellen Vorzug seiner Person mit grösserem
Nimbus zu umkleiden, verlobte man ihn — den nunmehr designirten Zar
von Bulgarien — mit der Prinzessin Irene, einer Tochter des Kaisers
Michael VIII. Nun erhielt er noch den für bulgarische Ohren besser klin-
genden Namen Äsen und für den Fall des Misslingens seiner bulgarischen
Tronbestrebungen, die Zusicherung des Titels eines byzantinischen Des^
poten. Die Hochzeit wurde mit grossem Pompe Anfangs 1278 gefeiert.
Als sich Anfangs 1279 das Gerücht von Ivajlo's Tod verbreitete,
öflfnete das belagerte Tirnoya seine Tore und Johann Äsen IIL zog unter
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GLOSSEN ZUR BULGABISCHEN ZABEN- GENEALOGIE. 21>
Frendebeseugungen der Einwohner als Zar ein ; kurz darnach folgte ihm
seine unterdessen in Griechenland gebliebene Gemahlin.
Die Zarenherrlichkeit Johann As^ns lU. dauerte nicht lange. Er hatte
die Unerfahrenheit in militärischen Dingen und die XJntüchtigkeit über-
haupt von seinem Vater geerbt. Als der zurückgekehrte Ivajlo ein zu Johann
As^n's Schutze herbeigekommenes griechisches Heer am 15. Aug. 1280
aufs Haupt schlug und Georg Terterij^ Johann Asen's Schwager, sich eine
grosse Partei im Volke und unter dem Adel erworben, raffte der Zar alle
Schätze seiner Burg zusammen und floh — eine Strecke unter dem Vor-
wande einer Beise aus Gesundheitsrücksichten — über Mesembria nach
Eonstantinopel. EAiser Michael schalt den Feigen, konnte aber nicht ver-
hindern, dass die Bulgaren sich einen Zaren aus ihrer Mitte wählten.
Johann As^n's HI. sowie seiner Gattin Schicksale nach 1 280 sind
unbekannt; besser kennen wir indessen seine Nachkommen.
Er hatte vier Söhne und drei Töchter, deren eine (Maria) sich 1305/6
mit Boger de Flor, dem Anführer der katalonischen Söldner vermählte.
Unter den Söhnen Johann Asßn's III. spielte der Protovestiar Andro-
nikos Asän eine grosse Bolle ; seine Tochter Irene Asanina war die Gemahlin
des nachmaligen Kaisers Johann Eantakuzenos.
Einer seiner Enkel, "^ Johann, erscheint (1344) als Eonmuandant
Johann Eantakuzen's in Morrha.
Mit Andronikos, dem Urenkel Johann As^n's IE. hört bei Ducange
114 die genealogische Beihenfolge der «Asanina Familia» auf und alle
später vorkommenden gräzisirten Nachkommen Johann As^n's HI. sind
uns nur daher als solche gekennzeichnet, weil sie den Namen »Asan»
ihrem Taufnamen angereiht führen.
Bemerkenswert sind unter ihnen :
1. Alexius Asan, beherrschte östlich von Süd-Macedonien die Seestadt
Christopolis (bei Kavala) und die Insel Thasos bei 17 Jahre. Nachdem er
den Türken einige Schlösser entrissen und an seinen Nachbarn keinen
Schutz fand, erwarb er 1373 das venetianische Bürgerrecht. Er hatte zwei
Brüder, von denen Johann am 9. März 1356 gleichfalls die oben genannten
Lehen erhielt. 1373 ist Johann, ebenso wie der andere Bruder bereits ver-
storben. Die Tochter des Alexius heiratete vor 1383 einen Baoul, ohne
Zustimmung des Patriarchen. Nach diesen As^niden erben die Herrschaft
die Familien Baoul und Branas.
2. Isak Asan um 1420, erwähnt von dem Byzantiner Phranzes.
3. Paul, gleichfalls erwähnt von Phranzes, war Präfekt von Konstan-
tinopel und + 1442. 1439 war er Gesandter Johanns VTII. bei Sultaa
* Engel 455.
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^ GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN- GENEALOGIE.
Marad 11. Seine Tochter Zöe beiratete 1441 den Prinzen Demetrius Palaio-
logos, einen Bruder des letzten griechischen Kaisers Konstantin. Demetrios
war Herr von Misithra und Korinth, regierte bis 30. Mai 1460 und starb 1470
als Mönch Dayid in Adrianopel. PauFs Sohn Matthäus war Präfekt von
£orinth, das er 1458 an die Türken verriet. Er starb mit seiner Toch-
ter 1467.
4. Demetrius, zur selben Zeit Präfekt einer Stadt im Peloponnes
(erwähnt von Laonikos lib. IX).
5. Asan Zaccaria. Seine Nachkommen führen den Namen Asan. Gen-
turio, Fürst von Damala, wird von Phranzes wegen seiner Heirat mit einer
Asanina dieser Familie zugezählt.
6. Alexander Asan, Verwandter des Kaisers von Konstantinopel, wird
1470 bei D'Oultreman erwähnt (t 27. Okt. 1500).
7. Demetrius und Michael Asan ; zogen nach der Eroberung Konstan-
linopels durch die Türken, nach Italien, wo sie noch 1455 lebten. Ihrer
erwähnt Franz Philelphos (t 1481) lib. XIL epist. pag. 263.
8. Andreas Asan, lebte unter dem Patriarchen Euthymios.^
9. Demetrios As^n, Herr von MouchUon; seine Tochter ist vermählt:
1) mit Franz H. aus dem Hause Acciajuoli f 1460, 2) mit Georg Jagros,
Protovestiar von Trapezunt.
14. Zar Konstantin.
Wie wir bereits unter Mytzes gesehen, hat die nationale Partei nach
der durch Eoloman's II. Tod erfolgten Erledigung des Trones, in der Per-
son eines sichern Konstantin einen neuen Zaren gewählt (1258). Ducange
109 nennt ihn blos Constantinus Techus, resp. «Techi filiust> lässt sich
aber über seine Familie mit keinem Worte vernehmen.
Engel 421 nennt ihn Constantinus Tochus und sagt: «zum Teil (man
weiss nicht von väterlicher oder mütterlicher Seite) leitete er sein Geschlecht
von Servien her; vielleicht ward er also auch von Landsleuten unterstützt. ■
Jire^ek nennt ihn einen Serben, Hertzberg einen Halbserben.
Entgegen diesen nicht kongruirenden Angaben stehen uns folgende
Anhaltspunkte zur Verfügung :
1. Konstantin 's Familie war am Fusse des Berges Vitoä bei Sophia
begütert.**
2. In einer Urkunde nennt er sich selbst einen Enkel des Serben-
fürsten Stefan Nemanja^ was durch ein anderes Denkmal bekräftigt wird»
* VgL Labb^, Nova Biblioth. pag. 100.
** Jirecek 269.
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GLOSSEN ZUR BULGAJUSCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
31
in dem der SebastokratorEalojan, ein Vetter Eonstantin's, gleichfalls Enkel
-des Serbenfürsten Nemaoja genannt wird.^
Auf Grundlage des Ansbert' sehen Berichtes (s. meine oben angedeu-
tete genealogische Geschichte der südslavischen Dynastien) spreche ich die
Ansicht aus, dass Konstantins Vater Tich ein Sohn Nemanja's, der Ans-
herVsche Tohu ist.
Sofort nach seiner Tronbesteigung legte er sich den Namen tEon-
■stantin As^m bei.^*
Seine Regierung war zumeist mit Bekämpfung der inneren und
äusseren Anhänger des Mytzes, namentlich der Ungarn, später mit Feind-
seligkeiten des griechischen Hofes ausgefüllt, die er — wie wir sehen wer-
kten — grösstenteils den Intriguen seiner Gattinen zu verdanken hatte.
Zu Eade seiner Begierung erlitt er einen Beinbruch, durch dessen
schlechte Behandlung er anfangs die Möglichkeit einer freien Bewegung
verlor, später einem unheilbaren Siechtum zum Opfer fiel.
Als er dem Abenteurer Ivajlo eine kleine Heeresabteilung entgegen-
schickte, folgte er derselben später nach. In Folge seines Leidens Hess er
sich auf einem Wagen nachführen. Ivajlo griff die königlichen Truppen
an, drang bis zu Eonstantin's Wagen vor und tödtete den Zaren eigenhän-
dig (1277).
Wir kennen von Eonstantin's Nachkommenschaft nur den einzigen,
von der Maria geborenen Sohn Michael.
Schon während Eonstantin's Erankheit riss Maria im Namen Michaelas
■das Regime an sich ; nach Ivajlo's Bezwingung nahm sie den jungen Prin-
zen mit nach Griechenland, wo man ihn für allenfallsige Fälle der Zukunft
in Beserve hielt. Als Svetslav den Tron bestiegen, bat eine mit ihm unzu-
friedene Partei den Eaiser Andronikos 11., er möge den in Griechenland
sich befindenden Prinzen Michael schleunigst nach Bulgarien als Gegner
Svetslav's senden. Michael erschien zwar, konnte aber nichts ausrichten
(1298). Auch die Unterstützung des Sebastokrators Badoslav, den der Eai-
ser als Succurs abgeschickt, half der Sache nicht.
Michael's weitere Geschichte ist unbekannt.
Eonstantin war dreimal verheiratet ; seine (jattinen sind :
a) Anonyma.
Als Eonstantin zum Zar der Bulgaren erwählt wurde, war er bereits
Terheiratet ; doch kennen wir nicht die Genealogie seiner Gemahlin. Jeden-
* P. J. Sa&rik, Pam&tky drevnino pisemniotvi jihoslovanuv, Prag 1851, 23:
-tDer heilige Symeon Nemanja, mein Grossvater (död).t Eine Inschiift zu Bojana
unter dem Vitos (zit. ap. Jirecek 1., c.) hat: cEalojan der Sevastokrator, der Vetter
^bratmöed) des Zaren, der Enkel des heiligen Stephan des Serbenkönigs. •
*^ So heisst er auf beiden vordem zitirten Denkmälern.
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32
GLOSSEN ZUR BULGABISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
falls schien sie ihm seiner königlichen Stellung nicht ebenbürtig and am
dem, durch seine Gattin Maria der As^nidendynastie verschwägerten Riva-
len Mytzes ein kräftiges Schach zu bieten, entschloss sich der neue Zar^
seine Gemahlin zu Verstössen und durch das Eingehen einer Ehe mit einer
Tochter aus regierendem Hause, seiner neuen Herrlichkeit die Weihe, der
Legitimität zu verleiben. Da er zur Bealisirung seines Vorhabens sich mit
dem Kaiser Theodor 11. v. Nikaea in Unterhandlungen einliess, schickte er
seine geschiedene Frau an dessen Hof, damit sie Bürgschaft für den Ernst
seines Vorhabens leisten solle . . . Über ihre weiteren Schicksale ist Nichte
bekannt.
b) Irene «Laskara».
Kaiser Theodor H. Dukas Vatatzes, genannt (nach seinem mütter-
lichen Grossvater Theodor I.) Laskaris^ hatte aus seiner Ehe mit der bul-
garischen Zarentochter Helene eine jüngere Tochter des Namens Irene.*
Unter den Fürstentöchtem jener Zeit wäre wohl keine zweite im Stande
gewesen, den dynastischen Vorteilen Konstantin's besser zu entsprechen,
als Prinzessin Irene von Nikaea. Durch ihre Mutter war sie die Enkelin
des grossen und im besten Andenken stehenden Zaren Johann AsSn IL
von Bulgarien, — die Urenkelin des Ungarnkönigs Andreas Tl., — und
durch ihre im Sept. 1 256 vermählte ältere Schwester Maria die Schwäge-
rin des Kronprinzen Nikephor (I.) von Epiros.
Die im Jahre 1258 mit Irene eingegangene Ehe brachte jedoch Kon-
stantin bei Weitem nicht die erhofften Vorteile. Ein kleines Hilfskorps
gegen Mytzes war Alles. Hingegen war der schon im August 1258 erfolgte
Tod seines Schwiegervaters Theodor von Nikaea für ihn eine Quelle bestän-
diger Unannehmlichkeiten. Die unablässigen Bemühungen seiner Gattin
Irene, die in dem neuen mächtigen Kaiser Michael Palaiologos von Kon-
stantinopel nur den Erzfeind ihrer Familie sab, brachten es dahin, dasa
Konstantin 1265 nach unglücklich geführtem Kriege einige seiner bedeu-
tendsten Städte an seinen Gegner abtreten musste. Irene ist 1270 gestorben.
c) Maria Kantakiczena.
Nach Irene's Tod war Nichts natürlicher, als dass sowohl Konstantin
wie Kaiser Michael auf dem Wege einer ehelichen Allianz einander in ein
wärmeres Verhältniss zu bringen bestrebt waren ; namentlich musste es
dem griechischen Hofe nötig erscheinen, nachdem die fruchtlosen Feldzüge
gegen Bulgarien viel Geld und Blut verschlungen hatten.
Kaiser Michael hatte eine an einen Kantakuzenos vermählte Schwe-
ster Eulogia, die aus dieser Ehe unter Anderen auch eine Tochter Maria
hatte. Diese, die Gemahlin des Grossdomestikus Alexius Philas, war Witwe
^* Von Nikephor wird sie Theodora genannt.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN- GENEALOGIE. '^^
geworden nnd Michael beeilte sich^ sie dem verwitweten Konstantin anzu-
bieten, der den Vorschlag annahm.
Die Ehe brachte aber keiner einzigen Partei die erhofften Vorteile.
Konstantin hatte sich zur Mitgift seiner Braut die ehemals in bulgarischem
Besitze gestandenen Städte Mesembria und Anchialos ausbedungen und
wurde ihm deren Uebergabe schriftlich zugesagt. Statt sie aber sofort zu
übergeben, bemühte sich der Kaiser, der die Braut persönlich bis Selym-
bria begleitete, den Bulgarenzaren durch ausgesuchte Aufmerksamkeiten
und Entfaltung eines wahrhaft orientalischen Luxus einzuschläfern. Als
dies nicht verfieng und Konstantin die Erfüllung der Zusage urgirte, berief
sich Michael auf die Abneigung der Einwohner der genannten Städte gegen
die bulgarische Herrschaft und vertröstete den Zaren mit der allenfallsigen
Geburt eines Prinzen, der — weil von einer Griechin geboren — den
Betreffenden ein erwünschter Gebieter sein würde ; wahrscheinlich rechnete
er nicht auf Nachkommen dieser Ehe. Irene unterstützte Michael's Ein-
wendungen und so blieb das Einvernehmen beider Höfe vorläufig ein gutes»
Als aber Maria 1 27 1 den Prinzen (Michael) geboren, war sie es, die zumeist
auf die Erfüllung des Versprechens drang und dem kaiserlichen Oheim
mit gewaltsamer Inanspruchnahme ihrer Rechte drohte. Michael gab nun
schnell seine natürliche Tochter Euphrosyne dem General Nogaj Khan d^^
Beherrschers der goldenen Horde zur Gattin^ um sich an demselben einen
Beschützer gegen Bulgarien zu schaffen. Konstantin und Maria mussten
vorläufig gute Miene dazu machen.
1 274 griff Maria abermals in die Politik ein. Kaiser Michael hatte,
um sich gegen die ihm feindlichen Pläne des Hauses Anjou in Neapel zu
decken, mit der päpstlichen Curie zu liebäugeln angefangen. Die griechi-
sche Geistlichkeit steckte sich hinter des Kaisers ränkevolle Schwester
Eulogia ; diese reizte ihre Tochter Maria auf, um dem Kaiser Unannehm-
lichkeiten zu bereiten, — da trat plötzlich Konstantins Erkrankung ein.
Die Zunahme des Leidens bot der herrschsüchtigen Maria die
erwünschte Gelegenheit, die Zügel der Regierung an sich zu reissen. Sie
liess den Knaben Michael zum König krönen und führte in seinem Namen
die Regierung. Was sich ihr in den Weg stellte, wurde mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln aus dem Wege geschafft. Wie wir unten sehen werden^
h^t sie auch den mächtigen Despoten Jakob Svetslav beseitigen lassen.
15. Zar Ivajlo.
Inmitten der durch die herrschsüchtige Zarin hervorgerufenen Wirren
trat ein Abenteurer des Namens Ivajlo * auf.
* Jireeek 27G ist der Erste, der ihn so nennt. Er stützt sich hierbei auf die
Notiz in einem Evangelium, welches im Jahre 6787 (1. Sept 1278 bis 1. Sept. 1279)
. Ungarisehe Bttvaa, XI. 1891. I. Heft. 3
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^ GLOSSEN ZCR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
Er war von Geburt ein Walache und Anfangs Schweinehirt. Seine
Landsleute nannten ihn Eordokubas, die Griechen übersetzten diesen Namen
mit Lachanos (übrigens ist auch Kordokubas — richtiger Bordokubas — das
gräzisirte Brdokva (Lattich). — Durch anfangs ganz unbedeutende Manö-
ver wusste sich dieser Mensch unter dem leichtgläubigen Bauemvolke ein
gewisses Ansehen und die Bolle eines zu einer höheren Mission Bestimm-
ten zu verschaffen und als es ihm gar gelang, mit Hilfe der sich ihm täg-
lich mehr anschliessenden Volkshaufen einige tatarische Guerillahäuflein
glücklich zu bewältigen^ war aus dem Schweinehirten im Handumdrehen
ein Mann geworden, mit dem zwei Höfe, der griechische und der bulga-
rische, zurechnen begannen. Zar Konstantin, der ihm entgegenzog, fand —
wie wir wissen, — Ende 1277 seinen Tod durch die Hand des Aben-
teurers. Durch solche ungeahnte Erfolge übermütig gemacht, streckte der
Emporkömmlingseine Hand nach der Krone aus; mehr und mehr näherten
sich seine Schaaren der Hauptstadt. Zarin Maria, auch von griechischer
Seite bedroht — dort hatte man, wie wir wissen, den Prinzen Johann
As^n zum Zaren Bulgariens designirt und die Auslieferung Maria's von
den Bulgaren verlangt, — warf sich nun dem Ivajlo in die Arme : sie trug
ihm Hand und Tron an ; sie erlebte die Schmach, dass der einstige Schweine-
hirt sie nur aus Gnade zu seiner Gattin nahm (Frühjahr 1278).
Nicht lange nach seiner Krönung verliess Ivajlo die Arme der Grie-
chin, um seinen von griechischer und tatarischer Seite bedrohten Tron zu
verteidigen. Als sich Anfangs 1279 das Gerücht verbreitete, Ivajlo sei
gegen die Tataren gefallen, öffneten sich Tirnova's Tore dem Zaren Johann
As6n m. Die von Ivajlo schwangere Maria wurde nach Adrianopel abge-
führt. Sie hat Bulgarien nicht mehr gesehen.
Da erschien der verschollene Ivajlo 1280 wieder mit einem Heere
vor Timova und schlug zweimal die ihm entgegengestellten Griechen; als
er aber durch Georg Terterij, den Schwager Johann AsSns HI., Ende 1280
geschlagen wurde, flüchtete er zu Nogaj Khan, um diesen zur Unter-
stützung seiner Herrschaft zu bewegen. Hier wurde dem Abenteurer auf
Befehl des trunkenen Khans die Gurgel durchschnitten.
1294 trat ein Pseudo Ivajlo auf, der aber durch Maria entlarvt wurde.
Maria*s Ende ist unbekannt.
(SchluBB folgt.) MOR. WbBTNER.
•V dni care Ivajla i pri jepiskupe Nisevscßm v l^to 6787 indikta 7, jegi stojacliu
Grci pod gradom Trnovom» (ap. Glasnik 2(), 245.) Da hier von der Belageining Tir-
nova's durch die Griechen zu Gunsten Johann Asön's III. die Rede ist, kann der Zar
Ivajlo kein anderer als jener Abenteurer sein.
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891. ^^
DAS ßUD(iET UNÜARNS FUß DA8 JAHR 1891.
Nichts bezeugt deutlicher die gründliche Aenderung der finanziellen
Lage Ungarns, als jene Gleichgültigkeit, welche dem Budget und im allge-
meinen finanziellen Fragen gegenüber wahrgenommen werden kann. Noch
vor 1 — 2 Jahren nahm das Budget nicht nur die Aufmerksamkeit der den-
kenden PoUtiker, sondern auch des PubUkums Monate hindurch in Anspruch.
Finanz-Projecte, Entwürfe und finanzielle Gesichtspunkte dominirten damals
im öffentlichen Leben, gegenwärtig hingegen wird das Expose des Finanz-
ministers mit wohlverdienten !^ljen-Bufen aufgenommen ; die allgemeine
Freude und Befriedigung über die Herstellung des Gleichgewichtes im Budget
findet in zwei drei Artikeln und Beden Ausdruck und damit kehrt man zur
Tagesordnung über; gegenwärtig wird die allgemeine Aufmerksamkeit nicht
nur durch die auf der Schwelle stehenden Beform-Entwürfe, sondern auch
durch die nur auf einige Minuten in den Vordergrund tretenden Tagesfragen
dermassen in Anspruch genommen, dass keine Zeit übrig bleibt, um sich
mit der finanziellen Lage ernsth'ch zu befassen, man kann sagen es werden
die finanziellen Gesichtspunkte ausser Acht gelassen.
Eine derartige Umgestaltung der öffentlichen Auffassung ist erklärlich,
hüllt aber grosse Gefahren in sich.
Die Hauptbedingung der Begelung der Staatsfinanzen Ungarns bildete
. jene regelmässige Consequenz, mit welcher in allen Zweigen des Staatshaus-
haltes so im Kleinen wie im Grossen die strengste Sparsamkeit durchgeführt
wurde ; eine neuerliche Störung des kaum hergestellten Gleichgewichtes ist
nur dann nicht zu befürchten, wenn — diese Sparsamkeit auch in der
Zukunft mit unerbitthcher Strenge durchgeführt wird, die zunehmenden Ein-
nahmen nicht auf kleinliche Ausgaben vergeudet werden und wenn die vor
uns stehenden grossen Ziele in jener Beihenfolge und in solchem Maasse
verwirklicht werden, als die hiezu erforderlichen Kosten factisch gesichert
sind und zur Verfügung stehen.
Ueber diese Grenze dürfen uns weder die edelsten Intentionen, noch
■die besten Beformideen verleiten ; diese Grenze muss jeder Factor des öffent-
lichen Lebens in allen Zweigen des staatlichen Lebens sorgsam vor Augen
halten, dieser Grenze müssen sich alle an den Staat gerichteten noch so
gerechten Forderungen anbequemen.
Es ist daher unumgänglich notwendig, dass wir uns die Mühe nehmen,
•mit der finanziellen Lage Ungarns möglichst gründlich bekannt zu werden;
dies zu erleichtem wäre Aufgabe dieser kurzen Abhandlung über das Budget
-<ie8 Jahres 1891.
3*
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3ö DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891.
Für das Jahr 1891 sind die ordentlichen Einnahmen mit 363.49, die-
durchlaufenden mit 5.ßs Millionen Gulden in Voranschlag gebracht ; dem
Voranschlag des Vorjahrs gegenüber zeigen erstere eine Zunahme von
15.86 Millionen Gulden, letztere hingegen eine Abnahme von l.e« Millionen
Gulden, die gesammte Zunahme der Einnahmen beträgt demnach 13.7 Mil-
lionen Gulden. Trotz dieser immensen Zunahme gestaltet sich die Bilanz
nur um 525.000 Gulden günstiger, das heisst, die Zunahme der Ausga-
ben nimmt fast gänzlich die Mehreinnahmen in Anspruch.
Mit der wirklichen Tragweite dieser nur für den ersten Augenblick
constemierenden Erscheinung kann man nicht ins Beine kommen, ohne
die Natur der zunehmenden Ausgaben einer Untersuchung zu unterziehen.
Fasst man die durchlaufenden Ausgaben mit den Investitionen und den
ausserordentlichen gemeinsamen Ausgaben zusammen, so ergibt sich bei
diesen drei Titeln eine Zunahme von 1.4 Millionen Gulden, wovon Militär-
zwecke beinahe l.i Millionen Gulden in Anspruch nehmen. Die bei den
übrigen Titeln vorkommenden Aenderungen gleichen sich fast gänzlich
aus. Die Gespanntheit der internationalen Verhältnisse, sowie die ungün-
stige finanzielle Wirkung, welche durch die, eine fortwährende Umge-
staltung der Bewaffnung des Heeres zur Folge habenden Erfindungen ver-
ursacht wird, gelangt auch in diesem Jahre zur Geltung und es stieg der
ausserordentliche Bedarf der kön. ung. Landwehr und des gemeinsamen
Heeres, welcher im Jahre 1887 nur 4.8 Millionen Gulden betrug, im Jahre
1890 hingegen schon mit lO.e Millionen Gulden in Voranschlag gebracht
wir — im laufenden Jahre auf 11.7 Millionen Gulden. Leider jedoch gibt
diese Zunahme in sich selbst genommen nicht das ganze Maass der ungünsti-
geren Gestaltung der Lage. Während nämlich noch vor einem Jahr mit
Eecht gehofft werden konnte, dass die ausserordentlichen Militär- Ausgaben
für das Jahr 1892 um mehrere Millionen herabgesetzt werden können,
stehen wir gegenwärtig — besonders zu Folge Annahme des rauchlosen
Pulvers — einer gänzlich veränderten Lage gegenüber.
Laut diesjährigem Bericht des gemeinsamen Kriegsministers beziffert
sich der Bedarf bei den noch erforderlichen Gewehren und rauchlosen Pulver -
auf 21.2 Millionen Gulden, hievon wurden für das laufende Jahr 4^/a Millio-
nen Gulden votirt, mit 1. Jänner 1892 blieben noch unbedeckt 16.7 Millionen
Gulden. Zu gleichen Zwecken und in Anbetracht genommen, dass im künfti-
gen Jahr nicht einmal die Gewehre der Infanterie gänzlich beschafft werden
können, wird nach annähernder Berechnung auch bei der k. ung. Land-
wehr ein Bedarf von beiläufig 5 Millionen Gulden entstehen, die auf Ungarn
entfallende gesammte Last beträgt daher mindestens 10 Millionen Gulden.
Nachdem aber unter diesen Titeln bei dem Heer und der ung. Landwehr
zusammengenommen das ungarische Budget mit 4.5 Millionen Gulden belas-
tet erscheint, ist eine Abnahme bei diesem Bedarf wenigstens zwei Jahre hin-
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891. «^7
-durch ausgeschlossen. Die Sicherheit dem Auslande gegenüber, sowie der
-Äusserst wichtige Gesichtspunkt der Wehrfähigkeit begründen zwar voll-
ständig diese Ausgaben, mit den drückenden Lasten jedoch, welche hieraus
für Ungarn entstehen, mit den grossen Schwierigkeiten, welche hiedurch
dem finanziellen Fortkommen in den Weg gelegt werden, müssen wir als
mit einer unvermeidlichen, aber sehr ernsten Erscheinung im Klaren sein.
Der Löwenanteil an der Zunahme der Ausgaben, 11.76 Millionen
Gulden, entföUt auf die ordentlichen Ausgaben. Um über diese Zunahme ein
Urteil fällen zu können, müssen die Ausgaben nach ihrer Verschiedenartig-
keit gruppirt werden und die vorkommenden Aenderungen bei den Staats-
schulden, Militär-, Betriebs- und Adminbtrations- Ausgaben separirt einer
-Untersuchung unterzogen werden.
L
Unter dem Titel streng genommener Staatsschulden betrugen :
Tausende Golden
1891 1890
die Ausgaben 119.524 120.018
die Einnahmen.. 4.491 4.349
Netto- Ausgabe 115.033 115.669
Hiezu kommen zu Folge Verstaatlichung von
Eisenbahnen übernommene Schulden .._ 10.773 6.990
und Zinsgarantie-Vorschüsse 1.354 4.596
Zusammen 12.1^7 11.586
Gesammte Netto-Ausgaben 127.1601 127.255
Während — laut obigen Zahlen — die Hauptsummen bei der Gruppe
^eser Ausgaben fast gar keine Aenderung aufweisen, zeigen die einzelnen
Posten sehr namhafte Unterschiede.
1. Den auffallendsten Unterschied verursacht die Verstaatlichung der
Nordostbahn ; während nämlich im Vorjahre der Bedarf dieser Bahn mit
2,800.000 Gulden unter den Zinsgarantie-Vorschüssen aufgenommen war,
fällt diese Post zu Folge Verstaatlichung der Bahn weg und kommt an Stelle
dieser Post der gesammte Bedarf an Zinsen und Amortisationsquoten des
Capitals der Bahn mit 3,835.000 Gulden unter die zu Folge Verstaatlichung
der Eisenbahnen übernommenen Schulden. Der auf diese Weise entstehen-
den Mehrausgabe von 1,035.000 Gulden gegenüber steht das Erträgniss der
Bahn, welches zu Folge der Verstaatlichung in dem Einkommen der Staats-
bahnen inbegriffen ist und fast dieselbe Summe beträgt. Abgesehen daher
von dieser ganz und gar scheinbaren und durch die Mehreinnahme der
-Staatsbahnen im Gleichgewicht gehaltenen Mehrausgabe, kann bei dem Titel
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38 DAS BUDGET ITNGARNS FÜR DAS JAHB 1891.
Eisenbahn-Scholden und Zinsgarantie- VorBcbüsse ein günstigeres Ergebniss
von 500.000 Gulden constatiert werden, welobes grösstentheils durch Hebung
des Verkebrs und in Folge dessen durch die Abnahme bei dem Bedarf von
Zinsgarantie- Vorschüssen verursacht wird.
Das günstigere Ergebniss von 636.000 Gulden bei dem Netto-Bedarf
der streng genommenen Staatsschulden ist das Resultat mehrerer, teilweise
entgegengesetzter Factoren.
Eine Zunahme zeigt sich 1. bei den Entschädigungen für das Schank-
regale 704.000 Gulden ; bievon entfallen 475.500 Gulden auf die Aufnahme
der Amortisations-Quote, der übrige Teil obiger Summe ist jenem Umstände
zuzuschreiben, dass das Einlösungs-Gapital höher festgestellt werden musste
als im Vorjahre. Die bei dieser Post entstammende Mehrausgabe bildet
einesteils eine Capitals-Amortisation, andererseits wird dieselbe reichlich
ersetzt durch das erhöhte Erträgniss des Schankgefälls, welches statt der
für das Jahr 1890 in Voranschlag gebrachten 12.5 Millionen Gulden für das
Jahr 1891 mit 15 Millionen Gulden präliminirt wurde, dermassen, dass
obzwar die hiemit verbundenen Ausgaben
bei den Staatsschulden um 704.000 Gulden
bei der Administration um 1,035.000 «
zusammen um 1,739.000 Gulden
zunehmen, die Bilanz des Schankgefälls in ihrem Endresultat sich noch
immer um 759.000 Gulden günstiger gestaltet.
2. Bei der schwebenden Schuld ergibt sich als Endresultat eine
Zunahme von 556.000 Gulden, dies ist ausschliesslich das Ergebniss des im
Interesse der Flussregulierungs- Gesellschaften verfassten Gesetzes, mit wel-
chem diesen Gesellschaften die Kückzahlung ihrer aus den Theiss-Szegediner
Anlehen erhaltenen Darlehen zugestanden wurde. Nachdem nach diesen ein-
laufenden Gapitalien die Amortisation und die Zinsen der Staat zu zahlen
verpflichtet ist, zeigt sich bei diesem Titel — im J. 1891 1,231.000 Gulden —
den vorjährigen 445.000 Gulden gegenüber, ein Mehrbedarf von 786.000 fl.
Dass aber die gesammte Mehrausgabe immerhin nur 556.000 Gulden beträgt,
ist den bei den Zinsen der Depositen- und Cassenscheine erreichten Erspar-
nissen im Betrage von 230.000 Gulden zuzuschreiben. Der Umlauf der
Cassenscheine wurde statt der bisherigen 21 Millionen Gulden um 7 Mil-
lionen geringer in Voranschlag gebracht, und trotzdem die Depositen um
1.8 Millionen Gulden zunahmen, war der Zinsbedarf immerhin noch,
nach einem Capital von 5.8 Mill. Gulden, ein geringerer. Nachdem jedoch
zu Folge der Convertirung der Theiss- Anlehen 14 Millionen Gulden in die
Staatscassc einfliessen sollten, ergibt sich bei den zur Verfügung stehenden
Capitalien eine Zunahme von 8.s Millionen Gulden.
Diese Capitalszunahme steht in sehr ungünstigem Verhältnisse zu der
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DAß BUDGET UNGARNS FÜR DAß JAHR 1891. 39
jährlichen Mehrausgabe von 556.000 Gulden und könnte aus fiscalischem
Gesichtspunkte absolut nicht begründet werden. Es beläuft sich schon min-
destens auf 150 — 200.000 Gulden das Opfer, welches der Staat im Interesse
der mit Flut-Begulierungs-Lasten kämpfenden Gegenden bringt, um diesen
den möglichst billigen Credit zugänglich zu machen und dieses Opfer wird^
wenn die noch von der Theiss-Anlehe ausser Bechnung gelassenen circa
10 Millionen Gulden convertirt werden, wenigstens auf 300.000 Gulden
steigen. Es wäre ein Fehler, diesen Umstand unbeachtet zu lassen, zumal
jene Klage so oft laut wird, dass der Staat im Interesse der ungari-
schen Landwirte, besonders der Eigentümer von Inundations-Gebieten gar
nichts thut.
Diesen Mehrausgaben gegenüber hingegen zeigen sich Ersparnisse :
1. Bei dem Netto-Ergebnisse der Weinzehent-Ablösung 910.000 Gulden.
Die Ausgabe unter diesem Titel hört im laufenden Jahre auf, und wird sich
daher die Bilanz in der Zukunft um beinahe 1 Million günstiger gestalten»
2. Bei dem Goldagio eine 2 o/o -ige Differenz, d. h. um 675.000 Gld.^
diesbezüglich können wir mit Becht die Hoffnung hegen, dass bei Inan-
spruchnahme der gegenwärtigen Conjuncturen der Bedarf an Gold mit einem
wesentlich geringeren Agio beschafft werden kann ; andererseits aber darf
nicht ausser Acht gelassen werden, dass der gegenwärtige sehr niedrige
Curs nicht als stabil zu betrachten ist und wenn die Valuta- Begelung nur
halbwegs dermassen durchgeführt wird, als dieselbe die Gerechtigkeit, sowie
die wichtigen Interessen der Völkswirtschaft erfordern, der Zinsenbedarf
der Goldanlehen nach dem gegenwärtigen Stande viel höher sein wird, als
die Summe, welche in diesem Budget unter diesem Titel aufgenommen
erscheint.
3. Bei den im J. 1889 emittirten Eisenbahn- Anlehen 250.000 Gulden,,
nachdem die Amortisations-Quoten in das richtige Geleise gelangten.
Die bei den übrigen Titeln vorkommenden kleineren und grösseren
Differenzen sind ganz unbedeutend und gleichen sich fast gänzlich aus.
Als Endresultat — die gänzlich scheinbare Mehrausgabe bei der Nord-
ostbahn ausser Bechnung gelassen — kann bei der Gruppe dieser Ausgaben
in deren Netto-Ergebniss eine Besserung um 1,132.000 Gulden constatirt
werden ; hiezu kommt noch die Zunahme von 8.2 Millionen Gulden der in
der Staatscassa vorhandenen Capitalien. Hiebei darf aber nicht ausser Acht
gelassen werden, dass weder der Ertrag dieser 8.2 Millionen Gulden, noch
der im Eigentum des Staates befindlichen Begalablösungs-Obligationen, noch
auch der Ertrag der Baarvorräte in das Budget eingestellt ist. Teilweise
das glückliche Zusammentreffen der Verhältnisse, teilweise die consequent
dieses Ziel verfolgende weise Politik der Eegierung ermöglichten es, dass
namhafte Capitalien zur Verfügung des Finanzministers gestellt wurden.
Diese Gapitalien müssen nicht nur zusammengehalten, sondern nach
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^^ DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAb J>HR 1891.
Möglichkeit Doch vermehrt werden, damit dieselben zur Erreichung eines
wichtigen Zieles im entscheidenden Augenblicke zur Verfügung stehen. Bis
aber diese Eventualität eintrifft, können diese Gapitalien fruchtbringend ver-
waltet werden, was auch factisch geschieht, und werden dieselben im künf-
tigen Jahr mit einer bedeutenden Einnahme zur günstigeren Gestaltung
der Bilanz beitragen.
IL
Es zeigt sich eine Zunahme bei dem
ordentUchen Bedarf der k. ung. Landwehr v. 296.000 G.
« gemeinsamen Bedarf v 576.000 G.
zusammen 872.000 G.
bei den ordentlichen Militär- Ausgaben.
Bei diesen Ausgaben sind wir gezwungen mit den ihre Wehrkraft rapid
entwickelnden ausländischen Staaten wenigstens halbwegs Schritt zu halten
und es wäre eine Illusion zu glauben, dass in dieser Beziehung, wenigstens
in der nächsten Zukunft, ein radicaler Umschwung eintreten könnte. Bei den
gesammten MiUtär- Ausgaben kann dem Vorjahr gegenüber eine Zunahme
von 2 Millionen Gulden, dem J. 1887 gegenüber eine Zunahme von nahe an
12 Millionen constatirt werden; dies ist ein Factum, welches ebenso bei
Würdigung der in der Vergangenheit erzielten Ergebnisse, als auch bei den
Zukunfts-Projecten in Anbetracht genommen werden muss.
III.
Die Betriebs- und die mit diesen verwandten Ausgaben weisen durch-
wegs eine Zunahme auf. Die Zunahme betrug
bei dem Finanzministerium 1,718.000 Gulden
ff « Handelsministerium.- - . . 5,087.000 •
« fl Ackerbauministerium 422.000 «
zusammen 7,227.000 Gulden,
diesem gegenüber stiegen die Einnahmen
bei dem Finanzministerium um ... 1,638.000 Gulden
a « Handelsministerium um ... 7,325.000 «
« « Ackerbauministerium um ... 711.000 «
zusammen ... ... 9,674.000 Gulden,
das heisst : es gestaltet sich die Bilanz um 2,447.000 Gulden günstiger, wenn
aber behufs Begleichung der bei den Staatsschulden vorkommenden Mehr-
ausgaben von 1,035.000 Gulden diese Summe als Ertrag der Nordostbahn
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DAS BUDGET ÜK<>ARN8 FÜR DAS JAHR 1891. ^^
in Abrechnung gebracht wird, so beziffert sich die Besserung der Bilanz nur
mit 1,412.000 Gulden.
Die Bilanz der unter Leitung des Finanzministeriums stehenden Be-
triebe gestaltet sich um 80.000 Gulden ungünstiger; von dieser Summe ent-
fallen 51.000 Gulden auf die Verminderung des Verkaufes von Staatsgütern,
was keiner weitern Erklärung bedarf; auffallend ist jedoch jene Erscheinung,
-dass trotz der projectirten intensiveren Entwickelung der übrigen Betriebe
auch die Bilanz dieser sich ungünstiger gestaltet, u. z. um 29.000 Gulden.
Das Szomolnoker Bergwerk wurde um 1 Million veräussert und obzwar
deren Erträgniss in dem Budget nicht mehr eingestellt ist, bedarf auch bei
Inbetrachtnahme dieses Umstandes die Unverhaltnissmässigkeit, welche
zwischen der Zunahme der Auslagen und der erzielten finanziellen Ergeb-
nisse obwaltet, immerhin eine Erklärung.
Wenn wir aber das Budget der Bergwerke einer gründlichen Prüfung
unterziehen, so ist es notwendig, dass von der 1,799.000 Gulden betragen-
den Mehrauslage der einzelnen Posten als rein durchlaufende Ausgaben
nachstehende Summen in Abrechnung gebracht werden, u. zw.:
bei den Hütten-Werken . ... 225.000 Gulden
bei der Münzpräge 248.000 «
bei der Altsohl-Brezoer Röhren-Fabrik 251.000 «
zusammen 734.000 Gulden
es verbleibt daher eine eigentliche Mehrausgabe von 1,075.000 Gulden,
welche zur Hebung der Eisenwerke verwendet wurde. Diese Summe steht
mit den bei den durchlaufenden Einnahmen und Ausgaben aufgenommenen
600.000 Gulden und mit dem hiedurch zum Ausdruck gelangenden Plan
des Finanzministers im Zusammenhange, dass der Preis der zum Verkaufe
gelangenden minder einträglichen Bergwerke zur grösseren Entwicklung der
Perle der Eisenwerke Unoarns, des Eisenhammers in Vajda-Huuyad, verwen-
det werde. Nachdem aber der Finanzminister die Verwirklichung dieses
Planes von dem Umstand abhängig machte, dass er sich über dessen Erträg-
lichkeit üeberzeugung verschaffe, können wir beruhigt sein, dass in dem
Fall, wenn die geplante Investition und die hiemit verbundene Steigerung
der Betriebs-Ausgabeu Thatsache wird, das active Ergebniss wesentlich
günstiger sein wird als der Voranschlag.
Ueber die Lage gewinnen wir ein noch günstigeres Bild, wenn wir den
Voranschlag mit den activen Ergebnissen vergleichen. Während nämlich vor
dem Jahr 1887 die Schlussrechnungen der Bergwerke sehr oft ein Millionen
betragendes stabiles Deficit aufwiesen, sinkt das Deficit im Jahre 1887 auf
248.000 Gulden, im J. 1888 hingegen ergibt sich schon ein Ueberschuss
von 639.000, im J. 1889 von 855.000 Gulden. Wenn diesen activen Er-
gebnissen gegenüber der Ueberschuss bei den Bergwerken für das J. 1 890
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^2 DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 18iU.
mit 76.000, für das J. 1891 mit 58.000 Gulden in Voranschlag gebracht er-
scheint, so erklärt die scheinbare Ungünstigkeit dieses Ergebnisses die fast
übermässige Scrupulosität, welche das ganze Budget des Finanzministers so
vorteilhaft charakterisirt.
Der Zunahme von 422.000 Gulden der gleichnamigen Ausgaben des
Ackerbauministeriums (Staatsforste, Domänen und Gestütslandwirtschaften*)
gegenüber steht eine Steigerung der Einnahmen um 711.000 Gulden, so
dass sich die Bilanz dieser Betriebszweige um 289.000 Gulden günstiger
gestaltet. Es entspricht diese Besserung so der naturgemässen Entwickelung
bei der Verwertung der Waldungen, als auch jener intensiveren Verwaltung,
deren Ergebniss bei den Gestütslandwirtschaften, hauptsächlich bei der
Mezöhegyeser Domäne wahrgenommen werden kann. Obzwar es unzweifel-
haft ist, dass die in Voranschlag gebrachten Erträgnisse der Gestütslandwirt-
schaften auch gegenwärtig noch nicht ganz frei sind von einem gewissen Grad
Optimismus und wenn in Anbetracht genommen wird, dass deren Erträgniss
im Jahre 1889 laut den Schlussrechnungen nur 210.000 Gulden betrug und
im J. 1888 als in den bisher günstigsten auch nur 397.000 Gulden ergab,
können mit Becht Bedenken auftauchen gegen die Bealität des im Budget
eingestellten Ueberschusses von 672.000 Gulden ; dem gegenüber steht jene
Thatsache, dass bei den Staatsforsten im Jahre 1889 um 400.000 Gul-
den mehr eingenommen wurde, als für das laufende Jahr präliminirt ist,
so dass Hoffnung vorhanden ist, dass die hieraus zu erwartende Mehrein-
nahme das wahrscheinlich eintretende Deficit bei ersterem Titel im Gleich-
gewicht halten wird.
Bei den Betrieben des Handelsministeriums stiegen die Ausgaben um
5,087.000 Gulden, die Einnahmen um 7,325.000 Gulden, es gestaltet sich
demnach die Bilanz um 2,238.000 Gulden günstiger. Der Löwenanteil an
dieser Zunahme entfällt auf die Staatsbahnen, bei diesen betrugen nänüich :
im J. 1890 im J. 1891 Plus im J. 1891
Gnlden Gulden Gulden
die Ausgaben ... ... 24,897.000 30,000.000 5,103.000
die Einnahmen ... 41,500.000 48,660.000 7,166.000
die Mehreinnahme .-. 16,603.000 18,660.000 2,063,000
Hiebei ist aber die Verstaatlichung der Nordostbahn nicht ausser Acht
zu lassen, in Folge dessen die für das Jahr 1890 in Voranschlag gebrachte
Ausgabe von 3,122.010 Gulden, sowie die Einnahme von 4,014.000 Gulden
* Von den Ausgaben und Einnahmen unter dem Titel « Pferdezuchtanstalten •
glaube ich jene der Gestütslandwirtschaften am geeignetesten hieher reihen zu können,,
die übrigen Posten hingegen unter die streng genommenen Staats- Ausgaben.
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1S9I. ^
dieser Bahn auch in das Budget der Staatsbabnen aufgenommen wurde.
In Anbetracht dessen zeigt sieb bei den Staatsbabnen eine Zunabme, u. z.
bei den Ausgaben ... 1,980.990 Gulden
bei den Einnahmen _. 3,152.000 «
bei dem Gesammterträgniss 1,171.010 •
Diese Zunahme des Voranschlages ist die natürliche Folge der riesenhaften
Entwickelung des Verkehrs und ist ein abermaUges Zeichen des glänzenden
Sieges der Eisenbahn-Politik Ungam's. In Folge der rapiden Entwickelung
des Verkehrs war die Steigerung der Verwaltungs- Auslagen unvermeidlich,
es konnten aber auch die Einnahmen getrost höher in Voranschlag gebracht
werden und wenn in Betracht genommen wird, dass das factische Bein-
erträgniss der Staatsbabnen (mit Einrecbnung des beiläufigen Erträgnisses
der Nordostbahn von 900.000 Gulden)
im Jahre 1888 19.i Millionen Gulden
f f 1889 20.7 « •
betrug, so kann zuversichtlich erhofft werden, dass das Erträgniss, welches
für das laufende Jahr mit 18.6 Millionen Gulden in Voranschlag gebracht
wurde, in der Wirklichkeit sich wesenthch günstiger gestalten wird. In
dieser Hinsicht dienen besonders zur Beruhigung die Erfahrungen des
Jahres 1889. Während nämlich die günstigen Ergebnisse der Jahre 1887
und 1888 mit der guten Ernte dieser Jahre begründet werden konnten, so
wurde das noch günstigere Ergebniss des Jahres 1889 trotz der misshchen
Ernte und trotz des Bäckfalles bei dem Getreide -Verkehr erzielt. Jene höhere,
zugleich weise und kühne Verkehrs-Politik, welche bei den ungar. Staats-
bahnen während der letzten Jahre inaugurirt vnirde, findet in dieser That-
sache ihren schönsten Sieg, weil diesbezüglich getrost gesagt werden kann,
dass gegenwärtig der Verkehr und das Erträgniss der Bahnen von den
Eventualitäten der Getreideproduction nunmehr emancipirt ist. Es gelang,
die Prseponderenz des Getreideverkehrs zu bekämpfen nnd den Verkehr
so vielseitig zu gestalten, dass der Entwickelung und dem Erträgnisse der
Bahnen nicht einmal eine ungünstige Ernte schaden kann. Es ist heutzutage
dergestalt Mode, den Herrn Handelsminister zu loben, er ist in solchem
Maasse der Zielpunkt von Schmeicheleien aller Art, dass man fast den
guten Ton verletzt, wenn man ihn lobt, es wäre aber ein Verschweigen der
Wahrheit, wenn wir jener unvergänglichen Verdienste nicht gedenken wür-
den, durch welche er sich auf dem Gebiete der Staatsbabnen, so aus volks-
wirtschaftlichem, wie aus finanziellem Gesichtspunkte, ein bleibendes Denk-
mal errichtet hat.
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^ PAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891.
IV.
Bei den aus den eigentlichen staatlichen Funktionen entstammenden
Ausgaben, ist von der 3,580.000 Gulden betragenden Mehrausgabe in Ab-
rechnung zu bringen :
1. die Mehreinnahme unter demselben Titel... 362.000 G.
2. die Mehrausgabe bei dem Schankregale 1,035.000 G.
3. die Mehrausgabe bei den Verzehrungs-
steuern 323.000 G.
4. die Mehrausgabe bei dem Tabakgefäll 67.000 G.
zusammen ... . 1,425.000 G.
da diese Summe mit den zunehmenden Einnahmen unter
diesem Titel im Zusammenhange steht; im Ganzen sind
daher 1,787.000 G.
in Abrechnung zu bringen ; es verbleibt daher eine durch
Entwickelung der staatlichen Einrichtungen verursachte
Netto-Mehrausgabe von ... 1,793.000 G.
Von dieser Summe nimmt der innere Bedarf Kroatien -Slavoniens um
191.000 Gulden zu, dies ist die natürliche Folge der in dieser Beziehung
bestehenden gesetzlichen Anordnungen und der Zunahme der Einnahmen ;
364.000 Gulden aber entfallen auf Pensionen. Letztere zeigen zu Folge der
Verhältnisse und besonders der freigebigeren Anordnungen des Gesetzes
vom Jahre 1885, fortwährend eine unaufhaltsame Zunahme und bildet dieser
Titel jene seltene Ausnahme, bei welchem eine Mehrausgabe bisher noch
immer nicht vermieden werden konnte. Die Daten vorangegangener Jahre
in Augenschein genommen, ergibt sich folgendes Resultat:
Voranschlag f. d. J. 1887 4,989.000 G. Netto- Ausgabe 5,634.000 G.
fl fl « « 1888 5,314.000 « « « 5,999.000 «
« « « fl 1889 5,789.000 « « « 6,345.000 t
f « « « 1890 6,316.000 «
« « « « 1891 6,680.000 «
Hieraus erhellt, dass die jährliche Mehrausgabe unter diesem Titel beiläufig
350.000 Gulden beträgt und dass, obzwar das entsprechende Gapitel des
diesjährigen Budgets ebenfalls an Realität gewann, die Aussicht auf eine
Mehrausgabe von 2 — 300.000 Gulden noch immer vorhanden ist.
In der noch immer zurückbleibenden Mehrausgabe von 1,238.000 Gul-
den findet eigentlich die Zunahme bei dem aktiven administrativen Mecha-
nismus Ungarns Ausdruck ; um diese Summe wurde die Action des ungari-
schen Staates in sämmtlichen Zweigen des administrativen, kulturellen und
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1H91. *»>
volkswirtschaftlichen Lebens theurer. Wenn die einzelnen Posten dieser
Mehrausgabe der gewissenhaftesten Beurteilung unterzogen werden, finden
sich einige in sich selbst genommen geringfügige Summen (sporadische
Gtehaltaufbesserungen, Vermehrungen des Personals etc.) vor, gegen welche
aus dem Gesichtspunkte der strengsten Sparsamkeit Einwendung erhoben
werden kann, denn die geringste derartige Erscheinung berührt alle jene
unangenehm, die sich der schweren Stunden der Nächstvergangenheit
und der Hauptursache der kaum behobenen Uebel noch zu erinnern ver-
mögen. Die ganze in Bede stehende Summe jedoch ist so gering, dass die-
selbe fürwahr kaum erwähnt werden sollte, wenn es nicht nothwendig wäre
bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass jeder einzelne Schritt bei
laxerer Beurteilung der Lage und bei Ausserachtlassung der finanziellen
Gesichtspunkte mit ernsten Gefahren verbunden ist. Diese Auffassung kann
als kleinlich und kreuzerhaft verspottet werden und es erscheint dieselbe
als trocken und prosaisch, besonders heutzutage, da die Atmosphäre von
grossen Ideen, grossen Prinzipien und grossen Losungsworten erzittert. Es
sei aber nicht vergessen, dass air diese schönen Sachen ohne die Gefahr, aus-
gelacht zu werden, nicht einmal erwähnt werden könnten, wenn nicht durch
die consequente Durchführung dieser kreuzerhaften Auffassung die Ordnung
im Staatshaushalte hergestellt wäre und dass zur Verwirklichung der Her-
stellung des Gleichgewichtes das strenge Beharren bei dieser Auffassung
auf allen Gebieten des staatlichen Lebens die Hauptbedingung ist. Eines der
grössten Verdienste der Regierung bildet es, dass sie diese undankbare und
eine grosse Selbstverleugnung erfordernde Aufgabe mit eiserner Energie
löste, und es wäre die Begierung untreu zu ihrer Vergangenheit, untreu za
den grossen Plänen, deren Durchführung, zu den edlen Aspirationen, deren
Verwirklichung von ihr erwartet werden, wenn sie sich von diesem Gebiet
durch was immer verleiten lassen würde.
Im Grossen und Ganzen genommen — und abgesehen von einigen
insgesammt nur wenige tausend Gulden betragenden Ausnahmen — kann
mit vollständiger Beruhigung constatirt werden, dass die ganze Mehrlast nicht
jene Grenze überschreitet, welche bei Entwickelung unserer Verhältnisse als
ganz normal betrachtet werden kann. Nebst den zunehmenden Anforderungen
des sich fortwährend entwickelnden Lebens, kann in den Functionen des Staaten
auch keine Stagnation eintreten ; die naturgemässe Entwickelung des staat-
lichen Organismus erfordert unvermeidlich — abgesehen von grösseren Befor-
men — eine jährliche Zunahme der. Ausgaben von beiläufig 1*5 Millionen
Gulden. Diese Grenze überschreitet auch das diesjährige Budget nicht und
wenn die zunehmenden Ausgaben besser ins Augenmerk genommen werden,,
gelangt man zu der Ueberzeugung, dass dieselben wirklich notwendig sind
und zur Erreichung nützlicher Zwecke dienen. Diese Ausgaben verteilen sieb
folgendeimassen unter die einzelnen PortefeuiUes :
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46
DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891.
1. Der grösste Teil der Mehrausgabe, 230.000 Gulden, welche bei den
bisher noch unerwähnt gelassenen Titeln des Finanzministeriums ins Auge
tritt — entfallt auf Finanzdirectionen und Finanzwachen, und ist eigent-
lich nur die naturgemässe Folge der grösseren Einnahmen. Besonders in
Folge rapider Entwickelung der indirecten Steuern, müssen die Kosten der
pünktlichen Manipulation und Controlle zunehmen : es liegt daher die auf
Verstärkung der äusseren Organe der Finanz-Administration verwendete
Mehrausgabe sowohl im Interesse des Aerars als auch der steuerzahlenden
Bürger.
2. Bei den ordentlichen Ausgaben des Ministeriums des Innern zeigt
sich eine Zunahme von 204.000 Gulden, dem gegenüber steht eine Mehr-
einnahme von 77.000 Gulden, die netto Mehrlast beträgt daher 127.000 Gul-
den. Von dieser Summe entfallen 102.000 Gulden auf den öffentlichen Sicher-
heitsdienst. Die stufenweise Entwickelung der Gendarmerie, als auch der
Polizei der immermehr das Gepräge einer Weltstadt zeigenden Hauptstadt
ist eine unaufschiebbare Notwendigkeit, die hierauf verwendeten Auslagen
werden durch die andauernde unbestreitbare Besserung der öffentlichen
Sicherheitszustände so dem Staat als auch der Gesellschaft reichlich ersetzt.
Ebenso sind die Ausgaben des Sanitätswesens im steten Steigen begriffen, und
wird gewiss die Hemmung der naturgemässen Entwickelung dieses Dienst-
zweiges niemand einfallen, unter diesem Titel zeigt sich eine Netto- Mehraus-
gabe von 47.000 Gulden, so dass das öffentliche Sicherheits- und Sanitäts-
wesen das Budget des Ministeriums des Innern zusammen mit 149.000
•Gulden belastet. Bei all den übrigen Titeln dieses Portefeuilles kommt nicht
nur keine Mehrausgabe vor, sondern es ergibt sich eine Ersparniss von
22.000 Gulden.
3. Die Mehrausgabe von 197.000 Gulden des Handelsministeriums
sinkt nach Abrechnung der Mehreinnahme von 44.000 Gulden auf 153.000
<Tulden. Diese Summe nehmen fast gänzlich die zur Subsidiirung der Stras-
senfonde der Munizipien in das Budget eingestellten 140.000 Gulden in
Anspruch ; bei sämmtlichen übrigen Titeln kommt nur eine Mehrausgabe
von 13.000 Gulden vor.
4. Einigermassen anders gestaltet sich die Sache bei dem Ackerbau-
ministerium: die Netto-Mehrausgabe von 147.000 Gulden (216.000 Gulden
Mehrausgabe, 69.000 Gulden Mehreinnahme) verteilt sich fast gleichmäs-
sig unter die verschiedenen agriculturellen Zwecke. Dagegen, dass in einem
überwiegend agriculturellen Land wie Ungarn derartige Leistungen des
'Staates mit erforderlicher Vorsicht gesteigert werden, kann man fürwahr keine
Einwendung erheben und ist die ganze Mehrausgabe von 147.000 Gulden
in Anbetracht der Wichtigkeit und productiven Natur der fraghchen Ausga-
ben absolut nicht übermässig. Fraglich bleibt es aber, ob es für die Agri-
'Cultur nicht von grösserem Nutzen wäre, wenn diese Mehrausgabe tunlichst
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891. 47
4iaf die Vorschableistung von einem oder zweier der allerwichtigsten Zwecke
konzentrirt werden würde.
5. Von der Netto-Mehraosgabe von 346.000 Golden des Justizministe-
riums stehen 262.000 Gulden mit der Decentralisation der königlichen
Tafel, 50.000 Gulden mit der rascheren Verfertigung der Grundbücher im
Zusammenhange, das heisst, diese Mehrausgabe von 312.000 Gulden ist
schon die Folge der Durchführung des Reformprogrammes. Die Kosten der
laufenden Administration nahmen nur um 34.000 Gulden zu.
6. Endlich zeigt sich noch bei dem CultusminL<»terium eine Netto-
Mehrausgabe von 178.000 Gulden (326.000 Gulden Ausgabe, 148.000 Gul-
den Einnahme), hievon entfallen 24.000 Gulden auf die unumgänglich
notwendig gewordene Uebersiedelung des Ministeriums, 127.000 Gulden
auf Lehranstalten.
Bei der erfreulichen Entwicklung der nationalen Cultur ist es unver-
meidlich, dass die Lehranstalten auch in der Zukunft stufenweise, nach
einem gut durchdachten Plan auf allen Gebieten entwickelt werden. Hiebei
muss aber der Gultusminister sehr oft jene undankbare Aufgabe vor Augen
halten, dass der Oekonomie jeder einzelnen Lehranstalt die möglichste
Sparsamkeit zu Grunde gelegt werde und dass die jährlich zu diesem Zwecke
erforderlichen Mehrausgaben zur factischen Entwickelung der Culturanstal-
ten verwendet werden.
Auf Grund dieser Daten gewinnen wir nachstehendes Bild unserer
:finanziellen Lage.
Die diesjährige Ausgabe beträgt bei dem Ordinarium
mehr als die vorjährige (hauptsächlich Militär-
Zwecke) um 1,439.000 Gulden
bei den Staatsschulden um 47.000 «
bei den Militär- Ausgaben - ... 872.000 •
bei den Betrieben und den gleichnamigen Ausgaben 7,227.000 «
bei den mit den zunehmenden Einnahmen in direc-
tem Zusammenhange stehenden Ausgaben — 1,425.090 «
bei den übrigen Staats- Ausgaben um _.. 2,155.000 «
bei dem Titel «übrige hier nicht angeführte unbedeu-
tende Differenzen» um 24.000 «
zusammen um 13,189.000 Gulden
^em gegenüber zeigt sich bei den schon erwähnten Einnahmen eine Zu-
nahme von und zwar :
bei den Staatsschulden ... ... 142.000 Gulden
bei den Betrieben 9,674.000 «
bei den verschiedenen Administrations-Zweigen ... 362.000 «
zusammen 10,188.000 Gulden.
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4>^ DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891.
Es ist daher ersichtlich, dass die Mehreinnahme die Mehrausgabe von
9,:229.000 Gulden der Staatsschulden, Betriebe und der streng genommenen
staatlichen Ausgaben reichlich deckt und dass jenes Ziel, dass in dem reinen
Erträgniss der sich stets entwickelnden Betriebe der mit der normalen Zu-
nahme des staatlichen Organismus verbundene Mehrbedarf Deckung iinde^
erreicht wurde. Ja es kann sogar von dem 949.000 Gulden betragenden
üeberschuss, mit Ausnahme von kaum einer halben Million Gulden, auch
jene Mehrausgabe des Finanzministeriums bestritten werden, welche mit
neuen oder zunehmenden Einnahmequellen in Verbindung steht (Schank-
regale und Verzehrungssteuem).
Das günstige Ergebniss der naturgemässen Entwickelung sämmtlicher
hier erwähnten Ötaats-Einnahmen könnte daher zur besseren Gestal-
tung der Bilanz des Staatshaushaltes beitragen, wenn nicht die neuer-
liche Zunahme der Militär-Ausgaben dazwischen gekommen wäre. Diese
Ausgaben beanspruchen von diesen zunehmenden Einnahmen fast zwei
Millionen Gulden und zehren die in Voranschlag gebrachten Mehrein-
nahmen fast gänzlich auf, so dass die Bilanz nur eine Besserung von einer
halben Million aufweist Die eigentliche Besserung ist zwar nicht nur so-
viel, sondern es beträgt dieselbe in der Wirklichkeit 2V2 Millionen Gulden,
nachdem im Budget bei dem Verkaufe von Staatsgütern um zwei Millionen
Gulden weniger in Voranschlag gebracht wurde ; diese Besserung ist aber
immerhin noch eine viel geringere als jene der nächst vergangenen Jahre und
verursacht ernstliche Bedenken, besonders wenn in Betracht genommen wird,
dass die in das Programm der Begierung aufgenommenen und allgemein
erwünschten Be formen eine ständige Mehrausgabe von mindestens 10 bis
l!2 Millionen Gulden verursachen werden.
Dies würde sehr gewichtige, kaum zerstreubare Bedenken verursachen,
wenn die erzielten Ergebnisse der Schlussrechnungen keine Beruhigung
bieten würden. Die Ergebnisse der Schlussrechnungen sind seit dem J. 1887
fortwährend günstiger, als jene des Budgets. Im Jahre 1887 war das wirk-
liche Ergebniss um 7, im Jahre 1888 um 12, im Jahre 1889 um 13 Millionen
Gulden günstiger, als das in Voranschlag gebrachte, und es kann haupt-
sächlich letztere Schlussrechnung auch bei Ausübung der strengsten Kritik
gerechte Freude verursachen und darf dieselbe den gerechten Stolz der Regie-
rung bilden, deren unermüdliche, gewissenhafte Thätigkeit darin zum Aus-
druckegelangt. Jede Seite der Schlussrechnung bekundet die strengste Ordnung
und Sparsamkeit, Creditübertretungen kommen kaum vor, bei den Ein-
nahmen ergibt sich fast ohne Ausnahme ein Üeberschuss. Und wenn
zwischen den Einnahms-Ergebnissen der Schlussrechnung und jenen des
diesjährigen Budgets ein Vergleich angestellt wird, so kann mit Freude und
Beruhigung constatirt werden, dass dieselben auch für dieses Jahr mit der-
selben, fast an Pessimismus grenzenden Realität in Voranschlag gebracht
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DAS BUDGET UNGARJJS FÜK DAS JAHR 1891. 4f9
^wtirden, welche die in YoraDschlag gebrachten Einnahmen der nächsten
Vergangenheit charakterisirte.
Wenn nunmehr in Anbetracht genommen wird :
1. dass die Einnahmen des Finanzministeriums ohne das im Jahre
1889 noch nicht bestandene Schankregale im Budget mit vier Millionen
Gulden niedriger aufgenommen wurden, als das factische Ergebniss des
Jahres 1889;
2. dass der Voranschlag der Bergwerke um 800.000 Gulden ungünsti-
ger ist, als das factische Ergebniss des Jahres 1889 ;
3. jener der Staatsbahnen um zwei Millionen Gulden ;
4. dass daa Erträgniss der zur Verfügung des Finanzministers stehen-
den Gapitalien und der Begalablösungs-Obligationen in das Budget nicht
aufgenommen erscheint ;
5. dass die Hälfte des Jahres 1889 die fast allgemeine missliche Ernte
empfindlich beeinflusste und
6. dass der grösste Teil der Einnahmen, so hauptsächlich jene der
Staatsbahnen, Stempel, Gebühren, des Tabakgefälls und der Verzehrungs-
steuem eine rapide Zunahme aufweisen, und inwiefern von den für das Vor-
jahr bisher erschienenen Ausweisen gefolgert werden kann, diese Zunahme
im erfreulichen Maasse fortdauert^
so kann mit voller Bestimmtheit behauptet werden, dass — inwiefern
ganz ausserordentliche Umstände die volkswirtschaftliche und finanzielle Lage
Ungarns nicht zerrütten, — das factische Ergebniss des laufenden Jahres
mindestens um 8 bis 10 Millionen Gulden sich günstiger gestalten wird,
als der Voranschlag und dass, wenn wir auch in der Zukunft die Sparsam-
keit mit unerbittlicher Strenge einhalten, und wenn wir femer unsere Kräfte
nicht zersplittern, der Bedarf der auf der Schwelle stehenden grossen Beform-
Frojecte in den gegenwärtigen Einnahmsquellen Deckung finden wird.
Stefan von Tisza.
UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNÜNGEN
JOSEFS DES n.
(Beitrag znr Sanitätsgeschichte Ungarns.)
Von einem geregelten Sanitätswesen kann in Ungarn im Mittelalter
und selbst in der Neuzeit noch nicht die Bede sein. Einzelne mehr oder
minder wichtige Anordnungen, die im Laufe der Jahrhunderte getroffen
wurden und dieBegelung einzelner Zweige des Sanitätswesens bezweckten,*
* So z. B. einzelne Bestimmungen in dem Statutenbuch der Stadt Ofen
(1244—1421). Punkt 102 und 298 handelt von den Apothekern (s. meine Schrift fZur
Ungarisehe Reme, XI. 1891. I. Heft. 4
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oO
UNGARN BETREFFENDE 8ANITÄTSVER0RDNUNGEN JOSEFS DES II.
vermochten nicht einen allgemeinen Aufschwung des öflfentlichen Gesundr
heitswesens herbeizuführen, umsomehr, da diese Verordnungen nie zur
Gesetzkraft erhoben, auch nicht auf allgemeine Anwendung rechnen konn-
ten. Temporäre Erlässe, deren Veranlassung grösstenteils die in damaUger
Zeit häufig auftretenden Epidemien gewesen, hatten auch nur temporäre
Bedeutung und ephemeren Wert, denn bei der Kritiklosigkeit der damaUgen
Ansichten über öflFentüche Hygiene wurden oft auch bessere und lebensfähi-
gere Einrichtungen ohne Weiteres über den Haufen geworfen. Daher die quan-
titativ wohl bemerkenswerten, doch qualitativ höchst untergeordneten Sani-
tätsverordnungen der damaligen Jahrhunderte, die durchaus nicht geeignet
waren, eine Verbesserung des öflfentlichen Gesundheitswesens zu veran-
lassen.
Im XVni. Jahrhunderte macht sich der Sinn für die öflfentliche
Gesundheitspflege in Ungarn bereits im hohen Grade bemerkbar. Dies ist
wohl dem Aufschwünge auf dem Gebiete der Natur- und Heilwissenschaft
zu verdanken, die eine radikale Reform der betreflfenden äusserst mangelhaf-
ten Institutionen herbeiführte und den leitenden Kreisen der Gesellschaft
die Ueberzeugung beibrachte, dass eine geregelte Sanitätspflege im Staats-
wesen eine hochwichtige Rolle spielt. Hauptsächlich unter Leopold L,
Carl VI. und Maria Theresia häufen sich die Verordnungen, die auf die
Regelung des Sanitätswesens und der mit demselben in Verbindung stehen-
den Faktoren abzielten. Es war dies — unter der Regierung Maria The-
resia's — auch eine natürliche Folge der Creirung einer medizinischen
Geschichte der Medizin in Ungarn» Budapest 1890, S. 34.), P. 103, dessen Text fehlt,
fahrt die Ueberschrift «Von den wuntärzten.» P. 104 bestimmt, «das kain safran sol
iinbeschawt weder gekauft noch verkauft werden.» — lOG : Der fleischagker zech-
maichter süllen allzeit als das vleisch peschawen, das in den pengken ist, dwf das
rain vnd gerecht üt, vnd nicfU stingkund, noch wademg^ noch phinnod sei/ etc. P. 110
lind 111 untei-sagt den Verkauf todter Fische. P. 182 (Text fehlt): «Von dem pader» ;
P. 186 : «Von den freyen tochtem und gleichen desz». Mehrere Punkte berühren das
Prostitutionswesen. Hieher gehören auch die Statuten der Pressburger Fleischhauer
vom Jahre 1376, die in einer ihrer Bestinamungen ausdrücklich bemerkten : «Es sol
auch nyemant in seiner panch phinnaste^ fleisch vail haben, man sol iz vor den
penkchen vail haben her dan her ; vnd welicher maister phirmnsUz fleisch verchaufft
in seiner panch, vnd wem ers verchauflft auz der panch, dem sol er sein geld wider-
geben, vnd sol zwen vnd sybenczich phenninge geben zue der stat, also daz iz die
2wen gesworen maister suUen beschawen, vnd ob er denne schelmiges vieh siecht, daz
sol man im nemen^ vnd sol daz in daz syitol geben armen lewten, (Michnay u. Lichner
Ofner Stadtrecht S. 79. Linzbauer Codex sanitario-med. Hungarise I. 106.) — Im
16. Jahrhunderte, zm* Zeit der verheerenden Epidemieen, sowie später im 17. Jahr-
hunderte mehren sich diese mannigfachen Sanitätsverordnungen beträchtlich. Es
wäre zu weitläufig hier auch nur einen kurzgedrängten Auszug dieser Vorkehrungen
mitzuteilen und will ich diesbezüglich auf die mögliclist ausführUche, doch keines-
wegs erschöpfende Sammlung im Linzbauer'schen Codex verweisen.
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UNGARN BETREFFENDE 8ANITÄTS\'ER0RDNUNGEN JOSEFS DES II. ^1
Fakultät, mit der sich auch der Wunsch nach Ordnung der Verhältnisse
ihrer Mitglieder, der Bechte und Pflichten der Aerzte und Sanitätspersonen
rege machte. So kam es bereits unter Maria Theresia zur Schöpfung mehre-
rer hochwichtiger sanitätspolizeiücher Verordnungen, die den Grundstock
der später ins Leben gerufenen Sanitätsgesetze bildeten.
EkBchöpfender wurde das Material unter Josef II. behandelt. Josef IL,
der als «Schätzer der Menschheit» ebenfalls den Menschen für das kostbarste
Capital der Gesellschaft hielt, sorgte in reichlichem Maasse für die Erhal-
tung und Verwertung dieses Capitals.
Während seiner zehnjährigen Regierung gelangte eine Fülle von Sani-
tätsverordnungen zur Ausgabe, die in seinem letzten Begierungsjahre von
Josef Keresztury de Szinerszök unter dem Titel tConstituta regia, quae re-
gnante August. Imperatore et Bege Apostol. Josepho ü. pro regno Hungarise
eidemque adnexis provinciis nee non M. Principatu Transilvanise condita
sunt» im Druck erschienen. Diese Verordnungen, in logischer Reihenfolge
geben ein klares Bild von den Bestrebungen des für sein Volk väterlich sor-
genden Fürsten und verdienen die Mühe, näher beleuchtet zu werden.
Der deutlichen üebersicht halber wird es wohl angezeigt sein, die ein-
zelnen Verordnungen nicht in chronologischer Beihenfolge, sondern aus
sanitätsadministrativem Standpunkte in sachUcher Folge mit Berücksichti-
gung der für die einzelnen Fächer getroffenen Verfügungen zu betrachten.
Früheren Bestimmungen zufolge (Decretum Caroli VI. Imperatoris ac
Begis vom 19. Juni 1723)* untersteht das gesammte Sanitätswesen dem kön.
Statthaltereirat, dem im Jahre 1738 — gelegentlich der grassirenden Pest —
«ine Sanitätscommission und'im Jahre 1742 ein Arzt «als Bat und Beisitzer»
beigegeben wurde. Die Agenden dieser Sanitäts-Oberleitung bestimmt des
Nähern die Constitutio NormativaBei Sanitatis vom 17. September 1770.**
Im Jahre 1783 wurde bei der k. Statthalterei ein besonderes Sanitäts-
Departement gebildet. Dasselbe wird einem Bäte zugeteilt, fder darüber im
vollen Bäte vorträgt».
Am 21. August 1786 wird, f da durch die bisher der medizinischen
Fakultät in Pest von der königl. Statthalterei aufgetragenen Angelegenhei-
ten, welche den Gesundheitsstand des Landes betreffen, die Lehrer in dem
Unterricht der Jugend, welcher stets der wichtigste Teil ihrer Pflicht ist,
{^hindert wurden, auch dieselben nicht füglich zu andern G^chäften ver-
wendet werden können, als welche unmittelbar ihren Lehrgegenstand und
<lie innere Polizei der Universität betreffen, so haben Se. Maj. beschlossen,
dass nach dem bereits in den übrigen Erbländern bestehenden Beispiele^
* linzbauer Codex sanitario-medicinalis Hnngariae I. 583.
** Linzbauer 1. c. IL 535. Zßoldos Constituta rei sanitatis in Hungaria parti-
4)U8qae adnexis 1819. S. 18.
4*
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'>' UNGABN BETREFFENDE SANITÄTSVBRORDNtNGEN JOSEFS DES II.
auch in dem Königreich Ungarn ein Protomedicus an dem Orte, wo sich die-
Liandesstelle befindet, angestellet und die Oberaufsicht und Leitung dea
Arzeneistandea und die Sorgfalt für die in öffentlicher Verpflegung stehen-
den Kranken aufgetragen werden soll.»
Der allerhöchsten Entschliessung vom 29. Jänner 1787 gemäss erhält
der Protomedicus ein jährliches Gehalt von 1500 Gulden und 500 Gulden
Personalzulage als Beisitzer der Studiencommission.
Die unmittelbare Aufsicht über das Sanitätswesen liegt den Comitats-
und Stadtbehörden ob (17. Sept. 1770), während die unmittelbare oberste
Aufsicht die Pflicht der königl. Commissäre und der Obergespäne ist. (2. Jän-
ner 1778.)
In dem Intimat vom 13. Juni 1785 wird allen Behörden die Beobach-
tung der Sanitäts Vorschriften zur Pflicht gemacht. — Am 21. Dezember
1 786 wird die Bestimmung getroffen, dass von nun an in jedem Comit^te
nur ein Arzt (Comitatsphysikus) angestellt werde.
Am ausführlichsten wird natürlicher Weise das Capitel von den Ge-
sundheitsbeamten behandelt.
Bestimmungen, die sich auf die Personal- und Berufsverhältnisse des
Medicinalstandes beziehen, sind in Ungarn verhältnissmässig ganz jungen
Datums. Dies erklärt wohl der Umstand, dass der Mangel einer vaterlän-
dischen Universität resp. einer medicinischen Facultät auch nicht das
Bedürfniss nach Regelung der Verhältnisse des Sanitätsstandes fühlbar
machte. Ausländische oder im Auslande herangebildete Aerzte brachten
Vorschriften und Gesetze mit sich, nach denen sie dann hier ohne weitere
Controle ihre Praxis ausübten. Später, wo der Druck der Verhältnisse, das
Auftreten verheerender Krankheiten die Aufmerksamkeit der competenten
Kreise auf die zur Saniruug der Uebel berufenen Personen lenkte, musste
natürlich das Verhältniss des Medicinalstandes zum Staate und zur Gesell-
schaft geregelt, geordnet werden. Und so sehen wir dann, dass das XVIL
Jahrhundert — das epidemieenreiche Säculum — eine Fülle einschlägiger
Verordnungen brachte. Im XVIII. Jahrhundert, wo sich zu diesem Umstände
auch noch der erwachte Sinn für Naturwissenschaften und öffentliche Hy-
giene gesellte, finden wir schon ziemlich geordnete, dem Zeitgeiste vollkom-
men entsprechende Verhältnisse.
Den Grund zu den diesbezüglichen Bestimmungen legte Maria Theresia,
mit ihrem bereits erwähnten Generale Normativum Sanitatis vom 17. Sep-
tember 1770.* Hier, sowie in dem am 10. April 1773 erlassenen Anhange
wird auf die erforderliche Qualifikation des Aerztestandes grosses Gewicht
gelegt. «Jedermann ist es bekannt — sagt das Normativum von 1770 — waa
Unheil oft durch unerfahrene Medicos dem Nächsten zugefüget wird, dahero-
* Linzbauer 1. c. I. 821. Zsoldos 1. c. S. 18.
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UNGARN BETREFFENDE SANITATSVERORDNüNGBN JOSEFS DES II.
53
bestehet schon durch viele Jahre die Gesetzgebung, dass alle, die ihre Kunst
in den kaiserl. königl. Erblanden üben wollen, den Gradum Doctoratus auf
-«iner Innländischen Universität, bey welcher eine Facultas medica vor-
handen ist, genommen haben müssen, wobey es auch in Zukunft sein Be-
wenden hat, dermassen, dass andere weder angenommen, weder ihnen die
allenfalls übende Praxis beygelassen werden solle, es wäre denn Sache, dass
sie sich durch das vorgeschriebene Examen hierzu tauglich gemacht
hätten etc.»
Im Jahre 1771, wo die Tymauer Universität eine medicinische Facul-
tät erhielt,* erschien folgendes kgl. Rescript: «Es scheinet auch zweck-
mässig, dass alle Heil- und Wundärzte, welche künftig in diesem Königreiche
ihre Kunst ausüben wollen, vorher an der Universität zu Tymau geprüfet
werden sollen. Aerzte, welche jedoch bereits an der Universität zu Wien
geprüfet sind, können ohne fernere Prüfung in allen Erbländem zur Aus-
übung ihrer Kunst zugelassen werden. Die schon angestellten Aerzte sind
inzwischen von der Prüfung so lange ausgenommen, bis sie zu einem grös-
seren Physikate angestellt werden.»
Diese Verordnungen wurden am 13. März 1786 von Josef 11. neuer-
dings genehmigt und bestätigt. Hieran anknüpfend wird in dem Bescripte
vom 18. December 1786 nochmals darauf aufmerksam gemacht, dass nur
vorschriftsmässig geprüfte Aerzte zur Praxis zugelassen werden. Um die
Ausbildung der Aerzte vielseitiger zu gestalten, bestimmt der Erlass vom
3. Januar 1787, «dass nach Errichtung des Lehrstuhles der Vieharzenei
an der hohen Schule zu Pest,** in Zukunft weder ein Heilarzt noch Wund-
'■' Die Professoren der luedizinischen Fakultät zu Tymau, die auf Vorschlag
van Swietens mit je 1200 Gulden Gehalt ernannt wurden, waren damals: Michael
Schoretits (Pathologie und Therapie), Ignaz Prandt (Physiologie und Pharmakologie),
Jakob Winterl (Chemie und Botanik), Wenzel Tmka (Anatomie) und Josef Plenk
(Chirurgie und Geburtshilfe). Rektor der Universität war im Schuljahre 1770 71
Graf Alexander Keglevich, Senior der med. Fakultät Mich. Schoretits, Dekan der
med. Fakultät Ign. Pi-andt.
* Die Universität wurde nämUch im Jahre 1777 nach Ofen, im Jahre 1784
nach Pest verlegt. Der Professor der im Jahre 1786 mit 600 Gulden Gehalt syste-
misirten Lehrkanzel für Thierheilkunde war Alexander Tolnay. Die Lehrgegenstände
und Professoren der medizinischen Fakultät waren zur Zeit Josefs folgende : Specielle
Pathologie und Therapie: Michael Schoretits (seit 1770), Wenzel IVnka (seit 1785);
Anatomie: Wenzel Trnka; Physiologie: Adam Ign. Prandt (1770), Samuel Rdcz
(1783); Pharmakologie: A. I. Prandt; Praktische Chirurgie: Josef Plenk (1770),
Georg St4hly (1783); Geburthilfe: Plenk (1770), J. R&cz (als Supplent), G. StdMy
^1783), Botanik: J. Winterl; Chemie: derselbe; Zoologie: Mathias Piller (1783),
Josef Schönbauer (1788); Mineralogie: die Professoren der Zoologie; Theoretische
Arzneikunde: Stipsics Ferdinand (1783); Thierarzneikunde : Alexander Tolnay. Dr.
-Joh. Rupp's Festrede zum hundertjähr. Jubilemn der medic. Fakultät der k. ung.
Universität. Ofen, 1871, S. 130.
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54f UNOARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNÜNGEN JOSEFS DES H.
arzt bei einer Gespanscbaft oder Stadt angestellt werden könne, der nicht
diese Vorlesungen gehört, und darüber ein gutes Zeugniss erhalten bat.»
In ausführlicher Weise werden auch die Pflichten der Aerzte fest-
gesetzt. Allgemein behandelt dieselbe schon das Normale vom Jahre 1770,.
indem es in mehreren Punkten das Verhältniss der Aerzte zu dem Publicum
und dem Sanitätspersonale bestimmt. Im Anschlüsse an diese Anordnungen
erliess Josef IL am 27. November 1787 ein Intimat in der Form eines.
«Amtsunterrichts für die Comitats- Aerzte in dem Königreiche Ungarn, und
den dazu gehörigen Provinzen.» Dieser Erlass enthält in 32 Punkten eine
ausführliche Unterweisung für die Cbmitatsärzte und verdient wohl, in
seinen Hauptpunkten hier registrirt zu werden.
Die Agenden der Comitatsärzte beziehen sich — nach dieser Amts-
unterweisung — «auf den allgemeinen Gesundheitsstand des ihnen anver-
trauten Bezirks, auf den besonderen der einzelnen Kranken und auf die
ihnen von der öffentlichen Aufsicht in landgerichtlichen Fällen gemachten
Aufträge und Untersuchungen.»
Betreffs des ersten Punktes haben die Comitatsärzte ihre Aufmerk-
samkeit den Epidemieen, Viehseuchen, Affcerärzten, der Geburtshilfe, den
Apotheken und allen denjenigen Gegenständen zuzuwenden, welche durch
Verunreinigimg der Luft Krankheiten zu verursachen im Stande sind.
Bezüglich der epidemischen Krankheiten wird folgende Anordnung
getroffen :
«Die Ortsobrigkeiten haben bereits die Verordnung *, sobald wahrge-
nommen wird, dass in einem Orte mehrere Menschen durch einerlei Krank-
heit in kurzer Zeit aufgerieben werden, sogleich unter der schwersten Ver-
antwortung die Anzeige an die Gespanschaftsbehörde zu machen.
Wenn eine solche Anzeige einläuft, hat sich der Gespanschafts-Arzt
auf Verordnung des Comitats, unverzüglich nach dem angezeigten Orte zu
begeben, die Art und Beschaffenheit der Krankheit, ihre Verbreitung, und
der dadurch verursachten Sterblichkeit genau zu untersuchen, und über die
erhobenen Umstände Bericht an den Vicegespan, nebst Anschliessung der
Tabelle aller Kranken, Genesenen, oder Verstorbenen, mit der Voraus-
setzung der Volksmenge des Orts zu machen.
Bestätiget sich, dass wirklich eine Epidemie herrscht, so hat der Arzt
über die den Umständen angemessene Heilungs- und Verwahrungsmethode^
und sonst über die diätetischen Mittel auf der Stelle die Vorschrift zu
erteilen, und so lange an dem Orte zu verbleiben, bis das Uebel, wo nicht
gänzlich, doch wenigstens grösstenteils gehoben ist ; von Zeit zu Zeit aber
muss er den Fortgang und die Wirkung seiner Vorkehrungen, immer mik^
Anschluss obiger Tabelle, dem Vicegespan berichten.
* Unter Andern in dem mehrerwälmten Normativum vom Jahre 1770.
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UNGARN BETREFFENDE SANITATSVERORDNTNOEN JOSEFS DES II. -^^
Wenn ungeachtet der angewendeten Heilungsmittel, das Uebel weiter
um sich greifen sollte, so muss der Comitats-Arzt dem Vicegespan die
genaue Beschreibung der Krankheit, nebst bemeldeter Tabelle der dabei
wahrgenommenen Umstände, und der gebrauchten Arzeneien auf das schleu-
nigste zusenden, und wegen gemachter Vorkehrungen, wie auch des Erfolgs
derselben, die umständliche Anzeige erstatten, zugleich aber fernere Ver-
haltungsbefehle ansuchen.»
In gleicher Weise hat der Comitats-Physikus bei einer ausbrechenden
Viehseuche vorzugehen.
Femer hat er darauf zu achten, dass die Gesundheit der Bewohner
durch das betrügerische Verfahren sogenannter Afterärzte nicht gefährdet
werde.
Zu seinen Pflichten gehört es auch, darauf zu achten, «dass kein Weib
als Wehemutter die Geburtshilfe ausübe, welche nicht zuvor auf einer erb-
ländischen Universität geprüft und tauglich befunden worden ist, welches
aus dem von der Universität erhaltenen Diplome zu ersehen seyn wird.» —
«Wo die Entfernung von Ofen und Pest zu gross ist, sollen die Weiber,
welche die iGreburtshilfe als Wehemütter ausüben wollen, zuvor von dem
(Jomitats-Chyrurgus, der vermöge der bestehenden Gesundheits- Vorschriften
ohnehin ein Geburtshelfer seyn muss, * unterrichtet, und von dem Comi-
tats-Physikus mit Beiziehung des Gomitats-Ghyrurgus über ihre Fähigkeit
ordentlich geprüft, und nur wenn sie tauglich befunden worden, densel-
ben ein von beiden unterschriebenes Zeugniss ausgefertiget uud die Gre-
burtshilfe auszuüben erlaubet werden. »
Um die Verbreitung der Lustseuche hintanzuhalten, möge der Comi-
tats-Arzt dieser gewöhnlich geheimgehaltenen Krankheit nachspüren und
sie nach Möglichkeit auszurotten suchen.
Den Apothekern gegenüber hat er darauf zu achten, dass dieselben ord-
nungsmässig geprüft und diplomirt seien. Femer hat er dafür Sorge zu
tragen, dass in jeder Apotheke die Arzneien stets in erforderlicher Menge
und Güte vorhanden seien und nach der vorgeschriebenen Taxe, ohne Be-
vorteilung des Publicums veräussert werden. Um sich hie von zu über-
zeugen, soll der Comitats-Physicus jährlich einmal — von Mitte Juli bis
Ende October — in allen Apotheken seines Bezirkes eine Visitirung vor-
nehmen. Constatirte Mängel sind an den Vicegespan zu melden. — Ebenso
* A. h. Verordnung vom 10. April 1773 nnd 12. Mai 1785. Letztere hat fol-
genden Wortlaut: fln Zukunft soll kein Wundarzt in einer Stadt, einem Maikte
oder einem grösseren Dorfe dieses Königreichs angestellet werden, wenn er nicht ein
2jengnis8 aufweisen kann, dass er auch aus der Hebanamenkuust gehörig ist geprüfet
worden. Dieses kann mn so mehr von jedem Wundarzte gefordert werden, da dieser
Unterricht sowohl an der Universität zu Pest, als in allen Universitäten uud Liceen
der deutschen Erbländer bestehet •
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56 UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN JOSEFS DES H.
hat er auch auf die zum Veräusßem von Giftwaaren berechtigten Spezerei-
händler sein Augenmerk zu richten.
«In Ansehung der Luftansteckung und anderer Gegenstände^ die Krank-
heiten veranlassen» bestimmt die Amtsinstruction folgendermassen : «Wenn
der Gomitatsarzt in seinem Bezirke Gegenstände bemerkt, welche Orts-
krankheiten veranlassen, oder durch Ansteckung der Luft auf die Gesund-
heit nachtheilige Wirkung haben könnten, z. B. grosse Pfützen, oder Schind-
anger nahe an bewohnten Orten, oder an den Strassen hingeworfenes todtes
Vieh oder Aeser, die nicht vorschriftsmässig eingescharret sind, ingleichen,
dass die Leichen nicht tief genug unter die Erde gebracht werden und
dergleichen, so hat er darüber, so wie auch über die allenfalls bemerkte
Verunreinigung der Brunnen an das Comitats-Offizialat die Anzeige zu
machen.»
Um seinen Pflichten «in Ansehung des besondem Gesundheitsstandes
einzelner Kranken» gerecht zu werden, hat er alles zu beobachten, wozu er
sich in seinem Amtseid verpflichtet. «Die Armen hat er ohne Unterschied
unentgeltlich zu besorgen, überhaupt aber an Kranke, denen er beisteht,
bei ernstlicher Ahndung keine übertriebene Forderung zu machen, und da
er von dem Staate eigends dazu besoldet wird, so ist er den Unvermögenden
in ihren Krankheiten mit der nänüichen Sorgfalt und Mühe, wie dem Kel-
chen beizustehen schuldig, und hat derselbe mit kostbaren Arzeneien nie-
mand in unnöthige Kosten zu bringen.» «Wenn der Comitats-Arzt über
Land gerufen wird, so muss demselben die Fuhre hin und zurück von denen,
die seinen Besuch verlangen, unentgeltlich verschafft werden.»
Die Pflichten des Comitatsarztes bezüglich der in gerichtlichen Fällen
gemachten Aufträge bestimmt die Sanitätsordnung folgendermassen : «Wenn
er zur Beschau in Sicherheitsfällen, als Todtschlägen, Verletzungen, und
anderen Gewaltthätigkeiten gerufen wird, muss er nach der landesgericht-
Hchen Vorschrift den Augenschein nehmen, und das ordentliche Besichti-
gungszeugniss ausstellen. Eben das ist zu beobachten, wenn bei plötzlichen
Todesfällen, oder bei dem Verdachte einer Vergiftung, und dergleichen, von
der Obrigkeit die Besichtigung oder Zergliederung eines Körpers befohlen
wurde, in welchen Fällen er mit der grössten Genauigkeit, die etwa sich
zeigenden Merkmahle aufzuzeichnen, und das Erhobene an das Gericht ein-
zuschicken hat.»
Die Vielseitigkeit der Agenden des Comitatsphysikus macht es demnach
erforderlich, dass er sich ohne Wissen und Bewilligung des Vicegespaug von
seinem Aufenthaltsorte nicht entferne.
Nebst dieser ziemlich erschöpfenden Amtsinstruction erschienen noch
während der Kegierung Josefs sporadisch mehrere auf die Verhältnisse der
Aerzte bezügliche Verordnungen. So z. B. am 21. März 1785 betreffs Einsen-
dung ausführlicher, mit statistischen Daten belegter Krankheitsberichte, um
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XJNGARN BETREFFENDE 8ANITÄT8VERORDNUNGEN JOSEFS DES H. 57
diese für eine herauszugebende Zeitschrift tActa Medica Hungariae» verwer-
ten zu können.
Die Agenden der Chirurgen, die von denen der Medici scharf geschieden
'waren, werden auch in ausführlicher Weise bestimmt.
Die Anordnung vom Jahre 1770 betreffend die durch eine Universitäts-
prüfung zu erhärtende Qualifioation der Wundärzte wird am 13. März 1786
und 25. Juni 1788 bestätigt, mit dem Zusätze, dass diejenigen, die schon
vor dem im Jahre 1 770 erlassenen Sanitätspatente durch einen Landes -Proto-
medicus oder Sanitätsrat oder von einer Sanitätscommission gehörig geprüft
worden sind, von diesem Examen enthoben werden.
Am 31. Oxtober 1786 wird folgendes Rescript erlassen: tDie Wund-
ärzte der Städte und Dörfer, denen es wegen ihres Hauswesens oder Alters
zu beschwerlich wäre, den vorgeschriebenen zweijährigen Kurs der Chirurgie
an der Universität zu vollenden, können auch eher zur strengen Prüfung
gelassen, und woferne sie aus allen Theilen dieses Unterrichts hinlängliche
Kenntnisse an den Tag legen, bestätiget werden.»
Vom 12. Mai 1785 resp. 3. Jänner 1787 datirt die Verordnung, wonach
die Wundärzte auch die Prüfung aus der Geburtshilfe resp. aus der Vieh-
arzneikunde ablegen müssen. Um das Studium dieser Gegenstände auch den
vor Errichtung der betreffenden Lehrkanzel an der Pester Universität ange-
stellten Wundärzten zu ermöglichen, sollen — nach dem Intimat v. 8. Sept.
1788 — aus jedem Comitate zwei Processual- Wundärzte abwechselnd je einer
an die Pester Universität entsendet werden.
Bei Besetzung der erledigten Wundarztstellen soll — Rescript vom 5.
Juli 1787 — ohne Bücksicht darauf, ob die Betreffenden vom Civil- oder
Militärstande sind, nur die Fähigkeit und Geschicklichkeit in Anbetracht
kommen.
Gleichzeitig mit der Amtsinstruction für die Aerzte wurde auch am 27.
November 1787 eine Amtsunterweisung für die Chirurgen erlassen.
Diese Instruction stützt sich grösstentheils auf die am 17. Septem-
ber 1770 getroffenen Bestimmungen der Constitutio normalis, enthält sonst
im Allgemeinen den auf die Aerzte bezüglichen Bestimmungen ähnliche
Anordnungen. «Die Pflicht der Menschlichkeit und des Berufs, — heisst es
im 11 . Punkte der Instruction — erstrecket sich bei einem Comitats-Chirur-
gen auch bis auf die scheinbaren Todten. Zuweilen finden sich Ertrunkene,
Erfrorne, aus Schwermuth, oft von betäubenden, schwefehchen, eingesperr-
ten, faulenden Dünsten erstickte Menschen, oft sieht man todtscheinende
Kinder auf die Welt kommen, oft erblickt man hypochondrische und hyste-
rische Personen in einer dem Tode ähnlichen tiefen Ohnmacht hingesunken,
alle diese Elende sind der Gegenstand der Sorgfalt eines rechtschaffenen
Comitats-Chirurgen, und es ist Pflicht für ihn, sich mit einer vernünftigen
Behandlung in solchen dringenden Fällen im voraus vertraut zu machen»
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•>*^ UNG-\BN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNTJNOEN JOSEFS DES H.
dass er im Falle der Not allezeit fertig sei, und wisse was er zu thun
habe.t
Bezüglich der Bader (Barbiere) wird am 30. Mai 1 786 folgende Bestim-
mung getroffen :
fEs liegt den Gespanschaftsärzten ob sorgfältig zu wachen, damit die
Bartscherer ausser den minderen chirurgischen Operationen ihres Berufs,.
sich nicht beikommen lassen, Heilungen innerer Krankheiten zu überneh-
men, und, wenn sich dieselben nicht davon abbringen lassen, ist es der Aerzte
Pflicht, sie bei dem Ortsgerichte anzugeben, welchem obliegt, solche Wider-
spänstige in Schranken zu setzen, für begangene Fehltritte zu bestrafen, und
sie zur Beachtung der Verordnung anzuhalten.»
Im Rescripte vom 13. Juni 1786 werden die «gemeinschaftlichen Pflich-
ten der Heil- und Wundärzte in den Gespanschaften» festgesetzt. tDiesfr
mögen vereint auf die Beobachtung der in Sanitätssachen ergangenen Ver-
ordnungen wachen, und alle Uebertretungen, die sie bemerken, der Gespan-
schaft anzeigen » etc.
Als vom Staate besoldete Beamte mögen sie den Armen unentgeltliche
Hilfe angedeihen lassen, «von den übrigen Personen aber, für geleistete
Pflege, nach Verhältniss ihres Vermögens, eine angemessene, doch niemals
übertriebene Belohnung, bei schwerer Ahndung, abgenommen werde» (Re-
script vom 17. August 1786.)
Die notwendigen chirurgischen Instrumente hat das Comitat auf eigene-
Kosten anzuschaffen und den Comitatschirurgen zu übergeben. (Rescr. vom
4. Mai 1786.)
Am 7. Dezember 1 786 wird das von Georg Stähly, Professor der Chi-
rurgie an der Pester Universität (1783 — 1802) entworfene Verzeichniss jener
Instrumente herausgegeben, «welche ein Comitats-Chyrurgus in jeder Grespan-
schaft nothwendig haben muss.» Das Verzeichniss enthält Instrumente:
«zu verschüdenem Gebrauche,» (wie Heftnadeln, Polypzangen, Zahnzangen^
Lanzetten, Scalpel, Troicarta zur Eröffnung der Luftröhre, Catheter,
Bistouris, Aneurysmanadeln, Sonden, Kugelzieher etc.), «zur Trepanirung*
(Trepanbogen , Perforations- und Exfoliativtrepan , Tirefond, Elevator^
Hebeisen etc.), t^zur Amputirung>> (wie Knöbel, Toumiquet, Arterien-
Zangel, Bromfieldischer Hacken etc.), «für Gebahrend'e* (Kopfzange,
Bessaria, Mutterkräntzel etc.), «zur Sectionn (Hirnschale -Brecher, Hirn-
schale-Spachtel, Hammer, Blasrohr, Hamulie, Pincetten etc.) und gibt eia
deutliches Bild von dem damaligen Stande der Chirurgie und dem Wir-
kungskreise der Wundärzte.
Auch die Regelung des Apothekerwesens ei freute sich unter der Regie-
rung Josefs des H. einer weitgehendsten Berücksichtigung. Ausführliche
Bestimmungen in Bezug auf die Qualifikation und Pflichten der Apotheker
enthalten schon ältere Verordnungen, hauptsächlich die Apothekerordnung
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ITNOARN BETREFFENDE SANITATßVERORDNUNGEN JOSEFS DES II.
5»
vom Jahre 1644.* Die im Normativ vom Jahre 1 770 enthaltenen Anordnun-
gen ivon den Pflichten der Apotheker» wiederholen theilweise die Bestim-
mungen der erwähnten Apothekerordnung. Bemerkenswert ist das Bescript
Josefs des IL vom 23. Jänner 1 786, das in mehreren Punkten die Einrich-
tung, Besorgung etc. der Apotheken regelt : Es heisst daselbst : «Damit künf-
tig allen Fehlern und Betrügereien der Apotheker gehörig vorgebeuget wer-
den könne, haben Se. Majestät beschlossen, dass
Erstens : auf der Universität keine Kosten gesparet werden sollen, voll-
kommene Apotheker zu bilden.
Zweitens : Soll den Apothekern, welche durch kein ganzes Jahr sich
an der Universität aufhalten können, sondern nur Privat-Collegien hören wol-
len, der Zutritt dazu zur Sommerszeit frei sein, wo Gelegenheit ist, in
dem zu Pest befindUchen botanischen Garten die Kräuterkenntniss zu
erlangen.
Drittens : Kein Apothekenkauf soll giltig sein, wenn nicht der Käufer
vorher schon alle zur Ausübung der Apothekerkunst erforderlichen Wissen-
schaften erlernet hat, und darüber sich gehörig hat prüfen lassen. Ebenso
wenig wird ohne diese Prüfung ein Apotheker von einer Obrigkeit zum Princi-
palen, oder von einer Witwe zum Provisor können aufgenommen werden»
etc. «Es sind die Apotheker anzuhalten, zu desto genauerer Beobachtung
der im Jahre 1779 publicirten pharmaceutischen Taxordnung den Preis der
abgenommenen Medicamente auf das Recept zu setzen.»** «Es wird der
'•• S. meine «Beiträge zur Gesch. d. Medizin in Ungarn» S. 42.
** Es würde hier jedenfalls zu weit führen, die bezogene Arzneitaxe aucJi nur
auszugsweise zu reproduziren. Ich will liier nur den Anhang der Taxe, der den
Titel fPür verschiedene Apotecker- Arbeiten» führt, anführen. Die Taxe «für einen
Umschlag (Cataplasma) zu kochen» beträgt 6 kr; «für einen Trank (Decoctum)
*/2 Stande zu kochen» 6 kr.; «für einen Trank durch ein oder zwei Stunden
zu kochen» 9 ki*; «für ein Seidel gemeine Molken oder Käsewasser •♦ (Serum
Iactis)4kr. ; «für ein Seidel mit Eyerklar geläutei-tes Käsewasser» 10 kr.; «für
eine Kemmilch (Emulsion) auszupressen» 3 kr.; «für einen Aulguss» (Infusion)
3 kr.; «fttr ein Quintel Pillen zu formiren» 2 kr. «Fttr Gläser, Schachteln, Hafher-
geschirre u. d. gl. kann wegen Verschiedenheit der Grösse und Materie nichts
Gewisses bestimmet werden. » — Es sei hier nur noch bemerkt, dass eine selbstständige
ungarische Arzneitaxe (ein iWerk des Pressburger Stadtphysikus Just. Job. Torkos)-
für ganz Ungarn am 12. Juli 1745 sanctionirt und auch später — 15. Juli 1760 und
30. März 1769 — trotz der Bestrebungen in Ungarn die Engersche österreichische Taxe
vom J. 1765 einzuführen, bestätigt wurde. Später wurde aber die Pharmacopoea
austriaca-provinciaüs 1774 5 mit einer neuen Arzueitaxe (vom 1. Jänner 1776 an
giltig) auch in Ungarn anbefohlen, jedoch offiziell erst im Jahre 1786 eingeführt.
In Folge des Abusus, dass in mancher Apotheke die Torkos'sche, in einer andern
die Engel'sche Taxe massgebend war, wurde am 23. Jänner 1786 und 26. Juni
1787 die allgemeine Einführung der Wiener Taxe angeoi-dnet. Linzbauer: Das Inter-
nat. Sanitätswesen der ung. Kronländer. S. 29.
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<y^ UNGARN BETREFFENDE SANITÄTS VERORDNUNGEN JOSEFS DES H.
Unfug, dass die Aerzte von den Apothekern zum neuen Jahre Geschenke
annehmen, hiermit gänzlich abgestellt, und sollen die betretenen Geber und
Abnehmer zur empfindlichen Strafe gezogen werden.«
Kontrakte zwischen einer Gemeinde und Apotheke wegen Ablieferung
der Arzeneien sollen — der Bestimmung vom 23. April des Jahres 1786
gemäss — nur in dem Falle bestätigt werden, «wenn sie schon vorder unter
dem 21. Nov. des Jahres 1785 erlassenen Verordnung geschlossen worden
sind» und «wenn das Publikum dabei gegen alle Be vorteilung gesichert ist,
und dadurch der Gemeindecasse ein merklicher Vorteil erwächst.» In Zukunft
soll aber die Abschliessung derartiger Kontrakte unter keinem Vorwande
mehr zugelassen werden.
Am 24. September 1787 wird auch die von dem k. ung. Statthalterei-
Tat ausgearbeitete Apothekerordnung publicirt.
Ein Intimat vom 5. August 1788 bestimmt, dass «von den Verzeich-
nissen der Arzeneien, welche den armen ünterthanen abgereichet werden
zum Nutzen des allerhöchsten Aerariums, 20 vom Hundert abzuziehen
sind.»
Auch das Geburtshilfewesen wird in mehreren Verordnungen geregelt,
teils durch Bestätigung der im Sanitätsnorinativum vom Jahre 1770 enthal-
tenen diesfälligen Bestimmungen, teils durch neue, entsprechendere Anord-
nungen. So wird z. B. die Dislocirung der mit der Geburtshilfe vertrauten
Personen — auf Grund einer Bestimmung vom J. 1770 — den Oomitats-
behörden und den kgl. Kommissären übertragen (21. Dezember 1786.)
Das dritte Hauptstück der Josefinischen Sanitätsverordnungen behan-
-delt das Capitel der Krankheiten in gesundheits-polizeilicher Beziehung und
gliedert sich in folgende Abschnitte: §. I. Vorsichten den Krankheiten vor-
zubeugen. Hieher gehören : 1. Erhaltung gesunder Luft: «Vorschrift wegen
Einrichtung der Grüften, Gottesäcker und Leichenbegängnisse etc.» «Von
Austrocknung der Sümpfe.» — 2. Vorschriften in Ansehung der Gifte. —
3. Andere der Gesundheit schädliche Dinge. — 4. Eröffnung und gerichtliche
Untersuchung der Leichen.
§. II. Von den Anordnungen, wenn auf der Stelle Hilfe geschafft wer-
den soll.
§. HI. Von den Verfügungen, damit das Uebel der Krankheiten nicht
weiter sich verbreite.
Bezüglich der Anlegung von Krypten wird mittels eines Rescriptes
vom 22. August 1777 die bautechnische und hygienische Untersuchung der
Umgebung angeordnet. In sanitätspolizeilicher Beziehung wird folgende Ver-
fügung getroffen: «Wenn aus solchen Grüften durch Fenster, Spalten oder
wie sonst immer, ausserhalb oder innerhalb der Kirche, böse Ausdünstun-
gen sich drängen können, wonach genau zu forschen ist, sind alle diese
Oeffnungen auf das sorgfältigste zu vermachen und stets wohl verschlossen
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UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN JOSEFS DES II. 61
ZU halten, damit nie die bösen Dünste sieh durchdrängen können. » Aehn-
liches wird auch betreffs der Anlegung von Friedhöfen bestimmt. Auf Grund
eines Rescriptes vom 24. Juli 1788 werden alle in bewohnten Orten befind-
lichen Grüfte aufgehoben, ebenso auch die in einer geschlossenen Kirche oder
Capelle (1. Dec. 1788.)
Am 27. März 1783 wird die Verordnung «wegen Leichenbegängnissen
und Erdbestattungen der nichtunirten Griechen» erlassen; «Den nichtunir-
ten Griechen ist erlaubt, dass sie ihre Todten nach dem von alten Zeiten
herrührenden Gebrauche begraben, und die Grüften gebrauchen, wenn sie
eine solche auf dem Gottesacker bei der Kirche haben ; doch werden fol-
gende Fälle ausgenommen, nämlich, wenn einer an einer ansteckenden
Krankheit oder Seuche gestorben ist, oder wenn gleich nach dem Tode die
Leiche sehr aufschwillt, ein grässhches Ansehen erhält, eher als gewöhnlich
in Fäulung übergeht und einen eckelhaften Gestank von sich gibt. In diesen
Fällen müssen die Leichen gleich mit ungelöschtem Kalke belegt, und nur
nachdem der Sarg wohl verschlossen worden ist, aus dem Hause nach der
Grabstätte gebracht werden, und wofern dagegen gehandelt, und eine solche
Leiche mit unbedecktem Gesichte nach der Kirche gebracht wird, so ver-
lieren sämmtliche Einwohner des Orts sogleich die ihnen durch gegenwär-
tiges Bescript ertheilte Erlaubniss, und werden künftig den wegen der Be-
gräbnisse im Allgemeinen ertheilten Vorschriften in allen Punkten genau
nachleben müssen.»
Im Bescripte vom 19. Jänner 1789 wird auch thatsächlich die den
griechischen Nichtunirten eingeräumte Begünstigung aufgehoben.
Am 7. Oktober 1784 wird folgende Verfügung erlassen: «Da die Ge-
wohnheit, die Todten im offenen Sarge zu Grabe zu bringen, noch an einigen
Orten bestehet, so wird der Befehl, dass Todte, welche in Ansteckung dro-
henden Krankheiten gestorben sind, nicht in offenen Särgen herumgetragen
werden dürfen, hiermit erneuert, und sollen sich die Geistlichen der nicht-
unirten Gemeinden angelegen seyn lassen, das ihrer Sorgfalt anvertraute
Volk von dem noch herrschenden abergläubischen Vorurtheile wegen Blut-
säuger, sogenannten Wampieren, dem es den Tod der Anverwandten zu-
schreibt, endlich ganz abzubringen. »
Bezüglich der Leichenbegängnisse und Beerdigungen der Juden wird
am 7. Oktober 1788 nachfolgende Bestimmung getroffen: «Es haben Se.
Majestät in Betrachtung dessen, dass bei den Juden gewöhnlich viele zahl-
reiche Familien beisammen wohnen, unter denen ein 48 Stunden lang lie-
gender Körper, wenn er zu faulen anfinge, leicht eine Ansteckung verur-
sachen könne, als auch in der Bücksicht, dass am Sabath und anderen
Festtagen ihnen die Beerdigung eines Verstorbenen vermöge Beligions-
gesetzen verbothen ist, wesswegen der Todte bisweilen über die festgesetzte
Zeit unbegraben bleiben müsste, die Beerdigung derselben vor Verlauf der
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*2
UNGARN BETREFt'ENDE HANITATS\^RORDNUNGEN JOSEFS DES II.
festgesetzten 48 Stunden, in sonderheitlicb ausgewiesenen Fällen, jedoch
unter den Bedingungen und Vorsichten zu gestatten geruhet, dass an Orten,
wo nicht ein eigens abgesondertes Behältniss für die Verstorbenen ausge-
wiesen werden kann, der Gomitats-Physikus, oder bei dessen Abwesenheit,
der Bezirks- Wundarzt, oder endlich auch in dessen Ermanglung oder Abwe-
senheit, der nächste für das offene Land bestätigte Wundarzt, zur Besichti-
gung herbei gerufen, und nach desselben Erkenntniss in Hinsicht auf die
aus der Natur der Ej:^nkheit, oder aus was immer für andern Ursachen
überhandnehmende Fäulniss, so wie bei einfallendem Sabath, oder sonst den
Juden heiligen Festtagen, der Beerdigungstermin abgekürzet werden soll.
Doch versteht sich von selbst, dass alle Missbräuche einzuschränken,
und nur damals der Gebrauch von dieser Erlaubniss zu machen sei, wenn
wirkliche Gefahr der Ansteckung und sichtbare, unläugbare Zeichen der
Fäulniss vorhanden sind, und über die Notwendigkeit einer schleunigen
Beerdigung die schriftliche Bestätigung des Arztes oder Wundarztes bei der
Obrigkeit eingelegt werden.»
Betreffs der Veräusserung von Giftstoffen waren — nebst der im P. 5
des Normativum vom Jahre 1770 enthaltenen Bestimmung («Vorsicht bei
dem Verkauf gefährlicher Arzeueien, als Gift u. dgl.») — der bereits erwähnte
Punkt in der Amtsinstruktion für die Comitatsärzte vom 27. November 1787
massgebend.*
In einem Intimatum vom 13. September 1785 wird allen Mautämtem
zur Pflicht gemacht, «darauf zu wachen, dass die fremden Materialisten
keine Gifte oder giftige Waaren einführen, und wenn sie bei Untersuchung
ihrer Waaren dergleichen Gifte finden, sind ihnen solche abzunehmen und
der Obrigkeit zu behändigen».
Unter dem Titel «Andere der Gesundheit schädliche Dinge«» wird
zuerst «Vermischung des Bleies mit den Zinn» angeführt. (17. Juli 1775.
2. November 1784.) In letzterer Verordnung wird aufs AusdrückUchste be-
tont, dass «alle diejenigen Gefösse, worin Speise, Trank oder Arzenei für
Menschen zubereitet, aufbewahrt oder genossen wird, wie auch chyrurgische
Instrumente unfehlbar aus reinem Zinne verfertigt und die Einführung der-
gleichen aus vermischtem Zinne verfertigter Waaren keineswegs gestattet
werden soll».
Am 3. August 1782 wird der Verkauf der mit dem gesundheitsschäd-
lichen Glasemail (vitirum aspergibile) belegten Waaren unter Androhung der
Oonfiscirung derselben und einer Geldstrafe von 50 Beiohsthalem untersagt
Ebenso wird auch (Bescript vom 6. Dec. 1784) der allgemeine Verkauf des
* Die bieher gehörige Bestimmung vom Jahre 1773 (Constitutionis Normativ»
'Bei Sanitatis Anni 1770 Explanatio. P.9. Zsoldos 1. c. S. 31, Keresztöri 1. c. S. 115>
iviirde in Ungarn nicht kundgemacht.
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IT^ÜARN BBTBEFFENDE KANITÄTSVERORDNl NGEX JOSEFS DES II. ^»^
Salpeters, und — 7. Sept. 1785 — der sogenannten Weisserde (terra albi-
•cans) verboten.
In Folge des Auftretens von Mutterkomvergiftungen im ßaranyaer
-Comitate * nach dem Genüsse des vom sogenannten Mutterkorne gebackenen
Brodes wird am 18. December 1786 das ausführliche «Gutachten der medi-
zinischen Fakultät zu Wien über das in der Baranyaer Gespanschaft gewach-
sene Aftergetreide allen Gespanschaften zur Wissenschaft mitgetheilt.»
«Leute — sagt das Gutachten — die vom Mutterkorn gebackenes Brod
essen, verfallen meistenteils in die sogenannte Kriebelkrankheit; sie fühlen
Anfangs eine Ermattung und ein Kriebeln in den Fingerspitzen und Zehen,
^ ob Ameisen darin wären ; es folgt Erbrechen, der Leib wird hart und
■aufjgeblähet, es entstehen Zuckungen und Fraisen, und endlich folgt der
Tod mit abwechselndem Frost und Hitze». «Uebrigens ist von diesem After-
getreide weder für Menschen noch für irgend Vieh ein Gebrauch zu machen,
fiondem es muss ganz vertilget, und nicht ins Wasser geworfen, weil die Er-
fahrung lehret, dass ein solches Wasser Hunde, Schweine, Gänse, Enten etc.
tödte».
Die hygienische Fürsorge der Josefinischen Verordnungen geht auch
«o weit, selbst das Heben allzugrosser Getreidegarben «mit einer strengen
Ahndung gegen die Uebertreter» zu verbieten (20. December 1782), «weil
bemerket worden ist, dass es auch den stärkesten Leuten schädlich wird,
wenn sie zur Zeit der Ernte allzugrosse Garben auf die Wägen und von die-
sen auf die Schober werfen».
Interessant ist auch das Verbot bezüglich des Gebrauches des weib-
lichen Mieders, das am 14. August 1783 publicirt wurde. Es heisst in dem-
selben : «Da die Erfahrung lehret, dass der Gebrauch der weiblichen Schnür-
brust, oder des gewöhnlich sogenannten Mieders, der Gesundheit, und
besonders der Ausbildung des weiblichen Körpers sehr oft schädhch gewesen
ist, im Gegenteile aber es nicht wenig zur Erlangung einer guten Leibes-
beschaffenheit und zur Fruchtbarkeit der Weiber beiträgt, wenn der Gebrauch
-der Schnürbrust unterbleibt, so wird hiermit festgesetzt, dass in Waisen-
häusern, Klosterschulen imd allen andern zur Erziehung der Mädchen ge-
widmeten öffentlichen Anstalten, der Gebrauch der Schnürbrust ganz unter-
sagt seyn, und kein Mädchen in die Schule aufgenommen oder zugelassen
werden soll, wenn sie diesem Gebrauch nicht entsagt.»
Mit Verordnung vom 24. December 1783 wird die in alle in Ungarn
gebräuchlichen Sprachen verfasste Abhandlung des Dekans der Wiener me-
* Hirsch erwähnt das Auftreten der Ergotismus- Epidemie in Ungarn im
Jahre 1786 in dem tChronologisohen Verzeichniss der Ergotismus-Epidemieen»
(Handbuch der historisch -geogr. Pathologie 2. Th. S. 141) nicht. Derartige Epidemieen
.grassirten übrigens schon im Mittelalter in Ungarn imd kommen in den Chroniken
tmter der Bezeichnung • Heiliges Feuer, Set Antonsfeuer, pestis ignea» etc. vor.
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ö* UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN JOSEFS DES II.
dizinischen Fakultät, Dr. Johann Michael Schosulan: «Ueber die Schädlich-
keit der Schnürbrüste (Mieder)» an sämmtliche Behörden Ungarns verteilt.
Hieran fügt sich noch ein Erlass vom 5. August 1784. Derselbe lautet
folgendermassen : «Das Verboth der Schnürbrust leidet in den Fällen eine
Ausnahme, wenn zur Erhaltung eines schadhaften Leibbaues der Grebrauch
der Schnürbrust durch den Arzt selbst vorgeschrieben, und von demselben
darüber das Zeugniss beigebracht vrird.»*
Bezüglich der gerichtUchen Sektion der Leichen wird (20. März 1786)
die Verfügung getroffen, dass dieselbe regelmässig 48 Stunden nach einge-
tretenem Tode erfolge.
Am 14. September 1786 wird die für die Geschichte des medizinischen
Unterrichts in Ungarn bemerkenswerte Bestimmung erlassen, dass «in An-
sehung der Zergliederung todter Körper bei dem anatomischen Unterrichte,
da hierzu immer solche todte Körper erfordert werden, die durch die Fäulimg
noch nicht zerstöret sind, so können an den Orten, wo Universitäten sind,
den Lehrern der Anatomie und Chyrurgie, aus den Krankenhäusern todte
Körper auch vor Verlauf der 48 Stunden ohne Anstand geliefert werden,
weil nicht leicht zu befürchten ist, dass die in Krankenhäusern Verstorbenen
zu frühe begraben, oder zur Anatomie abgegeben werden, da in diesen Häu-
sern immer Aerzte und Chyrurgi vorhanden sind, welche die Kranken be-
handeln, und aus der Art der Krankheit, und den vorhergegangenen Ur-
sachen und Zufällen kennen müssen, ob der Körper wirklich entseelet sey
oder nicht».
Erhöhtes Interesse verdienen die Verordnungen, die die Leistung der
ersten Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen zum Gegenstande haben, nicht
nur deshalb, weil sie dafür sprechen, in welch hohem Maasse schon damals
der Sinn für das Rettungswesen bei uns entwickelt war, sondern auch darum,
weil sie uns zeigen, mit welchen Mitteln damals die erste Hilfe geleistet
wurde.
Schon Maria Theresia erliess am 1. Juli 1769 eine diesbezügliche all-
gemeine Verordnung und setzt «ein Prämium von fünf und zwanzig Gulden
auf die Erhaltung jedes Ertrunkenen, oder sonst erstickten Menschen». Am
5. Feber 1779 wird eine ausführliche Instruktion über die Leistung der
ersten Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen pubUcirt. Diese enthält folgende
Kapitel: 1. «Unterricht, wie und durch welche Hülfsmittel Ertrunkene imd
'*' Diesbezüglich war die Angabe Schostilans 1. c. §.34 massgebend : «Dass
aber in manchen Krankheiten sonderlich der Beine einige Gattungen Mieder auch
nützlich seyn, ist nicht zu leugnen, doch muss der Gebrauch und die Verfertigung
solcher Maschinen nicht von Müttern, Erzieherinnen und Schneidern, sondern von
Leib- und Wundärzten anbefohlen und bestimmt werden. Die Mieder, wenn ai&
demnach nützlich seyn können, sind nur für eine gewisse Art Kranker, niemals aber
für Gesunde.»
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UNGAKN BETREFFENDE 8ANITÄTSVEB0BDMUMGBN JOSEFS DES II. ^^
Erbenkte am fäglicbsten hergestellet werden.» Die hier in Anwendung kom-
menden Mittel sind a) die Eröffnung der Drosselader (vena jugularis) auf
der einen oder andern Seite (• damit die Lunge und das Gehirn von dem an-
gehäuften und stillstehenden Geblüthe befreiet, und dessen ordentlicher
Lauf wieder hergestellet werde»); b) Entkleidung und Abtrooknung; der
Verunglückte soll mit trockenen Kleidern, Decken, Kotzen bedeckt werden;
c I Einleitung der künstlichen Atmung durch direkte Einblasung von Luft
oder mit Hilfe eines Blasbalges u. s. w. — ü. Unterricht, wie von Kohlen-
dunste erstickte Menschen gerettet werden sollen. Mittel : Die Entfernung
des Verunglückten vom Thatorte und Ueberbringung auf die freie Luft,
Aderlass, Bespritzungen mit kaltem Wasser und im Allgemeinen die Ein-
leitung künstlicher Atmung. (Vor Verabreichung von Brechmitteln wird
aufs Eindringlichste gewarnt.) — IIL Unterricht, wie allem Unglücke von
dem in den Kellern gährenden Moste sowohl vorzukommen, als auch den
Erstickten die nöthigen Hülfsmittel verschaffet werden sollen. — IV. Unter*
rieht, was vor der Reinigung lange verschlossener Brunnen zu unternehmen
und mit welchen Hülfsmitteln die darin erstickten Menschen zu retten
seyn. — V. Unterricht von dem Sonnenstiche. Anknüpfend an diese Instruk-
tion wird am 1. Feber 1781 das Bettungsverfabren beim Bisse wütender
Hunde publicirt. Selbstverständlich im Oeiste der damaligen antirabischen
Ansichten, beschränkte sich diese Instruktion beinahe nur auf Präventiv-
massregeln, Symptomatologie und widmet der Therapie (Auswaschung mit
Urin, lauem Salzwasser, Aufritzung mit einem spitzig-scharfen Instru-
mente etc.) nur primitive Aufmerksamkeit.
Am 31. Jänner 1783 werden die Behörden beauftragt, die Schrift des
Protomedicus Störk «Von der Heilung des tollen Hundsbisses» allgemein
bekannt zu machen.
Am 3. Feber 1783 wird noch eine Supplement-Instruktion für die
Giirurgen herausgegeben, die sich hauptsächUch mit dem zu befolgenden
Heilverfahren befasst,*
Der dritte Punkt des Capitels, das die Krankheiten umfasst, behandelt
die Verfugungen, mittels welcher der Verbreitung der Krankheitsübel vor-
zubeugen ist. Diese erstrecken sich auf die Massregeln zur Localisirung der
Lustseuche, Lungensucht und endemischen Leiden (2. August 1783, 30. Jän-
ner, 3. JuH 1784 und 26. September 1789; 19. September 1785; 21. März
1785, 19. Juni 1787.)
Wichtig ist die Verordnung vom 21. März 1785, «wie die medizini-
schen Berichte über die Eigenschaft der an verschiedenen Orten des König-
reichs beobachteten, besonders endemischen Krankheiten, alljährlich von
^ Kereszturi 1. c. S. 171.
Uoguiseh« B«tim XI. 1891. I. Heft.
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66 UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSYER0RDNUN6EN JOSEFS DBS H.
den Gespanschaftsärzten verfasst und an die Landesstelle * gesendet werden
sollen, i Dieser Verordnung gemäss sollen nämlich die endemischen Krank-
heiten, c welche bisher in den Tabellen namentlich angeführet wurden, häufig
auch ausser der Tabelle umständlich und deutUch beschrieben werden. • Das
statistische Material, nach angeführten Fragen geordnet, soll eine Art von
Sammelforschung repräsentiren und für die Herausgabe eines literarischen
Unternehmens «Acta Medica Hungaria» verwertet werden. (Die Herausgabe
einer solchen Zeitschrift wurde wiederholt geplant, doch immer erfolglos.
So auch im Jahre 1787, 1819, 1823, bis endlich im Jahre 1830 die erste
ungarische med. Zeitschrift «Orvosi Tär» (Medizinisches Magazin) zu
erscheinen begann.)
Das vierte Gapitel der Sanitätsverordnungen umfasst das Arzneiwesen
mit Bezug auf die unentgeltliche Verabreichung der Arzneimittel seitens der
Landesverwaltung, auf den Verkauf ausserhalb der Apotheke, gesundheits-
schädliche Mittel etc.
BezügUch der kostenfreien Verabreichung von Arzneimitteln, bestimmt
eine allerhöchste Entschliessung vom 12. Dezember 1780 Folgendes : «Wenn
in irgend einem Bezirke die Gefahr der Krankheit stärker wird, sollten die
nöthigen Untersuchungen durch Aerzte sogleich veranlasset, und für die
armen Leute aus der Cassa domestica angeschafft, auch den Landleuten
überhaupt, so gut es geschehen kann, mit Vorstellung der daraus erfolgen-
den Gesundheit, die gewöhnliche Abneigung gegen Arzeneien benommen,
und die Nothwendigkeit ihnen fühlbar gemacht werden, dass sie in Erkran-
kungsfällen den nächsten Heil- oder Wundarzt, die ohnehin verpflichtet
sind, den Unterthanen unentgeltlich beizuspringen, sogleich herbeirufen
müssen.»
Die Bestimmung der Constitutio rei sanitarise vom Jahre 1770, wonach
«den Materialisten, Marktschreiern, Gewürzkrämem, Distillanten, Okulisten,
Operateurs u. dgl. Leuten» die Herstellung und der Verkauf von Arznei-
mitteln untersagt wird, wurde abermals bestätigt und auch auf die soge-
nannten «Oelmänner» — denen bisher «der Handel mit Oel und Wasser
in so weit, als diese unter die Klasse der Simplicia gehören» gestattet war —
geltend gemacht (31. Jänner 1777), unter Androhung der Confiscirung ihrer
Waaren und Abschiebung in die Heimat (20. März 1786).**
Zur Hintanhaltung des Geheimmittelschwindels wird am 30. Jänner
1787, «sämmtlichen Druckereien bei schwerer Ahndung verboten für
* An den k. Stattbaltereirat.
** Trotz dieses Verbotes wanderten — nocb bis zum Ausbrucbfe der ersten
französiscben Bevolution — alljäbrlicb nabezu 300() solcber Oeknänner (Olejkari)
bauptsäcbüch aus Oberungarn nacb Frankreicb, wo ibnen ibr Rosmarin wasser, das
sogenannte Eau de la reine d'Hongrie, sebr teuer bezablt wurde.
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UNGARN BETREFFENDE 8ÄNITATSVER0RDNÜNGEN JOSEFS DES H.
67
Quacksalber und dergleichen Leute, Zettel zu drucken, wodurch sie gegen
Warzen, zum Haarwachsen, gegen Hühneraugen (Leichdome) an Fassen,
Zahnschmezen, sowie gegen Wanzen, Mäuse etc. sogenannte Arcana anzu-
kündigen und zu empfehlen suchen.»
Die verbotenen Arzneimittel dürfen nur dann veräussert werden, wenn
sie von einem «ordentlichen Medico» für brauchbar befunden worden sind
(Bescript ddo 18. Jänner 1787).
Vom wahren Sinne für das Gesundheitswesen zeugen die Verordnun-
gen, die sich auf die Hebung des Bades Balatonfüred beziehen. Josef U.
schenkte diesem, damals im eigentlichen Werden begriffenen Kurorte eine
Aufmerksamkeit, der allein das Bad seine Entwicklung verdankte. Die
Anordnungen, die sich auf Füred beziehen, haben einerseits den Zweck,
seinem Mineralwasser Verbreitung zu verschaffen, andererseits aber den
Kurort dem In- und Auslande zugänglich zu machen. Bezüglich der Versen-
dung des Mineralwassers ins Ausland wird die Verfügung getroffen, dass die
in Gegenwart des Brunnenarztes regelrecht zu füllenden Flaschen mit einem
Siegel mit der Aufschrift : Föns Acidularum Fürediensis zu versehen sind.
Versendungen ins Ausland dürfen nur im Frühjahr geschehen. Der Gebrauch
des Wassers für eigene Person ist Jedermann gestattet. (Intimat ddo
lo. November 1785.) — Essoll auf die Reinhaltung der Umgebung der
Quellen geachtet und auch die Vermengung von Süsswasser mit dem Was-
ser des Sauerbrunnens hintangehalten werden. (19. April 1784.)
Laut eines Rescriptes vom 20. Feber 1786 «ist bei dem Füreder
Brunnen ein Heilarzt mit 400 Gulden jährlichen Gehalts, ein Wundarzt mit
200 Gulden und ein Apotheker mit 100 Gulden von der Herrschaft anzu-
stellen, diese aber bezieht alle Einkünfte von der AnfüUung und Verkorkung
der Flaschen.»
«Der Arzt des Sauerbrunnens ist gehalten, den Armen und den Sol-
daten, nach Inhalt des Amtsunterrichts vom 1. Nov. des J. 1785, unentgelt-
lich Hülfe und Wartvmg zu widmen.» (^0. Feber 1786).
«Die Kenntniss der landesüblichen Sprachen ist dem am Sauerbrunnen
angestellten Wundärzte um so nötiger, als er, vermöge des Sanitätsnormals
vom J. 1773 in Abwesenheit oder im Verhinderungsfalle des Leibarztes,*
auch innere Krankheiten behandeln muss.» (Bescript ddo 6. März 1786.)
Was die Verwaltung des Kurortes anbelangt, wird am 19. April 1784
die Verfügung getroffen, dass «ein wohlhabender und in Ansehen stehender
Beisitzer der Gerichtstafel die Kurzeit über die Stelle eines Polizei-Gommis-
särs vertrete und nicht nur die Befolgung aller bisher ergangenen Polizei-
und Verbesserungs- Anstalten eifrig besorge, sondern überhaupt alles, was
-zur Beförderung der bereits getroffenen und noch sonst zu treffenden Mass-
* Im Sinne tals Arzt für innere Leiden» zu verstehen.
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UNGARN BETREFFENDE SANITATSVERORDNÜNOEN JOSEFS DES H.
regeln abzweckt, sie mögen die Sicherheit und Bequemlichkeit der Gäste-
oder die Beinigkeit des Brunnens zum Gegenstand haben, als Oberaufseher
über sieh nehme.» Es soll auch eine Wohnungstaxe festgesetzt und dieselbe^
im Mietkontrakt bestimmt werden. (19. April 1784.)
Am 23. Mai 1786 wird die Zahl und Taxe der Wohnräumlichkeiten
in Füred veröffentlicht. Es befanden sich «mit Ausschluss der 4 Speisesäle
und des Billiardzimmers bei den 2 Sauerbrunnen und in den benachbarten
Dörfern Fured, Aracs und in den Weingebirgen 170 Zimmer, 51 Küchen
und für 319 Stück Pferde hinlängliche Stallungen. In den an dem Sauer-
brunnen unmittelbar anliegenden Gebäuden sind 75 Zimmer, 7 Küchen,,
welche 80 Pferde zu fassen hinlänglich sind, wie auch einige Wagen-
schoppen.»
Die Taxe der Zimmer wird folgendermassen festgesetzt: «Zimmer
vom ersten Range werden um 30 Kreuzer, zwei andere jedes um 24 kr., die
übrigen gemalenen Zimmer zu 18 kr., nicht gemalene um 15 kr., die
hölzernen Unterdach-Zimmer eines um 9 kr., auf 24 Stunden gelassen.»
(Intimat vom 20. Mai 1786). Am 19. April 1784 und 15. November 1785 wird
die Errichtung von Gasthäusern angeordnet, «wo jeder Gast nach seinem
Geschmacke und seinen Vermögensumständen, wie er will, gegen eine mas-
sige, zum voraus bekannte Taxe, bewirtet werden kann.»
«Die Speisen sollen gut, reinlich und so zubereitet, dass sie auch
Personen von schwächerer Gesundheit gemessen können, in Totiser Thon-
geschirren aufgetischet werden.» (23. Mai 1786.) Im Intimate vom 19. April
1784 wird die Anlegung von Alleen am Ufer des Plattensees und den Stras-
sen, die stricte Beobachtung der Reinlichkeit, die Gangbarmachung der
Zufahrtsstrassen, bequeme Beförderung etc. anbefohlen.
Diesen in jeder Hinsicht vorzüglichen Anordnungen verdankt der Kur-
ort seinen fernem Aufschwung.
Das fünfte Capitel der Stmitätsverfügungen betitelt sich : «Von Erhal-
tung des allgemeinen Gesundheitsstandes in Bücksicht auf die angränzenden
Länder.»
Durch die Regelung des Gontumazwesens und Einführung eines
Absperrungssystems kam Ungarn sozusagen in einen internationalen Sani-
tätsverkehr.
Die ersten Pestordnungen, wie z. B. jene vom Jahre 1506, 1521, 1551,
1558, 1562 beschränken sich grösstenteils auf die interne Localisirung
der Ansteckungsgefahr; erst im Jahre 1690 finden wir die Verfügung, dass
wegen der in Ofen herrschenden Pest alle nach Wien Beisenden in der Stadt
Pest eine vierwöchentliche Gontumaz zu halten haben.* Ebenso wurden inii
Linzbaner Codex I. S. 335.
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UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNÜNGEN JOSEFS DES U. ^^
Jahre 1691 an der unganscben Grenze Contumazanstalten errichtet.^ cQoa-
rantän-Häuser» ordnet femer die von Kollonics^ischof von Baab^ verfasrte
und für Ungarn bestimmte Pestordnung vom Jahre 1692 an.^ Am 20. No-
vember und 27. Dezember 1709 wurde eine «Absperrungs-Norm für Ungarn
festgesetzt und durch die königl. ungar. Hofkanzlei den Gomitaten des Lan-
des mitgeteilt.^ «Ambulante» Contumazanstalten wurden 1712 in der Nähe
Pressburgs errichtet^ wo die Deputirten des Beichstages sich einer Beinigimg
unterziehen mussten.^ Diesbezügliche Verordnungen wurden noch am
11. September und 24. November 1713 erlassen. In Folge des Auftretens
•der Pest in der Türkei im Jahre 1726 wurde am 16. September anbefohlen,
«in denjenigen Orthen, wo bis dato keine Gontumazhäuszer sind, solche also-
gleich zu erbauen und in brauchbaren Stand zu setzen.»^ Am 3. Feber
1734 wurde die Errichtung einer Contumazanstalt gegen Bosnien am Berge
Oapella und in Sluin angeordnet.® 1738 wurden in Peterwardein imd Sza-
lankemen Gontumazhäuser eingerichtet.^ Im Jahre 1741 wurden im Grenz-
gebiete bleibende Contumazanstalten errichtet; ebenso im Jahre 1755, 1760
(Vissö und Buskova-Poljana in der M&rmaros), 1769 (Borsa, Körösmezö
und Vereczke), 1770 (Eom&mik und Gabolto gegen Polen und die Moldau.)
Die Bestimmungen vom J. 1770 ordnen die Leitung derbleibenden
Contumazanstalten an.^
Die in der Constitutio normalis vom Jahre 1770 enthaltenen diesbe-
zügUchen Bestimmungen standen während der folgenden Pestjahre in voller
'Giltigkeit.
Die damals fungirenden Contumazstationen waren : Borsa (Com. Mar-
maros), Mehadia, Zsuppanek, Pancsova (Temeser Banat), Banovcze, Semlin,
Mitroviczn, Brod, Gradiska (Slavonien), Szluin, Badonovacz, Eosztanicza
(Kroatien), in Siebenbürgen: Bothenthurm, Tömös, Terzburg, Buzan und
Vulkan (gegen die Walachei), Bodna, Ojtos, Csik-Ghymes, Bizicske (gegen
die Moldau).
Die Verordnungen unterscheiden nach der Beschaffenheit der ein-
laufenden Nachrichten in der Zeit der Contumaz 1. die kürzeste Dauer
<21 Tage), 2. die mittlere Dauer (28 Tage), 3. die längste Dauer (42 Tage).
«Obschon den Sanitätsobrigkeiten eingeräumet ist, mit Genehmigung der
Xandesstelle, den Grad der vorgeschriebenen Contumazdauer nach Beschaf-
^ linzbauer I. 8. 338.
' Linzbauer I. S. 342.
■ Lmzbauer I. 8. 391, 396.
* Lmzbauer I. 8. 410.
* Linzbauer 11. 8. 4.
• Linzbauer 11. 8. 49.
' Linzbauer EL 8. 98.
• Linzbauer L 8. 821. 11. 8. 535.
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70 UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNOEN J0ßEF8 DES II.
fenheit der einzuholenden verlässlichen Nachrichten, den Umständen mit
Behutsamkeit anzuschicken, die oftmahls von der Dringlichkeit sind, keine
Anfragen zu gestatten, so wird ihnen doch hiermit ernstlich aufgetragen,
hierin mit Klugheit vorzugehen, durch übermässige Strenge dem Wohlstande
des gegenseitigen Handels und der freundschaftlichen Nachbarschaft, ohne
gute Ursachen, nicht beschwerlich zu fallen. Jede Fristverlängerung aber
sollen sie dann sogleich mit allen Umständen und Ursachen, durch die
Landesstelle und ungarische Hofkanzlei uns anzeigen, den einmahl erhöhe-
ten Termin aber, ohne vorläufig die Ursachen der Herabsetzung hinterbracht
und weitere Verhaltungsbefehle zu haben, für sich allein nie mindern.»
Zur Hintanhaltimg der Ansteckungsgefahr wurden Sanitätskordone
aufgestellt. «Wenn nun das gefährliche Pestübel wirklich in den türkischen
oder anderen angränzenden Landschaften ausgebrochen seyn sollte, so wird
dieser Pestkordon, wo er noch nicht besteht, aufzustellen, oder wo er schon
besteht, nach Massgebung der Umstände, dermassen zu verstärken seyn,
dass die ausgesetzten Posten, davon einer den andern ohnehin allezeit, so
viel möglich im Gesichte behalten, umso enger zusammengezogen, oder
auch bei gefährlichster Dringlichkeit, nebst dem auswärtigen Kordon wohl
gar ein zweiter formirt werde, um durch solche Mittel alle Zugänge aus
den verdächtigen Gegenden auf das strengste zu beobachten.»
•Es sollen die Kordonsposten, die allenfalls an der Gränze eines Orts
ankommenden Personen sogleich zurück oder in die otfen stehende Kon-
tumazstation weisen, im Falle der Weigerung aber, wenn die Ermahnung
nichts verfinge, und eine Person mit Gewalt eindringen wollte, sie zu Folge
des unter dem 25. August 1766 ergangenen, und überall kundgemachten
Strafgesetzes an der Stelle todtzuschiessen keinen Anstand, überhaupt aber
sich zur Eichtschnur nehmen, dass aus dem türkischen Gebiethe je und
allezeit der Eintritt in die Erbländer auf keine andere Art, als durch die
Kontumazstationen auf die vorgeschriebene Weise gestattet sei. » »Ohne Keini-
gungsurkunde — Zeugniss über die mit Erfolg bestandene Quarantaine —
soll kein Ankömmeling beherberget werden.» «Wider solche unvorsichtige
Aufnehmer soll mit den empfindlichsten Strafen vorgegangen werden, die
bei gefährlichen Umständen verschärfet, und bei der in dem angränzenden
Gebiethe wirklich wüthenden Pest wohl gar bis zur Todesstrafe vergrössert
werden sollen.»
Dem Kontumazdirektor wird die Instandhaltimg des Kontumazgebäu-
des, eine sorgfältige Absonderung der verdächtigen Menschen, Viehe und
Waaren und die Beobachtung der Bequemlichkeit für die in Quarantaine
befindlichen Personen zur Pflicht gemacht.
Die königl. Statthalterei hat die Kontumazstationen alljährlich durch
einen Arzt tmtersuchen zu lassen.
Die die Station passirenden Personen, Fuhren, Waaren etc. sind aufs
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URGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN JOSEFS DES H. 'I
sorgfaltigste ZU visitiren. «Falls sich in der Visitation bei einer Person wirk-
liche Zeichen der Pest veroffenbarten, ist dieselbe ohne Ausnahme zu ent-
lassen, und zu entfernen, auch im Weigerungsfalle mit Gewalt anzuhalten,
sich sammt Vieh und Habseligkeiten zurück zu begeben.» «Wenn hingegen
bei der vorgenommenen Untersuchung keine Anzeichen einer Ansteckung
sich offenbaren, ist zu der vnrklichen Reinigung in den vorgeschriebeneu
Zeitfristen nach folgenden Massregeln zu schreiten :
Vor allem sind die Personen in abgesonderte Wohnungen zu bringen,
und dann ist entweder durch sorgfältige Verschliessung oder allenfalls
durch erforderliche Sanitätswächter, die nach Beschaffenheit der Umstände
in genügsamer Anzahl den Kontumazpersonen beizugeben sind, dafür zu
sorgen, dass keine Vermischung zwischen den Kontumazpersonen und
Gesunden, oder zwischen Kontumazpersonen von verschiedenen Perioden
erfolgen möge ; denn bei der mindesten Berührung würde, nicht nur ein
Gesunder oder Unverdächtiger, wegen der vorgegangenen Berührung und
des darauf gegründeten Verdachtes, die Kontumaz mitzumachen haben,
sondern auch die bereits angefangene Kontumaz würde auf das neue anzu-
fangen haben.»
Der Kontumazdirektor soll auch für die Möglichkeit einer billigen und
sorgfältigen Verpflegung der in Quarantaine befindlichen Personen sorgen.
«Wenn die Kontumazpersonen Gelder und Briefschaften bei sich
haben, muss das Geld mit warmem Wasser, und bei verdächtigen Zeiten
mit Essig durch die mit den Kontumazpersonen ausgesetzten Eeinigungs-
knechte gewaschen werden. Die Briefschaften aber sind bei guten Zeiten,
blos mit dem gewöhnlichen Pestrauche auszurauchen, bei verdächtigen
Umständen folglich erhöhter Kontumazfrist aber durch warmen Essig zu
ziehen, und sodann erst abzugeben. »
Wäsche soll sorgfältig gewaschen, Kleider gelüftet werden.*
Die Kontumazprotokolle sind vorschriftsmässig zu führen, giftfangende
Waaren (merces susceptibiles) von nicht giftfangenden abzusondern. Als
giftfangende Waaren werden solche bezeichnet, «die fähig sind den EEauch
einer ansteckenden Krankheit an sich zu ziehen, und wieder mitzutheilen»,
als nicht giftfangende, «welche einer solchen Ansteckung unfähig sind.»
Unter den letztern werden angeführt: Alaun, Aloe, Antimon, Arsenik,.
Blech, Butter, Borax, Calmus, Caffee, Corallen, Cremor Tartari, Datteln^
Diamanten, Eicheln, Esswaaren, Feigen, Fleisch, Fische, Getreide, Glas,
Gummi, Holz, Honig, Ingwer, Kampfer, Käse, Limonen, Mandeln, Mar-
mor, Metalle, Mehl, Gel, Opium, Porcellan, Perlen, Pech, Pfeffer, Quecksil-
* Bezüglicli der Beinigung der Kleidung wurde den sog. Keinigungsknechteu
die Beobachtung der in Chenot'B «Abhandlung von der Pestseuchet (Cap. IV. u. V.)
enthaltenen Vorschriften zur Pflicht gemacht. (Rescr. vom 18. August 1785).
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72 UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN J08EP^ DES II.
ber, Reise, Safran, Salz, Stärke, Spargel, Torf, Vitriol, Wein, Wachs, Zucker,
Zimmt, 2iinn u. m. A.
Diejenigen, die eine aosgebrocbene Pest verfaeimlicben, werden bei
einreissender Gefabr mit dem Tode bestraft.
Nach Ablauf der Kontumazdauer sind die Betreffenden nacb erfolgter
Visitirung durch den Arzt mit einem Beinigungszeugnisse verseben zu
entlassen.
Der Direktor hat allmonatlich einen kurzen Bericht an die Statthai-
terei einzusenden,
Der Stationsarzt soll den Direktor in seinen Agenden unterstätzen,
die in der Station befindlichen Personen unentgeltlich behandeln etc. Die
Beinigungsknechte, Sanitätswächter haben in ihren Obliegenheiten mit der
nötigen Vorsicht und Sacbkenntniss vorzugehen.
Zur Erleichterung des Dienstes wird eine übereinstimmende «Beini-
gungstaxordnungi festgesetzt. So wurde z. B. für die Beinigung von
100 Pfund roher und gesponnener Baumwolle 15 kr., von 100 Pf. Flachs
16 kr, von 100 Stück Hemden 10 kr, von einer Ochsen-, Pferde oder Kuh-
haut Va, von einem Fuchsbalge ^/4, von einem Paar türkischer Stiefel
(ocreae turcicae) ^4, von 100 Pf. Schafwolle 15, von einem Zentner Seide 25,
von 100 Pfund Tabak 7Va, von Hausthieren 1 — 3 kr. gezahlt.
Am 10. Jänner 1783 vrird die Verfügung erlassen, «wie wegen der
im türkischen Gebiete herrschenden Pestseucbe Gewissheit zu erhalten ist.»
«um Gewissheit zu erhalten, ob in den türkischen Provinzen, welche mit
den k. k. Staaten gränzen, die Pest wirklich herrschet, und daher ein
gegründetes Besorgniss einer Ansteckung vorhanden sei, ist mit der Bepublik
Venedig, mit welcher vermöge Verträgen die Angelegenheiten des öffent-
lichen Gesundheitsstandes gemeinschaftlich behandelt zu werden pflegten,*
das Einverständniss getroffen, dass von jeder Seite erfahrne Aerzte abge-
sandt werden sollen, welche sorgfältig zu erforschen haben, ob in den tür-
kischen Ländern die Pest herrsche, und also ein zureichender Grund die
strenge Kontumazverwahrung notwendig mache. Sie werden darüber
genaue Berichte erstatten, nach deren Inhalt die nötigen Vorsichten zu
ermessen sind.»
Ein Bescript vom 14 Sept. 1786 verfügt Folgendes: «So noth wendig
die Vorsicht gegen das Pestübel ist, so sorgfältig ist dahin stäter Bedacht zu
nehmen, dasa man davon sogleich zuverlässige Nachrichten einziehe ; denn
oft geschieht es, dass Kaufleute, die mit einem geringen Yfaarenvorrathe am
den angränzenden Ländern ankommen, wenn sie wissen, dass bald ein gros-
■^ S. diesbezüglich die a. h. Entschliessung vom 16. September 1726. ap. Linzbauer
II. S. 3. Verfügungen Venedigs zur Hintanhaltung der Ansteckungsgefahr in Form
Ton Eontumazanstalten und Quarantainen datiren schon vom 14. Jahrhundert.
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UNGARN BETREFFENDE SANn'ÄT8VER0RDNUNöEN JOSEFS DES II.
73
serer Vorrath eben dieser Waare folgen soll, damit sie mit diesem die Kon-
kurrenz vermeiden, Geiiichte von einer ausgehrochen en Pest ausstreuen ; es
sollen daher, so lange das Uebel noch so weit entfernet ist, die Kontumaz-
nmchen nicht vermehret, und die Ankömmlinge, nach gehöriger Reinigung
mid Abwaschung, wenn sie ihre Kleider nicht mit sich nehmen wollen, nur
durch drei Tage in der Kontumaz behalten werden ; aber auch diese Vorsicht
hat nur so lange zu währen, bis sichere Nachrichten eingehen, und wenn
vermöge derselben keine Gefahr obwaltet, ist die Kontumaz gänzlich auf-
zuheben.»
Zu den Josefinischen Sanitätsverordnungen gehören noch die Bestim-
mungen «von den politischen Verbrechen, die dem Leben oder der Gesund-
heit der Mitbürger Gefahr oder Schaden bringen.» Diese sind in dem «allge-
meinen Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung vom 13. Jänner
1787» (2. Teil 3. Cap.) enthalten und zählen 10 Paragrafe (§. 19— §. 29).
Nach §§19, 20 und 21 machen sich Private und auch Apotheker, «die
•durch Verkauf einer Giftwaare ihren Nächsten Schaden zufügen oder auch
nur einen entfernten Anlass zur Beschädigung gegeben haben, verbotene
Arzneien verkaufen, oder dieselbe falsch zubereiten» eines politischen Ver-
brechens schuldig und sind mit «hartem Gefängniss oder öffentlicher Arbeit»
resp. («wenn des Verbrechers That nur die entfernte Gelegenheit zur Beschä-
digung war») «mit zeitlichem strengem Gefängniss» zu bestrafen.
«Wenn einem Kinde, oder einem Menschen, der sich selbst gegen
<7efahr zu schützen nicht vermag, durch Ueberfahren, in das Wasser fallen,
eigene Verletzung, oder sonst auf eine Art Tod und Verwundung zugefüget
worden, welchen durch die schuldige Aufmerksamkeit desjenigen hätte aus-
gewichen werden können, dem die Aufsicht über das Kind, oder einen
«olchen Menschen aus natürlicher Pflicht, oder aus obrigkeitlichem Auf-
trage oblag, so ist dessen Sorglosigkeit ein politisches Verbrechen» (§22).
«Insgemein ist die Strafe dieses Verbrechens zeitliches gelindes Gefäng-
niss Dasselbe muss aber, wenn Tod oder schwere Verwundung erfolget ist,
nach dem eintretenden höheren Grade der Sorglosigkeit verschärfet wer-
<ien» (§ 23).
Durch schnelles Reiten oder Fahren verursachte Beschädigung oder
Tödtung ist ebenso zu ahnden (§ 23).
Eines politischen Verbrechens macht sich schuldig (§25) derjenige,
<ler aus einer kontumazirten Provinz auf Umwegen ins Land kommt oder
Waaren importirt ; h) der ohne vorgeschriebene Meldung den Kordon passirt ;
€)der durch Angabe eines falschen Abgangsortes die Kontumazbehörde
irreführt; d) der Passirscheine fälscht oder den Fälschern solcher Vorschub
leistet; e) der sich eines auf fremden Namen ausgestellten Zeugnisses
bedient;/) der eine derartige Handlung verheimlicht; g) der vor erfolgter
Beinigung die Kontumazstation verlässt; h) der vor vollendeter Kontumaz
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74
UNGARN BETREFFENDE SANITATSVERORDNUNGEN JOSEFS DES H.
mit gesunden Personen in Verkehr tritt ; i) eine gesunde Person, die mit
den in Quarantaine befindlichen Personen ohne Erlaubniss der Kontumaz-
behörde in Verkehr tritt. Ferner machen sich des politischen Verbrechens
schuldig Beamte, die aj Personen und Waaren auf unerlaubten Wegen
passiren lassen ; b) die falsche Gesundheitspässe ertheilen; c) die auf einen
falschen oder unrechtmässig gebrauchten Gesundheitspass jemanden durch-
lassen; dj&VLch der Unterbeamte, welcher von einer solchen unerlaubten
Durchlassung in das Land, Entlassung, oder Entweichung aus der Kontumaz
Wissenschaft hat, ohne sogleich die Anzeige zu machen. Endlich begeht
auch ein politisches Verbrechen jeder, a) der Personen oder Waaren zu
Umgehung der ausgezeichneten Wege, durch Rat, W^egweisung oder auf
sonst immer eine W^eise behülflich ist ; b) wer fremde Personen oder Waaren
aus verdächtigen Gegenden ohne das gehörige Gesundheitszeugniss und Pass
übernimmt, frachtet, befördert ; c) wer in den dem Pestkordon nahe liegen-
den Ortschaften fremde Personen oder Waaren ohne alles Gesundheits-
zeugniss, oder ohne dass das Gesundheitszeugniss nach Vorschrift von der
Obrigkeit recognoscirt worden, beherbergt. Unterstand gibt.»
Solche Verbrecher sind dem Militärgerichte zu übergeben * «und von
demselben allein nach den Gesetzen abzuurtheilen, die zur Sicherheit der
Erbländer nach Verhältniss der Gefahr zu erlassen nöthigseyn wird.» (§ 26).
Als Vergehen gegen die Sanitätsvorschriften wird noch betrachtet,
a) «wenn todtes Vieh in einen Brunn, Bach, Fluss geworfen wird ; b) wenn
bei dem in einer Viehseuche gefallenen Viehe die durch die Sanitätsgesetze
bestimmten Vorsichten übertreten werden ; c) wenn jemand die an seinem
Viehe entdeckten Zeichen der Wuth anzuzeigen unterlässt ; d) wenn an
gangbaren Orten Fangeisen (laqueum ferreum) aufgestellt, oder Fanggruben
gegraben werden» (§ !27). «Die Strafe dieses Verbrechens ist öffentliche
Arbeit mit oder ohne Eisen, deren Dauer nach dem Verhältnisse des Scha-
dens zu bestimmen, so durch seine Handlung entstanden ist.» (§ 28).
Wenn wir die in das Sanitätswesen einschlägigen Verfügungen Josef
des II. betrachten, drängt sich uns die Anerkennung und Bewunderung für
den Schöpfer derselben auf.
Wenn die Folgen auf diesem Gebiete auch seinen edlen Intentionen
nicht vollkommen entsprachen, werden wir dennoch in Josef dem II. den
eigentlichen Begenerator unseres Sanitätswesens betrachten müssen. Er war
bestrebt das kostbare Gut der Gesellschaft mit allen ihm zu Gebote stehen-
den Mitteln zu bewahren, das geistige und materielle Wohl der Bürger zu
fördern. Die während seiner zehnjährigen selbständigen Eegierung geschaf-
fenen Sanitätsverordnungen überraschen nicht nur durch ihre Zahl, son-
"^^ Am 9. Feber 1776 wiirde nämlich die Leitung des Samtätswesens im Grenz-
gebiete dem k. k. Militärstande übertragen«
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BrDAPEST von HINDERTSIEBZIG JAHREN. 75
dem auch durch ihren in jeder Hinsicht modernen Anstrich, durch ihre
Vielseitigkeit und wissenschaftlich begründete Logik, so dass sie es wohl
verdient hätten] — nicht nur des historischen Werts wegen — die Grundlage
unseres heutigen, eingestandener Massen höchst mangelhaften Sanitäts-
gesetzes zu bilden.
Wien, Oktober 1890. Ion. Schwarz.
BUDAPEST VOK HUNDERTSIEBZIG JAHREN.
Aus einem Vortrage von Alad4r Ballagi.
Ein arabisches Sprichwort sagt, dass da, wohin der Türke einmal seinen
Fuss setzt, kein Gras wächst. Wenn das wahr ist, so trägt keineswegs der Islam
die Schuld daran ; denn die Araber vermochten, wenn sie auch Bekenner des Islam
waren, durch ihre civilisatorischen Schöpfungen in Bagdad, in Spanien und Nord-
afrij£a die Welt in Erstaunen zu setzen. Bei den Türken scheint es mehr ein Fehler
der Bace zu sein, dass sie keine Organisatoren sind. Thatsache ist, dass ihre lange
Herrschaft auf die Städte Ofen und Pest eine ungemein verheerende Wirkung
hatte. Ein trauriges Bild dieser Verwüstung entwirft uns der Kaschauer Bürger-
meister Johannes Bocatius, der die beiden Städte im Jahre 1 605, ungefähr um die
Mitte der Türkenperiode, besuchte. Ueberall sah er blos elende, fast ungedeckte
Hütten, aus Lehmziegeln errichtete Häuser und mit Stroh verstopfte Fenster;
auch die wenigen grösseren Gebäude waren verraucht und schmutzifr, die Kirchen
wurden als Viehställe benützt, aus den Friedhöfen hatten die Türken die marmor-
nen Grabmonumente auf die Strasse geschleppt und benützten sie als Sitzplätze,
um ihre Barte in der Sonne trocknen zu lassen, oder als Verkaufsstände für ihre
Waaren. Als der wackere Bürgermeister von Ofen nach Pest herüberkam, konnte
er sich nicht enthalten auszurufen : «0, Pest, wie treffend ist dein Name, denn du
bist eine wirkliche Pestilenz ! »
Der aussergewöbnliche Verfall beider Städte, und besonders Ofens, wäre
nur in dem Fall zu entschuldigen gewesen, wenn dieselben zur Zeit der Türken-
herrschaft ihres hauptstädtischen Charakters verlustig geworden wären. Dem war
aber nicht so ; denn auch während der Türkenzeit war Ofen die Hauptstadt ihrer
ungarischen Besitzungen, Residenzstadt eines Beglerbegs, noch mehr : Ofen war
der eigentUche Centralpunkt aller gegen die Christenheit gerichteten, grossmäch-
tigen Kriegsopeititionen. Ungeheuere Geldsummen und Wert« waren da in Ver-
kehr gesetzt, was bei jedem andern Volke, wenn sonst nichts, wenigstens Auf-
blühen der Stadt auf ewige Zeit gesichert hätte.
Ausser der Paschawirtschaft, welche um Vergangenheit imd Zukunft unbe-
kümmert blos das Heute im Auge hatte, trugen zum Verfalle Ofens die in den
1680-er Jahren sich öfter wiederholenden Belagerungen der Stadt viel bei. Als
nach der letssten Belagerung 1686 die kaiserlichen Sieger in die Festung einzogen,
fanden sie kein schützendes Dach unversehrt.
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7«
BUDAPEST VOR Hl NDERT8IEBZIO JAHREN.
Während der 150 Jahre dauernden Türkenherrgchaft war die alte unga-
risobe und deutsche Einwohnerschaft der beiden Städte fast verschwunden ; an
ihre Stelle waren Baitzen, die man ihrer Beligion wegen Griechen nannte, Kroaten
und Juden gekommen ; in der ersten Zeit nach der Wiedereroberung nahmen die
Baitzen durch neue Ansiedler bedeutend zu ; die besseren Elemente derselben trie-
ben Handel, die ärmeren brachen Steine in Steinbruch oder trugen Donauwasser
nach der Festung, deren Wasserleitung durch die wiederholten Belagerungen zer-
stört worden war. Die Kroaten hatten sich in grosser Menge in der heutigen
Wasserstadt niedergelassen, so dass man diesen Stadtteil noch lange Kroatenstadt
nannte, ja auch heute noch bewahrt das Andenken derselben die sogenannte
Kroaten-Gasse, Die Deutschen, zumeist kaiserliche Soldaten, Beamte und Hand-
werker, Hessen sich in grosser Anzahl in der Festung und in der nächsten Umge-
bung derselben nieder, während sich in der Neustift sehr viele wallonische, italie-
nische und spanische Soldaten aus dem kaiserlichen Heere ansiedelten. Auch von
der früheren türkischen Einwohnerschaft waren ungefähr hundert Familien hier
geblieben, die sich taufen Hessen und mit der christlichen Bevölkerung ver-
schmolzen.
Ofen war zu jener Zeit viel bedeutender, während Pest ein verwahrloster
kleiner Flecken war. Noch im Jahre 1709 zählte das letztere nicht mehr als
500 Einwohner, unter welchen es blos 16 Bürger mit einem für ihre Bedürfnisse
genügenden Einkommen gab. Die Stadt zählte damals 319 Häuser, von welchen
jedoch 151 vollständig leer standen. Ein Einkehr-Gasthaus und eine Bierbrauerei
waren die einzigen halbwegs städtischen EtabHssements.
Die Umgebung der heutigen Hauptstadt war eine unfruchtbare Haide. Der
Froschteich, der weisse und der Binsenteich breiteten hier ihre schlammigen
•Gewässer aus. Sümpfe und sandige Flächen umgaben die Hauptstadt in einem
mehrere Meilen betragenden Umkreise. Die nächsten Ortschaften waren Palota,
Föth, Mogyoröd, Peczel, Qyömrö, ÜllcJ, Öcsa, N^medi und Sziget-Szent-Miklös,
welche ursprünglich von Ungarn bewohnt, aber nunmehr fast vollständig verödet
waren. Um Ofen herum sah es noch wüster aus ; Tinnye, Tök, Päty und Bia waren
die nächsten Ortschaften im Umkreise desselben.
In der Umgebung von Pest wurden mit Ausnahme von Neupest alle grösse-
ren Gemeinden unter der Begierung Karls HI. von den Vorfahren ihrer heutigen
Bewohner besiedelt. Die bereits vorhandenen imgarischen und serbischen Ort-
schaften wurden durch neue Zuzüge verstärkt. Um jene Zeit wurden in der Umge-
bung der Hauptstadt slovakische Kolonisten in den Dörfern Csömör, Czinkota,
Kerepes, Ecser und Maglöd angesiedelt, da sich aber die Colonisation durch Inlän-
der als ungenügend erwies, so mussten zu diesem Zwecke Ausländer herbeigerufen
werden.
Die Hofkammer, in deren Bessort das Golonisirungswesen fiel, hatte es um
Jene Zeit als Princip aufgestellt, dass alle Colonisten ausschHessHch Deutsche und
römisch -kathoHsch sein müssen, daher kam es, dass sich in der Umgebung der
Hauptstadt blos Franken, Schwaben, Baiem und Oesterreicher niederHessen. In
Soroksär gibt es daher noch heute eine Frankengasse ; die heutige Schulgasse in
Pest hiess früher Untere Baumgasse, während der heutige Sebastianiplatz und
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BUDAPEST VOR HÜNDERT8IEBZIO JAHREN.
77
die Donangasse Obere Baiemgaase hiessen ; auch der Name des Schwabenberge»
in Ofen und in Bogddny bildet eine Erinnerung an jene Zeit.
Nicht blos die Hofkammer, sondern auch die Magnaten und Ordensgeistli-
chen waren eifrigst beflissen, die Schwabencolonisation zu befördern. Herzoge
Engen von Savojen besetzt in seiner lUczkeve-er Herrschaft mit schwäbischen
Colonisten die Gemeinden Csepel, Becse, Cs^p, Budafok, welch* letztere Oemeinde^
von ihrem Besitzer Promontorium Eugenii benannt wurde. Die früheren Colonisten
der Insel Csepel werden in bereits bestehende serbische Dörfer versetzt, woher die
alten Einwohner von den neuen Ankömmlingen verdrängt wurden.
In der Altofner Herrschaft; der Grafen Zichy wurden Budaörs, Budakeszi^
Solymär, B^käsmegyer, Bogd^y gegründet. Die Familie Szunyogh bringt Schwa-
ben nach Hidegküt, Graf Josef Eszterhäzy nach Vörösviir, Graf Grassalkovich
eolonisirt Soroksär, die Familie Vattay Nagy-KovÄcsi, der Wiener Benedictiner-,.
benannt « schottischer t Orden besetzt Jen6 und Telki, die Ofher Clarissen-Schwe-
stem colonisiren Boro8-Jen6 und Taksony. Zu gleicher Zeit wurden auch Harapzti,
Klein-Turbal und Szent-Ivto von Schwaben besetzt.
Dass solches Volk sich in der nächsten Nähe der Hauptstadt ansiedelte,
daraus ergaben sich später bedeutende Folgen für die Sprachen^ge. Die ihren:
Traditionen und ihrer Sprache treu anhänglichen deutschen Bewohner der Buda-
pest umgebenden Ortschaften versahen von Zeit zu Zeit die Vorstädte mit
deutschen Colonisten, bewirkten, dass der Markt vorläufig ein deutsches Ansehen
bekam, und wurden, ohne es zu wollen, wahre Hemmschuhe für die einheitliche^
Entwicklung des Magyarentums.
Von national ökonomischer Seite war es von besonderer Bedeutung, dass dio
deutschen Colooisten fast ausschliesslich Ackerbautreibende waren, und kaum hie
und da sich ein Industrieller befand. Das war zu jener Zeit ein wahrer Segen für
die Cnltur des Ofner Gebirges und des Räkos. Ackersleute waren nötig, um aus den
brachhegenden Gründen Aecker und Weingärten zu bilden. Unsere guten Schwa-
ben gelüstete es nicht, den Pflug zu verlassen. Seit hundertsiebzig Jahren weiss
man ausser Prof. Georg Volf, dem aus Gross-Turbal gebürtigen Hprachwissenschaft-
lichen Schriftsteller, Niemanden, der von den Deutschen der Ofner Gebirgsgegend
sich den Wissenschaften oder der Eimst gewidmet hätte.
So sehr es angezeigt war, die Umgegend der Hauptstadt mit tüchtigen
Ackersleuten zu besetzen, so nachteihg erwies es sich, dass auch die Hauptstadt
solche Einwohner in grosser Anzahl erhielt. Denn das Emporblühen einer grossen
Stadt wird nicht durch ackerbautreibende, sondern durch industrielle und handel-
treibende Bewohner bewirkt.
Mit der Einwanderung der ausländischen Deutschen, welche man hier unter
der Gesammtbezeichnung Schwaben zusammenfasste, beginnt die Geschichte des
modernen Budapest ; diese neuen Ankömmlinge drängten die hier vorgefundenen
Bewohner teils hinaus, teils vei*schmolzen dieselben mit ihnen. Diese neuen
Elemente waren intolerant und man erkannte auch hieraus, dass sie aus der
Fremde gekommen waren, da in Ungarn die Intoleranz früher nie Boden gefunden
hatte. Von ihrer Unduldsamkeit legt auch der Umstand Zeugniss ab, daas dio
Griechisch-Nichtunirten erst im Jahre 1721 nach schweren Kämpfen in die Reihe-
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BUDAPEST VOR HÜNDEBTSIEBZIG JAHBEN.
der Bürger aufgenommen wurden, dass nmn sie aber bereits im Jahre 1739 wieder
aus derselben hinausstiess. In Bezug auf Protestanten und Griechen gab es ein
städtisches Statut, welchem zufolge blos Diejenigen von ihnen innerhalb der
Stadtmauern geduldet wurden, welche schon früher hier gewohnt hatten, während
neue Ansiedler nicht mehr zugelassen wurden ; das Haus oder Grundstück eines
KathoUken durfte an keinen Protestanten oder Griechen verkauft werden ; die
Juden aber wurden noch imter Kaiser Leopold in der im Besitze der königlichen
Kammer befindlichen Gemeinde Aitofen intemirt.
Dagegen wurden den deutschen Katholiken von der Landesregierung Begün-
stigungen zuteil, welche heute fast fabelhaft khngen. Es war ihnen seclisjäh-
rige Steuerfreiheit versprochen worden, die Handwerker erhielten sogar eine
solche auf fünfzehn Jahre. Ausserdem erhielten die neuen Einwohner eine grosse
Anzahl sehr wichtiger Privilegien. Ln Jahre 1711 erhielten sie von der Kammer
nicht blos Hausgründe, sondern auch ganze Häuser unentgeltUch, gegen die
einzige Verpflichtung, dass sie den Grund im Verlaufe emer gewissen Zeit ein-
zäunen und das Haus neu aufbauen oder wenigstens bewohnbar herstellen
werden.
Regierungsbeamte, Generale, KammeiTäte, später auch die Comitatsbeamten
gelangten unentgelthch zu ungeheuren Grundstücken. Im Jahre 1715 erhielt der
Hofkammerrat Johann Georg Haruckern das in der damaligen Herrengasse (heute
Kecskemetergasse) gelegene Förster' sehe Haus sammt dazugehörigem Gnmde,
welches seither, wenn auch in veränderter Form — da es im Jahre 1 853 vollstän-
dig umgebaut wurde — unausgesetzt seiner Familie, das heisst den von der weib-
üchen Linie derselben abstammenden Grafen Wenckheim, gehört. Die Famiüe
Wenckheim ist demzufolge die älteste Realitäten besitzende Familie in der Haupt-
stadt. Die grossen Städte des Alföld : Kecskemet, Koros, Jäszbei-eny etc. bauten
hier zu jener Zeit grosse Häuser in der Fonn von Csärden, mit Einkehrwirtshäu-
sern und riesigen Höfen. Die Bürgerschaft sah die Comitatsherren gerne in ihren
Mauern und befreite ihre Häuser, wie z. B. dasjenige des Vicegespans des Pester
Comitates Söter, an der Stelle des heutigen « Kronen »-Kaflfeehauses in der Waiz-
nergrsse, des Grafen Grassalkovich in der Hatvanergasse etc. von allen Abgaben.
Das neue Pest und Ofen nahm einen ungemein raschen Aufschwung in Folge
der langen Friedensperiode, die nun eintrat. In Ofen erbaute der kaiserliche
Architekt und Stadtrichter Venerio Ceresola im Jahre 1715 das Stadthaus ; in dem-
selben Jahre wurde auch mit der Ausbesserung der Festungsmauern begonnen.
Das während der Erstürmung zerstörte Weissenburger Thor erhob sich aus seinen
rauchgeschwärzten Trümmern ; da-^ ehemalige Szombatthor wurde nach seiner
Renovirung Wienerthor, das Sankt-Johannistlior Wasserthor genannt. Auch die
alten ungarischen Gassenbezeichnungen gerieten in Vergessenheit; die ehemalige
Italienergasse wurde Herrengasse genannt, die Sankt- Paulgasse (heutige Land-
hausgasse) Beckengasse, und die Allerheiligengasse wurde der Paradeplatz ; aus
der Goldschmiedgasse (heute Fortunagasse) wurde die Wienergasse ; nur die Gasse
des heiligen Sigismund oder Judengasse wurde auch ferner alte Judengasse
genannt, obwohl durch dieselbe unter Karl IH. Juden nur am Tage verkehren
-durften und am Abend stets nach Altofen zurükkehren musst^n.
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BUDAPEST VOR HUNDERTSIEBZIG JAHREN.
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Weder die frühem Namen der Gassen, noch die der Stadtteile lebten in Ofen
Je wieder auf ; hingegen dauern die 1711 erhaltenen Benennungen bis auf den
heutigen Tag fort, zum Beweise dessen, dass in der Geschichte unserer Hauptstadt
die statige Entwickelung und die Beständigkeit mit dem Jahre 1711 beginnt,
d. h. nach Beendigung der Eäköczischen Bewegung, wo der ständige innere Fiie-
den des Landes seinen Anfang nimmt.
Pest, das heisst die heutige innere Stadt, war von einer Ringmauer umge-
hen. Seine Basteien waren mit sieben Bondellen versehen, von welchen zwei nach
dem Riikos, zwei auf die Donau gingen. Pest hatte drei grosse Tore : das Ofner-,
s^ter Waizner-, das Erlauer-, später Hatvaner- und das Czegl6der-, später Kecs-
kem^ter-Tor.
Das Vorhandensein einer Pilast«rmaut sollte darauf schliessen lassen, dass
die Stadt gepflastert war, allein der Umstand, dass es noch im Jahre 1801 blos
drei vollständig gepflasterte Gassen in Pest gab, lässt keine hohe Meinung über
das damalige Pflaster aufkommen ; von der Strassenreinigung geschieht im Jahre
1 722 zuerst Erwähnung, in welchem sie sammt der Erhaltung der Gefangnisse
und der Polizei auf 916 Gulden und 91 Vi Denare zu stehen kam. Freilich bestand
die ganze Polizei damals aus einem städtischen Wachtmeister und drei Trabanten.
Auch der städtische Beamtenkörper war noch sehr unanselmlich. Seine Mit-
glieder hiessen Senatoren, an deren Spitze der Stadtrichter mit einer Jahresgage
von 150 Gulden stand. Die sämmtlichen Gagen der städtischen Beamten und
Diener behefen sich jährlich auf 3090 rheinische Gulden, allein ausserdem erhiel-
ten mehrere derselben auch Deputate an Schweinen, Bier und Wein von der
Stadt. Drei städtische Musikanten erhielten je eine Monatsgage von 1 Gulden und
40 Denaren ; der Schulmeister, der gleichzeitig als Begenschori fungirte, erhielt
monatlich 4 Gulden und 10 Denare ohne jedes Deputat.
Das städtische Kanzleipersonal bestand blos aus zwei Kanzhsten und im
Jahre 1 733 wurde ein junger Mann, der um eine solche Stelle competirte, mit dem
Bemerken zurückgewiesen, dass man für einen dritten Kanzlist^n keine Ven^^en-
dnng habe. Dass in der That in der städtischen Kanzlei Dicht zuviel zu thun sein
musste, davon gibt der Umstand Zeugniss, dass der gesammte Papierverbrauch für
das Jahr 1733 bei der Stadt 7 Ries betrug, was einen Betrag von 11 Gulden
55 Denaren repräsentirte.
Im Jahre 1737 betrug das gesammte Einkommen der Stadt 13,430 Gulden
79*/ 4 Denare, ihre Ausgaben 13,656 Gulden 1*/ 4 Denar. Das städtische Einkommen
wurde in sehr patriarchalischer Weise verwaltet, so zwar, dass der Stadtkämmerer,
wie man den Kassier nannte, die Rechnungslegung über das Jahr 1722 dem
Magistrate erst am 28. Januar des Jahres 1 728, also erst nach sechs Jahren unter-
breitete.
Die Stadt Pest war auf ein so kleines Einkommen beschiänkt, da ihr aus-
gebreiteter Gnmdbesitz, der zumeist aus Sandflächen und Sümpfen bestand, bei-
nahe gar kein Erträgniss abwarf. Der Gmndbesitz hatte zu jener Zeit, in Folge des
Mangels an arbeitenden Händen, einen so geringen Wert, dass z. B. Graf
Haruckem für gelieferten Proviant im Werte von 140,000 Gulden fast das ganze
B^keser Comitat als Eigentum erhielt.
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^» BUDAPEST VOR HUNDERTSIEBZIG JAHREN.
Wohl besass die Stadt Pest auch viele Häuser imd Stadtgründe, allein auoh
diese warfen ihr zusammen blos einen Pacht von 517 Golden jährlich ab. Wie
hätte da auch ein grösseres Einkommen resiütiren sollen, wenn z. B. der bürger-
liche Schustermeister Michael Pichler für das an der Ecke des Christophplatzes
gelegene, 108 Quadratklafter umfassende Haus einen Jahreszins von 40 Denaren
zahlte. Die Stadt besass auch achtzehn Mühlen auf der Donau, für welche sie
zusammcD 36 Gulden als fArenda» von der Müller-Zunft erhielt.
Aus solchen minimalen Einkommensbeträgen vermochte die Stadt ihr Aus-
gaben-Budget von 13,00() Gulden nicht zu decken; ihre Haupt-Einnahmsquellen
wflren das städtische Brauhans, welches ihr jährlich 2345 Gulden, und der Lücken-
Zoll, der Pest und Ofen je 2746 Gulden 68 Denare trug. Der Brückenzoll war dom-
znfolge die grösste Einnahmspost von Budapest.
In der Türkenzeit befand sich die Brücke in der Gegend des heutigen Schwur-
platzes und des jenseits der Donau hegenden Bruckbades, woher dasselbe noch
heilte seinen Namen führt; im Jahre 1711 wurde die neue Schiffbiücke ausserhalb
der Ringmauer, an der Ecke der grossen Brückgasse geschlagen, welche heute
bekanntlich Deäkgaase heisst.
Gleichzeitig mit den neuen Colonisten kommen auoh Mönchsorden in die
Hauptstadt. Im Gefolge des christlichen Kriegsvolkes erscheint alsobald «die strei*
ten de Kirche Gottes.» Die Jesuiten nehmen in Ofen die Marienkirche als wich-
tigste Position in Besitz. Die hohe GeistUchkeit errichtet eine Hochschale mit
einer Akademie, einem Seminar für Geistliche und einem Convict für adelige
Jünglinge; zugleich wird auch dafür Sorge getragen, dass das Fortbestehen benann-
ter Institute durch Fundationen, die sich auf hunderttausende belaufen, gesichert
werde. Sämmtliche Pfarrer Ofens sind Jesuiten, mit Hilfe derer die Stadt am
Bombenplatz die St. Annakirche erbaute, die der Wasserstadt als Pfarre diente»
Die ältesten Ordensgeistlichen der Hauptstadt waren die Franziskaner. Während
der Türkenzeit war es dieser Orden allein, der die Befriedigung der geistlichen
Bedürfnisse der katholischen Einwohnerschaft besorgte. Nach Vertreibung der
Türken erhielten die Fi'anziskaner in Ofen die Gamisonskirche, in deren Nähe
sie ihr Kloster erbauten. Ebenfalls in der Festung etablirten sich die KarmeUter,
der Orden der böhmischen Ritter mit dem roten Kreuze, sowie auch die von
Pressburg hieher übersiedelten Klarissaschwestem, in deren Kloster gegenwärtige
die Hilfsbeamten des Ministeriums des Innern placirt sind. In der Wasserstadt
erbauen Kapuziner, Franziskaner aus Bosnien, Elisabethiner-Nonnen aus Wien,,
sowie an der Ijandstrasse Augustiner-Mönche ihre Klöster.
In Pest siedeln sich zuvörderst die ungarischen Pauliner auf dem Grunde,
wo jetzt die Universität ist, an. Ihnen gegenüber, im Yersatzamtsgebäude, welches-
später kleines Seminar hiess, placirten sich die Klarissen- Schwestern. Die Franzis-
kaner und die Serviten etablii*ten sich da, wo sie jetzt bestehen ; die Dominikaner,,
wo gegenwärtig das Kloster der englischen Fräulein steht.
Das Unterrichtswesen war zu Ofen in den Händen der Jesuiten, anfänghoh
auch in Pest. Hier aber treten an ihre Stelle bald die Piaristen, welche mit Hilfe
der Stadt Pest das noch bestehende Institut enichten.
Einer der wichtigsten Faktoren des raschen Aufschwunges unserer Haupt-
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BUDAPEST VOR HUNDBRTSIEBZIG JAHREN. 81
Stadt waren ausser ihrer centralen Lage auoh ihre von altersher berühmten Heil-
quellen, welche von den Türken schon aus religiösen Gründen in gutem Stand erhal*
ten wurden, und die bereits kurze Zeit nach der Wiedereroberung zahlreiche Fremde
anlockten. Von diesen Bädern ist das älteste das bereits seit 400 Jahren bestehende^
Baitzenbad, das wahrscheinlich noch aus der Zeit des Königs Mathias stammt.
Die einzigen segensreichen Spuren, welche die Türken in der Hauptstadt zurück-
gelassen haben, sind einige durch sie gegründete Bäder. Türkische Statthalter in
Ofen errichteten das Bruckbad im Jahre 1540, das Königsbad (1560), das aber
seinen Namen erst im verflossenen Jahrhundert von seinem Eigentümer Franz
König erhielt ; fast gleichzeitig mit dem Königsbade liese Sokoli Mustapha vom
Jahre 1566 bis 1579 das Kaiserbad erbauen, das seinen heutigen Namen von Kai-
ser Iieopold erhielt ; hiezu kam noch das < Jungfrauenbad i, welches heute, als am
Fusse des Blocksberges gelegen, Blocks bad genannt wird.
Der Reichtum an Heilquellen wäre allein schon genügend gewesen, dass hier
eine grosse Stadt entstehe. In der That war derselbe zu allen Zeiten eine der
Hauptnrsachen des grossen Fremdenzuflusses. Dieser letztere Umstand brachte
es wieder mit sich, dass sowohl in Ofen als auoh in Pest von altersher die schönsten
Hänser sich im Besitze von Gastwirten, Bierbrauern und Kaffeesiedem befanden.
Die grössten Gasthäuser in Pest waren das Weisse Schiff, an dessen Stelle sich
jetzt die Wienergasse hinzieht, in der Nähe befand sich das Weisse Lamm, femer
das gräfliche Wirtshaus und das Gasthaus zum Weissen Ochsen, nächst dem Kecs-
kem^ter Hause.
Das erste KaffeehauR in Pest wurde Im Jahi-e 1714 eröffnet ; sein Eigentümer
ist in den städtischen Eegistem als fCavesieder Blasius, ein Bacz Cath. Belig. »
verzeichnet ; sein Kaffeehaus war ein solches von primitiver türkischer Einrich-
tung. Ein nach ausländischer Mode fmit ein Pilliard» versehenes Kaffeehaus
errichtete später der deutsche Bürger Johann Starck ; der erste Zuckerbäckerladen
wurde im Jahre 1 734 von einem Itahener, Namens Franz Bellieno, eröffnet, der
in den städtischen Registern als •Zschokoladimacher und allerhandt Wasserbren-
ner» verzeichnet ist.
Ausser den Bädern hat zum Aufblühen der Stadt am meisten das Militär
beigetragen, da sie eine lange Periode hindurch der Centralpunkt der gegen die
Türken unternommenen Operationen war. In Ofen in der Nähe der Festung, in
Pest an der Stelle des der heutigen Universitätskirche gegenüber hegenden Eck-
hauses werden Kanonengiessereien errichtet. Provianthäuser bestehen in Ofen
an der Stelle, wo später das Volkstheater bestand, in Pest, wo jetzt der Sitz
der Curie ist. Auf dem Grunde, wo heute der Wurmhof ist, befand sich ein Salz-
amtsgebäude und an mehreren Punkten beider Städte sah man den Bauch aus
militärischen Backöfen emporsteigen. In Ofen waren zwei Pulvertürme, deren
einer 1723 in die Luft flog und die Umgebung des Stuhl weissenburger Thores
zerstörte. In Altofen war eine Pulvermühle und ein Salpetermagazin. Mit einem
Worte, beide Städte waren gleichsam ein militärisches Depot, als dessen noch
bestehendes Denkmal das von Karl dem Dritten in Ofen erbaute Zeughaus bezeich-
nend ist.
Der erste monumentale Bau der Stadt Pest, der auch heute als solcher
Ungnbeh« B«-nie, XI. 1891. I. Heft. 5
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82
DIE KINGA-SAGE.
zählt, wurde ebenfalls in jener Zeit zn militärischen Zwecken vollendet. Die mas-
siven Mauern der nach dem Monarchen benannten Karls- Kaserne wurden «.uf
dem (rrunde der Serviten auf Kosten der Kaiserin, des Primas und der Bischofs
1716 — 1727 nach den Plänen des italienischen Baumeisters Martinelli erbaut. Eine
Zeit lang diente dasselbe als Invalidenhaus, später als Grenadier-Kaserne, wovon
die anstossende Grenadiergasse benannt wurde.
Mit einem Worte, seit 1715, wo Ofen und Pest zum Mittelpimkt der militä-
rischen Vorkehrungen gegen die Türken wurde, waren beide Städte in raschem
Aufschwung begriffen. Und hier zeigte sich der grosse Unterschied zwischen Tür-
ken und westlicheuropäischer Einwohnerschaft. An den türkischen Bewohnern
und ihrer Stadt verriet nichts die ungeheuren Schätze, die hier in Circulation
gesetzt wurden, während die deutsche Bürgerschaft die günstige Gelegenheit zur
Hebung ihrer materiellen Verhältnisse und ihrer Stadt benützt.
Man behaupte daher nicht, dass die Bäder, die centrale Lage der Stadt, der
hochwichtige Zug der Donau die zwei Städte dahin erhoben, wo sie sind. Denn
nicht zunächst von solchen todten Dingen, sondern vor Allem von den den Bürgern
innewohnenden lebendigen Kräften hängt das Aufblühen grosser Städte ab. Auch
Budapest hat es in erster Reihe dem viel verspotteten prudens et circumspectus
Bürgersinn zu verdanken, dass es in verhältnissmässig kurzer Zeit zu einer der
hervorragendsten Städte Europa' s geworden.
DIE KINGA-SAGE.
Bekanntlich hat Momus, der schellenkappentragende lustige Rat des heim-
gegangenen Olympes, bei der Stichprobe der Machtvollkommenheit der um die
Schutzherrlichkeit über Athen werbenden Götter, als Vei*ti'auen geni essender
Schiedsrichter, dem dazumal neu geschaffenen Hause nachgetragen, es tauge des-
halb nichts, weil es bei böser Nachbarschaft nicht könne vom Flecke gerückt
werden. Diese tiefsinnige Mythe, welche den privilegirten Schalksnarren der weiland
Himmlischen ein grosses Wort gelassen aussprechen lässt, berechtig^; zu zwei
wesentlich verschiedenen Schlussfolgerungen. Erstens, das«^ es weder in der Voll-
versammlung der Götter jener Tage, noch in dem wetteifernden Concurrentenzirkel
der nunmehr seligen Unsterblichen einen amerikanischen Ingenieur gegeben habe,
der bei der Verschiebung eines auch mehrstöckigen Hauses ebensowenig Kopfzer-
brechens bedurft hätte, wie der gewinnsüchtige Knabe, welcher seiner beim Spiele
zurückgebhebenen Marmelkugel durch einen unbeachteten aber wohl berechneten
Ruck seiner Fussspitze ganz kaltblütig den gewünschten Vorschub leistet. Zweitens
aber — und nun auch Scherz bei Seite, lehrt aus dieser nicht unergötzlichen my-
thologischen Episode tieferer, dem practischen Leben anzupassender Sinn, daas
die Nachbarschaft — wie unter einzelnen Privaten so zwischen ganzen Völker-
schaften — Verhältnisse zu gestalten vermöge, deren social zersetzender Natur
kein durchgreifend wirkendes Heilmittel Einhalt zu thun vermöge.
Zum segensreichen Glücke für die beiden, in weit ausgedehnten Grenzzügen
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DIE KINOA-8AGE. ^
dch berührenden Beiche Polen und Ungarn, hatte das Nachbarschafteverhältniss
beider Staaten jederzeit ein so freundschaftliches Gepräge nicht etwa zur trüge-
rischen Schau getragen, sondern als zur vollen That bestehend vorgewiesen, dass
es noch heutzutage sprichwörtlich heisst :
«W^gier, Polak, dwa bratanki,
«Jak do szabli tak do szklanki !i
was in freierer Uebersetzung etwa dahin lauten würde :
«Pol' und Ungar, Brüder sind es allzumal
«Gelt' es Schwertesschärfe, gelt* es Zechpokal !•
Diese beiderseitig volkstünüich gewordene Würdigung des freundnach-
barhchen, treuen Zusammengehens im vielgestaltigen Wechsel von Freude
imd Leid, entsprang zimächst — wir glauben keineswegs zu viel behaupten zu
wollen — den historisch nachweisbaren Beziehimgen zwischen der magyarischen
Zipser Grafschaft und dem polnischen, zur Krakauer Wojewodschaft gehörenden
Sandecer Gelände.
Bis tief hinab in die ersten Uranfange des magyarischen staatlichen Daseins
reicht ja die traditionelle Kunde von der, spätere, friedhche Verbindungen an-
bahnenden Berührung beider Völker. Schon Holgowice nächst Szlachtowa weiset
nach allgemeinem Dafürhalten sowohl ungarischer wie polnischer Quellenkenner,
anf hunnische, somit auf vormagyarische Siedlungen am nördlichen Karpatenhange,
folglich auf Niederlassungen der jenseitigen Nachbarn im Umfange des nachträghch
polnischen Krongebietes ^ hin, und historisch ist der, während eingebrochener
Tatarennot, von Ungarn aus, unter dem Befehle des «adleräugigeni (Jeorg Tho-
warski, dem Herrn von Tarkow am Tarcsal, zwischen Palota und Cobinow ge-
leistete, nachdrückliche Beistand.' Dieser tapfere Degen war es aber auch, wel-
cher über Befehl Andreas III., des letzten Sprossen des Mannsstammes der Ärpäden
wider den, mittelst seines Anhanges die Ruhe des Reiches erschütternden Pseudo-
bruder des Königs die Waffen ergriff und den Prätendenten glücklich zum Lande
hinausdrängte, der nun flüchtig, bei Kinga, nach angeblich beigebrachten Beweisen
der Vollberechtigung seiner verwandtschaftlichen Ansprüche, vorübergehend eine
mildherzig zugestandene Zufluchtsstätte sich gewährt sah. *
Bei diesem Ereignisse, das beide Länder berührt, angelangt, fragen wir
weder nach den ferneren Geschicken des von seiner bisher eingeschlagenen Bahn
^ Morawski: «Sandecozyzna» d. L «Das Sandezer Gelände.! Krakau 1863.
8. p. 21.
* Ideni: ibid. p. 164.
• Szajnocha: «Szkice historj'czne » d. i. «Historißche Skizzen» Lemberg. 1854.
p. 45. No 78, wo die Urkunde vom Datum Korczyn 2. März 1257 wörtlich ange-
führt wird, kraffc welcher imter Andern von einer «Donatio terre Sandecensis usque ad
metam Himgari» cum theloneo in Poprad* ausdrücklich die Bede ist. Szajnocha bemerkt
ausdrückhch, diese Urkunde nach einer amtlich beglaubigten Copie zu bringen,
<lie sich im Besitze des gräflich Ossolinskischen Nationalinstitutes zu Lemberg befindet
and dem Frauenkloster in Altsandec entstammen soll.
6*
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84 DIE KINGA-SAGB.
80 kläglich Verdrängten, auch lassen uns die frühzeitig nachweisbaren, durch lan-
desfürstliche, beiderseits erteilte Freiheitsbriefe geförderten commerziellen Be-
ziehungen zwischen diesen Teilen des Piasten- nnd Ärpädenreiches, bei welchen
auch der Poprad, als bequeme Wasserstrasse seinen Teil beansprucht, deshalb
unberührt, weil eben unser Augenmerk ausschhesslich nur auf die genannte
Einga sich concentrirt, welche zum fesselnden Mittelpunkte der weit verbreiteten
und um so schöneren Volkssage geworden ist, als in der letzteren Wahrheit und
Dichtung nicht derart in einander aufgegangen sind, um nicht in belehrender
Weise wahrnehmen zu können, wie die geschäftige Phantasie des Volkes Zettel
und Einschlag des traditionell auf uns gekommenen Gewebes gesponnen und auf
ihren Webestuhl gebracht hatte.
Demgemäss gliedert sich auch die vorliegende Besprechung der Einga-Sage
wie von selbst und ganz naturgemäss in drei von einander scharf geschiedene
Teile. Wir meinen in den Wortlaut der Sage selbst, in die geschichtüch begründete
Darstellung des zu dieser Sage den Anstoss gebenden factischen Thatbestandes und
in die Darlegung der Umgestaltung des letzteren durch die «sancta simplicitasi
des köhlergläubischen, wimdersüchtigen Volkes.
Die Sage.
Vor vielen hundert Jahren — so spricht der redselige Mund der Sage —
gab es in Ungarn einen gar mächtigen König, reich gesegnet an den kostbarsten
Schätzen aUer Art. Stadt imd Land steuerten Jahr aus Jahr ein immer wieder
bei, seinen, in tiefen und festen Gewölbem hinter siebenfachen Schlössern imd
Biegein liegenden Eronschatz in das Fabelhafte zu mehren. Er berühmte sich aber
bei allem dem auch noch stolz, der Herrscher eines Beiches zu sein, in dessen
weitem Umfange nicht allein hochbegabte Menschen, sondern auch die ge-
heimnissvollen Tiefen der Berge seinen Diensten huldigen, indem letztere Ku-
pfer, Silber, ja sogar Gold und — was allem Anderen vorgehe, das vielbegehrte,
weil unentbehrliche Salz in unglaubhchen und unerschöpflichen Massen zur Ver-
fügung stellen. Und dieser, mit Erdengütem aller Art so namenlos gesegnete Eönig
von Ungarn hatte nur eine einzige Tochter, ein wahres Musterbild weiblicher
Schönheit, zugleich auch von Gott begnadeter weibUcher Vollkommenheit, deren
persönhcher Liebreiz viel gepriesen war, weit hinaus über des ausgedehnten Beiches
Grenzen. Viele meinten, diese Prinzessin allein wiege des königHchen Vaters Beich-
tümer, so gi'oss dieselben immerhin seien, vollständig auf und so meldeten sich
frühzeitig der Freier viele, für welche Beides verlockend war, die Eönigstoohter
uud ihr Malschatz.
So jugendlich männhch schön, so ritterhch und ebenbürtig auch die sich
meldenden Freier waren, Einga begünstigte lange Zeit keinen derselben und auch
der könighche Vater schien nicht im entferntesten daran zu denken, von seinem
vielbegehrten und viel umworbenen Einde sich zu trennen. Da sprachen eines.
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DIE KINGA-SAOE. ^
'Tages die Oeeandten eines benachbarten polnischen Prinzen vor und verstanden
68 nur zu gut, ihre Werbung in des Letzteren Namen so zur Geltung zu bringen,
dass Vater und Tochter sich bestimmt fanden, auf den gestellten Antrag einzugehen.
Es flogen nun Boten hin und her, die Bande, welche Neigung und Staatsklugheit
zur Hand gegeben, fest zu knüpfen und endlich erschien auch der Auserwählte per-
sönlich und übertraf im Erscheinen und Oebahren den ihm vorausgegangenen
günstigen Ruf. So wurde denn zur Hochzeit gerüstet und der Tag derselben prunk-
voll begangen.
Als die Stunde schlug, wo das viel beneidete Paar in das eigene Heim ziehen
sollte, fiel die Königstochter dem tiefgerührten Yater demütig zu Füssen, um
seinen Abschiedssegen zu erflehen. Da bot ihr derselbe viel Geldes imd Goldes,
damit sie als wohlthätige Spenderin hilfreicher Gaben die Herzen des Volkes ge-
winne, dessen Landesmutter sie nunmehr geworden war. Sie aber meinte : c Lieber
€ Vater I Gold und Geld verhelfen mir nicht zu der Liebe meines Volkes, das —
«wie ich höre, beraubt ist der nothwendigsten, weil unentbehrlichsten Gottesgabe,
«des Salzes. Dein Beich hat der gnädige Himmel damit so sehr gesegnet, dass der
«Ueberfluss in fremde Länder fortgeführt wird, zu Wasser und zu Lande, der
«Armen drückenden Bedarf zu stillen. Behalte daher dein Gold und dein Geld und
«schenke mir als Brautschatz nur Einen Schacht deiner Marmaroscher Salzberg-
« werke, damit ich. gläubigen Herzens auf Gott vertrauend, was er bergen mag,
«hinüberleite nach der Heimat, als ein trostreiches, weil rettendes Geschenk für die
notleidende Armut !» —
Und innig bewegten Herzens beugte sich der König über sein vor ihm
knieendes, engelmildes Kind, blickte tränenfeuchten Auges in dessen holdes An-
gesicht schloss es in seine Arme, zog es an seine Brust heran, in welcher es wonnig
hämmerte imd sprach, einen väterlichen Kuss auf die Lilienstime drückend, mit
zitternder Stimme : «Gott sei mit Dir und gewähre Deinem barmherzigen Wollen
seinen besten Segen, wie Dein Vater Dir in diesem Augenbhcke seinen besten Segen
ertheilt, für alle Zeiten Deines Erdenwallens, in diesem Augenblicke, wo das
Weh des Scheidens auf immer, so schwer auf uns Beiden lastet. •
Und so zog Kinga, mit zahlreichem Gefolge, weit hin zu den unerschöpflichen
Salzbergwerken der Marmarosch, barfuss und den Pilgerstab in der Hand, sie und
ihre Begleitung, um des Himmels ersehnte Gnade sich zu sichern. An Ort und
Stelle gelangt, befahl sie der Arbeiter vollen Zahl einen weiten Kreis um sich
herum zu bilden imd fragte sie. welcher Schacht und welches Stollengebiet den
ergiebigsten Bergsegen zu Tage fördere. Man zeigte ihr diesen und herantretend
an dessen Tagesmündung, nahm sie denselben als väterliches Geschenk für sich
als ausschliessüchen Eigenbesitz in Ansprach und ihren Ehering vom Finger strei-
fend, warf sie denselben in die gähnende Tiefe, worauf sich der Boden sogleich
über der bisherigen Oeffnung von selbst zusammenwölbte. Ein heiliger Schauer
bemächtigte sich der, erstaunten Bückes diesem Wundervorgange Zusehenden und
Alle fielen fromm in die Kniee, die Gnade des Himmels preisend, welche zu er-
kennen gegeben, wie sehr Kinga's Begehren das Wohlgefallen desselbon er-
rungen habe.
Den Wanderstab zuerst an diese von Gott offenbar geheiligte Steile setzend
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86
DIE KINGA-SAGE.
und mit ihm den onterirdischen Schatz gleichsam an ihrer Füsse Sparen fessehid^^
und nach sich ziehend, begann Einga die rauhe Fusspilgerechaft über das Oehänge
der Karpaten, gegen Erakau, des jungen Gemahles fürstliche Residenz. Mit Einga
zogen Einige der Marmaroscher Bergbaukundigen mit und sechs Meilen vor
Erakau machte sie, gleichsam einer höheren Eingebung folgend, bei dem Dorfe
Bochnia Halt und liess an dem Orte, dessen Schacht heute noch ihren Namen
trägt, einschlagen. Und siehe, bereits in äusserst geringer Tiefe stiessen die mit
Haue, Erampen und Schlägel arbeitenden Bergleute auf ein festes Salzgestein und
als sie den ersten, freudig heraufgehobenen Block zerkleinerten, fanden sie den
goldenen Ehenng wieder, den Einga vor ihren Augen, vor Wochen in den Mar-
maroscher Schacht geworfen.
Seit jenem Tage fördert man dort den reichsten Bergsegen fort und fort zu
Tage, so dass an Stelle des ärmlichen Dorfes bald eine wohlhabende Stadt trat und
unter derselben gleichfalls die Gassen sich kreuzen und Namen führen und in ge-
räumige Plätze münden, wo die rastlos geschäftigen Hände des gewerkkundigen
Enappen zu jeder Tages- und Nachtzeit, bereits Jahrhunderte hindurch unermüdet
sich regen, um dem unendlich fruchtbaren Schosse des Bodens die unentbehrliche
Würze für Arm und Reich zu entnehmen und selbst hinauszusenden in die Weiten,
Kinga's Andenken in frommer, von Geschlecht auf Geschlecht forterbender Dank-
barkeit zu segnen.
Selbst aber fand sich Einga dem ehelichen Glücke nur zu bald entrückt und
bezog, seit der Witwenschleier über ihres Hauptes Scheitel herabfloss, das Elarisse-
rinnenkloster zu Altsandec, wo sie wenige Jahre darauf, im Rufe wunderthätiger
Heiligkeit zur ewigen Ruhe ging, um noch in ihren sterbUchen Resten der Gegen-
stand allseitiger Verehrung zu seiij.
So die Sage, noch heute rings in der Umgegend und weit über dieselbe hin-
aus fortiebend, wie sie der siebenzigjährige Schreiber dieser Zeilen in den Tagen,
wo er in jenen Gegenden als lebensfroher Enabe sich herumgetummelt, beim pras-
selnden Eaminfeuer langer Winterabende vielfach erzählen hörte und gläubig
hinnahm. Mit heiliger Scheu betrachtete er sodann die rings den Elosterhof be-
schattenden Lindenbäume, zu denen sich Einga's und ihres Gefolges in die Erde
gesteckten Wanderstäbe sollten herausgewachsen haben und der nordösthch
ausserhalb der Elostermauer sprudelnde Quell, den Kinga soll aus dem Boden ge-
schlagen haben, wurde von dem, so manchen Schelmenstückes sich schuldig fühlen-
den Wildfange weit umgangen.
Will aber erörtert und klargelegt werden, wie dieser, kindermärchenhaft
klingenden Tradition gegenüber
n.
Die Geschichte
sich verhalten und selbst bewusststellen könne, so werden wir angesichts der mitt-
lerweile thatsächlich vor sich gegangenen Heiligsprechung der uns beschäftigenden
Eönigstochter, aus zweifachen Quellen schöpfen müssen, aus einer profanen und —
so weit dies, bei aller Hochachtung für die «unsterblichen* Bollandisten und ihr-
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DIE KINGA-SAGE. 87
wissenschaftliches Wirken, mit timsichtiger Reserve geschehen kann — aus eccle-
siafitischen.
Die skeptisch kaltblütig und unbeirrt objectiv zu Werke gehende Profan-
geschichte meldet über die Ereignisse, die wir in dem Sagenberichte sich um
Einga gruppiren sehen, Folgendes :
B61a, seines Namens der Vierte (1235 — 70), der Nachfolger Andreas 11. und
Vorgänger Stephan's V., der Einundzwanzigste der ungarischen Königsreihe, be-
sass mehrere Töchter, darunter Einga, nach latinisirender Benennung auch Cune-
gnndis geheissen,^ die älteste war, und allem Anscheine nach 1224 das licht der
Welt erblickt hatte.' Schon 1 239, somit in dem zarten Alter von fünfzehn Jahren,
wurde sie mit dem, lediglich um drei Jahre älteren Boleslaw dem Schamhaften,
dem Fürsten von Sandomir und des ausgedehnten Krakauer Geländes vermählt
und brachte dem jugendlichen Ehegemahle den für jene sowie für unsere Zeit sehr
namhaften Malschatz von Vierzigtausend Mark Silbers oder Vierthalb Millionen
Gulden heutigen Geldes zu."
Und König B^la that sich mit dieser grossartigen Aussteuer seiner allgemein
gepriesenen und alle Herzen bezaubernden und nahezu von Jedermann fast ver-
götterten Tochter schon deshalb keinesfalls wehe, weil dieser sogar in seinen
dffenthchen Urkunden ganz rückhaltslos bekannte, an allerhand Schätzen, wie auch
an Gold und Geld mehr als übergenug zu besitzen.* Dass aber Er, der mächtige
Gebieter über ein weitgestrecktes, von der Natur verschwenderisch gesegnetes
Beich, sein theures Kind, den — trotz aller Jugend — mit aussergewöhnlichen
Vorzügen des Körpers, Geistes und Herzens bedachten Liebhng des Volkes und
Sprossen eines alten und ruhmvollen Königsgeschlechtes, einem — vergleichs-
weise — tief unter ihm stehenden Fürsten zur Ehe zu geben, gleich bei der dies-
Mligen Werbung des Letzteren durch Klimunt den Castellan und Janusz den
Wojewoden von Krakau sich entschloss: dazu hatten wohl zumeist gewichtige, das
Wohl des eigenen Kelches im Auge behaltende Motive das Zünglein der Wagschale
i^wischen «Ja oder Nein» zu Gunsten des Freiers niedergezogen.
Keineswegs das geringste, wenn nicht sogar den entscheidenden Ausschlag
veranlassende dieser Motive war wohl die seit einigen Jahren immer wieder auf-
* «Kinga» und «Gunegundis» ist urkundlich beglaubigt In den «Acta Sancto-
nim» der Boütmdisten, JuH V. 661 begegnet uns der erstere, wahrscheinlich als ein-
heimiflch'nationaler und daher vorzuziehender Name.
' Ueber das Jahr der Geburt Kinga's stossen wir auf divergirendes Dafürhal-
ten. Bei ÜlugoHZ (VI. 663) wird 1205 genannt, und dann wieder 1234. Katona^ Hist
crit V. 437 aber setzt, aller kritisch verfechtbaren WahrscheinUchkeit folgend, 1224
an, welches Jahr auch bei den BoUandisten (1. c.) Au&iahme fand. (JuU V. 673.)
* Nach DliigoHz Hist. VI. 663. Die Reduction auf den heutigen Geldwert voll-
zog Szajnocha 1. c. p. 35 nota 7 nach Czackis Tabellen in dessen 1843 herausgegebe-
nen Werken (I. p. 201.)
* Siehe die betreffende Urkunde des Jahres 1238 bei Katona, Hist. crit. V. 822.
c Verum, quum noe et nostros nee honoris ambitio, nee diuitiamm oupiditas, quse nobis
divina gratia largiente abundanter stmt concessa, sed salus animarum ac apostoUcae
sedis devota ad hsec exsequenda pro viribus, inducati etc. etc.
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38 DIE KINOA-8AGE.
tauchende, weit and breit Alles in beillosen Sohreoken versetzende, weil geglaubte,
wie später leider auch verwirklichte Kunde von einem bevorstehenden Mongolen-
oder TatareneinüaUe/ Für diesen gefurchteten, das Aufbot aller verfügbaren
Widerstandsmittel beanspruchenden Fall, versprach diese Verbindung durch das
Hinübergreifen verwandtschaftlicher nationaler Verhältnisse nach Botreussen'
«ine Vormauer für Ungarn zu schaffen, geeignet, den Wogenschwall der heran-
flutenden Gefahr so zu brechen, dass von der verheerenden Wirkung ihres An-
sturmes Ungarn verschont bleibe. Der bedeutende, der Tochter mitgegebene Braut-
schatz hätte somit in B^la's IV. Augen vorwaltend die Bestimmung gehabt, die
namhaften Kosten der in erster Linie den Ländern der Stephanskrone zu Gute
kommenden Büstungen decken zu helfen.* Und als der Feind 1241 thatsäohUch
vor Sandomir und vor Krakau seine riesigen Schwärme sengen und brennen und
rauben und morden Hess, da leistoten die Polen ehrenhaft das Möglichste, kämpften
und bluteten, Hessen aber das teuere Leben am 13. Febmar * und im März ^ ver-
gebUch. Ungarn war dem unwiderstehlich gewordenen Feinde durch die verhäng-
nissvollen Niederlagen zugänghch geworden, der sich nicht allein durch die heutige
^ «Gf. fRecueil de voyages et de memoires, publik par la soci^t^ de G^grapliie»
Pariß 1839. V. p. 213 und 603.
' Der von den Bewohnern von Botreussen den Tataren thateächlich geleis-
tete, von aller Welt und voraus von dem Feinde selbst mit Staunen anerkannte
und bewimderte Widerstand, wird bezeugt bei Schwandtner 88. rer. Hung. HL
p. 601.
* Zu dieser Vermutung berechtigen die Worte des Herzogs Boleslaus in der
8ub Nota 3 hier bezogenen Urkunde. Sagt er doch darin: «Qu» (Cunegundis), impe-
«rante Deo temporalis sufi&agii adminicula nobis tempore nostrse permaximse neoessi-
«tatis prestitit copiose, ut ex his, quse subneotuntur, Uquebit luculenter. Cum enim
«temxK)re malo, permittente Deo peccatisque nostris exigentibus, Tartari terrae nostraß
«nobis subjectas mucrone crudeli depopulati fuissent, terramque subita et inopinate
«debriassent (siel) profluvio sanguinis Ghristiani, demumque pereunte cultore omnia
«deperiisse viderentur; nobis more principali ac magni¢ia omnibus gratiosissima
«imperare non liceret dumque nihil perfunctoriarum pecuniamm sub duro cordis
«lapide et sitibundo et avaritise sestu in thesauris nostris lateret, magisque nobilis
«militiae oohorte, ex insolitse largitatis, imo laudabilis prodigaUtatis innata generositate,
«quam divitiarum cumulo stipati gauderemus, ac ob id consequenter ad notabilem
«inopiam fuissemus devoluti ex eo, quod stipendia soUta militise nostrse imde solvere-
«mus, penitus non inveniremus, et ex prsemissis ssapedicta venerabilis, gloriosa Domina
«consors nostra charissima cemens nos plurimum anxiari in inefifiabili et infaUibili
«glutino ferirdse charitatis, quo nostris affeotibus jugiter inhsesit, ooncitata, oompatiens
«ex intimis, ssepediotas pecunias seu dotalitii per plures vices in pensionem stipendio-
«rum jamdictorum, largiflue exhibnit» etc. etc.
* Dlwjosz Hist Vn. p. 671.
^ Dieses Datum erscheint nicht kritisch richtig ; doch würde die hierauf ein-
gehende Beweislieferung zu weitläufig werden, um hier eingeschaltet Iverden zu kön-
nen. Bemerken wiU ich nur, dass die «Dominica in albisi nicht, wie Szajnocha 1. o.
p. 13. meint, der letzte Sonntag vor dem Palmsonntage, sondern der erste Sonntag
nach Ostern ist.
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DIE KINGA-SAGE. 89
Bukowina/ sondern auch von Norden aus durch Mähren unaufgehalten dahin
•ergoss ' und am Saj6 durch seinen sprichwörtlich gewordenen, furchtbaren c Ta-
tarentanz t in den Blättern der ungarischen Geschichte blutig sich verewigte.^
Während dieser traurigen und folgenschweren Vorgänge scheint Herzog
Boleslaw und Einga, dessen Gemahlin, in dem mährischen Gisterzienserkloster
zu Welehrad vorübergehend eine sichere Zufluchtsstätte gefimden zu haben/ so-
dann, nach des Feindes Wegziehen, in Ungarn,'^ schliessHch aber, dem Land-
frieden wenig trauend, in dem, der ungarischen Grenze nahen, am rechten Ufer
des Dunajec gelegenen festen Schlosse zu Neu-Sandec/ Von diesen Tagen an
waren aber die Tataren in imverhältnissmässig kurzen Zeitzwischenräumen
wieder vorsprechende Gtäate der Polen, bei denen der glühende Wunsch, um
^inen warmen, der dauernden Erinneruug forderUchen Empfang nicht verlegen zu
werden, es mit sich brachte, dass die ritterliche Jugend des Landes — bei sorgfaltig
betriebener Unterweisung in flinker und nachdrückUcher Handhabung der ver-
schiedenen Schutz- und Trutz wxffen — frühzeitig angeleitet wurde, wie später
anderwärts gegen den auf einen Pfahl gesteckten, beweglichen Türkenkopf, so von
nun an gegen ein derartiges Tatarenhaupt schiessen, rennen, hauen und stechen
zu lernen.
Gleichzeitig mit dem berührten Mongolen- oder Tatareneinfalle, weil nur
mn Ein Decennium später, setzt die Geschichte die Eröffnung des Bochniaer Salz-
bergwerkes. Nach dem Zeugnisse des polnischen, trotz aller Verdächtigungen bei
der Ansetzung der kritischen Sonde höchst verlässlich erscheinenden Geschichts-
schreibers Dlngosz,^ wurden schon seit unvordenklichen Zeiten die auf den Grün-
den von Bochnia zu Tage tretenden, überreich quellenden Solenspenden zur Berei-
tung von Koch- oder Sudsalz in Pfannen ^ benützt, während Wieliczka neben sol-
cher Salzgewinnung seit langem bereits, aber in imzureichender Menge Salz zu
Tage förderte, was aber nicht die Folge des spärlichen Bergsegens," wohl aber der
^ Roger oarmen miserabüe, bei Schwandtner I. 302. Inter Busciam et Cuma-
niam per Silvas trium diermn pervenit ad civitatem Budanam (Bodna), d. i. durch
den Bukovinaer Wald und die Moldau, das damalige Eumanien.
■ Boger 1. c. L 202.
* Ideni ibid. p. 307 und Hist. Salonit bei Schwandtner: HI. 604: • Uni versa
-exercitus Tartarorum multitudo velut qusedam chorea circumdedit omnia castra
Üngaromm.!
^* Dlugosz Hist. VIII. 675 sagt «in quodam claustro Cisterciensi», doch begabte
Herzog Boleslaw später das Erlöster Welehrad mit dem Bezüge von 50 Blöcken Salz
aus den Werken zu WieUczka. A. Wolny, Kirchliche Topographie Mährens VI. 444.
* Szajnocha: 1. c. p. 20.
* Ideni: ibid.
' Dlugosz Hist. I. 14.
^ Im mittelalterUohen Latein «caldar,» nach Du Gange Glossarium medise et
Infimff latinitatis IH. 41 Caldarium, vas ex aere caldario, in quo aqua igni admovetur,
^aldariae ad coquendum salem.
' Der Name deutet eben auf den Salzreichtum hin. Urkundlich in ältester
JSeit csal magnimi» genannt, weiset dies auf das Polnische: «wielet viel, also auch
•auf wielka d. i. viel und gross hin.
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IK)
DIE KINGA-8AGE.
schwerfälligen uDd mit imzulänglichen Kräften betriebenen Benützung oder Ans-
beutiing dieser unerschöpflichen Ablagerung an fossilem Salze gewesen zu sein
scheint. Und der Herzog Boleslaw selbst besagt in der Urkunde vom 6. Dezem-
ber 1 279, womit er die Krakauer Cathedralkirche mit jährlichen 200 Mark Silbers
ans den Erträgnissen des Bochniaer Salzbergwerkes bedenkt, ausdrückhch, dasselbe
sei, was dessen Steinsalzschätze betreffe, während seiner Zeit aufgeschlossen
worden/ Da<?egen verlegen die gleichzeitigen Aimalisten den Zeitpunkt des Er-
schluspes übereinstimmend in das Jahr 1251.*
Dass hiebei die Gemahlin des Herzogs Boleslaw von Sandorair und Krakau,.
die ungarische Königstochter Eanga, in Person mitgewirkt habe, wird in den
unverfönglichen histoiischen Quellen nirgends erwähnt und ihre Teilnahme
an der Eröffnimg des Bochniaer Steinsalzbergwerkes kann vom historischen Stand-
punkte aus nur dahin verstanden werden, dass zur entsprechenden Inbetrieb-
setzimg der vielversprechenden Fundgrube, der bei den Rüstungen wider de
Tataren glückücherweise nicht aufgebrauchte Rest der splendiden väterUchen Mit-
gift zu weiterer praktischer Verwertung gebracht worden sei.
Die schöne, den leichtfertigen Wunderglauben so gar naiv in Anspruch
nehmende Legende von der Besitznahme eines Marmaroscher Schachtes durch die
Selbstinvestitur des hineingeworfenen Ringes ' und somit selbstverständlich die
weitere, sagenhafte Hei-überleitung des derart in das Eigentum übergegangenen?
unterirdischen Reichtumes in das Krakauer Gelände, namentlich nach Bochnia,
finden wir nur bei den Bollandisten — denen es ausgemachte Sache zu sein scheint,*
wenngleich das nahezu vierhundert Jahre später (1629), d. i. vor Kinga's HeiUg-
sprechung vorgenommene Zeugenverhör eben nur nach der Sage formulirte und
von dem leichtgefangenen, starrgläubigen Volke festgehaltene, daher keineswegs
zu unanfechtbarem historischen Rechte bestehende Daten liefern konnte.
Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse bei der Erörterung der Frage
betreffs der Wahl des Witwensitzes Kinga's in einem Frauenkloster, wo sie als
Nonne das Leben im Rufe der Heiligkeit beschlossen habe. Denn hiebei finden wir
uns im Besitze mancher unanfechtbaren Zeugnisse für die Berechtigung zu posi-
tiver Bejahung dieser Frage. Besitzen wir doch heute noch jenes kostbare Docu-
ment, welches Kinga 1280, somit während ihres ersten Witwenjahres, in der Octave
^ Nach einer amtlich beglaubigten Copie des Lemberger Osßolinßki'schen National-
in stitutes.
* Der nunmehr verstorbene BibUothekar des Lemberger Ossolinski'schen National-
institutes, August Bielüwszki besass eine — gegenwärtig unbekannt wo? aufbewahrte
Sammlung derartiger handschriftlicher Jahrbücher, in denen es übereinstimmend ver-
lautet: MCCLI. sal durum (zum Unterschiede des Sudsalzes) in Bochnia repertum
est, wobei von einigen Chronisten, in Bezug auf die geglaubte Tradition über die
Hertiberleitimg des Salzstockes aus der Majmarosch hinzugefügt wird Mquod nunquam
ante fuit.»
^ Nach Du Cantje 1. c. HI. 1556; HI. 1523 und 1528 gab es eine Investitur
per pileum, per terram et per annuliim.
* A. a. O. wobei noch hinzugefügt wird : Et res qiiidem tunc acta locum magis;
quam serium habere a circumstantibus visa est.
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DIE KINGA-SAGE. ^I
des Festes der Apostelförsten Peter und Panl ausgestellt hat, um das zu dem
eigenen Witwensitze bestimmte, neu zu begründende Elarissinenkloster zu Alt-
sandec zu stiften, nachdem diese Gründung und Stiftung die Genehmigung
des Cardinaldiakones Mathias in Portion S. MarisB, als obersten Schutzherm der
verschiedenen Franziskanerordensverbrüderungen und des Graner Franziskaner-
ordensprovinziales Stephan erhalten hatte. Nicht mehr und nicht weniger als die
Einkünfte von dreissig, in der Nähe von Altsandec, dem projectirten Kloster-
standorte, sowohl an den beiderseitigen Ufern des Poprad wie des Dunajec ge-
legenen Ortschaften sollten zur Aufrechterhaltung dieses frommen, sowohl zum
eigenen, als des verewigten Gemahles Seelenheil zu errichtenden Gotteshauses
dienen.*
Zweitens wird ausdrücklich bezeugt, dass bei dem 1:287 wiederholten Ta-
tareneinfalle das Altsandezer Elarissinenkloster zwar noch nicht vollendet gewesen
sei, wohl aber die Stadt in einem adaptirten Privathause die zur Bevölkerung des
Klosters bestimmten Nonnen unter Kinga^s Leitxmg beherbergt habe. Denn sie
flüchten insgesammt vor der drohenden Gefahr in die karpathischen Vorgebirge der
nahen ungarischen Grenze.' Hiezu wäre sodann drittens Kinga*s eigenes Zeugniss
beizufügen.*
Wird nun die Sage mit der Geschichte verglichen, resultirt wohl von selbst, was
m.
Die Volksphantasie
mit ihrer gewohnten, das Wunderbare in die Thateachen verwebenden Geschäf-
tigkeit, der Darstellung über die historisch begründete Bedeutung Kinga's
hinzufügen zu müssen glaubte, damit das Wertbewusstsein des reichen Salzsegens^
der mit ihrem Erscheinen im Uerzogtume, gerade in Bochnia sicli erschloss und
seit vielen Jahrhunderten unzähligen Tausenden zur Segensquelle geworden war,
recht eindringlich an das köhlergläubische Herz pocbe, mitwirkend bei der belieb-
ten, ahnungsvoll grübelnden und in diesem Grübeln schwelgenden Sucht, Irdisches
und Ueberirdisches, d. i. Vorhandenes und sinnlich Fassbares mit dem Ueberirdi-
schen, der einzelnen Menschen und ganzer Völker Geschicke bestimmenden, vor-
bereitenden und in geregelte Bahnen leitenden — sollen wir sagen — wenn nicht
fatalistischen so doch unbegreiflichen und unergründUchen höheren Mächten in
* Die Urkunde in beglaubigter Abschrift in der Ossolinski'schen National-
bibliothek zu Lemberg. Unter den, dem Kloster verschriebenen Ortschaften kommt
auch das in der Zips liegende Pudlein vor. Es wäre der historischen Untersuchung
jedenfiEÜLls wert, ob das sogenannte Sandecer Gelände, die terra Sandecensis im XIIL
Jahrhunderte so weit in die Zips hineingereicht oder — wenn nicht — welche Bewandt-
niss es habe, dass Kinga über Pudlein derartig zu verftlgen vermochte.
» Dlugosz Hist VH. 847.
* In den Urkunden bei Wagner^ Analecta tense Scepus. I. 195 und Supplem
Analect. p. 305, worin es heisst ; Nos Cunegundis . . . sub Ordine S. Francisci divinis
mancipata obsequiis.
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"^2 DIE KINGA-SAGE.
«ine plausible, dem Alltagsmenschen, der denkfaul, die Lebenserscheinungen sich
zurechtlegt wie er kann, in plausible Wechselwirkung zu bringen.
Wenngleich aber auch die heilige Einfalt an Dinge sich hängt, welche der
Gebildete, der Wissende und Aufgeklärte belächelt, will diese Gefühls- imd Glau-
benswelt nichtsdestoweniger achtungs- und schonungsvoU behandelt werden. Denn,
welcher wahrhaft menschhch Denkende wollte die kindüche Einfalt trüben, wenn
dieselbe selbstthätig nach den fruchtbaren Ursachen unverstandener oder auffallen-
der Erscheinungen forscht, und weil sie entweder zu geistesarm oder geistig viel
zu wenig geübt ist, die gewünschte Aufklärung sich selbst zu verschaffen, trotz
aller leichtverständhchen Schaffnngskraft der Natur und der Menschenfindigkeit,
im Glauben an ein Wunder und im Gefühle der Verehrung des Wunderthätigen
volle Befriedigung findet ? - So hat denn auch hier die Phantasie des Volkes um
die unau%eklärt gebliebene, wabrscheinUch zufällige Bloss legung des heute noch in
sehr lohnendem Betriebe stehenden Bochniaer Steinsalzlagers, ganz unbefangen
ihre goldenen Fäden gesponnen und so dicht verwoben, dass eine, fromme Ge-
müter bestechende Wundermäre den Legendenkranz mit einer neuen Blüte
bereichert, der sich um Kinga's verehrte PersönUchkeit unter den Fingern dank-
barer Jahrhunderte sinnig und üppig herumgeschlungen hat.
Die volksmündliche UeberHeferung von der Verschmähung aller anderen
Mitgift, als der Einen, der Schenkung eines Marmarosclier Schachtes ; das Hinein-
werfen des Ringes, der gerade der Brautring imd ja kein anderer gewesen sein
musste, zum Zeichen der Besitzergreifung von dem erbetenen Geschenke ; die Her-
überführung des gewonnenen Schatzes mittelst der eigenen, später zur breitästigen
und ganze Bienencolonien beherbergenden Linde ; das Wiederfinden des in der
Marmarosch in die Tiefe geworfenen Binges | bei der Zutageförderung und Zer-
schlägenmg des ersten Salzstockes : diese — sagen wir Sonntagsgeburten der Volks-
phantasie bethätigen zwar den im Volke heiss pulsirenden Geist, sind aber für den
skeptischen, keine speciell ethnographischen Moment« verfolgenden Forscher leider
nur leere Blüten. Wilhelm Schmidt.
KÜRZE SrrZÜNGSBERIOHTE.
— Ungarische Akademie der Wissenschaften. In der Sitzung der ersten
Classe am 1 . Dezember hielt don ersten Vortrag das Ehrenmitglied Georg Joauno-
vics unter dem Titel : JHe endlose Frage. Die endlose Frage ist der alte unerquick-
liche Streit zwischen der Orthologie und Neologie. Von den drei Tribunen der
letzteren, Franz Toldy, Johann Fogarasi und Moriz Ballagi, ist nur noch der Letzte
auf dem Kampfplatze. Auf seine im Jahre 1884 und im Jänner d. J. gehaltenen
Apologien des Neologismus antwortet suaviter in modo, sed fortiter in re der Vor-
tragende, wobei er auf Grund eines reichea sprachgeschichtlichen Materials
bestrebt war, einerseits die Absurditäten der sprachgeistwidrigen neologischen
Bildungen, andererseits die Berechtigung der besonnenen, dem Sprachgeist fol-
genden orthologischen Richtung des «Nyelvori darzulegen.
Hierauf las das conespondirende Mitglied Bernhard Munkäcsi eine Abhand-
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KURZE 8ITZUNGSBER CHTE. ^S-
Ixmg von Josef Balassa über die Classification und Charakteristik der ungarischen
Mundarten, Verfasser wirft einen kurzen historischen Rückblick auf die bisheri-
gen Classificatoren der ungarischen Mundarten (Stefan Grdti, Adam Horväth^
Sigmund Simonyi) und untersucht dann, auf welcher Grundlage die ungarischen
Mundarten classifizirt werden könnten. Für die Classification der Mundarten
können folgende Umstände entscheidend sein : 1. Die Teilung des Volkes in Volks-
stamme ; 2. die geographische Lage des ganzen Sprachgebiets und seiner einzelnen
Teile, und vornehmlich 3. die Verbreitung der die einzelnen Gegenden charakte-
risirenden Eigenheiten. Doch mancherlei Schwierigkeiten machen es unmöglich,
einen dieser Umstände für sich zur Basis der Classification zu nehmen. Wenn die
Classification richtig sein soll, müssen alle diese Umstände berücksichtigt werden.
Auf dieser Grundlage teilt Verfasser das ungarische Sprachgebiet zuerst in
einzelne grössere Mundartengebiete, deren Sprache nur hinsichtlich der wich-
tigsten Eigenheiten übereinstimmt und damit auf gemeinsame Abstammung und
Entwicklung hinweist. Innerhalb dieser Gebiete zieht er dann die aus den ver-
schiedensten Gründen entstandenen Differenzen in Betracht, welche die einzelnen
Mundarten hervorbringen. Er teilt das ganze imgarische Sprachgebiet in acht
Mundartgebiete, welche er dann im Einzelnen charakterisirt und welche, je nach-
dem ihre verschiedenen Teile einzelne Eigenheiten besser bewahrt oder weiter
entwickelt haben, in mehrere besondere Mundarten zerfallen.
— In der Sitzung der zweiten Classe am 9. Dezember hielt den ersten Vor-
trag das ordentliche Mitglied Alexander Szilägyi. Vortragender legte sein soeben
erschienenes Werk : Siebenbürgen und der Krieg im Nordosten 1648 — 1665, Briefe
und Urkunden mit Einleitungen und Anmerkungen, herausgegeben von Alexander
Szilägyi ; Band I. Budapest 1890, vor und gab einen kurzen Ueberblick des Inhalts
desselben. Die mit diesem Bande begonnene Urkundensammlung bringt einige
controverse Fragen der Geschichte jener Zeit zur Entscheidung und klärt einige
dunkle Punkte derselben auf. Das Bild, welches Vortragender an der Hand der in
dem vorgelegten Bande enthaltenen Briefe und Urkunden entwirft, ist reich an
Details, welche für den Geschichtsforscher jener Zeit von Interesse sind.
Hierauf las das correspondirende Mitglied Josef Jekelfalussy eine Abhand-
lung des Gastes Julius Mandello über Währwngs- und Münzrecht, ein Capitel
Ober die rechtliche Bedeutung des Währungswechsels vor. Den Ausgangspimkt der
Untersuchung hat der rechtliche Begriff des Geldes zu bilden, resp. die Frage :
Welches sind die rechtlich relevanten Functionen des (Jeldes? Der Verfasser
entscheidet sich für die Auffiassung, dass blos die Function als gesetzliches
Zahlungsmittel relevant sei, da alle anderen Functionen entweder wirtschaftlicher
Natur sind, oder aus der Function als Zahlungsmittel hervorgehen. Der Verfasser
unterscheidet drei Gebiete, in welchen das Geld als gesetzliches Zahlungsmittel
wirkt. 1. Ist das Valutageld das letzte zwangsweise Solutions- und Befriedigungs-
mittel ; 2. ist dasselbe Gegenstand der Geld- Obligationen und 3. sind im Glelde
als gesetzlichem Zahlungsmittel alle Zahlungen in den Staat zu leisten und bedient
sich desselben der Staat bei seinen Zahlungen. Verfasser untersucht nun die Wir-
kung des Währungswechsels bezüglich dieser drei Gebiete und findet, dass derselbe
blos für die Geld-Obligation und die Zahlungen an den Staat (resp. des Staates)
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"94 KURZE SITZUNGSBERICHTE.
von Belang ist, weil es sich nur hiebei um fixe Beträge handelt, deren Umrech-
nung aus der alten Valuta in die neue nötig erscheint. Dass der Staat diese
Umrechnimg für seine eigenen Verhältnisse selbst vorzunehmen hat, wurde nie
bezweifelt. Auch bezügüoh der Verbindlichkeiten von Privaten ist gewiss, dass
dieselben nicht in der alten, sondern in der neuen Valuta zu erfüllen sind. Allein
die Begründung dieses Satzes gibt zu wichtigen Verschiedenheiten in der Auffas-
sung Anlass. Es gibt eine falsche privatrechtliche und eine richtige staatsrecht-
liche Auffassung. Die erstere geht dahin, dass die Erfüllung der auf Silber lauten-
den Verpflichtunfsren in Folge der Einführung der Goldwährung unmöglich wird,
und dass daher die Hingabe von Gold an Silberstatt eine datio in solutum bildet.
Demgegenüber sieht die staatsrechtliche Auffassung in der Erfüllung in Gold das
wirkliche soldere der auf Valuta lautenden Obligationen. Wenn nun schon aus
der letzteren, richtigen Auffiassung die Notwendigkeit einer staatlichen Bestim-
mung des Valutaverhältnisses an und für sich folgt, wurde nichtsdestoweniger in der
Literatur ein heftiger Streit geführt darüber, ob die Bestimmung des Valuta Verhält-
nisses durch den Staat zu geschehen habe, oder ob dieselbe der Vereinbarung der Par-
teien, respective dem Urteile des Richters zu überlassen sei. Die eben berührte Con-
troverse geht von zwei Voraussetzungen aus : entweder davon, dass der Staat über-
haupt absieht, eine Bestimmung zu treffen, oder davon, dass der Staat für seine
eigenen Verbältnisse eine andere Norm trifft, als für die privatrechtlichen Ver-
hältnisse. Im Sinne dieser Voraussetzungen gibt es vier Zeitpunkte, die für die
Bestimmung der Verhältnisse der Valuten massgebend sein können, und zwar der
Zeitpunkt 1. der Entstehung der Obligation, 2. des Währungswechsels, 3. der
Erfüllung, 4. der Zahlung. Der Verfasser bespricht die Bedeutung dieser vier
Bestimmungsmodalitäten, nachdem er die Ansichten von Godschmidt, Hartmann,
Bekker, Behrend, Grünhut und Menger dargelegt hat. Im Gegensatze zur herr-
schenden Auffassung, welche den Zeitpunkt des Währungswechsels für massgebend
hält, erklärt er sich für den Zeitpunkt der Erfüllung, welcher allein einer streng
privatrechtlichen Auffassung entsprechen könne. Allein die privatrechtliche Auf-
fassung an und für sich hält Verfasser für verfehlt. Eine Betrachtimgsweise, die
von der staatlichen Bestimmung abstrahirt, kann nur zur Aufstellung privatrecht-
licher Analogien führen, nicht aber zur Auffindung eines materiellen Bechtssatzes.
Hierauf untersucht der Verfasser den Inhalt der staatsrechtlichen Bestimmung
der Relation und weist den wirtschaftlichen Charakter der Relationsbestimmung
nach. Die Relation kann zwar wirtschaftUch zweckmässig gewählt werden und
eine gerechte Lösung annähernd erstreben, allein dieselbe nicht vollkommen
erreichen. Verfasser weist noch die Relativität der Bestimmungsarten (Tageskurs
und Durchschnittsberechnungen) nach und gibt zum Schlüsse der Hoffnung
Ausdruck, dass gleichzeitig mit der Valutaregulirung in Ungarn auch ein Münz-
und Währungsrecht geschaffen werde, welches an die Stelle der spärlichen
Bestimmungen unseres Staatsrechtes treten wird.
Zum Schlüsse hielt Moriz Wosinszky (Pfarrer von Apar in der Fünfkirchner
Diöcese), als Gast, einen archäologischen Vortrag über die älteste LeichenbestxU'
^tmgsweise der Urzeit, bei welcher Arme und Beine der Leichen zurückgebogen und
fest an den Körper gebunden wurden, wie dies an dem vom Vortragenden aus
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KURZE SITZUNGSBERICHTE.
95
dem Lengyeler Gräberfeld herausgehobenen and im Nationalmuseum ausgestellten
Exemplar sichtbar ist. Diese Bestattungsweise kommt von der paläolithischen bis
zur Hallstädter Periode in ganz Europa vor ; in Ungarn ist sie bisher blos im Len-
gyeler Gräberfeld im Comitat Tolna gefunden worden. Diese Sitte erfuhr im Laufe
der Zeit verschiedene Modificationen, welche Vortragender in drei Hauptgruppen
znsammenfasst. Die zusammengebogene Stellung der Leichen entspricht der Lage
des Embryo im Mutterleibe. Man legte den todten Menschen in derselben Lage
in den Mutterschoss der Erde, in welcher er aus dem Mutterleibe kommt, damit
er gelegentlich der jenseitigen Wiedergeburt in der natürlichen Lage gefunden
werde. Die an den verschiedenen derartigen Beatattungsfunden constatirten ver-
«chiedenen Culturstufen bezeugen, dass sich diese Sitte in zwei verachiedenen
Völkerwanderungsrichtungen von Asien her nach Europa verbreitet hat.
— In der Plenarsitzung am 1 5. Dezember las Professor Julius König eine
Denkrede auf das ord. Mitglied Eugen Ihmyady, Die Denkrede feiert in würdiger
Weise das Andenken des vor Jahresfrist dahingeschiedenen ungarischen Mathema-
tikers. Eugen Himyady hat auf dem grossen internationalen Gebiete seiner Wis-
senschaft Hervorragendes geschaffen, ja er ist in einem Kapitel derselben der Erste
gewesen. Er hat sich aber nicht allein um die grosse gemeinsame Wissenschaft bedeu-
tende Verdienste erworben, sondern auch um die Förderung der nationalen Cultur,
indem der für die Gegenwart überaus günstige Unterschied, welchen der Stand
der mathematischen Wissenschaften in Ungarn im Jahre 1890, verglichen mit
demjenigen vom Jahre 1865 zeigt, grossenteils Hunyady's Verdienst ist. Als
Hunyady im Jahre 1865 vom Aiislande heimkehrend seine wissenscheftliche Thä-
tigkeit in der Hauptstadt begann, existirte eine mathematische Fachwissenschaft
in Ungarn nicht. Die Arbeit eines Jahrhunderts, in welchem die Mathematik eine
in der Geschichte der Wissenschaften beispiellose Entwicklung gewonnen hatte,
war hier nachzaholen. Hunyady, welcher am il8. April 1838 in Pest geboren wurde,
erreichte nicht die natürliche Grenze des menschlichen Lebens, aber sein Leben war
doch ein ganzes Leben, seine Arbeit eine ganze Mannesarbeit. Er hat seiner Wis-
senschaft eine neue Heimat und seiner Heimat eine neue Wissenschaft erworben.
Deshalb wird in der Geschichte der imgarischen Wissenschaft sein Andenken ein
ewigdauemdes sein.
Die Mitteilung der laufenden Angelegenheiten eröffnet der Generalsecretär
Koloman Szily mit der Meldung von dem am 10. September in Kalkutta erfolgten
Ableben des auswärtigen Mitgliedes Atkinson, dessen Andenken die HI. Classe in
einer Denkrede feiern wird. Hierauf beantragt der Generalsecretär, dass dem aus-
wärtigen Mitgliede Dr. Alfred Ameth, k. u. k. Hof- und Staatsarchivar in Wien,
der die Schätze des Hof- und Staatsarchivs den ungarischen Forschern geöffnet und
hiedurch, um die Entwicklung der ungarischen Geschichtsforschung sich grosse
Verdienste erworben hat, anlässlich seines am 27. Dezember in Wien zu feiernden
fünfzigjährigen Dienstjubiläums seitens der Akademie« eine Glückwunsch- Adresse
zugesandt werde. Wird zustimmend angenommen. — Eine Zuschrift des Unter-
richtsminist^rs, welche das Gutachten der Akademie in der Frage der von der königl.
italienischen Regierung angeregten Feststellung eines einheitlichen Zerusmeridians
und einer einheitlichen Zeitzählung ansucht, wird der HI. Classe zugewiesen. —
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öö mXdoheniuche.
Das Anstichen desselben Ministeriums um ein Gutachten über das Bittgesuch de»
königlich griechischen Generalconsuls Paul Haris um Einführung der neugriechi-
schen Aussprache in den Mittelschulen wird der I. Classe zugewiesen. — Die
n. Classe empfiehlt folgende drei Anträge der archäologischen Commission zur
Annahme : f. Die Akademie möge die von der Legislative für archäologische
Publicationen bewilligten 5000 fi. zur Hälfte auf Publicationen über vaterländische
Baudenkmäler und zur Hälffce auf andere Publicationen verwenden ; 2. die Aka-
demie möge die Dotation der archäologischen (Kommission von 6000 auf 7000 fl.
erhöhen ; 3. die Akademie möge beim Unterrichtsminister die Erlaubniss der
Benützung der Zeichnungen der Landescommission für Kunstdenkmäler durch
die archäologische Commission auswirken. Die IT. Classe bittet zugleich auf Antrag
der archäologischen Commission um Bestätigimg der Wahl der folgenden Com-
missionsmitglieder : Sigmund Bubics, Bischof von Kaschau, Dr. Julius Forster,
Kamill Fittier, Stefan Möller, Ludwig Rauscher, Friedrich Schulek und Emericb
Steindl. Wird zustimmend angenommen.
MÄDCHENRACHE.
Frei nach Alexander Endrödi.
Die Sultanstochter ruht allein Der schwarzen Hüter wilder Tross
Am Rosenstrauch, im Myrthenhain, Vor Wuth und Eifer überfloss ;
Da stürzt heran ein Jüngling und — Sie führen bald den Jüngling vor —
Küsst ihren Mund. armer Thor !
Vor Scham und Aerger purpurrot, Das Antlitz blass, aus edlem Blut,
Klagt sie dem Vater ihre Not : Im Auge Leid und Liebesglut,
«Ein Fremdling that's . o Schmach, Er blickt sie an so traurig-kühn,
Und ist entflohn li [o Hohn, Mit stillem Glühn.
Kaum war der Frevler angeklagt, cDer hier ist's ! i ruft der Häscher rauh,
Bogann auf ihn die Menschenjagd. t Sein Haar ist schwarz, sein Eaftan blau I»
Die Sultanstochter ruft mit Dräun : Der And're murrt : fFür solche Schuld
«Er soll's bereun I • Giebt's keine Huld !•
«Durchforscht nach ihm die Palmenau, Der Sultan selbst im Zorn entbrannt,
Sein Haar ist schwarz, sein Kaftan blau 1 1 Legt drohend an das Schwert die Hand :
Die Sultanstochter zürnend spricht: «Zum Tode geht des Jünglings Bahn,
« Verschont ihn nicht 1 1 Hat er's gethan I
Mein gold'nes Kind, bezeuge mir,
Beging die Tollheit dieser hier?i —
Die Sultanstochter leise spricht :
«Er war es nicht N
Stefan Rönat.
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GRAF MORITZ BENYOYSZKY ALS GEOfiRAPHISCHER
FORSCHER.
Im laufenden Jahre wird es ein Jahrhundert sein, seit Nicholson das
berühmte Buch über die Heldenthaten, Beisen und Eroberungen des kühnen
und unternehmenden ungarischen Grafen Moritz Benyovszky herausgegeben
hat.^ Das Buch schildert des Grafen kurzes, jedoch umso thatenreicheres
Leben. Er wurde im Jahre 1746 geboren,** durchkämpfte als junger Mann
den ganzen polnischen Krieg und wurde von den Bussen gefangen genommen,
die ihn nach Sibirien verbannten. Er durchreiste Europa und Asien, bis er
endlich den Ort seiner Verbannung, Kamtschatka, erreichte. Mit seinen
Genossen knüpfte er gar bald einen Bund zu seiner Befreiung; der Umstand,
dass sich die Tochter des Gouverneurs in ihn verliebte, erleichterte seine
Flucht Eines Tages brach der langsam vorbereitete Aufstand los, der Gou-
verneur und die Garnison wurde niedergemetzelt, Benyovszky entfloh und
bestieg ein gebrechliches Fahrzeug. Fünf Monate hindurch trieb er sich auf
dem Meere herum, bis er endlich Macao erreichte, von wo er nach Europa
gelangte. Dann trat er in französische Dienste und begab sich nach Mada-
gaskar um dort französische Colonien zu gründen. Jedoch die Eingeborenen
gewannen ihn lieb und wählten ihn zu ihrem Fürsten. Benyovszky nahm
an ihren Kämpfen Theil, nachdem er aber den Frieden gesichert hatte und
da er von den französischen Gouverneuren der Isle de France schmählich
betrogen worden war, kehrte er nach Europa zurück, um das Protektorat
irgend eines Staates für sein Volk zu gewinnen. Allein die Franzosen wollten
nur von Colonien, aber nichts von Verbündeten hören, England und Deutsch-
land waren anderwärts beschäftigt, und so war das Resultat aller seiner
* Memoirs and Travels of Mauritius Augustus Count de Benyovszky, Written
by liimself. Translated from the Original manuscript. In two volumes. London, Robin-
son, 1790. Benyovszky schrieb das Originalmanuscript französisch.
-'^ Benyovszky wurde nach Nicholson, dem ersten Herausgeber der Memoiren,
1741 geboren, wie aber J6kai in seiner Biographie erwähnt, ist das Geburtsjahr
Benyovszky's nach dem, vom Seelsorger zu Verbö ausgefertigten authentischen
Taufschein nicht 1741, sondern 1746. J6kai M., Benyovszl^ ^letrajza. Budapest,
1888, L, 11.
ünguiMb« Beyne. XT. 1891. U. Heft 7
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^8 GRAF MORITZ BENY0V8ZKY ALS OEOGRAPHTSCHER FORSCHER.
Bemühungen das^ dass ihn ein amerikanischer Kaufmann an die Spitze
seiner Frivatuntemebmungen stellte. Benyovszky erreichte Madagaskar,
wurde aber von den Franzosen angegriffen und am 23. Mai 1786 getödtet.
Die erste englische Ausgabe von Benyovszky's Beisebericht erschien
1790 und schuf eine ganze Literatur ; ^ sie wurde von Nicholson veranstaltet,
der zu dem Werke eine Einleitung schrieb, in der er die Verlässlichkeit der
Angaben Benyovszky's kritisch untersuchte. Auf die Frage, ob Benyovszky
die geschilderte Reise überhaupt unternommen habe, oder nicht, — denn
selbst dies wurde in Zweifel gezogen, — antwortete er mit einem entschie-
denen Ja. Die Resultate seiner Kritik fasst Nicholson in folgendem zu-
sammen: «So lange als Benyovszky 's Daten auf ihn selbst Bezug haben,
müssen wir seine Behauptungen für authentisch halten ; der grösste Theil
derselben kann jedoch auch durch Nebenargumente gestützt werden. Die
Theilnahme an den polnischen Unruhen bezieht sich auf jüngstverflossene
Ereignisse ; die Mehrzahl der von ihm genannten Persönlichkeiten sind von
hohem Rang und leben noch heute. Ja sogar bezüglich seiner Continentreise
durch das asiatische Russland und im Nordosten der alten Welt sind wir
nicht mehr ganz ohne Kenntnisse. Wenn wir aber die Lage der Inseln und
Ufer des Meeres zwischen Asien und Amerika untersuchen, müssen wir
gestehen, dass wir grossen Schwierigkeiten begegnen.» ^
Unzuverlässig ist der Theil des Benyovszky'schen Reiseberichtes, der
sich auf die Strecke von Kamtschatka bis Macao bezieht und hauptsächlich
dieser Theil seines Journals war der Stein des Anstosses und die Ursache
des Zweifels an der Authenticität seiner Behauptungen ; diesem Theil seines
Tagebuches gegenüber müssen wir daher die volle Schärfe der Kritik ob-
walten lassen. Es ist leicht begreiflich, dass sich dieser Schärfe der Kritik
weder Nicholson, noch ein anderer Geograph seiner Zeit bedienen konnte»
denn jene Gegenden waren zu der Zeit noch eine terra incognita ; erst die
Russificirung Sibiriens, dann die Eröffnung des nordamerikanischen Eisen-
bahnnetzes — beides Ereignisse unseres Jahrhunderts — waren die mäch-
tigen Faktoren, denen wir die genaue Kenntniss der Geographie, Natur-
und Volkskunde jener Gegenden verdanken. Die Kritiker mussteu sich
Benyovszky's Reisebericht gegenüber passiv verhalten, daher stammt der
grosse Unterschied in der Behandlung, die diesem Theile seines Werkes zu
Theil wurde. Es war nur recht und billig, als Nicholson schrieb ^ : «jenem
Theil des Werkes gegenüber, der mit anderen Daten nicht zu vergleichen
^ In der ungarischen Literatur erschienen 1888 drei Werke über Benyovszky.
die Uebersetzung seiner Memoiren von Jokai, die Biograplüe von Jokai und eine
Jugendschrift von W. Radö.
• Engüflohe Ausgabe I. Bd. III. S.
» L. 0. IV. S.
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GRAF MOBITZ BBKYOVSZKY ALS OBOORAPHTSCHBR POR80HBR. ^
war, . . . suchte ich keine anderen Beweise, da sie anderen Entdeckungen
gleich gestellt werden dürfen, in deren Verlässlichkeit wir solange keinen
Zweifel setzen, bis dieselben durch neuere Forschungen entweder gestützt,
oder widerlegt werden, t Dem gegenüber ist die Böswilligkeit des deutschen
Verlegers Ebeling kaum zu erklären, der zu dem Kapitel, in dem Benyovszky
die Entdeckungsreisen im Osten von Kamtschatka zusammenstellt, bemerkt :
«einige gänzlich überflüssige Sachen haben wir in der deutschen üeber-
setzung doch weggelassen», wo doch die Vergleichung des englischen Ori-
ginaltextes und der deutschen Uebersetzung beweist, dass Ebeling nicht ein
Wort weggelassen hat.^ Diesen verschiedenen Ansichten gegenüber hat
unser Jahrhundert unsere geographischen Kenntnisse mit zahkeichen neuen
Daten bereichert, und die Uebereinstimmung dieser mit den Angaben
Benyovszky's ist das einzige Mittel, dessen wir uns bei Beurtheilung seines
Berichtes bedienen können, auf Grund dessen wir im Stande sein werden,
die Verlässlichkeit jenes Theiles seiner Beschreibung zu beurtheilen, der
durch historische Dokumente nicht gestützt werden kann. Obwohl Benyovszky
seine Memoiren in einer fremden Sprache geschrieben hat, obwohl sich mit
den von ihm bereisten Gebieten hauptsächlich die ausländischen Literaturen
beschäftigen, hat sich doch in neuerer Zeit Niemand gefunden, der die
Authenticität, aber auch die Verdienste Benyovszky's festzustellen versucht
hätte. Müssen wir auch mit Bedauern sehen, dass die grössten Geographen
und Forscher unserer Zeit, Nordenskiöld ^ und Beclus,^ den Grafen
Benyovszky rücksichtslos ignorieren, so glauben wir doch, dass die folgenden
Zeilen, deren Zweck es ist, den strittigen Theil der Keise von Kamtschatka
bis Macao kritisch zu beleuchten, jedermann überzeugen werden, dass das
in dem stillschweigenden Uebergehen des ungarischen Grafen inbegriffene
ürtheil der genannten Gelehrten ein unbegründetes ist.
Unsere Aufgabe beginnt mit der Beurtheilung der durch Benyovszky
gestifteten Unruhen und der Flucht aus Kamtschatka. Es ist unbestreitbar,
dass die städtischen Archive des europäischen oder asiatischen Bussland
diesbezüglich amtliche Urkunden enthalten müssen, dieselben sind jedoch
bis heute nicht bekannt und so können wir uns noch nicht auf historische
Dokumente berufen.* Wir kennen trotzdem drei verschiedene Beschrei-
bungen dieser Begebenheit, die aus dem letzten Decennium des 18. Jahr-
hunderts stammen; zuerst Benyovszky's Beschreibung, die in seinen
Memoiren enthalten ist, dann die Schilderung eines gewissen Stefanow, die
auch heute noch seht wenig bekannt ist, endlich die Darstellung des fran-
* EbeUngs Ausgabe der BenyovsEkyschen Memoiren. I. Bd., 287. S. i
' Die Umsegelung Asiens und Europas. II. Bd.
' Nouvelle Geographie Universelle. VII. Bd.
* Thallöczy schreibt an M. R&th "/? 1887: «In Pans, Moskau, ' Finme finden
sich wohl viele Daten zur Biographie Benyovszky's, mit der ich mich beschäftigte.»
7*
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lö^ ORAP MORITZ BBKYOVSZKY ALB OROORAPHrsCHBR FORSCHER.
eösiscben Gonsnls Lesseps. Hieran schliesst sieb noch die BeecbreibuDg
Gocbrane's vom Beginne unseres Jabrbunderts.
Nacb Benyovszky's Beschreibung brach der Aufstand in den ersten
Tagen des Mai aus, als das Wetter schon mild war und die gefrorene See
bereits auftbaute ; die Festung wurde niedergebrannt, der Gouverneur Nilow
ermordet, die Aufständischen, an ihrer Spitze Benyovszky, bemächtigten sich
des Schiffes «St. -Peter und St. -Paul» und verliessen am 11. Mai 1771
Kamtschatka.
Benyovszky's Schilderung wird durch Lesseps vollkommen bestätigt,
ja sogar ergänzt. Lesseps begleitete im Auftrage seiner Begierung La Perouse
und De Laugle auf deren Beise um die Welt. 1787 landeten sie in Kamt-
schatka und da sie infolge der unfreundlichen Witterung gezwungen
waren dort längere Zeit zu verweilen, hatten sie Gelegenheit, die nach der
Bevolution eingetretenen Veränderungen zu studieren und über Benyovszky
Daten zu sammeln. Lesseps fasst dieselben in folgendem zusammen: «Wir
wissen, dass Benyovszky 1769 während der polnischen Bevolution in den
Diensten der Conföderirten kämpfte, er wurde seiner Unerschrockenheit
wegen an die Spitze eines Heeres zusammengetrommelter Ausländer oder
eher Bäuber, — wie auch er einer war, — gestellt ... er vernichtete alles,
was er in seinem Wege fand. Die Bussen ergriffen ihn . . . verbannten ihn
nach Sibirien. Kaum schmolz jedoch der Schnee, so erschien er an der Spitze
von Conspiratoren, auf die er seinen Einfluss auszubreiten wusste, in Bol-
scheretzk. Er attaquirte die Garnison, beraubte sie ihrer Waffen, ermordete
den Gouverneur Nilow eigenhändig. Im Hafen ankerte ein Schiff; Benyovszky
bemächtigte sich desselben ; ein Blick genügte, um Alles erzittern und'ibm
unterthan zu machen. Er zwang die Kamtschadalen zur Beschaffung von
Lebensmitteln, begnügte sich jedoch nicht mit diesem Opfer, sondern opferte
sogar ihre Wohnungen der Baubwuth seiner Genossen und bot selbst Bei-
spiele des Eidbruches und wilder Grausamkeit. Endlich segelte er mit seinen
Genossen davon, wie man sagt nach China. Der Fluch der Kamtschadalen
folgte ihnen.» *
Zwei Thatsachen finden wir in dieser Beschreibung, die mit Benyovszky's
Schilderung nicht übereinstimmen : nicht Benyovszky, sondern sein Gefährte
Panow ermordete Nilow, und hierin schenken wir Benyovszky's Worten mehr
Glauben, als jenen der Kamtschadalen, die dieser Scene überhaupt nicht
beiwohnten. Wir kennen Benyovszky's humane, edle Gesinnungsweise und
halten es für unwahrscheinlich, dass er in die Plünderungen eingewilligt
habe ; es ist unleugbar, dass die Kamtschadalen im Kampfe viel zu leiden
hatten, und wir finden es erklärlich, dass Benyovszky's Abreise vom Fluch
* Journal historique du Voyage de Lesseps. Paris, 1790. I., 154. — Mitgeteilt
auch in der Ebeling^schen Ausgabe.
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GRAF MORITZ BBNYOVßZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER. 101
der KamtBobadalen begleitet war; derselbe Umstand erklärt jedoch anch^
dass das Volk m seiner Erbitterung die Thatsachen, deren Folgen es zu
ertragen batte^ in übertriebenem Masse entstellte.
Unsere dritte Schilderung stammt von Stefanow, einem von denen, die
den Grafen von Kamtschatka bis Macao begleiteten und ihm mit ihrer fort-
währenden Unzufriedenheit viel Ungemach bereiteten. Stefanow gelangte
von Macao nach Batavia und schrieb dort seine Erlebnisse aus dem Gedächt-
niss nieder. Er starb in grossem Elend, seine Beschreibung gelangte in die
Hände des Pfarrers von Batavia, Metzlaers, welcher dieselbe in hollän-
dischem Auszuge in einer Amsterdamer Wochenschrift herausgab, der es
dann das Journal encyclopedique im November 1789 entnahm. Stefanow
schildert den Aufstand und die Flucht folgendermassen :
«Der Gouverneur von Bolscheretzk behandelte im Frühjahr die Gefan-
genen mit imgewohnter Grausamkeit. Stefanow zettelte daher eine Ver-
schwörung an, in die er 32 Gefangene einbezog, was genügend schien, um
die für sie gefährlichen Personen zu entwaffnen. Ihr Unternehmen ward
dadurch erleichtert, dass der Ort ausser von drei Kanonen und sechs Sol-
daten durch nichts geschützt war. Am 18. April führten sie den Plan aus.
Die Verschworenen bemächtigten sich vor Allem der Zaarkassen, versahen
sich dann mit Lebensmitteln, entwaffneten die Wachmannschaft, zogen auf
dem Festland bis Tscbekawka, 40 Werst von Bolscha, wo sie Anfangs Mai an-
kamen. Ihr Schiff, das hier vor Anker lag, musste zuvörderst aus dem Eis
befreit werden, denn obwohl die Ufer Kamtschatkas oft auch schon früher,
z. B. Anfangs April, eisfrei sind, bedeckte den Ankerplatz doch Eis, da die
hohen Gebirge den Hafen bis Mitte Juni von den Strahlen der Sonne ab-
schliessen. Nach 11 Tagen war das Schiff reisebereit, und am V2. Mai segelte
es ab . . . zusammen waren 70 Mann an Bord.» *
Stefanow's Schilderung widerspricht in einzelnen Punkten jener
Benyovszky's ; wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Stefanow seine Reise
nur aus dem Gedächtniss niederschrieb, Benyovszky hingegen regelmässig
Journal führte. Tbeils der persönliche Hass gegen Benyovszky, theils die
Hoffnung, sich durch seine Beisebeschreibung zu nützen, erklären den Um-
stand, dass Stefanow die Person Benyovszky's ganz in den Hintergrund stellt
und — der Wahrheit entgegen — sich selbst an die Spitze der Bewegung
gestellt zu haben behauptet. Der Graf gibt an, in der Festung hätten sich
12 Soldaten und 21 Kanonen befunden, und der Hetman sei im Stande
gewesen, ein Heer von 7 — 800 Mann zusammenzustellen ; kein Zweifel, dass
sich diese Zahlen nicht genau fixieren lassen, doch wenn es auch möglich
ist, dass Benyovszky's Daten übertreiben, so ist doch gewiss, dass Stefanow's
Schilderung unrichtig ist, denn einer so geringen Kriegsmacht gegenüber
* EbeUng's Ausgabe, IL Bd. p. 285«
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102 GRAF MORITZ BBNYOVSZKY ALS GBOGRÖPHIBCHER FORSCHER.
dürften sich kaum so heftige Kämpfe entwickelt haben^ die sich noch Jahr-
zehnte hindurch in der Erinnerung der Eamtschadalen behaupteten. Da Stefa-
now seine Schilderung russisch geschrieben^ entspricht sein 18. April unserem
29., während Benyovszky den £26. April angibt. Der Unterschied kann nur
auf Stefanow's Irrthum zurückgeführt werden, da Benyovszky seine Erlebnisse
von Tag zu Tag angibt. Benyovszky erwähnt nirgends, dass er genöthigt
gewesen sei, sein Schiff aus dem Eise zu befreien, er erwähnt nur, dass dem
Schiffe eine Eistafel den Weg versperrte, die jedoch durch einen Kanonen-
schuss zertrümmert wurde. Eigenthümlich ist es, dass Stefanow den 18. April
dem gregorianischen Kalender gemäss angibt, während er den Tag der Ab-
reise (12. Mai), der mit Benyovszky 's Angabe übereinstimmt, nach unserer
Zeitrechnung bezeichnet ; der Fehler dürfte vom Uebersetzer Metzlaer her-
rühren. Nach Stefanow waren auf dem Schiffe 70 Personen, nach Benyovszky
06, deren Namen er auch anführt ; der Irrthum ist daher wahrscheinlich
auf Stefanow's Seite.
Gochrane, unser vierter Autor schreibt: «In Bolscheretzk hörte ich
wunderbare Dinge vom bekannten Benyovszky, der von hier, nachdem seine
Verschwörung gelungen, nach Kanton geflohen war. Eine alte Dame, die
später meine Schwägerin wurde, kannte ihn noch, ihre Aeusserungen jedoch
lauteten nicht günstig . . • Die Kamtschadalen halten Benyovszky noch jetzt
für ihren Fluch.»* Ich glaube, diese persönliche Bekanntschaft ist der
sicherste Beweis dessen, dass Benyovszky wirklich in Kamtschatka gewesen.
Am II. Mai 1771, einem Mittwoch, verliess Benyovszky Kamtschatka,
den Schauplatz so vieler Leiden und Kämpfe. Er übernahm das Gommando
des Schiffes, das — die Mündung des Flusses Bolscha verlassend — sich
nach Süden wandte, um das Gap Lopatka zu umfahren und längs der
Kurilen dem Stillen Ocean zuzusteuern. Der Weg von Bolscha zum Cap
Lopatka dauerte zwei Tage, war ruhig, der Himmel jedoch fortwährend
bewölkt, und vom Ufer nichts zu sehen. Am 1 3. Mai sahen sie das Felsen-
Cap Alayd gen Westen, das nördlichste Glied der Kurilen-Kette, welches
noch heute den Namen Alaid oder Araid, nach Cook Arugan, führt.
Am 14, Mai umfuhr Benyovszky *s Schiff das Cap Lopatka und
segelte zwischen den zwei nördlichsten Inseln der Kurilen in den Stillen
Ocean, Hier irrte es vier Tage umher; das Wetter war nebelig, trübe,
es gab Schnee, Begen, Stürme und grosse Fluth, die Richtung des
Schiffes wurde nicht notirt. Sie mochten nicht fern vom Lande sein, denn
schwimmendes Gras umfasste öfters ihr Schiff und sie sahen auch Adler
umherfliegen. Am fünften Tage (19. Mai) erreichten sie die Behring-Insel,
* Capt. J. D. Gochrane, Fussreise durch Busshind und die Blbirische Tartarey.
nach Kamtschatka. Wien, 1826, p. 140 und 196.
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GRAF MORITZ BENYOVHZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER. ^03
sie mussten daher vom Gap Lopatka nach NO. gesegelt sein und etwa
75 Meilen zurückgelegt haben.
Benyovszky verbrachte mit seinen Genossen fünf Tage auf der Insel
und benutzte die Zeit sehr gut. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die
Insel kaum von Eingeborenen bewohnt sei, ankerte er in einer Bucht, die
nach ihm Moritz-Bucht benannt wurde, Hess am Ufer Hütten errichten,
ordnete die Beinigung des Verdeckes und die Ventilation der Lebensmittel
an, Hess Brod backen, Fische einsalzen, schaffte durch Jagd Fleisch und
Leberthran, liess Holz hacken und setzte Alles in Bewegung, um die Fort-
setzung seiner Reise zu sichern. Hier traf er auch Spuren anderer Bei-
sender; er fand die durch Feter Kreniczin, den nach GaUfomien ausge-
sandten Beisenden errichteten — in Europa bis dahin unbekannten —
fünf Gedenkkreuze, was gleichfalls ein Beweis der Glaubwürdigkeit seines
Berichtes ist.
Unterdessen brach unter der Mannschaft eine Revolte aus, Stefanow
zeigte eine Verschwörung an, die strenge Bestrafung erheischte. Der Gerichts-
stuhl der Gesellschaft verurteilte die drei Verschwörer, allein auf die Insel
ausgesetzt zu werden. Benyovszky gab sich damit zufrieden, und so wurden
die drei, Ismailoff, Parentschin und seine Frau die ersten Golonisten der
Behring-Insel. Ismailoff war vom Glücke begünstigt, nach sieben Jahren
fand ihn Cook auf der Insel Unalaska und schreibt Folgendes von ihm : *
«Am 14. October Abends, als ich mit Herrn Weber in der Nähe des Dorfes
Sanagandha war, sah ich einen Russen landen, der^ wie ich später erfuhr,
eine der hervorragendsten Persönlichkeiten war. Sein Name ist Erasim
Gregorioff Sin Ismailoff. Er kam auf einem Kahn, den drei Männer trieben,
und den ausserdem 20— 30 Nachen begleiteten.... Ismailoff scheint ein
intelligenter Mann zu sein, der bedeutende Erfahrungen hat ; ich bedaure
daher, dass ich mit ihm nur durch Zeichen verkehren konnte.» Hieraus ist
ersichtUch, dass Ismailoff auf Unalaska überfuhr und dort das Haupt einer
Colonie wurde.
Die Behring-Insel liegt nach den neuesten Angaben, die Nordenskjöld
zusammenstellte, unter 54^ 40' und 55 ^ 25' nördl. Breite, und somit ist
Benyovszky's Bestimmung — 55° 15' — vollkommen richtig. Die östliche
Länge beträgt 166® 40' Gr.; Benyovszky schreibt nur: ihre geographische
LÄnge schätze ich auf S'' von Bolscha, — was mit jenen Daten gleichfalls fast
genau übereinstimmt. **
Wir finden jedoch in Benyovszky's Beschreibung einige auf die
Behring-Insel Bezug habende Daten, die einigen Verdacht erwecken können.
* Cook's ßäinmtliche Beißen und Entdeckungen um die Welt. Wien, Bauer
1803, Bd. UI., p. 411.
*'^' Nordenskiöld, 1. c.
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104 qbJlF MORITZ BENYOV8ZKT ALS GEOGRAPraSCHER FORSCHER.
Denselben zum Teile zu zerstreuen ist aber nicbt allzuscbwer. Benyovszky
schreibt in seinem Tagebuch^ dass er hier Holz habe schlagen lassen ; dem
gegenüber wissen wir, dass auf der Insel Bäume weder zu Zeiten
Stellers^ des ersten Beschreibers der Insel^ noch zu Nordenskjöld's Zeit
wuchsen. Kjellmann, Nordenskjöld's Begleiter^ schreibt von der Flora der
Insel: lÄn dem langsam ansteigenden Ufer sind zwei Zonen, eine äussere,
ohne jedwede Flora, und eine innere mit Heracleum sibiricum, Angelica
archangelica, Ammailenia peploides, Elymus mollis etc. genau zu unter-
scheiden.»* Es scheint, dass Benyovszky's Brennholz auch solchem Jung-
wald entstammte.
Benyovszky hebt von den Tieren nur die Seeotter hervor, denn er
bekam 150 Otterfelle von dem auf der Insel wohnenden Ochotin. Ein merk-
würdiges Tier der Insel war der Eisfuchs, der in unglaublichen Massen
auf der Insel lebte, von den Pelzjägern aber so sehr ausgerottet wurde, dass
Nordenskjöld kein Exemplar desselben finden konnte. Benyovszky erwähnt
den Eisfuchs nicht» was jedenfalls sonderbar ist, da er seit 1771 noch nicht
gänzlich ausgerottet sein konnte. Viel natürUcher ist, dass Benyovszky die
heute schon gänzlich ausgestorbene Steller'sche Seekuh, die von 1768 an
nur selten gefunden wurde, nicbt erwähnt, sowie es uns auch nicht wundem
darf, dass er der Seebären nicht Erwähnung thut, die ja doch nur Ende
Mai oder Anfangs Juni das Ufer aufsuchen, zu welcher Zeit Benyovszky die
Insel schon verlassen hatte. **
Ich wiD nur noch zwei Thatsachen von Benyovszkys Aufenthalt auf
der Behring-Insel erwähnen, und dies ist der Unterschied, welcher sich
zwischen Ochotins erstem Brief vom :24. Janar 1771 und der Bemerkung
Benyovszky *s in seinem Brief vom 20. Mai ergibt : tals ich den Brief genauer
untersuchte, fand ich, dass die Schrift noch ganz frisch gewesen.» Entweder
stammt daher der Brief nicht vom 24. Januar, oder ist Benyovszky's Bemer-
kung irrig ; welchen Zweck so Benyovszky, wie Ochotin mit der Fälschung
des Datums verfolgen wollte, ist uns unerfindlich.
Die Behring-Insel war zu Stellers Zeit von Menschen noch nicht
bewohnt ; auch Benyovszky fand auf derselben keine Bewohner, und obwohl
•wir nicht wissen, wann die Insel bevölkert wurde, so können wir doch auf
Grund von Benyovszky's Bemerkungen annehmen, dass dies nach 1771
geschah. Benyovszky hinterliess auf der Insel ein Gedenkkreuz und verliess
am 25. Mai 1771 die Insel, um dem Wunsche seiner Gefährten gemäss
Amerika aufzusuchen.
Benyovszky hatte schon während seiner Grefangenschaft in Kam-
tschatka Gelegenheit, die Schriften der Kanzlei zu studieren; unter diesen
* Ejellmann, Nordenskjöld, 1. c. IX. Bd. Beschreibung der Behring-Insel.
♦* S. Nordenskjöld über die Behring-Insel; op. cit., Bd. IL
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GRAF MORITZ BENY0V8ZKY ALS OEOORAPHIßCHER FORSCHER. 105
Schriften fanden sich zahlreiche Beisebenchte, die Benyovszky eingehend
studierte und excerpirte. In einem Capitel seines Werkes, das aus diesen
Berichten zusammengestellt ist, gibt er eine historische Skizze jener Beisen,
die östlich von Kamtschatka unternommen wurden. An die Schilderung
jener 17 Beisen können wir nur wenige Bemerkungen knüpfen; nur Einer
fehlte in der Beihe ihrer Unternehmer, Deschnew, der erste Erforscher der
Behring- Strasse, der die Strasse 1648 durchschifft und den Weg von
Nischni-Kolimsk nach Anadir zurückgelegt hatte. Da Deschnew's Beise-
ergebnisse zu jener Zeit noch sehr wenig bekannt waren, selbst Feter dem
Qrossen nicht, der ihn ausgesandt hatte, so ist es nicht zu verwundern, dass
auch Benyovszky nichts von ihm wusste ; hatte ja auch Behring selbst keine
Eenntniss davon, von dem wir übrigens auch nicht wissen, wie weit er auf
seiner ersten Beise vorgedrungen war. *
Die Erforschung dieser G^enden Sibiriens kam erst damals auf die
Tagesordnung, als das Innere desselben bereits genügend bekannt war. Die
in Benyovszky's Geschichte aufgezählten Beisenden lieferten zur Kenntniss
des Behring- Meeres, der Aleuten und des nordwestlichen Teiles Amerikas
reiches Material, und er selbst kannte die Gestalt tmd Grösse des Behring-
Meeres sehr gut, obwohl als erste verlässliche Quelle Cooks Beise betrachtet
wird, die sich über die Behring-Strasse hinaus erstreckte.
«Noch nach Gook's Beise waren Sachalin, Jeso, die Kurilen und deren
Meere zum grössten Teil unbekannt. La Perouse war der erste, der die Ufer-
linien dieser Inseln bestimmte, der Sachalin als Insel erkannte und die
Verbindung der Meere von Japan und Ochotzk durch die Enge von Sachalin
feststellte. Hiemit war der letzte, bis dahin noch unbekannte Teil der Küsten
Sibiriens festgestellt, und die späteren Forschungen mussten sich nur auf
die Fixirung der Details beschränken.»
So schreibt der grosse Geograph Beclus ** und wir müssen mit Be-
dauern bemerken, dass auch er, der so viele Beisende von kleinerer Bedeu-
tung kennt, Benyovszky's Verdienste nicht anerkennt. Ueberblicken wir in
Kürze die Geschichte der Entdeckung Sachalins und lesen wir Benyovszky's
Beschreibung der Insel, so müssen wir zu der Ueberzeugung gelangen, in wie
* Einen Teil dieser Beisen finden wir auf Reclus' Karte (Nouv. Geogr. Univ.
VI., t. V.) — Aeltere Quellen: 1. Müller's Sammlung Russischer Geschichte, Peters-
burg, 1732; auch französisch imter dem Titel: Voyages et D^couvertes fiutes par
les Busses & C. Amsterdam 1766. — ± Neue Nachrichten von den neuentdeck-
ten Inseln in der See zwischen Asia und Amerika von J. L. S. Schulze, Ham-
burg, 1776. — 3. William Ooxe's Account of the Russians Discoveries between Asia
and America. London, 1780. — 4. Pallas, Nachricht von den russischen Entde-
kungen in dem Meere zwischen Asia imd Amerika. Aus dem Russischen übersetzt
in 0. E. R Büsching's Magazin 16. B. 935—286.
** Nouyelle Geographie Universelle, Bd. VL, p. 582.
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106 GRAF MORITZ BBNYÖVSZKT ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER.
ungerechter Weise die Geographen des Auslandes Benyovszky's Verdienste
geschmälert haben.
Der Holländer Martin Gents de Vries war der erste, der 1643 im
Geduld-Hafen der Insel vor Anker ging, das Festland aber für die Insel
Jeso hielt. Auch auf Cooks im Jahre 1784 in London erschienener Karte
findet sich nur eine kleine Insel an der Mündung des Amur. Somit consta-
tirte er 1787 — nach Reclus — sechzehn Jahre nach Benyovszky's Reise
die gegenwärtige Gestalt und Grösse der Insel ; doch auch später war man
noch der Meinung, die Insel hänge mit dem Gontinent zusammen. 1797
bereiste Broughton das westliche, 1805 Krusenstem das nördliche
Ufer, doch ohne diese Meinung zu ändern, sowie sich denn auch diese
Ansicht bis in die Mitte unseres Jahrhunderts aufrecht erhalten hat, obwohl
einige Jahre nach Krusensterns Beise der japanische Gelehrte Mamia Rinso
von der Tataren-Bucht zwischen der Insel und dem Festand zur Amurmün-
dung gesegelt war. Die gelehrte Welt nahm erst nach Nevelskoi's 1849 — 52
ausgeführten genauen Aufnahmen Kenntniss davon, dass Sachalin eine Insel
sei, die durch die Mamio Binso genannte Strasse vom Festlande getrennt ist ;
die Strasse selbst friert im Winter zu, so dass man von der Insel mittelst
Schlitten ins Mandschu-Beich gelangen kann.
Aus alldem ist ersichtlich, dass die Geographen von Anbeginn an
zwei Fragen nicht zu beantworten vermochten : ob Sachalin eine Insel sei,
und wenn ja, von welcher Grösse sie sei? Benyovszky, dessen Werk 1790
erschien, war der erste, der auf Grund des in der Kanzlei zu Kamtschatka
gesammelten Materials genau und positiv behauptete (32. Cap. der engli-
schen Ausgabe), dass Sachalin keine Halbinsel, sondern eine Insel ist, und
er bestimmte deren Grösse viel genauer als alle anderen späteren Beschreiber
der Insel bis 1840 d. h. bis Nevelskoi, dem man dies als ein Verdienst
anrechnet. In Benyovszky's Beschreibung der Insel Sachalin findet sich nur
eine Angabe, die von denen der übrigen Forscher abweicht ; Benyovszky
schreibt nämlich, die Insel habe gute Buchten. Dem gegenüber schreibt
lieclus: «Die 2000 Km. lange Küste Sachalins weist keinen einzigen Hafen
auf, in dem Schiffe gefahrlos ankern könnten.» Beclus' Behauptung ist
jedenfalls richtig, wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Benyovszky
seine Daten nicht aus Autopsie schöpfte, und dass sich Heclus' Behauptung
nicht auf jene kleinen Segelboote bezieht, mit denen die Bussen die Insel
zuerst aufsuchten.
Benyovszky's Reise auf dem Behring- Meere haben bisher nur sehr
Wenige eingehender verfolgt, die meisten begnügten sich mit jenen kurzen
Bemerkungen, die der englische Herausgeber Nicholson im Vorworte
gemacht und in denen er drei Punkte der Reisen Benyovszky's erwähnt: er
ging von der Behring-Insel aus, berührte die Glerke-Inseln und verliess bei
der Insel Unemak das Behring-Meer, um in den Stillen Ocean zu segeln.
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GRAF MORITZ BBNY0V8ZKY ALS aEOGRAPHlSCHER FORSCHER. 107
Diese kurze Skizze entspricht wohl der Wahrheit^ genügt jedoch nichts um
die Authenticität der Angaben des abenteuerlichen Grafen zu bestätigen.
Es ist gewiss keine leichte Sache^ Benyovszky's lieiseroute von Tag zu
Tag zu verfolgen, da aber Benyovszky während seiner Gefangenschaft sich
viele Kenntnisse erwarb^ ist dies auf Grund seines Tagebuches nicht unmög-
lich. Während seiner Irrfahrt auf dem Behring- Meer erwähnt er wohl selten
die Bichttmg seiner Fahrt und die zurückgelegten Distanzen, doch macht
er einige Bemerkungen, auf deren Grund die Eichtung seiner Fahrt den
Umständen angemessen mit ziemlicher Genauigkeit bestimmt werden kann.
Am 28. Mai 1771 erblickte Benyovszky ein Kap, das er - obwohl es
mit den Angaben der Karte nicht übereinstimmte — für das Gap Apaka-
zana hielt, und dessen Lage er astronomisch 59^ nördl. Breite und
13^ 20' östlicher Länge von Bolscha bestimmte. Dies ist der erste Fixpunkt
seiner Fahrt. Benyovszky's Breitenbestimmungen sind annähernd genau,
seine Fehler machen selten einen Grad aus ; weniger genau sind die Längen-
bestimmungen, doch betragen die Abweichungen — wie schon Nicholson
bemerkt hat — ziemlich constant 5^ und finden ihre Ursache in der
östlichen Declination der Magnetnadel. Unter dem 60^ nördlicher Breite
weist das asiatische Festland kein bedeutenderes Gap auf, einen Grad
gegen Norden ist das Pakatschinskoi Gap, eben so weit gegen Süden
das Gap Oljutorskij; nachdem aber letzteres nur 14^, das erste hin-
gegen 18® von Bolscha entfernt ist, was mit Benyovszky's (von Nicholson corri-
girten) Angaben übereinstimmt, so können wir das Gap Apakazana mit dem
Gap Fakatschin umsomehr für identisch halten, als auch der Name hiefür
spricht, und die Fahrt bis hieher ebenso lange dauerte, als von hier zum
Gap Lopatka, der Südspitze Kamtschatkas, was der geographischen Lage
vollkommen entspricht. *
Der nächste Punkt, dessen Lage wir ziemlich genau bestimmen
können, wurde von Benyovszky am 4. Juni erreicht. Es ist eine Insel, deren
Bewohner, die Benyovszky auf zwei Booten aufsuchten, den Tschuktschen
ähnlich sind, jedoch von Benyovszky nicht so genannt werden. Die zwei
Inwohner verstanden das Korjakische des gräflichen Steuermannes, waren
jedoch auch keine Korjaken. Von ihnen erfuhr Benyovszky, dass die Insel
nur 14 Meilen von Tschukotzkoinsk entfernt sei, welche Daten auf die Insel
Glerke oder St. Lorenz hinweisen. Die Lage der Insel bestimmte Benyovszky
astronomisch für 65° 30' nördl. Breite und 25° 30' östl. Länge von Bolscha;
nach unseren jetzigen Karten liegt sie unter 63° 30' nördl. Breite und 170°
östl. Länge, was 34° von Bolscha entspricht.
Die St Lorenz-Insel wurde von Behring 1741 entdeckt; später, 1791,
* Whymper, Alaska, Beisen und Erlebnisse un hohen Norden. Braunschweig
S. die Karte.
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108 GRAF MORITZ BENYOVSZKY ALS GBOGRAPHIßCHER FORSCHER.
landete auch Billing auf der Insel, fand dort Spuren von Menschen, konnte
jedoch keine Eingeborenen zu Gesicht bekommen. Nach Nordenskjöld war
der erste europäische Besucher der Insel, der mit den Eingeborenen ver-
kehrte, Otto Eotzebue, im Jahre 1816.* Nordenskjöld, der Benyovszky nicht
zu kennen scheint, muss hier berichtigt werden, denn es war entschieden
Benyovszky, der mit den Eingebornen zuerst verkehrte und über sie genaue
Angaben lieferte.
Viel schwieriger ist es, Benyovszky's Beise vom Gap Apakazana bis
zur Insel Si Lorenz festzustellen ; er erreichte die Insel am 5. Juni, seine
Fahrt dauerte daher eine volle Woche, da aber die Entfernung in gerader
Linie bequem in 3 — i Tagen hätte zurückgelegt werden können, so ist es
evident, dass das Schiff genötbigt war, grosse Umwege zu machen, oder dass
es durch die Eisverhältnisse im Vordringen gehindert worden war. Das Schiff
musste der Eisverhältnisse w^en sehr viel leiden, und dies mochte die Be-
mannung bewogen haben, auf die nördliche Durchfahrt zwischen Asien und
Amerika zu verzichten und Amerika, das heisst dem ersten civilisirten
Lande, zuzusteuern.
Vom Gap Apakazana verfolgte das Schiff eine Zeit lang die Küste,
änderte aber auf Wunsch der Mannschaft die Bichtung und wendete sich
gegen Westen ; noch am 30. Mai sah Benyovszky die Küsten Kamtschatkas,
doch schon am 31. verschwanden dieselben und er entfernte sich in öst-
licher Bichtung segelnd vom Gontinent. Wir kennen die Tiefenverhältnisse
des Behring- Meeres und können daher constatiren, dass Benyovszky sich
den mittleren, tieferen Teilen des Meerbeckens zuwendete, denn nur dort
konnte er jene bedeutenden Tiefen (68 Faden) beobachten, deren er Erwäh-
nung thut. Das Behring-Meer ist im Allgemeinen nicht tief; die Uferbil-
dung und die Tiefe des Meeres geben uns Beweise an die Hand, die dafür
sprechen, dass Asien und Amerika in dieser Breite einst in Verbindung
waren; auch die Tschuktschen wissen, wie Nordenskjöld, Whymper und
EUiot angeben, dass die zwei Erdtheile unter den Wellen des Meeres zusam-
menhängen, ja sie behaupten sogar, eine Landenge habe dieselben einst
verbunden und dieselbe sei — wie sie Neumann erzählten — nur infolge
eines heftigen Kampfes zwischen einem Helden und dnem Eisbären in die
Tiefe versunken. Die bedeutendste Tiefe in der Behring-Slarasse beträgt
58 M. ; die mittlere Tiefe erreicht jedoch weder an der asiatischen, noch an
der amerikanischen Küste 40 M. und der eigentliche Ocean mit seinen
Wirbeln, Strömungen und berghohen Wellen reicht gegen Norden nicht
über die Aleuten hinaus, an deren Felsklippen die Wut des Meeres bricht.**
Audi ein anderer Umstand spricht dafür, dass Benyovszky sich dem
* IJordenßkjöld, 1. c, IL Bd.
** Elliot: Alasca, an arotic province.
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ÖRAP MORITZ BENT0V8ZKY ALS OBOaRAPHIBCHER FOBSOHBB. ^09
Gentrum des Bebring-Meeres sngewendet habe ; er scbreibt, dass nacbdem
sich das Scbi£f yom Ufer entfernt hatte, das Eis ihm keinerlei Hindemisse
mehr in den Weg gelegt habe ; er schrieb das der Luftströmmig zu, doch
wissen wir, dass die Bichtung der Eisberge nicht von den Winden, sondern
von den Meeresströmungen bestimmt wird. Die Küsten Asiens werden von
einem kalten Meeresstrom bespült, der die durch die Behring-Strasse
hindurchgedrungenen Eisberge gegen Süden führt ; über den verhältniss-
massig schmalen Streifen dieser Strömung hinaus erwärmt sich das Wasser
des Behring- Meeres unter Einäu»9 der heissen Strömungen und ist daher
zumeist eislos; wenn daher Benyovszky am 1. Juni keinem Eise begegnete,
so ist dies ein Beweis dafür, dass er sich ausserhalb des Bereiches der
üferströmiuig befand.*
An diesem Tage erblickte er im NO. ein Gap, im SO. eine Insel ; es
unterliegt keinem Zweifel, dass dies nicht Uferinseln waren, sondern Inseln
des Behring-Meeres. Das Gap kann wohl nichts anders gewesen sein, als
die südlichste Spitze der Insel St. Lorenz. Die Insel im SO. musste eine
Insel der Mathew-Gruppe gewesen sein; Benyovszky's Freunde von der
Si Lorenz-Insel behaupteten von dieser Ghruppe, dass dieselbe aus 4 Inseln
gebildet werde, deren südlichste die grösste sei. Diese Beschreibung kann
nur auf zwei Inselgruppen des Behring- Meeres bezogen werden, entspricht
aber keiner ganz: in der Mathew-Gruppe sind nur drei Inseln, doch ist die
südliche die grösste; die Prybilow-Ghruppe hingegen besteht aus vier Inseln,
unter diesen ist aber die nördlichste die grösste. Benyovszky konnte nicht
nach den Prybilow-Inseln gelangt sein, denn der grosse Umweg gegen Süden
hätte mehr Zeit erfordert, auch wären die Windrichtungen dieser Fahrt nicht
günstig gewesen ; wir müssen daher annehmen, er habe nach NO. fahrend
die Mathew-Gruppe gesehen, und sei bezüglich der Zahl der Inseln von den
Tschuktschen ungenau unterrichtet worden.**
Nachdem Benyovszky zwischen den Mathew- und St Lorenz-Inseln
durchgefahren, entdeckte er im Osten ein Gap, das — wie er später von den
Bewohnern der Insel St. Lorenz erfuhr — die äusserste Spitze des grossen
Alaksina-Beiches bildete; seiner Angabe nach zieht sich vor dem Gap ein
Bifif hin, über dem das Eis ungeheuer fluthet. Dies Gap kann nach Nicholson
nur Point Shallow Water sein, das heute Gap Bomanzow genannt wird.
Von hier erreichte Benyovszky's Schiff die Insel St. Lorenz, den nörd-
lichsten Punkt seiner Beise. Von hier schiffte er durch das Behring-Meer
in NS-Bichtung bis zur Kette der Aleuten; das Meer war eisfrei, eine Zeit
lang verfolgte das Schiff die Küsten Amerikas, wendete sich aber später
nach Süden.
* Andree, AÜas.
** EUiot, op. oit
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11^^ GRAF MORITZ BE^OVSZKT ALS OBOORAPHISCHER FOftSCflB».
Bevor wir auf die Aleuten übergehen, müftsen wir noch einige Bemer-
kungen über jene Teile der Memoiren machen, die sich nach der bis-
herigen Meinung auf die Behring-Strasse beziehen. Benyovszky bestimmte
die kürzeste Überfuhr zwischen Alaska und den Aleuten vom Behring-Meer
in den StiUen Ocean; und indem er hierüber de dto 9. Juni schreibt,^ bringt
er seine Entdeckung mit der Behring-Strasse auf eine Art in Verbindung,
die die durch die falschen Aufnahmen der russischen Karte verursachte
Verwirrung leicht erkennen lässt. Es lässt sich nicht leugnen, dass Benyov-
szky*s Aeusserungen sich auch auf die Behring-Strasse beziehen, obwohl er
sich hierüber nirgends präcis ausspricht; doch lässt sich durchaus nicht
behaupten, Benyovszky habe die Strasse durchsegelt, wie es einzelne
deutsche Herausgeber, z. B. Ebeling gewaltsam thun, um die Verlässlichkeit
der Angaben zu erschüttern.
Die Küstenlinie Nord- Amerikas, die Benyovszky's Schiff befuhr und
an die sich die Kette der Aleuten anschliesst, gehört zu Alaska, dem nord-
westlichsten Teil Amerikas, jener grossen Halbinsel, deren politische Grenze
genau mit dem 14f.^ ö. L. zusammenfällt. Das Land Alaska teilt sich in
drei Bezirke,^ deren jeder in klimatischer, floristischer und physischer
Beziehung gänzlich verschieden ist. Der nördlichste führt nach dem Haupt-
flusse den Namen Jukon-District; seinen westlichen Ufern entlang segelte
Benyovszky. Den zweiten District, den Sitka-District, der den SO. Alaskas
bildet, berührte Benyovszky bei der Insel Kadiak. Den dritten Bezirk bilden
die Aleuten mit der südwestlichen Halbinsel Alaska*s; Benyovszky hat
diesen Bezirk nicht nur in vielen Teilen bereist, sondern auch in einem
separaten Kapitel eingehend geschildert.^
Eine kurze Bemerkung Benyovszky's, das Schiflf sei an den Ufern
Jukons von Treibholz umgeben gewesen, erweckt unser Interesse. So son-
derbar diese Bemerkung für diesen öden und pflanzenlosen Teil der Polar-
gegend klingt, ist sie doch nicht unerklärlich. Fast alle Teile des Jukon-
Districts sind mit Holz reich gesegnet; auch die Küsten des Eismeeres
erhalten von den Flüssen angeschwemmtes Holz in grosser Menge, es kann
daher ein Schiflf ohne Schwierigkeit auf Treibholz stossen.
Im Kapitel über die Aleuten beschreibt Benyovszky zwölf Inseln, die
ich hier nur in Kürze anführe :
N. B. .Länge v. BolichH
1. Insel Baru 59° 23°13'
2. • Ala-GiffcBcha 58° 25°33'
3. • Kadik 54°30' 33°16'
4. Fucbsen-Insel 53°45' 31°28'
* Memoü'en, Bd. L, p. 281.
' A. Molitor: Alaska, Földr. Közlem^nyek, Budapest 1881, p. 345,
* Cap. XXXIV. des Bd. I. der englischen Ausgabe.
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GRAF MORITZ BENY0V8ZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER. Hl
N. B.
Länge ▼. Bolacha.
5.
Insel Amsnd
53°
29°14'
6.
» ürumißir
52*>35'
28°15'
7.
3 Bieber-Insel
58«
26^55'
8.
Euh-Insel
61°35'
24°45'
9.
Behring-Insel
55°45'
8^30'
10.
Kupfer-Insel
54°45'
9^50
11.
Insel Kusma
48^46'
23°
12.
Perlen-Insel
47^32'
24°18'
Obwohl BenyoYSzky diese Inseln als zu den Alenten gehörig beschreibt
and auch ihre Lage genau zu bestimmen bestrebt ist, wozu er ausser seinen
Erfahrungen auch das Material des Archives von Kamtschatka verwendet,
so können wir doch die angeführten Inseln — ein-zwei ausgenommen —
auf den gegenwärtigen Karten nicht ausfindig machen. Die erste und Haupt-
ursache dieses Umstandes bildet die Ungenauigkeit seiner astronomischen
Aufnahmen, deren Fehler umso grösser wird, je mehr er sich gegen 0. wendet.
Nach BenyovBzky's Angabe liegt die Behring-Insel unter 54*^45' n. Er. und
8^ 30' ö. L. von Bolscha, die Kadik-Insel unter 54^30' n. Br. und 33^18' ö. L.
von Bolscha. Die Längenbestimmung der Behring-Insel ist ziemlich genau.
Die Kadiak-Insel ist zweifelsohne mit der Insel Kadjak oder Kadik identisch.
Jene ist die westlichste, diese die östlichste Aleuten-Insel, nach Benyovszky
ist der Längenunterschied zwischen diesen beiden Inseln 20^46', wogegen
er thatsächlich das Doppelte, nämlich 42^ beträgt.
Auch in den Breitenangaben finden wir ähnliche Abweichungen.
Die südUchste (Perlen) -Insel verlegt Benyovszky unter 47^32' n. Br., die
nördlichste, auf der noch Menschen leben (Baru), auf 59° n. Br., der
Unterschied würde also 11 ^/a° betragen; thatsächlich existirt aber zwischen
dem 40 und 51° n. Br. unter der geogr. Länge der Aleuten keinerlei Insel,
sowie auch zwischen dem 58 und 60° nicht, infolge dessen sich die Distanz
von llVa° auf höchstens 7° reducirt, der Irrtum daher 4° beträgt.
Aus den früheren Ausführungen ersahen wir, wie schön Benyovszky's
Erfahrungen mit unseren gegenwärtigen Kenntnissen übereinstimmen, und
wie weit sich auf Grund seiner Angaben die Boute seiner Fahrt bestimmen
lässt ; es muss uns daher die fehlerhafte Beschreibung der Aleuten über-
raschen und wir müssen unwillkürlich die Frage stellen, worin wir den
Grund dieser Thatsache zu suchen haben? Wir finden den Grund in
Benyovszky's Bescheidenheit. Er hatte die Daten über die AJeuten zu-
sammengestellt, noch ehe er sie besucht hatte. Nachdem er sie nun besucht
hatte, meinte er keine Ursache zu haben, an den Daten der Kanzlei in
Kamtschatka zu zweifeln, er nahm daher die alten Bestimmungen als
richtig an und war mehr darauf bedacht, in der Beschreibung der Inseln
Neues zu bieten. Was er aus eigener Erfahrung über die Aleuten mitteilt,
ist daher zur Festsetzung seiner Beise von viel grösserem Gewicht.
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Hd ORAF MORITZ BENY0V8ZKT ALS OBOGRÄPHISOHBR FOBSOHfift.
Uns damit zu beschäftigen, die Lage der von Benyovszky beschrie-
benen zwölf Inseln auf unseren Karten festzusetzen, wäre vergebliche
Arbeit: wir würden über die Behring-, Kupfer- und Kadiak-Insel kaum
hinausgelangen; es lässt sich auch annäherungsweise nicht bestimmen,
welches Gap an der Westküste Alaskas das Gap Baru sein soll ; die Ala-
und Otter- Insel dürften — ihrer Entfernung nach — den Prybilow-Inseln
entsprechen, einer nördlichen Gruppe der Aleuten ; die Amsud-Insel dürfte
ihrem Namen nach mit Amsitka identisch sein ; die Fuchsen-Insel ist eine
der heutigen Fuchsen-Inseln ; in die Bestimmung der Kuzma und Perlen-
Inseln wollen wir uns gar nicht einlassen ; endlich dürfte Urumsir und die
Kuh-Insel zwischen Amsud- und der Kupfer-Insel zu suchen sein.
Hingegen können wir mit voller Genauigkeit die Insel festsetzen, an
der Benyovszky zuerst landete. Benyovszky nennt ihren Namen nicht, er-
zählt jedoch., dass seine Leute einen Ausflug ins Innere der Insel unter-
nahmen, wo sie 4 Meilen entfernt ein Dorf mit 14 Häusern vorfanden ; die
Insel musste daher entschieden einen grösseren Durchmesser als 4 Meilen
haben. Kutznezow, der an der Spitze der Excursionisten stand, erzählt,
dass die Bewohner bei ihrem AnbUcke davon liefen, eine alte Frau jedoch
mit einigen Kindern dort blieb, dass ihre Gesichtsfarbe sehr dunkel war, die
Stirn mit verschiedenen Figuren geschmückt, die Ohrlappen durchbohrt
waren. Sie sprach weder korjakisch, noch tsohuktschisch ; in ihrer Hütte
fand man Pfeile, Speere und Kleider aus Vogelfedern. All dies spricht dafür,
dass es sich hier um Indianer handelte. Nehmen wir noch dazu in Betracht,
dass Benyovszky von einem Ganal zwischen einer Insel und dem amerika-
nischen Festlande spricht, so können wir behaupten, dass Benyovszky am
7. Juni auf der Insel Unimak, dem ersten Gliede der Aleutischen Inselkette
gelandet hatte.
Es existieren nur wenige photographische Aufnahmen von dieser
Gegend, noch weniger von den Aleuten ; Gegenden, die durch mehrere Pho*
tographen aufgenommen wurden, existieren fast gar nicht ; in letzterem Falle
stimmten die Aufnahmen selten überein, da dieselben zumeist von verschie-
denen Standpunkten herrühren. Zwischen der Insel Unimak und Alaska
führt ein schmaler, jedoch tiefer Kanal, der den Namen des berühmten ßei-
senden Krenitzin führt. Dieser Kanal ist für die Schiflffahrt insoweit von
Bedeutung, als durch denselben der kürzeste Weg von den westlichen Häfen
Amerikas in die Behring-See führt. Von bedeutend grosserem Interesse ist
diese Gegend für den Maler; auf der Insel Unimark erhebt sich der 8935'
hohe Sisaldin, dessen kahle Spitze, von einer zweiten flankirt, schon von
bedeutender Entfernung sichtbar ist. Als Benyovszky am 9. Juni 1779 den
Unimak-Kanal {».ssirte, erregte dieser Berg so sehr sein Interesse, dass er
ihn nicht nur beschrieb, sondern auch abzeichnete. Die Beschreibung ist
nur kurz, jedoch sehr charakteristisch; «um 10 Uhr erblickten wir ein
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GRAF MORITZ BENY0V8ZKY ALS GBOGRAPHISOHSB FOR80HEB. H^
zweites Kap, dessen Endpunkt dnrch einen znckerhntfönnigen Berg kennt-
lich ist.» Etwa 100 Jahre später zeichnete auch EUiot den Kanal, obwohl
von grösserer Entfernung, jedoch von derselben Richtung, und beide Abbil-
dungen stimmen so sehr überein, dass kein Zweifel bezüglich der Identität
des auf denselben dargestellten Berges sein kann ; es ist daher constatirt,
dass Benyovszky durch die Unimak-Strasse den stillen Ocean erreicht habe ;
Photographie und Zeichnung haben hier ein interessantes geographisches
Problem zur endgiltigen Lösung gebracht*
Am 10. Juni verliess Benyovszky den Unimak-Eanal und damit das
Behring-Meer. Hier ändert sich das Bild der Gegend vollständig; das Schiflf
schwebt auf dem stillen Ocean, und dieser ist nicht so rauh : «wir hatten einen
sehr angenehmen Tag — schreibt er in seinen Memoiren — den ersten
guten Tag, seit wir ; Kamtschatka verUessen.» Das Eis hinderte das Schiff
nicht mehr; die Tiefe des Meeres schwankt zwischen 45 und 76 Faden, was
unseren gegenwärtigen Kenntnissen vollkommen entspricht; die Omis wird
reicher, das Klima milder; Benyovszky wird einiger Inseln gewahr und
landet endlich nach einer gefahrvollen Fahrt von einer Woche am 19. Juni
auf Kadik. Noch eine Woche treibt er sich auf den Aleuten herum, beschreibt
die Insel ürumisir — die wir nicht auffinden können — sehr interessant,
berährt nach Westen fahrend noch einige Inseln und verlässt endlich die
Aleuten. Nach einer achttägigen Fahrt landet er auf einer Insel, auf welcher
Kusnetzow «den Chinesen ähnliche» Bewohner trifft, die ihm einen Sonnen-
schirm und eine Pfeife schickten. Der Schirm war aus mit Oel gebeiztem
Papier gemacht und mit chinesischen und japanischen Figuren geschmückt.
Die Pfeife war aus irgend einem weissen Metall angefertigt, der Tabaksack
aus gesticktem Atlas. Benyovszky entnahm aus Kusnetzow's Beschreibung,
dass er sich auf den Kurilen befand ; nach einer Irrfahrt von zwei Mopaten
hatte er sie erreicht und hier traf er zuerst die Produkte der japanischen In-
dustrie und Kunst.
Benyovszky beschreibt die Kurilen in einem separaten Kapitel, als
dessen Quellen er Spanberg, Walton, Irtisen, Smitevskoi, Sind und Zomi
nennt ; er setzt die Zahl der Inseln auf 28 und nennt 22 mit Namen, gibt
ihre astronomische Lage an und bietet eine kurze, jedoch charakteristische
Beschreibung derselben. Wir können mit Befriedigung constatiren, dass
Benyovszky zu seiner Zeit der gründlichste Kenner der Kurilen war, und
wenn wir auch einen Teil der Namen heute nicht finden, können wir doch
die GUeder der Kette mit ziemlicher Genauigkeit zusammenstellen.
Die durch die Kurilen gebildete, zum Teile submarine Bergkette hat
sich in einer Ausdehnung von 650 Km. mit bewunderungswürdig regel-
mässiger Structur ausgebildet. Sie wird vom südlichsten Teil Kamtsohatkals,
* Elliot, op. cit. ♦
üngmxiiche Berae, XI. 1891. IL Heft g
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114- GRAF M0RIT2 BENYOVSZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER.
von Lopatka oder Omoplate nur durch einen 13 Km. breiten und 18 M.
tiefen Kanal getrennt, dort beginnen die «Tausend Inseln,» — wie die
Japaner die Kurilen mit dem Wort Kissima nennen — mit der vulkanischen
Masse des Sumku (bei Benyovszky Sumassu), der gen Westen auf die Insel
Araido (Benyovszky's Alayd) blickt, während sich im Süden die bergige Insel
Paramuschir (bei Benyovszky Poromusur) an ihn knüpft und Kamtschatka
eigentlich mit dieser Insel endet ; der Kanal ist nämlich sehr seicht, während
im S. von Paramuschir der stille Ocean und das Ochotzkische Meer durch
einen ziemlich breiten Kanal mit einander communicieren, und die sich an
einander schliessenden Inseln, Onnekotan, Haramukotan, Siaskotan, Matua-
Bakna, Simussir etc. nur die über das Meer herausragenden Spitzen der
submarinen Bergkette sind. Da die Kurilen bisher nur teilweise, u. z. in
Bezug auf SchifiFfahrt und Fischerei untersucht wurden, bilden sie heute
einen noch viel weniger bekannten Complex als die Aleuten. Wir wissen,
dass die Vulkane Kamtschatkas mit den feuerspeienden Kegeln Jeso's durch
die Vulkane der Kurilen verbunden sind, aber gänzlich unbekannt ist uns
auch heute die Zahl der thätigen Vulkane, ja wir kennen sogar die Namen
der Inseln nicht ; die Benennungen sind nicht einheitlich und manche Insel
kommt auf den Karten unter verschiedener Benennung vor. Nach Milne
sind auf den Kurilen 52 Vulkane; nach der Zusammenstellung Alexis
Perrey's waren seit der Entdeckung der Inseln wenigstens 13 in Thätigkeit.*
Am 16. Juli erreichte Benyovszky's Schiff eine Insel, auf der er fast
eine Woche verweilte. Am nördlichen Teil der Insel fand Benyovszky einen
sehr günstigen Hafen, in den sich ein Bach ergoss, der die dürstende Mann-
schaft mit vorzügUchem Wasser versah ; auf der Insel fand Benyovszky viel
Schweine und Ziegen, sowie prächtige Obstgattungen, die er aber nur in
gekochtem Zustande zu geniessen vermochte. Er nannte die Insel — nach
dem guten Trinkwasser — Wasser-Insel, ein Name, der sich in der Geo-
graphie nicht erhalten hat. Benyovszky erwähnt von den Obstgattungen
Aepfel, Kokusnüsse, Ananas, Marillen u. A. Er fand femer Markasit und
Zinnober und seine Leute hofften reiche Goldminen und Diamanten zu
finden. Dies bot die Veranlassung zu einem Aufstande, an dessen Spitze der
unzufriedene Stefanow stand, und Benyovszky konnte sich der Folgen des
Aufstandes nur so erwehren, dass er versprach, von Japan Weiber zu holen
und dann auf die reiche Insel zurückzukehren.
Benyovszky zählt die Wasser-Insel nicht unter die Kurilen, sondern
verlegt sie unter 32° nördl. Breite und 355*^ 8' Länge von Bolscha. Hier
suchen wir vergebens nach einer Insel, und wir dürfen die Ortsbestimmung
nicht für richtig halten. Wenn wir aber in Betracht ziehen, dass Benyovszky
früher auf einer Insel landete, wo er schon japanischen Einfluss fand, femer
* Bein J. J.» Japan. Leipzig, 1881, I. Bd.
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GRAF MORITZ BENYOVSZKY ALB GEOGRAPHISCHER FORSCHER. U«^
dass er zur Jeso-Gruppe nur grosse Inseln rechnet, unter dieselben aber die
Wasser- Insel nicht zählt, endlich dass er nach Süden reiste und die Ostufer
Japans befuhr, so glauben wir nicht zu irren, wenn wir unter der Wasser-
Insel eine südliche Kurilen-Insel etwa unter 42® 47' nördl. Breite ver-
muten.
Am 21. Juli verliess Benyovszky die Wasser- Insel und erreichte nach
einer Irrfahrt von acht Tagen Japan, wo er im Hafen von Usilpaskar lan-
dete. Aus unseren Karten lässt sich die Lage dieses Hafens nicht bestimmen,
wir glauben jedoch nicht zu irren, wenn wir ihn auf die nördliche Hälfte
des Ostufers der grössten japanischen Insel verlegen. In dieser Woche war
also Benyovszky den Ufern Jesos entlang gesegelt, die er in einem beson-
deren Capitel auch beschreibt, obwohl er nicht erwähnt, sie gesehen zu
haben.
Die grösste Wichtigkeit Jesos bilden das aussterbende Volk der Aino,
auf das wir die Aufmerksamkeit aus dem Grunde lenken wollen, weil
Benyovszky dasselbe wenigstens aus Beschreibungen (Manuscripten, nicht
Büchern) gekannt hat. Er erwähnte schon bei Beschreibung der 20-ten Ku-
rilen-Insel Marikan : «Sie wird von bärtigen Kurilen bewohnt, die die Russen
Mahuati nennen.» Das Epitheton «bärtig» ist so charakteristisch, dass es
sich nur auf die Aino beziehen kann.
Schon die ältesten japanischen Bücher und UeberUeferungen erwähnen
unter den Namen Jebisch, Jebbsis, Jemissi, Mosin oder Maojin eines uralten
wilden Volkes^ der «östUchen Barbaren», deren Name «langhaarige Men-
schen» bedeutet; dies Volk bewohnte den nördlichen Teil der grossen Insel
und bildete die Ahnen der Aino. Im Namen Maojin erkennen wir Benyov-
ßzky's Mahutin. Obwohl kein directer Beweis für die Verwandtschaft der Japa-
nesen mit dem wilden Barbarenvolk spricht, müssen wir, wenn zwischen
beiden Völkern Verwandtschaft existirt, dieselbe auf die seit Jahrhunderten
vorhandene Kreuzung zurückführen. Wenn heute im Norden der grossen
Insel keine Aino wohnen, dürfen wir nicht glauben, es wären alle durch
die erobernden Japaner des XV. Jahrhunderts vernichtet worden, denn
unter dem Namen Adsma Jebisch haben sie sich mit den civilisirten Völkern
des Nordens vermischt, und wir erkennen noch heute die äusseren Zeichen
dieser Verwandtschaft, sowie wir dort die SteinwafFen der Aino in grosser
Menge vorfinden. Im nördlichen Teil Hondo's haben namentUch die Frauen,
die Erhalter der Rassensymptome, viel vom Typus der Aino bewahrt. Auch
die japanischen Bewohner der Insel Ogasima, die von den Bewegungen der
Givilisation fast ganz abgeschnitten sind, ähneln den Nachkommen der
Kurilen in grossem Maasse ; ja auch in den Bewohnern der Ebenen Jeddos
circulirt Aino-Blut. Heute leben die Aino fast ungemischt auf Jeso, den Süd-
Kurilen und der Insel Sachalin; die Volkszählung von 1873 ergab auf Jeso
12,281 Seelen^ und so dürfte die Totalsumme der ganzen Basse nicht über
8*
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116 GRAF MORITZ BBNYOVSZKT ALS ÖEOGRAPHISOHBR P0R8CHBXR.
20>000 betragen. In früheren Zeiten nannte man sie allgemein «haarige
Kurilen», nach den Inseln die sie bewohnten; so nannten sie Sibold Em-
senstem, Golownin und Benyovszky, die ersten, die jene Gegenden
erforschten.^
Mit der Ankunft Benyovszky's auf Japan wird die Analyse seiner Reise
bedeutend leichter; ausser einigen Namen, die zu einer Gontroverse Veran-
lassung gaben, hat er von dort nichts Neues mitgebracht. Am 3. August
verUess er den Hafen Usilpatkar und segelte an den üfem Japans gen Süden;
er entfernte sich nicht weit vom Ufer, denn die Tiefe des Meeres überschritt
nirgends 20 Faden, während einige Tagereisen gegen Osten der stille Ocean
schon eine ungeheure Tiefe erreicht. Am 5. August erklärt Benyovszky
bereits bestimmt, dass er sich westUch vom Königreich Idso befinde ; das
dem Stillen Ocean zugewendete Ufer der Insel Hondo besteht nämlich aus
zwei Abschnitten, deren einer von N. nach S., der andere nach SW. streicht;
am Knie, welcher das Ufer hier bildet, liegt das Königreich Isodo (heute
Jesso), und wenn sich Benyovszky im Westen desselben befand, musste er
das Knie bereits überschritten haben. Dem entspricht auch, dass Benyovszky
am 5. August in Misaki landete, das am westlichen Ufer der den Hafen von
Tokio abschliessenden Halbinsel lag ; von hier sandte er einen Brief an den
in Nangasaki lebenden Vorsteher der holländischen Faktorei.^
Am 11. August erreichte Benyovszky den Hafen Tosa auf der Insel
Xicoco. Die Insel führt noch heute den Namen Schikoku und die grosse Bucht
sowie der Bezirk am Südufer Toshin-nada. Die Hauptstadt der Insel heisst
jedoch nicht Tosa, sondern Kotschi ; Benyovszky erwähnt nur den Hafen,
die Stadt nicht. ^
Von Tosa ausgehend, umschiffte Benyovszky am 12. August das «Kap,»
das kein anderes sein kann, als die Südspitze der Insel Schikoku, IsasakL
Von hier erreichte er Tags darauf Takasima, dessen Name vielerlei Ausdeu-
tungen erlaubt. Wo lag Takasima? Diese Frage zu beantworten ist schwie-
riger als die Lösung jeder anderen. Benyovszky erwähnt ausser Takasima
noch zwei Namen, die Insel Ximo und Nangasaki; beide sind separate Inseln.
Die Lage Takasimas lässt sich folgendermassen bestimmen : Tosa liegt nach
Benyovszky 32^ 15' Breite und 350'' 16' Länge, Takasima unter 30'' 0' Breite
und 328 '^ 0' Länge. Wir müssten zuerst constatieren, dass sich in die Grad-
angabe Tosa's ein Druckfehler eingeschlichen hat; es liegt nicht unter 350 '',
sondern 330° westl. Länge. Zwischen Tosa und Takasima bleibt daher ein
Unterschied von 2^^ 16'. Auf unseren heutigen Karten von Japan finden
^ Dr. A. Török : Die Aiuos. Budapest! Szemle 1889, März und April.
•In der Jokai'schen ung. Uebersetzung fehlt Benyovszky's Ankunft in Misaki,
sowie sein Brief nach Nangasaki. Warum, ist uns nicht bekannt.
»Rein 1. o. I. 11, 14, 19, 59, 92, 112, 545 und 595.
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GRAF MORITZ BBNYOV8ZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER. 117
wir 2^/4^ westlich und lä^A südlich von Tosa den südöstlichen Teil der
grossen Insel Eiusiu, deren höchste Spitze Takasima heisst. Soviel ergibt
sich aus der Vergleichung der astronomischen Bestimmungen^ dem jedoch
widersprechen alle übrigen Thatsachen.
« Grehen wir von der Erklärung des Namens Takasima aus, so wird die
Frage noch verwickelter ; wir finden in Japan nicht weniger als 3 Takaschima :
eine Stadt an der NO-Spitze Schikokus, der genannte Berg, und die erste
grosse Insel südlich von Eiusiu, die Takasima und auch Tanega genannt
wird. Benyovszky's Daten sind keineswegs auf die Stadt Takaschima zu be-
ziehen, viel mehr auf Tanega, das thatsäcblich unter demselben Längengrad
liegt wie Takaschima und auch in seiner Breite nur 20' von Benyovszky's
Bestimmung abweicht. Obwohl die astronomische Ortsbestimmung die An-
nahme erschwert, Benyovszky habe nicht auf Eiuschiu, sondern auf Tanega
gelandet, spricht doch der Umstand dafür, dass Kiuschiu auch Shimo genannt
wird, daher wir Benyovszky 's «Bewohner der Insel Ximo» für die Bewohner
Kiuschius halten müssen. Dem widerspricht jedoch Benyovszky's Angabe,
Nangasaki und Shimo seien besondere Inseln ; verstehen wir unter Shimo
Kiuschiu, so ist dies nicht möglich, denn Nangasaki hegt auf der Insel Eiusiu
und bildet nur eine Halbinsel derselben. Wir haben keinerlei weitere Auf-
zeichnungen darüber, was Benyovszky über die Bewohner Ximos sagt : sie
seien «gottlose Bestien» ; in diesem Kufe stehen die Bewohner der westlich
von Süd-Eiuschiu gelegenen Koschiki-Inseln, deren eine Shimo-Eoschiki
heisst ; es ist daher auch die Möglichkeit vorhanden, dass sich der Name
Ximo eben auf Schimo-Eoschiki beziehe.
Alles zusammengefasst halten wir es für wahrscheinlich, dass Be-
nyovszky sich nur in der Breitenbestimmung um 20' geirrt, und that-
säcblich auf Tanega gelandet sei, und unter der Insel mit den bestialischen
Bewohnern Schimo-Eoschiki, unter Nangasaki aber ganz Kiuschiu zu ver-
stehen sei.
Benyovszky's Schiff warf hierauf auf Üsmai-Lygon, einer der Liukiu-
(Iiequeja)-Inseln Anker. Diese Insel auf unseren Earten aufzufinden, ist
uns nicht möglich. Benyovszky's astronomische Bestimmungen sind falsch,
die Daten jedoch, die er über diese Insel mitteilt, sind von so grosser
Bedeutung, dass wir dieselben als eine der wichtigsten Quellen für die
Liukiu-Inseln betrachten müssen ; was Benyovszky über Usmay-Lyon mit-
teilt, bezieht sich auf den nördlichen Teil der ganzen Liukiu-Gruppe
und seine Mitteilungen über das Beich der «durchsichtigen Eorallen» sind
die ersten, die nach Europa gelangt sind ; die Mitteilungen des chinesischen
Gelehrten Supao-Euang, den Eaiser Eanghi schon 1719 zur Erforschung
der Biukiu-Inseln aussandte, gelangten erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts
'■^ Forcade, Annales de la Propagation de la foi, 1846, jul. 7.
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118 GRAF MORITZ BENTOVSZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER.
nach Europa, daher gebührt das Prioritätsrecht nicht — wie Keclus be-
hauptet — ihnen, sondern Benyovszky.*
Benyovszky schreibt von den Bewohnern der Insel, sie verstünden
nicht japanisch. Dies ist vollkommen zutrefifend, obwohl die Biukiu-Sprache
mit der japanischen verwandt und auch die Schrift dieselbe ist.^ Später
bemerkt Benyovszky noch : tdie Häuptlinge der Inselbewohner sprechen
die Sprache der Mandarine», d. h. chinesisch, was umso wahrscheinlicher
ist, als die Biukiu-Sprache viel chinesische Worte enthält, die infolge histo-
rischer Berührung, wie auch bei Uebemahme der Schriftweise in die Sprache
übergegangen sind. Benyovszky schreibt über die damahgen politischen
Verhältnisse der Bewohner Liukiu's: cdies Volk lebt ganz unabhängig von
China und Japan.» Da Liukiu zwischen China und Japan liegt, kämpften
die beiden Staaten fortwährend um dasselbe. Thatsache ist, dass es bald
Japan, bald China unterworfen war, insofeme als es einigen Tribut zahlen
musste ; übrigens war das Volk unabhängig und frei. Wohl gab es Zeiten,
wo Liukiu beiden Kaiserreichen Tribut schuldete, der grösste Reichtum der
Insel aber verschwand auch damals nicht.^ Erst 1874 änderten sich diese
Verhältnisse, als Japan die Inseln eroberte, ihrer Könige beraubte und sie
in einfache japanische Bezirke einteilte.
Von der friedlichen Natur des Volkes, die Supao-kuang, Broughton,
Matwell, Basil Hall, Graviore, Beechey, Belcher, Perry und Andere hervor-
hoben, schrieb Benyovszky: «die Bewohner sind sehr tugendhaft, . . . massig,
frei ... die Naivität ihrer Antworten lässt auf ihre ehrliche und unschul-
dige Natur schliessen .... Ich gestand ihrem Führer Nikolaus, dass ich
fürchte, ihren Frieden zu stören; er aber beruhigte mich, denn meine
Leute könnten auch mit den Mädchen sprechen, nur die Frauen, die sie
übrigens auch an ihren Schleiern erkennen könnten, mögen sie schonen.»
Ergreifend ist die warme, aufrichtige Freundschaft, mit der die Insel-
bewohner Benyovszky empfiengen, und die am letzten Tage auch in einem
Vertrage Ausdruck fand.
Von den Liukiu-Inseln schiffte Benyovszky auf Formosa. Hier kämpfte
er einen ganzen Krieg und verhalf einem Häuptling zum Siege ; über Land
und Leute schreibt er aber um so weniger. Und dies ist umso leichter ver-
ständhch, als Formosa für ihn keine Bedeutung hatte. Seine Seele durch-
drang der innige Wunsch, einen europäischen Hafen zu erreichen, um
Freiheit zu erlangen und sich für seine grossen colonisatorischen Unter-
nehmungen vorzubereiten, deren Idee im Laufe seiner Beise zur Beife
' Leon de Bosny, Introduction ä TEtude de la langue japonaise.
' Serrurier, De Live-Kive Archipel.
' Reclus, Nouv. G^og. Univ. VII. Bd. p. 731. — Gaubil, LettreB ödifiantee,
Bd. xxm.
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ORAP STEFAN SZEOHBNYl's BRIEFSr. H^
gelangt war, und zu deren Verwirklichung ihn die mühevollste Vorschule
befähigt hatte. Er war gewiss einer der glückUchsten Menschen, als er am
^1. September das Fort Macao erblickte.
Und hiemit endet der abenteuerlichste Teil von Benyovszky's Reisen
und ganzem Lebens, welche bisher zugleich für den am wenigsten bekannten
Teil seines Leben galt. Wir versuchten nachzuweisen, welchen Wert
Benyovszky's Beobachtungen, seine ßeiseergebnisse und Forschungen be-
sitzen, und wenngleich dieser Werth von der Höhe der modernen geogra-
phischen Wissenschaft betrachtet nicht so gross ist, als der einer Expedition
von Cook, La Perouse u. A., so genügt er doch, um die Authenticität der
Reisen Benyovszky's festzustellen und ihm die Anerkennung der Nachwelt
zu sichern, anderseits um ihm in vielen Fragen die Priorität zu erobern, die
spätere streng kritische Forscher, ein Nordenskjöld, Reclus und Andere, so
leicht Anderen zugeschrieben hatten. Dem strengen Urteil der Nachwelt
gegenüber kann nur die Constatirung der Wahrheit die Glaubwürdigkeit
der Berichte Benyovszky*s retten und dies zu erreichen, war das Ziel
meiner Zeilen. Dr. Johann Janeö.
GRAF STEFAN SZfiCHENYrS BRIEFE.
L
Stefan Szechenyi war eine so vollendete, in sich gefestete Persönlich-
keit, dass jede geringste Emanation derselben in Wort, Schrift und That den
charakteristischen Stempel trägt. Die von Bela Majläth mit dankenswerter
Unterstützung der Ungarischen Akademie herausgegebenen Briefe* gewähren
einen durchaus interessanten Einblick in den Werdegang dieses providen-
tiellen Mannes, rücken ihn uns menschlich näher und geben uns ein getreues
Bild von den zahllosen äusseren und inneren Kämpfen, gewissermassen
Geburtswehen, unter denen die erstaunlichen Leistungen des Grafen das
Licht der Welt erblickten. Diese Briefe sind keine Meisterwerke des Styls,
sie sind, ob ungarisch, deutsch, lateinisch, englisch oder französisch verfasst,
mit, wir möchten sagen, aristokratischer Nachlässigkeit geschrieben. Und
doch sind sie gerade in dieser Gestalt am wertvollsten, weil sie uns den
echten, ungeschminkten Menschen zeigen, der selbst ohne den geringsten
Aufputz seine ganze Nation überragte, ihr Führer in die Welt positiven
Schaffens war.
Niemals konnten die Briefe des grossen Patrioten besser wirken, als
* Gr6f Szechenyi Istv&n levelei. A Magyar T. Akad^mia megbiz484b61 össze-
gyüjtötte Majlath B^la. II. kötet. Budapest, Atbena^um. 729 Seiten,
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120 GRAF STEFAN SZ^HENYl's BRIBFE.
eben jetzt. Krasser Materialismus zersetzt alle unsere Kreise^ der Hass gegen
die Phrase hat auch den berechtigten Ideahsmus hinweggeschwemmt. Die
Gesellschaft ist atomisirt. Wie wohlthuend ist es daher^ wieder einmal das
volle Fener der Vaterlandsliebe zu verspüren, einer Liebe, die heute kaum
mehr als rhetorischer Aufputz zu verwenden ist. Bei Szechenyi lodert dies
Gemeingefühl noch mit voller Jugendkraft, sonnengleich. Es ist unmöglich,
dass beim Lesen dieser Briefe, welche sich alle immer wieder um das Götter-
bild des Vaterlandes und seine zukünftige Grösse und Glorie drehen, nicht
auch in uns die alte Glut unter der Asche wieder aufflamme. So wirkt ein
grosser Geist, ein grosses Herz auch nach dem Tode, sein Vermächtniss lebt
in uns immer neu auf. Zur rechten Zeit hat die Ungarische Akademie die
Herausgabe der Szechenyi'schen Schriften begonnen * und namentlich die
Briefe sind es, welche ungeahntes Licht über viele Perioden der Wirksam-
keit Szechenyi*s verbreiten. Während Kossuth, die Personifikation der unga-
rischen Freiheits- und Unabhängigkeitsidee, noch lebt, erscheint uns der
Geist Szechenyis, seines grossen Gegners, fortwährend in seinen neuedirten
Schriften, als ob die Genies der Vergangenheit, welche das heutige Ungarn
begründeten, noch immer Wache stehen wollten über dem geliebten Volke
und Vaterlande. Doch während aus Kossuth nur die erhabene, aber starre
Negation spricht, weht uns aus jeder Zeile Szechenyi*s ein positiver, schaf-
fender Hauch entgegen. Aus einer Wüste war eine Gulturwelt zu gestalten.
Das von Sz6chenyi so 'sehr geliebte Vaterland war eine Einöde, ein Wirrsal
schlechtester Administration, verrotteter Privilegien, Denk- und Wirkfaul-
heit. Sz^henyi musste für Alle denken, reden, schreiben, agitiren, Geld
hergeben, conspiriren, Pläne entwerfen, ausführen. Er war damals Alles in
Allem, Ungarns Vorsehung auf jedem Gebiete. Was heute ein vielgliedriges
Ministerium denkt und schafft, das war damals in ihm, dem Privaten, ver-
einigt. Und unermüdlich, rastlos sehen wir ihn kämpfen, entwerfen, orga-
nisiren, schaffen. Auf alle Widerstände und Kränkungen ist er vorbereitet,
die Bomirtheit seiner Mitlebenden weckt oft den Humor in ihm. Er geht
auf sein Ziel los, unbeirrt, wie eineJSomnambule. Und alles gelingt endlich :
die Wettrennen, die Akademie, die Donau-Dampfschifffahrt, die Ketten-
brücke, und Vieles sollte später gelingen, was er mit Seherblick geahnt : die
Sprengung des Eisernen Thores^ die Verschönerung Budapests und Anderes
mehr, als ob er der Prophet seiner Nation gewesen wäre.
Kehren wir zu den Schriften, insbesondere zu diesen Briefen Szöchenyi's
zurück, als eines Mannes, der neben der Liebe zum irdischen Weibe noch eine
andere, höhere Liebe kannte, zu einer höheren, erhabeneren Braut, deren
♦ Bisher sind erschienen : I. Naplöi (Tagebücher), 11. Besz^dei (Reden), beide
herausgegeben, eingeleitet und kommentirt von Anton Zichy, HI. Levelei (Briefe),
von denen jetzt schon der zweite Band vorliegt.
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GRAF STEFAN SZ^HBNTl's BRIEFE. 121
Züge ihm vorschwebten^ von seiner mutwilligen Jugendzeit, bis zu seinem
düsteren Grabe in der Geistesnacht I Diese Braut, Hungaria, war die Leuchte
seiner Seele, an ihrer Flamme entzündete sich, bei ihrem Erlöschen brach
sein Herz.
Wir haben den ersten Band dieser Briefe bei dem seinerzeitigen Er-
scheinen gewürdigt, dieselben gaben uns Aufschluss über die Erziehung und
die ersten Gemütsregungen des jungen Grafen und lehrten ims ihn als
nachdenkenden, mit sich oft entzweiten Charakter kennen. Die ersten dieser
Jugendbriefe lassen nichts weniger als die zukünftige Grösse ahnen. Der
schlichte, natürliche Mensch spricht aus ihnen. Doch sehr bald meldet sich
der praktische Sinn ; das Gasino, die Wettrennen, die Akademie, die Schiff-
fahrt und das Eiserne Thor beschäftigen den thatendurstigen Mann. Er geht
mit nüchternem Urteil von den thatsächlichen Bedürfhissen des Landes
aus und stiftet und gründet stets das, wonach das dringendste Verlangen
ist. Er ist kein Doctrinär, sondern ihn peinigen die actuellen Erfordernisse
und er scheut weder Opfer noch Mühe, um das Nothwendige herbeizu-
schaffen. Es ist ein eminent praktischer Kopf, der sich ein weitaussehendes
Programm von der Regenerirung des Landes entworfen hat und Schritt für
Schritt unaufhaltsam an dessen VerwirkUchung arbeitet.
Der uns vorliegende zweite Band dieser Briefe beginnt mit einigen
interessanten Nummern aus dem Jahre 1S^27, In einer Eingabe an das Pester
Comitat erbietet sich Graf Szechenyi zur Errichtung einer Actien- Dampf-
mühle, nicht damit Ungarn eine solche Anstalt besitze, sondern damit das
Beispiel zur allgemeinen Einführung der Dampfmüllerei und zur Ablösung
des Getreidehandels durch den Mehlhandel gegeben werde. Die nächst-
folgenden Briefe zeigen die rastlose Sorge Szechenyi*s für die Inscenirung
des von ihm geplanten National-Gasinos. Er wendet sich an Sartory, als
den Obmann des Pester Handelsstandes, um ihn, sowie den Handelsstand
zum Eintritt in das im Herbste zu gründende Gasino einzuladen. Mit einer
noch heute nachahmenswerten Höflichkeit und Herzlichkeit ist dieser Brief
des Aristokraten an die Corporation der Handelsleute geschrieben, t Wir haben
den guten Willen, dem Lande zu dienen,» — äussert er — tSie haben die
Mittel, reichen wir uns die Hände ! . . . Sie kennen die Grundsätze, die wir
bisher aufgestellt haben: • Welch immer für eine Geburt und Stand —
wa^ immer für Glaube, was immer für politische Meinung, Alleseins I Nur
gesittete Lebensart, gleiche Rechte, gleiche Zahlung / Kein Einzelner ent-
scheidet, der allgemeine Wunsch und die Mehrheit allein bestimmt.»
Im Jahre 1830 sehen wir Szechenyi an seinem Lieblingswerke, an der
Begulirung der unteren Donau thätig. Schon im vorigen Bande war eine
grosse Anzahl von Briefen veröffentlicht, aus denen hervorging, wie rastlos
Graf Szechenyi beim Palatin, bei der Wiener Regierung, bei den Finanz-
grossen die Sache des Donauhandels und der damit verbundenen Institu-
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122 GRAF STEFAN SZÄCHENYl's BRIEFE.
tionen betrieb. In dem oben erwähnten Briefe vom 17. Juli 1830 sehen wir
Szechenyi zum ersten Mal die untere Donau bis Sistow bereisen. Die Keise
sollte ihm schlecht genug bekommen : ein furchtbares Fieber mit hochgra-
digem Asthma verbunden überfiel ihn und er glaubte schon sein letztes
Stündlein gekommen. Und da schreibt er an den mit ihm reisenden Grafen
Johann Waldstein in Selbstmordgedanken ob der erlittenen Qualen und in
nächster Erwartung des Todes folgende Zeilen, die auch Max Falk in seinem
Buche über Szechenyi veröffentlicht hat und die charakteristisch genug
lauten : «Nur drei Mittel gibt es, um Ungarn zu heben : Nationalität, Ver-
kehr und Handelsverbindungen mit anderen Nationen. Dies lege ich Euch
ans Herz : hebet die Nationalität nach Euren Fähigkeiten und erziehet sie
zu echtem Adel. Hebet den Verkehr in unseier Hauptstadt Budapest! Thut
Alles, damit Budapest aufhöre ein blinder Sack zu sein und darum eröffnet
die Donau dem Handel und der Schifffahrt !•
Zwischen den Briefen, welche sich mit grossen Angelegenheiten be-
schäftigen, erscheint wohl mitunter auch einer, der uns so recht in das Herz
Szechenyi's blicken lässt. Da ist ein Brief an einen Unbekannten, der, wie
zahllose Andere, ihn um eine Gefälligkeit angegangen haben mochte. In der
Antwort beklagt sich der Graf, er sei so sehr mit Anfragen und Bitten über-
häuft, dass er nicht einmal mit Hilfe eines Secretärs, und wenn der Tag
achtundvierzig Stunden hätte, auf Alles nach den Kegeln der Höflichkeit
antworten könnte. Viel weniger könnte er Jedermann helfen ; wollte er so
höflich und gutherzig sein, wie es die Leute verlangen, so würde er keine
Zeit haben, sich mit seinen eigenen Angelegenheiten zu befassen, und wäre
bald selbst so arm, wie die Petenten, die sich schaarenweise an ihn wenden.
Trotzdem er es sich also zum Princip hatte machen müssen, die meisten
derartigen Briefe unbeantwortet zu lassen, macht er doch mit unserem Un-
bekannten eine Ausnahme, indem er ihm nicht nur ein Erwiderungsschreiben,
sondern auch noch die wahrscheinlich erbetenen — 5000 fl. schickt.
Es folgt nun vom Jahre 1833 an eine grosse Zahl von Briefen,
welche sich mit der zuerst von Stefan Szechenyi inscenirten Sprengung des
Eisernen Thores beschäftigen. Am 23. Juli 1833 schreibt er an die Berg-
werksdirection in Semlin, dass er, von der «allerhöchsten Regierung» nut
dem Auftrag der Kegulirung des Eisernen Thores betraut, um Ingenieure
und «geschickte Bergleute, die mit Felsensprengungen vertraut sind,» bitten
müsse. Im Sommer desselben Jahres erblicken wir schon den genialen In-
genieur Paul Väsärhelyi an der Arbeit. Wir sehen, wie Szechenyi sich vor
dem Wissen und Können des simpeln Mannes beugt und Alles thut, um ihm
seine Stellung sowohl politisch wie materiell zu erleichtem. Szechenyi leitet
aus der Feme das grosse Werk mit dem ganzen Aufwände seiner Diplomatie
und mit rastlosem Feuereifer.
In welchen geringfügigen Dimensionen und mit wie bescheidenen
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GRAF STEFAN 8ZECHENYI S BRIEFE.
123
Mitteln damals gearbeitet wurde, davon sollen zwei kleine Briefe Szechenyi's
an den Palatin Erzherzog Josef Kunde geben.
L
Ew. k.k. Hoheit!
Durchlauchtigster Herr Erzherzog!
An den Wegen längs der Donau von Plavischevitza abwärts wurde nach
Bericht des dirigirenden Ingenieurs von Väsärhelyi den vergangenen Winter mit
grossem Erfolge gearbeitet.
Die Gelder sind aber erschöpft, weswegen ich mir die Freiheit nehme Ew.
kaiserl. Hoheit in aller Unterthänigkeit zu bitten : Erstens fünftausend Oulden
C.'M. direct an den obbenannten Ingenieur Yäsärhelyi in Ofen, — fünfzehntaasend
Gulden C.-M. hingegen an den Ingenieur Wolfram in Orsova gnädigst zahlbar
anweisen zu lassen, über welche Summen ich, sowie ich de dato 27. Februar 1 835
meine Schlussrechnung für das Jahr 1834 eingab, seinerzeit Rechenschaft geben
werde.
Ich lege mich Ew. kaiserl. Hoheit mit dem Gefühle der tiefsten Ehrerbietimg
zu Füssen und nenne mich mit dem Gefühle der allertiefsten Ehrfurcht
Ew. kais. Hoheit
ganz unterthänigster Diener
Stefan Graf Sz^chenyi.
Preesburg, 5. März 1835.
n.
Ew. k.k. Hoheit!
Durchlauchtigster Erzherzog !
Soeben erhalte ich des dirigirenden Ingenieurs Yäsärhelyi Bericht, dass die
anter ihm stehenden Arbeiten mit gutem Erfolge gehen, die Geldmittel aber wieder
erschöpft sind, weshalb ich Ew. k. k. Hoheit bitte, gleich !20,000 Gulden C.-M. —
dass ich nicht sobald wieder lästig fallen dürfe — an das Orsovaer Dreissigst-Amt
zahlbar anzuweisen geruhen zu wollen, der ich mich Allerhöchstdenselben zu Füs-
sen lege und mich mit der tiefsten Ehrfurcht nenne Ew. k. k. Hoheit
Pressburg, 17. Mai 1835.
unterthänigster Diener
Stefan Graf Sz^chenyi.
Während der Beschäftigung mit der grossen Donau- Afifaire hat Graf
Szechenyi Zeit, einen Agenten abzufertigen, der unbefugterweise eine Inter-
ventionsgebühr für eine nicht vollzogene Vermittlung verlangte, und wendet
sich dann mit Eifer der Angelegenheit der Budapester Stadtverschönerung
zu. Wieder schreibt er einen sehr höflichen und herzlichen Brief an den
Stadtmagistrat um Ueberlassung eines Grundstückes von 235 Joch für den
Wettrennplatz. Er schliesst die Eingabe mit den charakteristischen Worten :
«Ich wäre glücklich, wenn ich dem löblichen Magistrat und allen meinen
Mitbürgern einen neuen Beweis geben könnte, mit welcher religiösen Ge-
wissenhaftigkeit ich jenes Schwures eingedenk bin, den ich leistete, als ich
das Glück hatte, zum Bürger der löblichen Stadt Pest erwählt zu werden
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124 GRAF STEFAN SZEOHBNYl's BRIEFE.
und dessen tiefsten Sinn ich so auffasste : Alles, was in meiner Kraft liegt,
zur Entmcklung, Verschönerung und somit zum Aufblühen der Stadt und
zum Gedeihen und Glück ihrer Einwohner beitragen zu müssen.»
Wie sehr Szechenyi mit dem Gedanken der Verschönerung Pests immer
beschäftigt war, beweise folgender, an den Palatin Erzherzog Josef gerichteter
Brief vom 28. Juni 1835:
Ew. k. k. Hoheit, durchlauchtigster Erzherzog l
In aller Unterthänigkeit nehme ich mir die Freiheit Ew. k. k. Hoheit hier
beigebogen zwei Pläne zu überreiclien, die in einigem Zusammenhange stehen. Der
eine stellt ausschliesslich den Grundriss des Unterbaues für den Eiranich dar ; der
andere hingegen den Grundriss mehrerer schon stehenden Häuser der Stadt Pest
und jener Stellen, wo — meinem unterthänigsten Vorschlag gemäss — das Theater,
das Dreissigstamt, und im Einklang mit diesem letzteren der Kranich anzubrin-
gen wäre.
Man kann sehr oft, einem alten Sprichwort gemäss, mit einem Stein mehrere
Würfe machen, und hier scheint der Fall in der That einzutreffen, denn sollte der
von mir vorgeschlagene Plan von Ew. k. k. Hoheit huldreichst genehmigt werden,
so wird :
1 . ein Schritt vorwärts gethan, um die zwischen den beiden Städten Ofen und
Pest stehenden Donau-Ufer zu reguliren.
2. ein Iheissigstamt wird erbaut, das schon seiner LokaUtät zufolge weit
passender sein wird, als das jetzige, und durch dessen zweckmässige Anordnung
ohne Zweifel den Anfordenmgen der jetzigen Zeiten und Bedürfnisse weit naher
gebracht werden könnte als das jetzige ist
3. Anstatt des jetzigen Dreissigstamtes entstünde in Mitte von so vielen
schönen Häusern gleichfEills ein schönes Haus, wohin — besonders den Josef-
Ftatz berücksichtigend — das heutige Dreissigstgebäude wirklich nicht mehr sehr
zu passen scheint.
4. Es würde für ein ungarisches Theater ein Terrain angewiesen werden
können, auf welchem mit der Zeit und nach Umständen ein solches Theater erbaut
werden könnte. Und dies wäre eine (}abe, welche die Dankbarkeit der ganzen Nation
aufs bestimmteste zur Folge hätte.
Es handelt sich, die Sache zu beginnen, die wohl nicht anders, als bei der
Erbauung des Dreissigstamtes ihren AnfiEmg nehmen kann. Diesen Bau wünschte
ich aber auf eigene Kosten unter folgenden Berücksichtigungen zu übernehmen
und je ehestens zu beginnen.
a) Es werde von Seite der kön. img. Hofkammer mir ein Plan vorgelegt,
nach welchem das neue Dreissigstamt — auf dem Grunde vor dem Kardetter- und
Varga' sehen Hause erbaut werden sollte.
h) Die kön. ung. Hofkammer wolle die Summe aussprechen, für welche sie
das jetzige Dreissigstamt — nach gänzlicher Vollendung des neuen Dreissigst-
amtes — mir überlassen würde, — und ich werde
c) je nach dem kostbaren oder minder kostbaren Gebäu, das die kön.
ung. Hofkammer in dem neu zu erbauenden Dreissigstamte zu haben wünscht,
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ORAF STEFAN 8Z]£0HENTI*S BKIEPB. ^^^
meine Bereohnimg einreiohen, ans der sich die Balance ergeben wird, welche
Summe ich von Seite der kön. nng. Hofkammer, zu meiner Schadloshaltung, mit
Klligkeit anzusprechen hätte.
d) Da indess das Wort Billigkeit nicht hinlänglich definirt ist, so erkläre ich
hiemit, dass ich nach rechtlicher Schätzung des jetzigen Dreissigstamtes und dem
authentischen Eostenüberschlag des neu zu erbauenden zufrieden sein werde, wenn
ich das ausgelegte Qeid k 4 Perzent verzinset werde haben, sollte diese Summe
noch so bedeutend sein, — was ich hoffe ; denn es wäre schade — wenn man nur
halbwegs die Entwickelung der Stadt Pesth vor den Augen hat — an den Ufern
der Donau ein mesquines Dreissigstamt aufzubauen ; wie ich meinerseits, an die
Stelle des jetzigen Dreissigstamtes, auch ein nobles Gebäude aufzuführen gedenke.
Die Ursache, die mich bewog, Ew. k. Hoheit den soeben auseinandergesetzten
Vorschlag zu unterbreiten, beruhet beiläufig auf Folgendem :
1. Wttnsche ich meinerseits, so viel es in meinen Kräften stehet, zur Ver-
schönerung der Stadt Pesth beizutragen, wo ich bereits so lange lebte, und wo ich
wahrscheinlich mein Leben beschUessen werde.
2. Qlaube ich die mir zu Gebote stehenden Gelder auf keine schlechte Hypo-
theke zu steUen, wenn ich solche in Pesther Häuser investire, — und dass diese
Sicherheit die geringere Beute in Gleichgewicht setzt, die überdies mit der Zeit
höchst wahrscheinlich wachsen dürfte.
3. Fühle ich mich einigermassen verpflichtet, auf Höchstdero Gnade bauend*
eine passende Stelle zur Erbauung eines ungarischen Theaters auszumitteln, da
ich — wie Ew. k. Hoheit bewusst — in der Congregation des Pesther Comitats
den Bau eines Theaters auf der Eerepescher Strasse hinderte. Auch ist seit der Zeit
das Auge des Publikums auf mich gerichtet, und ich würde viel in der allgemeinen
Achtung verlieren, wenn ich in dieser Angelegenheit nichts gethan, als nur gehin-
dert haben würde ; weshalb ich auch jene Opfer, die mit der Erbauung zweier gros-
sen, nur 4 Prozent tragenden Gebäude verbunden sind, zu bringen bereit bin.
n.
In den Jahren 1835 — 40 concentriren sich für den anermädlich thä-
tigen Nationaltribunen die wichtigsten Angelegenheiten : die erste ständige
Brücke zwischen Pest und Ofen, die allmälige Schaffung einer Donau-
Dampfschifffahrt, in Verbindung damit die Stromregulirung^ endlich die
Errichtung des ersten ständigen Nationaltheaters in Pest.
Es ist doch traumhaft, zu denken^ dass vor kaum mehr als einem
halben Säcnlum Pest und Ofen zwei ganz getrennte Welten, Ofen ein Dorf
und Pest eine armselige Handelsfactorei war, dass damals der grosse, länder-
verbindende Strom noch jungfräulich, ohne das Eheband einer stabilen
Brücke, ohne mit dem reichsten Getreidesegen auf schnellsegelnden Schiffs-
coloBsen belastet zu sein, dahinbrauste, eine zweck- und ziellose Naturkraft,
die der Ungar so wenig zu benützen wusste, wie so vieles Andere, was in
dem Schoss seiner JErde sich barg, und wie er es auch heute noch lange nicht
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126 GRAF STEFAN SZÄOHENYI*S BBIBPB.
genug auszubeuten weiss. Es ist traumhaft zu denken^ dass die heute so
riesig entwickelte, nach allen Himmelsrichtungen unabsehbar ausgreifende
Stadt durch das Handelsstandsgebäude und durch das Hatvaner Thor be-
grenzt war, und dass Szechenyi vor der heute so schön aufblühenden Eere-
peserstrasse einen wahren Ekel besass und so lange er konnte, gegen die
Benützung des Grassalkovich 'sehen Grundes zu einem Theaterbau an-
kämpfte. Und selbst innerhalb dieses engbegrenzten städtischen Gemein-
wesens war noch keine Spur von monumentalen Baulichkeiten, von com-
munaler Sorgfalt in allen Fragen der Gesundheit und des Wohllebens. Und
wie gestaltete sich dies Alles nun unter der rastlosen Energie und dem
Schönheitssinn Szechenyi's ! Man kann nicht dankbar genug das Andenken
dieses Mannes hüten, der Pest eine Akademie, ein Casino, die wundervolle
Kettenbrücke, den Donauhafen und die Schiflfswerfte gab und endlich auch
zur Errichtung des ersten ständigen ungarischen Theaters in Pest beitrug.
Und dieser Aufstieg der Budapester Stadtschönheit aus den Wellen der
Donau begann erst gestern, vor kaum mehr als einem halben Säculum !
Welcher Traum !
Lehrreich ist aber der soeben veröffentlichte Briefwechsel Stefan Sze-
chenyi's schon darum, weil er uns, wir mögen von der Kraft des Genies
halten so viel wir wollen, doch wiederum nur beweist, dass nach den Griechen
odie Götter vor alles Gute den Schweiss gesetzt haben.» Man glaube ja nicht,
dass dem Grafen Szechenyi Alles mühelos gelang ! Nein, wir sehen es un-
widerleglich vor uns, dass er gekämpft und gerungen, gefürchtet, gehofft,
gebetet und gearbeitet hat, wie der gewöhnUchste Sterbliche, der alle seine
Sehnen anspannen muss, um das tägliche Brot zu verdienen. Nur in den
Zielen, in den Gedanken war Szechenyi genial, in der Ausführung war er
ein so tapferer, unverdrossener Arbeiter, wie jeder Andere. Wenn dieser
Briefwechsel keine andere Wirkung haben sollte, als unsere für das öffent-
liche Wohl wirkenden Kräfte anzufeuern und sie in ihrem oft dornenvollen
Wirken, auf den häufig unentwirrbaren Wegen des Schicksals in ihrer Mission
zu bestärken, so wäre Wohlthat genug damit geübt. Etappe für Etappe legt
sich das Wirken des grossen Reformators vor uns aus und wir ziehen die
heilsame Nutzanwendung daraus, dass die grössten Entfernungen am sicher-
sten durch die kleinsten Schritte zurückgelegt werden.
Es ist geradezu rührend, die vielen Einladungsbriefe zu lesen, welche
Szechenyi höchst eigenhändig an eine Anzahl von Casino- Mitgliedem
schreibt, deren Beitrag abgelaufen ist, und die er zu einer erneuerten Bei-
tragsleistung für weitere sechs Jahre auffordert. An Jeden, selbst an ihm
Unbekannte, schreibt er ganz besonders, er variirt seinen Styl und gibt jeder
Epistel eine neue Dosis von aus dem Herzen kommender Beredsamkeit.
Als echter Reformator gebietet er über alle Tonarten, er bittet, schmeichelt,
malt goldene Berge, lobt das Geschehene, feuert zum Zukünftigen an, packt
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ORAF Sl-BPAN SZ^jÄOHENYl's BRIEFE. 127
Jeden bei seiner persönlichen Schwäche. Es liegt etwas unendlich Liebens-
würdiges in diesen Briefen, die ein grosser Mann schreibt um einer kleinen,
aber ihm liebgewordenen Aufgabe willen. Auch sein Factotum Tasner, dem
er allerlei Kosenamen : «Old Tasnert etc. gibt, und dem er gewöhnlich in
einem humoristischen, aus allen Sprachen zusammengesetzten Kauderwelsch
schreibt, belehrt er darüber, dass wenn man die Leute für seine Zwecke
gewinnen wolle, man Jeden solo fassen und die schablonenhaften Girculare
vermeiden müsse.
Doch das Gasino war eine nebensächliche, wenn auch ihm sehr lieb-
gewordene Angelegenheit neben der grossen A£faire der stabilen Donaubrücke
zwischen Pest und Ofen. Man weiss, einen wie grossartigen politischen
Hintergrund Szechenyi der Brückenfrage gab. Obzwar ein echter Aristokrat,
war der Graf doch ein glühender Feind des Feudalismus, in welchem er das
Grab der nationalen Wohlfahrt sah. Ein materielles Aufblähen des Landes,
eine moderne Volkswirtschaft war nur möglich, wenn das Feudalsystem,
wenn die Privilegien gebrochen wurden. Wie traumhaft, dass in Ungarn vor
kaum mehr als fünfzig Jahren das Steuerzahlen als entehrend für den Edel-
mann, nur gut für die bäuerliche und bürgerliche Canaille betrachtet wurde.
Durch den Brückenzoll sollte der ungarische Adel zum ersten Mal an die
Gleichheit der Tragung der Staatskosten gewöhnt werden !
Mit unsäglichen Mühen kam Szechenyi in dieser Frage vorwärts. Erst
die Stände, dann die Magnatentafel, die Wiener Begierung gewinnen und
mit den zwei Municipien Pest und Ofen sich herumschlagen, so viele Leute
unter einen Hut bringen — dazu gehörte wahrlich ein prophetischer Mut.
Weit mehr noch als heute war der Ungar damals gegen jeden Fortschritt
verstockt, der ihm förmlich aufgezwungen werden musste ; weit mehr noch
als heute scheute man vor jeder Neuerung zurück; weit ärger noch als heute
hauste der Gantönligeist und das Philistertum in Stadt und Land. Ganz ab-
scheuhch waren die Verkehrsverhältnisse in Pest und Ofen. Man sollte
meinen, dass ein Stadtmagistrat mit Freuden die Gelegenheit ergriffen hätte,
die Misere einer Schiffbrücke über den grossen Strom zu beseitigen. Die
heutige Generation der Hauptstadt, welche drei wunderbare stabile
Brücken besitzt und noch eine vierte und fünfte begehrt, wird sich kaum
mehr eine Vorstellung von der Jänunerlichkeit einer Schiffbrückenverbin-
dung machen können. Man muss nach Gran oder Komorn gehen, um zu
ermessen, wie entsetzlich tödtend der Winter, der eine Schiffbrücke unmög-
lich macht, auf Handel und Verkehr wirkt. Die ganzen Uferstädte liegen da
im Winterschlaf. Es ist demnach kaum zu fassen, dass gerade Magistrat
und Bepräsentanz der Stadt Pest sich aus allen Kräften gegen die Beseiti-
gung der Schiffbrücke sträubten. Mit Ofen war Szechen}^ bald fertig, der
Widerstand von Pest war aber kaum zu besiegen. Zahllos sind die Klagen,
welche Szechenyi ausstösst, er verwünscht die Stadt und sich, er verzweifelt
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1^^ GRAF STEFAN SzioHENTl's BRIEFE.
und hofft wieder, flucht wie ein Besessener — kurzum^ die Bräckenangele-
genheit, welche zehn Jahre später die Ideen Szechenyi's zum glänzendsten
Siege führen, Pest in die Beihe der sehenswürdigen Städte einführen sollte,
hat dem genialen Seher viele Jahre der Buhe geraubt und ihn zum Spiel-
ball der Bomirtheit und philisterhaften Bosheit gemacht.
Merkwürdig, dass dieser Mann, den man gern zum psychiatrischen
Gegenstände machen möchte und der doch nach diesen Briefen so logisch
dachte und handelte, dass, wenn dies Wahnsinn heissen sollte^ man sofort
die banale Gesundheit des Gehirns dagegen eintauschen möchte^ merk-
würdig ist es, sagen wir, dass dieser Mann in den tüchtigsten Arbeitsjahren
von 1835 — 1 840 auch einen geradezu ausgelassenen Humor besass, der sich
in dem burschikosen Ton so vieler seiner Briefe äussert. Er schien sich
recht wohl zu fühlen im Kämpfen, Bingen, Arbeiten. Es war dies auch die
glücklichste, die Wonnezeit seines Lebens. Er, der sich so lange gegen das
Ehejoch gesträubt, er, der Tasner mutwillig vor der Heirat und vor dem
Verlassen des Junggesellenstandes warnt, er ist der Gefongene Amors ge-
worden, er hat den treuesten Altar der Liebe in der Zeit errichtet, da er die
Gräfin Zichy heimführte. Dithyrambisches Jauchzen hört man aus den
Zeilen dieser Briefe heraus. Die Bösen standen der lorberbekränzten Stime
so wohl !
Die Ehe macht den Grafen Sz^chenyi nicht müssig, sie stachelt viel-
mehr seine Kräfte. Mehr als je macht ihm die Errichtung und Vervoll-
kommnung der Donau- Dampf schiff fahrt, die aus so winzigen Anfängen
entstand, zu schaffen. Die Sprengungen am Eisernen Thor nehmen seine
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch und sein diplomatischer Verkehr mit
Wien, Ofen, Belgrad, Constantinopel lässt uns seine Gewandtheit, Vielsei-
tigkeit und sein praktisches Wirken bewundem.
Zwischen den grossen politischen und commerziellen Plänen vergisst
Szechenyi der Musen niemals. Er, der die Akademie mit Verschenkung eines
ganzen Jahreseinkommens gegründet, freut sich der ersten Talentproben
auf dem Gebiete der Malerei, begrüsst Barabäs und ist beglückt, ungarische
Architekten und Baumeister beim Bau des ersten ständigen ungarischen
Theaters in Pest verwenden zu können.
Mit richtigem Blicke hatte Sz6chenyi in dem Gultus der Musen eine
wichtige nationale Mission erkannt. Er war es, der die ersten Schritte beim
Landtag, beim Comitat, beim Erzherzog Josef that, um in Pest, das bisher
nur der deutschen Muse ein stattliches Heim geboten hatte, ein Centrum
ungarischer Kunst zu schaffen. Nur Klausenburg hatte damals schon ein
stabiles, für jene Zeiten ziemlich stattliches Gebäude. Die Hauptstadt sollte
nach fünfzehn Jahren erst nachhinken. Nach Szechenyi*s Idee sollte das
Nationaltheater an das Donau- Ufer gebaut werden. Er hatte demnach den-
selben Gedankengang, der in viel späterer Zeit die Verlegung des Parla-
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GEAP STEFAN BZ6cHJSfrn'B BBIBFß. ^^
mentspalastes vor die QijiaiBtufen zur Folge hatte. Szechenyi erwirkte, daas
der Paiatin Josef zu Zwecken eines Theaters einen Grund am Donau-Ufer,
ungefähr wo heute der Eötvös-Platz ssu finden ist, und zwar einen freiste-
henden Grund von etwa 700 Quadratklalter Umfang anwies. Szechenyi
selbst subskribirte 10.000 Gulden unter der Bedingung, dass das Theater
auf diesen Grund gebaut werde, den er nach der damaligen Lage und Ent-
wicklung der Stadt für den passendsten hielt. Viel Unmut fiösate ihm
jedoch der Verlauf dieser Angelegenheit ein. Stadt und Gomitat suchten
ihm die Initiative zu entwinden, Grassalkovich schenkte den heutigen Grund
vor dem Hatvaner Thor, das Land votirte 400.000 Gulden für den Bau und
Szechenyi, der in Paris die umfassendsten Planstudien hatte vornehmen
lassen, blieb mit seinen Absichten allein. Fürder sehen wir Szechenyi sich
nicht mehr um das Theater kümmern, aber unstreitig gebührt ihm das
Verdienst der Initiative auch hierin und sein durchdringender Seherblick
wurde glänzend gerechtfertigt durch die ausserordentUch bedeutsame, ja
nahezu entscheidende Bolle, welche unser Nationaltheater in der Geschichte
Budapests, sowie der gesammten ungarischen Gultur gespielt hat.
HL
In der letzten Hälfte des vorliegenden Bandes seiner Briefe sehen wir
Szechenyi vorzugsweise mit der Finanzirung der Kettenbrücke beschäftigt.
Wie langsam gingen damals alle ungarischen Angelegenheiten ! Am 23. Sep-
tember 1836 schreibt Szechenyi an den Weg- und Brückenbau-Commissär
Friedrich Schnirch: • Nach unsäglicher Mühe von Yier Jahren ist es mir
gelungen, ein Gesetz zu erhalten, nach welchem auf der zu erbauenden
Brücke Jedermann zu zahlen habe. Hiedurch sind wir quasi in einer sicheren
Revenue von 200,000 fl. C.-M. Man sollte also glauben, dass man ohne Wei-
teres anfangen sollte etc. Weit gefehlt ! Es muss noch und noch und noch
abgedroschen werden.»
Nun, und zum Dreschen hatte wahrlich Szechenyi Mut und Geduld
genug. Dauerte es doch abermals drei Jahre, bis er die Finanzirung der
Brücke durch Baron Georg Sina gesichert hatte.
Die Briefe an Georg Sina sind die piece de resistance der zweiten
Hälfte dieses Bandes. Viel wichtige Erkennungszeichen für den Charakter
und die Handlungsweise des Grafen Szechenyi finden sich darin. Zuerst
klopft unser Patriot schüchtern bei Baron Sina an. Schon der erste Brief, in
welchem der ungarische Patriot sein Lieblingsproject dem Wiener Finanz-
potentaten anträgt, ist bezeichnend genug. Er lautet :
üngariselM Bama, XI. 1891. 11. Heft.
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130 GRAF STEFAN SZÄOHENYI*S BRIEFfi.
Czenk, 18. Oktober 1836.
Mein sehr hochgeachteter Freund I
«Hier beigebogen sende ich Ihnen ein Schreiben, das Sie die Güte haben
wollen einstweilen zu beherzigen, bis mir das Vergnügen werden wird, mich Ihnen
persönlich vorzustellen, wenn ich sodann über ADes nähere Auskunft zu geben mir
vorbehalte. Ich bitte um nichts, als dass Sie dem in Frage stehenden Gegenstand
etwas Zeit gewinnen und ihn mit kaüem Blut prüfen inögen,
Untersuclien kostet nichts — und es dürfte sich zeigen, dass während Millio-
nen und Millionen in England und auf dem Kontinent unzweckmässig und unfrucht-
bringend zersplittert werden — der Bau einer Brücke zwischen Ofen und Pest eine
der nützlichsten Unternehmungen wäre, die man nur ergreifen könnte ; und zwar :
nützlich für den Staat im höheren Sinne, weil durch dessen Bau das Princip des
gleichförmigen Zahlens auf Strassen und Communicationen aller Ai-t in Ungarn auf
immer begründet wäre, ohne dem dieses Land sich nie entwickeln kann ; aber auch
nützlich für den immediaten Handel des Landes und die Verbindung der beiden
Städte, — und endlich tivarzugsweise nützlich ßlr die Unternehmer,*
Ich gedenke gegen den 24. d. in Wien einzutreffen, wann ich dann nicht
säumen werde, an Ihre Thüre anzuklopfen.*
Artiger und zugleich gescbäftsmässiger hat wohl noch kein Graf einer
Finanzmacht geschrieben. Bald vereinigt sich Szechenyi mit Kappel, Koväcs
und Tüköry, um Sina direct und ausdrücklich zu ersuchen, sich an die
Spitze der Brückenbau-Unternehmung zu stellen. Es ist gewiss, dass der
Baron durchaus nicht so hitzig dreingehen wollte. Wenigstens kommt Sze-
chenyi in einem Brief an Sina vom 15. Jänner 1837 abermals, und zwar
sehr dringend auf diesen Gegenstand zurück. Obzwar Sina ihm schon münd-
lich die Durchführung der Angelegenheit zugesagt hatte, wünscht Szechenjd
doch durchaus eine «an alle Viere gerichtete baldmöglichste geneigte Ant-
wort». Charakteristisch ist folgende Stelle dieses urgirenden Briefes:
•Sie beschuldigen mich, dass ich mich nicht fest an Sie gehalten, sondern
auch in die Arme Anderer, wie der Freiherm v. Eskeles, Pereira und Herrn Ulimann
geworfen hätte. Sie thuen mir aber Unrecht; denn vor allen anderen braucht das in
Frage stehende Unternehmen — welches auf guter, gesunder Grundlage basirt
ist — durchaus keines so ängstlichen Anbietens, imd sodann, weil Niemand besser
weiss, als ich, wie vom Ziel führend jeder Concurs und jede Aemulation bei Unter-
nehmen v<m so grossem Belange, wie das in Frage stehende, zu sein pflegt Wenn
ich aber als- Vorsitzer der Landes-Subdeputation von Leuten wie Baron Eskeles,
Pereira etc. angegangen werde, was soll ich thun ? sie geradezu rebutiren 9 ich, der
ich durchaus keine Vollmacht dazu habe, nnd die Verantwortung solches willkür-
lichen Verfahrens in einer Sache nie auf mich nehmen wollt«, über welche einzig
und allein die reichstägige Deputation zu entscheiden hat. Setzen Sie sich in meine
Lage, und urteilen Sie über mich gerecht ; vor allen anderen aber lassen Sie mich
nicht in diesem paralitischen Zustande, in welchen Sie mich versetzt haben !•
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GRAF STEFAN SZÄCHBNYl's BBIBFE. 131
Szechenyi schreibt aber noch an demselben Tage an den Grafen Anton
Mailäth nach Wien : Sina nehme eine zweideutige, schwankende Stellung
ein und Mailäth sollte allen Einfluss auf den Baron aufbieten^ damit dieser
endlich «losschiesse und sich als Unternehmer mit dem Erzherzog Palatin
und der Begnikolar-Deputation in Verbindung setzet. Es scheint jedoch^
dass Baron Sina zu jenen Zauderern in Geschäftssachen gehörte, die vor
lauter Aengstlichkeit, vor lauter Sucht nach Garantien und Furcht vor
möglichem Verlust lange zu keinem Entschluss kommen können. So that
zwar Baron Sina, wozu ihm Graf Szechenyi geraten hatte, er wendete sich
mit einer Eingabe an den Erzherzog Palatin, dieser aber war von dem Ton
der Eingabe durchaus nicht erbaut und äusserte sich zu Szechenyi, dieselbe
wäre weder schwarz noch weiss, und es solle ihm Leid thun, wenn er Sina,
den er sonst schätze, die Unternehmung nicht übertragen könne. Nun gerät
Szechenyi ins Feuer und bombardirt Sina mit Concepten, Calculationen,
Batschlägen, er beschwört ihn, der Goncurrenz bei diesem brillanten Ge-
schäfte nicht Zeit zu lassen und ihn, den Grafen Szechenyi nicht zu^blamiren.
Zum Ueberfluss trägt ihm Graf Szechenyi noch sein ganzes flottes Vermögen
von 300,000 fl. als Einlage zum Brückenbau an.
Endlich, nach wiederholten Urgenzen, liess sich Baron Sina herbei,
eine bestimmte Erklärung abzugeben. Am 13. April 1837 bestätigt Szechenyi
den Erhalt der «im Ganzen vortrefflichen Eingabe.» Am 25. April gedenkt
er Baron Sina in Wien aufzusuchen, um ihm «einige kleine Bemerkungen
mündlich vorzutragen, i
Nun ist also Sina der erklärte Mann Sz^chenyi*s und dieser beweist
fortan der Goncurrenz gegenüber, dass er seinem Geschäftsgenossen
unter allen Umständen treu bleiben will. Man lese nur, was er schon am
11. Juni 1837 an den Erzherzog Palatin schreibt:
«Herrn Wodianers « Gross! landlungshäusen sind heute durch eine neue Ein-
gabe an das Tageslicht gekommen. Diese werde ich Ew. k. k. Hoheit Morgen, so
bald sie dictirt ist, einzusenden die Ehre haben. Bis dahin nehme ich mir die Frei-
heit, Ew. k. k. Hoheit die Unterzeichneten hier anzuführen :
Woilianer Samuel ^s fia. Magyari Imre.
Ulimann Möricz maga nev^ben. Bobitsek Jözsef.
Ugyanaz Bär6 Dietrich Jözsef nev^ben. HegedÜa Zsigmond.
Grof ötäray Albert.
Bärö Orczy György.
Bärö ßedl Imre.
Premsperger Päl.
Jeder Unbefangene und Gutmeinende würde leicht einsehen, dass lüer nur
• Hindern* das lAmmgswort ist. Da indessen mit vieler Befangenheit und vielem
bösen Willen zu kämpfen ißt, so wäre meine Meinung, anjetzt nichts Anderes zu
thun, als um Sina nicid abzuschrecken, ihm auf eine gute Art beiläufig so viel
zukommen zu lassen : « Scheuen Sie eine solche Goncurrenz nicht, lassen Sie Ihre
9*
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132 GRAF STBFAK SZ^CHENYI^S BRIEFE.
Pläne je eher verfertigen, und rechnen Sie auf Billigkeit.! Ob ich nun in der Depu-
tation 80 viel zu Wegen bringen kann, bin ich nicht sicher, bitte also Ew. k. k»
Hoheit unterthänigßt •helfen Höchstdieselben mir Schwachen.^
Baron Sina legt sich morgen um 10 Uhr Früh Sr. k. k. Hoheit dem Erzherzog
selbst zu Füssen. Ein solches Wort i Lassen Sie Ihre Leute aus England und
Amerika ohne weiters kommen, setzen Sie sich über alle Concurrenten hinaus, und
überreichen Sie ihre Pläne baldmöglichst ohne Scheu, und bauen Sie auf den Recht-
sinn einer allerhöchsten Eegierung» würde auf jeden Fall alles retten.
Ich fürchte unbescheiden zu sein, Ew. k. k. Hoheit Höchstdero kostbare
Zeit auch jetzt in Anspruch zu nehmen. Höchstdero unversiegbare Güte hat mich
aber verdorben, und meine Absicht, ich kann es mit Selbstgefühl sagen, ist nicht
unedel. Ew. k. k. Hoheit ganz unterthänigster Diener
Graf Stephan Sz^chenyi.
So eben bemerke ich, dass ich auf bereits beschriebenes Papier diese Zeilen
setzte. Bitte tausendmal um Vergebung.»
Der Erzherzog erwies sich als feste Stütze Sz^chenyi's. Am nächsten
Tage schreibt dieser an Ersteren : tNach der heutigen Audienz, die Baron
Sina bei Ew. k. k. Hoheit hatte und von der er erfreut, ermutigt und ge-
stählt zurückkehrte, bin ich des Gelingens aller Vorarbeiten sicher. •
Sz^chenyi war es, dank seiner Energie und Schlauheit, noch mehr
aber durch die Treue des Erzherzogs gelungen, die Concurrenz aus dem
Felde zu schlagen. Höchst realistisch klingen die fröhlichen Zeilen, welche
der Graf hierüber an Sina schreibt :
iihre Angelegenheit steht so gut wie möglich. Wir hätten Wodianer et Co.
oder eigentlich Stäray, Ullmann et Co. ganz vor den Kopf schlagen können, ich
wollte es aber nicht, denn ich fürchte mich ganz erbärmlich vor Beaktionen. Jetzt
haben wir sie beseitigt, und unsere Opposition ganz gelähmt. Graf Stäray — da er
das Ganze nicht zerfallen machen konnte — stimmt jetzt ein anderes Lied an, über
welches ÜUmann et Wodianer heulen möchten ; er (Stäray) spielt nämlich den Zufrie-
denen, den Retter des Vaterlandes. tWir haben unsem Zweck erreicht, unsere.
Rolle ist ausgespielt, sagt er, wir haben die Deputation in ihre Schranken gewiesen,
sonst hätte sie ohne Bedingniss Alles dem Baron Sina zugesagt.» Ullmann et
Wodianer scheinen aber mit dieser politischen Demonstration nichts weniger wie
zufrieden, und werden gewiss einen Chef suchen. Ich wunderte mich nicht, wenn
Rothschild dennoch in dieses Unternehmen entrirte. Es wäre unangenehm. Zeit-
gewinn ist alles, denn am Ende ist das Ganze in den Händen des Erzherzogs, und
dieser ist ganz für Sie. Wenn er auch nur so lange lebt, als ich wüni^che ! In den
Ausschuss werde ich ausser Kappel, Tüköry imd Eoväcs, noch Andrässy, PoUak,
und wenn der Erzherzog erlaubt, Väsärhelyi hineinnehmen, um alles vorzuberei-
ten. Nun werde ich nächstens die Antwort aufsetzen, die Sie der Deputation geben
müssen, um sich gegen Eins und das Andere zu verwahren, denn tqui tacet, con-
sentire videtur».
Sz6chenyi ist jetzt wieder bei bestem Humor. Am 20. Juni schreibt er
an den BaroU; dieser möge seinen mündlichen Auftrag, wonach er die Kosten
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GBAF STEFAN BZ^CHENTl's BREBFE. 133
der Vorarbeiten a fond perdu zu tragen erkläre, in einigen an den Präses
der Begnicolar-Deputation gerichteten Zeilen wiederholen, da er, Szechenyi,
ja sterben könne und dann hätte die Deputation nichts in Händen. Und am
nächsten Tage erklärt er seinem «sehr geachteten Freunde» den Bescbluss
der Begnicolar-Deputation folgendermassen :
•Es freuet mich täglich mehr, mit Ihnen zu thun zu haben, da ich aus Allem
Hure Umsicht und Ihren praktischen Scharfsinn hervorleuchten sehe, ohne welche,
man mag sagen, was man will, weder Kleines, noch Grosses gelingt, da Patriotis-
mus, Seelengrösse etc. allein keineswegs auslangen.
Eines begreife ich nicht, wie Sie das nämlich verstehen zu müssen glauben,
was (^ie Beicbs-Deputation Ihnen und den Wodianem sagte.
Diesen sagt sie : «Wenn Eure Pläne und Bedingungen die besten sind, so
habt Ihr den Vorzug •.
Ihnen aber: cWenn Ihre Pläne und Bedingungen ebenso gut sind, wie die
andern, so haben Sie den Vorzug •.
Sehen Sie durch diese Aussage nicht die ganze Sache bereits in Ihren Hän-
den? Ja; sie gehört Ihnen, wenn Sie NB. bei Zeiten zugreifen und sich in Besitz
setzen, was die Hauptsache ist ; die Begierung ist für Sie, der Erzherzog ist für Sie,
die Deputation ist für Sie ; und endUch sind Sie der Mann der Vorsehung, der
seine Mission vollenden, und somit imter Andern auch die Pesther Brücke bauen
muss. Also vorwärts/
Ebenso wie es unmöglich ist, zu viel Umsicht zu haben, so muss man ande-
rerseits auch dreiuzuhauen verstehen, wie Sie 's gewohnt sind, also noch einmal
« Vorwärts/ 9 und erfreuen Sie mich bald mit einigen vollgewichtigen Zeilen •.
In ebendemselben Briefe hat Szechenyi Zeit, den Baron an die ihm
versprochenen tausend Ziganen zu erinnern. Da Baron Sina in grossen wie
in kleinen Dingen ein schlechtes Gedächtniss zu haben schien, so erinnert
ihn Szechenji kurz darauf sowohl an die schriftliche Erklärung, als auch an
die tausend Zigarren, von welchen er mit nächstem Schiff Hundert zuge-
sendet haben will, um seine entzündete Leber zu erfreuen.
Sina hatte also die Vorarbeiten zugesprochen erhalten und die Ver-
sicherung bekommen, dass er unter gleichen Bedingungen der Bevorzugte
sein werde. Die Goncnrrenzpartei ruhte aber durchaus nicht und suchte sich
durch Bothschild zu verstärken. Szechenyi erwies sich auch fernerhin als
guter Geschäftsmann und treuer Bundesgenosse. Er rät Sina, die Actien-
gesellschaft möglichst rasch zu formiren. Einen dirigirenden Ausschuss hatte
Szechenyi in Pest bereits gebildet. Als leitender Ingenieur für die Vor-
arbeiten, dem auch der Brückenbau übertragen werden sollte, fungirte der
Engländer Gark. Sz^henyi verlangt, Sina solle zwei Kaufleute herunter-
schicken, um die Preise der Materialien zu erheben, damit Clark einen
approximativen Eostenvoranschlag machen könne, auch sei mit Clark selbst
bald ein bindender Vertrag zu schliessen. Der Graf bittet Sina, vor der Grösse
der Vorauslagen nicht zu erschrecken, da sich dieselben bei der Grösse des
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134 GRAF STEFAN SZ^CHENYl's BRIEFE.
Unternehmens leicht einbringen Hessen. Und nun hören wir Szechenyi einen
Ausspruch thun, welcher beweist, dass er in alle Unternehmerkniffe bereits
eingeweiht genug ivar. Er schreibt nämlich als Nachschrift an den wahr-
scheinlich sehr engherzigen Baron Sina : «Die Vorauslagen gewähren übri-
gens einen grossen, wiewohl indirecten Vortheil, und zwar — dies bleibe
aber unter uns ! — dass sie viel Aufsehens machen, nicht controlirt werden
können, folglich in dem Finaltractate mit der Beichsdeputation man sie als
eine sehr grosse Last anführen kann.»
Etwas vorsichtiger drückt sich Szechenyi aus, indem er Sina die Bil-
dung einer Actiengesellschaft dringend empfiehlt. «Welche Motive mich in-
dessen bewegen, diese Ansicht zu haben, kann ich unmöglich dem Papier
anvertrauen ; ich muss sie mündlich darstellen, und zwar an Sie selbst oder
an Jemanden, der Ihr vollstes Vertrauen besitzt und der auch die Einleitung
solcher Angelegenheiten practisch versteht!»
Baron Sina scheint nunmehr volles Vertrauen zum Grafen Szechenyi
gefasst zu haben. Wenigstens schreibt dieser am 10. September 1837 an
Erstem: «Sie haben mich zwar in einem Ihrer Briefe auf das Schmeichel-
hafteste mit Ihrem grössten Vertrauen beehrt und mir eine grosse Vollmacht
eingeräumt, es handelt sich nun aber um den Teil des Unternehmens, der
kaufmännisch zu berücksichtigen kommt und da gestehe ich mich viel zu
wenig competent, um allein ohne Gontrole dastehen zu wollen.» Die
schlimmen Folgen des innigen Attachements des Grafen an Sina sollten
nicht ausbleiben; am 8. November 1837 schreibt er: «Meine Stellung ist als
Mitglied der Landesdeputation sehr schwierig, ich bekomme von allen Seiten
Insinuationen der niedrigsten Art: ich hätte mich an Sie verkauft, um
tüchtig Geld zu machen, was mit meiner Stellung als eines der Hauptmit-
glieder der Landesdeputation incompatibel sei. Man sieht aus Allem, wie
sehr die Juden durch ihre 100 Kamificationen emsig gewesen sind, Sie und
mich in ein verdächtiges Licht zu setzen.» Am Schlüsse desselben Briefes
bittet Szechenyi den Baron: «seine Briefe und Alles, was er an ihn sage,
auf das Scrupulöseste geheim zu halten /»
Die Concurrenzpartei, mit Wodianer an der Spitze, hatte sich inzwi-
schen verstärkt und Graf Szechenyi musste wieder einmal Alles aufbieten,
um seinem Freunde Sina das Brückenbaugeschäft zu retten.
IV.
Die auf die Kettenbrücke bezüglichen Briefe des Grafen Szechenyi
nehmen noch fortwährend unser Interesse in Anspruch, da sie uns von der
Zähigkeit, Principientreue und geschäftlichen Umsicht des grossen Ungars
einen ziemlich deutlichen Begriff geben. Wie oben erwähnt, hatte Graf
Szechenyi dem Baron Sina gegenüber sich verpflichtet, ihm den Bau zu
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GBAP STEFAN SZECHENTl's BRIEFE. 135
sichern, während eine von Wodianer geführte Gruppe dagegen conourrirte.
Beide Parteien Hessen Pläne von der Brücke anfertigen, Sina durch Olark,
Wodianer durch Rennie. Im Verfolg des Briefwechsels mit Sina vertieft sich
Szechenyi auch in die Eisenbahnprojecte (Wien Raab-Ofen) des Ersteren.
Am 16. August 1837 schreibt Sz6chenyi an Sina bezüglich der Ketten-
brücke :
iDie Kanone ist losgebrannt, die Sclüacht beginnt, ganz Europa wird näch-
stens davon reden. Ihr Name steht obenan, vergessen Sie das nicht, hochgeachteter
Freimd! (Vielen Dank für die Zigarren! Wenn auch nur jene, die kommen, ebenso
gut sind, wie die Sie mir sandten. Auch hierin wussten Sie das Beste zu finden.
Ich, der ich ganz Europa ausforschte, fand sie nicht !)>
Am 17. November schon schreibt er an Ebendenselben:
•Soviel können Sie einstweilen als sicher annehmen, dass Sie auf jeden Fall
auf das EhrmroUste und beinahe so sicher, wie 2x2=4, als Sieger aus diesem
Kampfe hervorgehen werden. Es ist aber die aüergrösste Umsicht notwendig, und
nicht als ob Gefahr wäre, dass das Geschäft in Wodianer' s Hände übergeht, son-
dern weil wirkliche Gefahr droht, dass Wodianer u. Cie. Alles aufbieten werden,
eher das Ganze zerfallen zu machen, als Ihnen den Bau zu überlassen. Ob ihnen
nun dies gelingt, weiss ich nicht imd werde idas Meinige thun», um es zu hindern.
Zu besorgen bleibt es dennoch in grösstem Maasse, denn, wie Sie wissen, ein Narr
kann oft mehr verderben, als hundert Weise zurecht richten. Und wie erst i bos-
hafte Narren !•
Eben von Wodianer schreibt er am 24. December :
•Ich hätte in ihm nicht so viel Energie und Ausdauer vermutet und man wird
viel aufbieten müssen, um sie zu besiegen, denn sie haben, wenn wir ims nicht
betrügen wollen, die Mehrheit der Stimmen für sich. Der Erzherzog wird aber den
Ausschlag geben. •
Wie eingehend Graf Szechenyi sich mit seinen Projecten befasste, be-
weist folgender Fragebogen, den er an den Baron richtet :
•Welche Arenda bezahlt der Arendator der Taborbrücke (Schiffbrücke) ?
Nach welchem Tarif zieht er die Brückenmaut? Zahlen Regiei-ungsleute auch Maut
oder zahlt die Regierung ein Pauschale? Wessen Eigenthum ist die Kettenbrücke
in Böhmen? Wer baute sie? Was kostete sie? Nach welchem Tarif wird darauf
bezahlt? Wie lange dauert die stipulirte Zahlung ? Ewig oder auf bestimmte Zeit-
frist ? Was hat die Regierung dazu gegeben? Oder zahlt die Regierung auch?»
In einem zwei Tage später datirten Briefe fragt Szechenyi den Baron,
ob er etwas in Hinsicht der Preise des Granits und des Holzes gesammelt ?
Der strenge Winter von 1837/38 hatte zur Folge, dass man diei Not-
wendigkeit einer starken Brücke, aber nur auf zwei Pfeilern, einsehen lernte
und somit das Project Clark's an Beliebtheit gewann :
«Wodianer und Co. machen lange Gesichter. Sie sind aber sehr gewandt und
stets auf den Beinen, so dass ich sie imm^r fürchte und gegen sie all unser Geschütz
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136 GRAF STEFAN SZl^ENTl's BRIEPE.
aufsuföhren anrate. — — — Eb ist gegen meine Gewohnheit, die Bärenhaut
früher zu verkaufen, als sie vollkommen ausgegerbt ist, denn die zu frühen Sieges-
FaDfaren pflegen gar oft in Klagetönen den Ueberwindem zu enden. So viel aber
menschlicher Weise prognostizirt werden kann, so können Sie von Ihrem Siege
bereits sicher sein.»
Man sollte es nicht glauben^ dass die Stadt Pest nicht aufhörte, den
Brückenbau zu hintertreiben. Wir citiren folgende charakteristischen Stellen
aus Szechenyi*s Brief vom 12. Jänner 1838 :
•Einige Stimmen haben sich bereits verlauten lassen: •Die Stadt würde
gegen jede AH Brücke protestiretiy und bis zu S. M, dem Kaisergeken, da sie wegen
einer Theorie nicht ihre Habe aufs Spiel gesetzt haben wollten.» Ich ignorire dies
zu Schein ganz, thun Sie einstweilen dasselbe. Wir müssen aber machen. Clark
annoncirt mir ein Paquet, das er durch Sie an mich sendet. Es ist 'Fliee darin, und
vielleicht einige Zeichnungen. Ich bitte Sie, es aus den Klauen der Maut zu ret-
ten, und mir ehebaldigst übersenden zu lassen, da ich — besonders nach dem
Thee — wirklich schon lechze. Bei dieser Gelegenheit bringe ich die guten, dicken
und leichten Cigarros dellos amicos in Ihr Gedächtniss, von denen Sie mir bereits,
ich glaube 100 sendeten — wovon ich übermorgen die allerletzte rauchen werde,
1000 Stück aber bringen zu lassen mir gütigst versprachen !
Ich höre, oder lese vielmehr in den Zeitungen, dass Sie Ihr Eisenbahn-Privi-
legium für die Strecke von Wien, über Baden ? Neustadt ( ?) Oedenburg ( ? ?) nach
Raab bereits erhalten haben. Ich hoffe, d<iss Sie auf mich doch nicht ganz vergessen,
und mir einige Stück Aktien um den Emissions-Preis zukommen lassen werden,*
Am 1. Februar 1838 teilt Szechenyi seinem Freunde Baron Sina mit :
•Heute ist grosse Conferenz bei Gr. StAray, der vor einigen Tagen angekom-
men ist imd bei dem sich alle lUre Widersacher vereinigen werden. Sie aber sollten
Wodianer abtrünnig machen. Er ist ein Kaufmann, er will gewinnen, sein Spiel
ist somit zu begreifen und zu verzeihen. Die St. et Co. sollten aber eine Lehre
bekonmien, die man ihnen unmögUch besser geben könnte, als wenn man W. ver-
möchte, sie in Stich zu lassen, denn dann wären sie wirklich in einer lächerlichen
Szene, da W, der mizige praktische Kopf unter ihnen ist, »
Im März sollte die Beichsdeputation über die vorgelegten Concurrenz-
pläne von Sina und Wodianer entscheiden. Szechenyi schreibt an Sina :
«Präsidirt Graf Batthyäny, so wäre es wohl rätlich, ihn bei Zeiten für Sie
zu stimmen, wie nicht minder den Protonotär Vegh, der die Feder führt
und auf den natürlich sehr viel ankommt. •
Bald darauf gelingt es Szechenyi, die Fusion zwischen Wodianer und
Sina zu Stande zu bringen, was ihn sehr erfreut, weil er Wodianer für die
Seele der Gegenpartei hält. Inzwischen hat Baron Sina seinen Prospect von
der Wien-Baaber Eisenbahn lanzirt nnd Szechenyi ins Gomite gewählt. In-
teressant ist folgende Gewissensfrage, welche Szechenyi am 9. März 1838 an
Sina richtet :
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GRAF STEFAN aZÄCHENYl's BRIBFK. 137
«In Hinsicht der zu vertheilenden Aktien der Baab-Wiener Eisenbahn,
erkiube ich mir eine Anfrage an Sie zu machen : Dürfen and sollen die Mitglieder
jener Deput., deren Einer ich zu sein die Ehre habe, von jenen 2500 Stück Aktien,
die Sie für Ungarn bestimmen, frei und ungehindert schöpfen? Es ist eine kitzliche
Sache. Geschieht keine starke Nachfrage, dann könnte ich z. B., um den Weg zu
zeigen, um das Beispiel zu geben, für 50.000 oder 100.000 fl. unterfertigen, werden
sie aber gesucht, dann kann ich, den man ohnehin im Yei dacht eines interessirten
Menschen zu haben anfängt, weil er noch keinen Sequester auf dem Bücken hat,
höchstens 5 bis 10 Stück Aktien quasi zum Kosten nehmen. Nun haben sich aber
bereits zwei hiesige Grosshändler mit m/260 bei mir vorgemerkt, so dass ich es bei
der nächsten Zusammenkunft melden werde müssen ; ich aber möchte, als einer der
ersten Besitzer im Oedenburger Komitat, wenigstens für m/50 in diesem Geschäft
interessirt sein. Wie ist das, ohne mich ab Mitglied dieser Deput. zu kompromitti-
ren — zu erzielen? Hierüber wollen^Sie mir ein geneigtes Wörtchen sagen.!
Die im März 1838 eingetretene Ueberschwemmung von Pest machte
allen Brückenprojecten vorläufig ein Ende, welche Graf Szechenyi nunmehr
sieben Jahre lang mit Bienenfieiss betrieben. Der von der üeberscbwemmung
datirte Brief ist zu charakteristisch, als dass wir ihn nicht reproduciren
sollten:
•Pesth ist für den AugenbUck, man kann sagen, t zerstört.^ Jede Beschrei-
bung, die man Ihnen bis jetzt gegeben hat von den Verheerungen, kann nur schwacli
fein. Wie sich das Ganze entwickeln, ob gänzHches Versinken, Vegetiren oder ein
kräftigeres Aufblühen eintreten wird, ist zu erwarten. Ihre seelenvolle Gabe hat
Wunder gewirkt ; und nie war eine mehr zu seiner Zeit gespendet, denn sie glänzte
nicht nur als ein edles, nachahmenswertes Beispiel, sondern erhob vor allem die
Gemüter, und diese im Allgemeinen zu erheben, war eine noch weit grössere
Wohlthat, als hie und da ein sieches Leben zu fristen oder einstweilen leere Mägen
zu füllen.
Plews and Stater, die während dieser Katastrophe mehrere Tage im Jäger-
hom gefangen waren und nichts mehr zu leben hatten, brachte ich mit einem
Boot zu mir. Sie können Ihnen keine Details über das Elend gegeben haben, da sie
dessen weites Feld, nämUoh in den Vorstädten, nicht sahen.
Ich wurde durch körperliche Anstrengung ganz erschöpft. Vorgestern war ich
mit meiner unglücksehgen Leber wieder ausnehmend leidend. Seit gestern stehe
ich neuerdings — obschon schwach — auf den Beinen. Heute Morgens schiffte ich
meine Frau mit 8 Kindern und 12 Dienern aller Gattung auf den Ärpäd ein, um
sie über Gönyö nach Zinkendorf zu senden. Seitdem sie weg sind, bin ich in mei-
nem Innern weniger bange und gedenke nun vorläufig hier zu bleiben, da ich es
für einen Mann, der hier etabHrt ist, wirkUch für schimpflich halten würde, diesen
Ort jetzt zu verlassen. Der Erzherzog trifft alle Anstalten selbst, ist für jeden sicht-
bar und voller Energie. Wir sollten Ptsth nickt sinken lassen. Eine Anleihe von ein
paar Millionen an die Stadt könnte das Ganze repariren. Die Stadt könnte eine
gute Hypotheke sein. Denn die Stadt würde allen industriösen Inwohnern ihre
Häuser aufbauen, und von ihnen allmählig zurückzahlen lassen. Das Prinzip
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1^ GRAF STEFAN SZ^CHENYI'b BRIEFE.
wäre gilt, nur müsste die Application gut geschehen. Eine Kommission von ehrli-
dien LeiUeti sollte das Ganze manipnliren ; und könnte ich das letzte Mitglied dieser
Kommission sein, so schätzte ich mich glücklich. Ein Oeschenk war jetzt aasserst
wohlthnend; nun wäre aber eine Anleihe an der Tages-Ordnnng.»
Die Anstrengungen, welchen sich Graf 8z6chenyi bei der Pester Ueber-
schwemmung unterzog, hatten eine schwere Krankheit zur Folge, eine
Affection der Leber, des Magens und der Gedärme, mit starkem Fieber unter-
mischt. Der Graf hatte unsäglich viel zu leiden, die Gelbsucht entstellte ihn
und Gallergüsse störten den ganzen Organismus. Er machte Testament.
Dabei war er bei vollem Bewusstaein und gibt in den Briefen an Tasner die
umständlichsten Beschreibungen seiner Krankheit und von dem dagegen
angewendeten Verfahren. In den Briefen an Tasner enthüllt sich überhaupt
der Privatcharakter Szechenyi's, den wir als sehr guten Wirth und als sehr
misstrauischen Geschäftsmann kennen lernen.
Im September des Jahres 1838 ist Stefan Szechenyi endlich soweit
genesen, dass er sich wieder seinem Kettenbrückenproject zuwenden kann.
Einen geradezu exaltirten Brief schreibt er am 3. September an den flrzher-
zog Stefan :
•Ew. k. k. Hoheit, durchlauchtigster Erzherzog!
Indem ich die Ehre habe Ew. k. Hoheit die Eingaben des Barons Sina im
Drucke hiemit zu tibersenden, rufe ich laut auf « Victoria. • Alles gehet vortrefflich;
und wem haben wir es zu verdanken ? Höchstdero verehiimgswürdigem Vater, der
mit gewohnter Weisheit den ganzen Gegenstand, — ohne viele Kraftäusserung,
aber nur ebenso viel, als nötig war — in ein solches Gleis zu bringen wiisste,
dass derselbe nun — ausser es käme ein unberechenbarer feindseliger Komet
inzwischen — bestimmt zu seiner vollkommenen Entwicklung gelangen wird. Auch
diesmal hat der Löwe, wie bisher bei jeder schwierigen Stellung, der Maus aus dem
Netze geholfen ! Ach Gott, dass es der Maus nur gegeben wäre, ihre Dankbarkeit zum
Löwen auf irgend eine recht erprobliche Art an den Tag zu legen ft
Ebenso schreibt er am 11. September an den Erzherzog Josef:
t Gottlob wir sind endlich glücklich mit dem Baron Sina übereingekommen,
und zwar mit der Annahme des von ihm vorgeschlagenen Tarifs und 97 priv. Jahre-
Es bleibt nun nichts Anderes übrig, als den Vertrag zu entwerfen, zu concertiren
und zu unterschreiben. •
Bei der Abfassung des Vertrages hat Graf Szechenyi an Baron Sina die
dringende Bitte zu richten, er möge an den Punktationen der Begnicolar-
Deputation weder etwas ändern, noch etwas hinzufügen, sonst wäre «die
Sache verloren.» «Sie denken nicht, welches Aufsehen das Ganze hier erregt,
und wieviel feindliche Kräfte sich gegen uns und die Brücke überhaupt
erhoben» und sehr charakteristisch ist der Bat, den er dem Baron Sina
bezüglich «der Uebertragbarkeit des Privilegiums» gibt. Er möge ja nicht
die leiseste Erwähnung davon machen, «zu was aber auch? Es versteht sich
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GRAF STEFAN SZÄCHENTl's BRIEFE. l'^9
ja von selbst .... und geben Sie alle Ihre Actien weg .... so haben Sie ja
das Ganze an Andere übertragen !»
Wir fürchten nicht, unsere Leser zu langweilen, indem wir ihnen noch
einige Geschäßsbriefe des genialen Grafen vorlegen, da diese grosse Erschei-
nung unseres öffentlichen Lebens von dieser in alle Kleinigkeiten eindrin-
genden practischen Seite noch nicht genügend bekannt ist. Es scheint fast,
als ob Graf Sz6chenyi bei der Brückenbau-Unternehmung selbst stark
betheiligt gewesen wäre. Man vmrdige folgende Epistel an Baron Sina vom
20. October 1838:
«Hochwohlgebomer Freiherr, Sehr geachteter Frennd!
Ihr Schreiben vom 19-ten 1. M. beantwortend, eile icli Ihnen zu sagen, daaa
mir Clark durchaus keine speziellen Uebersobläge oder Dimensionen über das
nöthige Holz etc. für die Brücke von Pesth übergeben oder eingesendet hat, dass
aber alles das noch zu gewärtigen kommt.
Einstweilen kann indessen zu Yorausberechnungen und um die nötigen
Lieferanten zu finden, jene Spezifikation dienen, die er Ihnen gab, die Sie in Hän-
den haben müssen, und die den in Frage stehenden Bedarf — wie ich mir es auf-
zeichnete — folgendermaesen angibt :
3333 Blöcke von bestem Granit, jeder 5 Fuss lang, 5 Fuss breit und 15 bis
18 oder 20 Zoll dick.
3333 Blöcke von Csobdnkaer oder andei-em guten Stein. 5 Fuss lang, 2Vi Fuss
breit, und von 15, 18 bis !20 Zoll dick.
6666.
9999.
Sodann
1200 piles 60' lang 15" quadrat (von Ende zu Ende.)
Eichen
1200 43' lang 15" quadrat,
240 20' lang etc.
Da für den Augenblick nichts zu thun ist, als sich cumzusehem, imd alles
üebrige noch einige Wochen Zeit hat, so wollen Sie mir erlauben, dass ich mich
über alles dies höchstens die ersten Tage November in Wien expektoriren dürfe.
Gut wäre es, wenn Sie einstweilen jene Bittschrift aufsetzen Hessen, die Sie,
wegen der Magazine und der freien Einfuhr des Eisens, an die Begierung einzu-
reichen haben, und die im völligen Einklang mit der lateinischen Bepräsentation
der Deputation an Se. Majestät sein muss, in deren Besitz Sie sind und ich nicht bin.
Für dieses Jahr ist nichts Anderes zu thun, aber dies muss gethan werden, als :
1. Mit der allerhöchsten Begierung in's Beine zu kommen.
2. Die Ordres geben, dass das nötige Holz den kommenden Winter in Slavo-
nien geschlagen werde.
3. Sich vorläufig über das nötige Quantum Stein zu assekniiren, imd viel-
leicht, wenn die Genehmigung einer allerhöchsten Begierung noch Mhzeitig genug
erfolgen sollte,
4. Die Ordres an Clark wegen der Verfertigung des Eisens in England geben. »
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^^ GRAF STEFAN SZlScHENYl'ß BMEFB.
Aehnliche Briefe im Bauunternehmerstyl finden sich noch mehrere.
Auch etwas vom Bankier steckt in Szechenyi. Am 28. October schreibt er an
den Baron : «Ich höre, unsere Begierung wird wieder eine Anleihe nego-
ciiren. Da Sie dabei gewiss die Persona prima spielen, so bitte ich Sie,
vergessen Sie mich nicht I»
Nun kam noch ein allerletzter, harter Prüfstein für das Eettenbrücken-
project, welchem Szechenyi eine so grosse socialpohtische Bedeutung in
Folge der beabsichtigten Besteuerung des Adels beilegte. Es hiess, dass
Metternich den zwischen Sina und dem Landtag bereits abgeschlossenen
Gontract abändern und dadurch die ganze Sache wieder in Frage stellen
wolle. Man beachte nun den Ton, in welchem Graf Szechenyi an den all-
mächtigen Staatskanzler schreibt (9. December 1838) :
«Ew. Durchlaucht!
Ew. Durchlancbt haben sich in Hinsicht der zwischen Ofen und Pest zu
erbauenden Brücke gegen mich stets so zu äussern geruht, dass Hochdieselben ganz
für die Sache sind, nur hätte sie nicht ausschUesslich von einzelnen, sondern im
engsten Zusammenhang mit einer allerhöchsten Begierung ausgehen sollen. — Ew.
Durchlaucht sind also für die Sache, billigen indessen die Form nicht. Da nun
meine Person der eigentliche Urheber dieses ganzen Glegenstandesist, so verspreche
ich hiemit, dass ich nie wieder einen Gegenstand dieser Art in Diskussion bringen
will, ohne darüber die Billigung einer allerhöchsten Regierung früher einzuholen;
bitte aber zugleich für diesmal die Sache der Form nicht aufzuopfern. So aber, wie
sich die Gerüchte verbreiten, scheint sie in grosser Gefahr zu sein, da, wie man
sagt, jener Kontrakt, den die Beichsdeputation in der fraglichen Angelegenheit
mit dem Baron Sina scbloss, von S. M. nur conditionatim sanktionirt, oder gar bis
zum künftigen Landtag verschoben werden soll. Ist das der Fall, so Mt das Ganze,
was seit sieben Jahren mit unsägUcher Mühe und nicht geringerem Glück ganz
nahe zu einer Konklusion gebracht wurde, wieder in Nichts zusammen und wird
zur Folge haben, dass der ungarische Adel sich nie wieder dazu bequemen wird,
freiwillig und gesetzlich — was doch etwas wert ist — selbst den ersten Schritt
zu thun, um sich der allgemeinen Last zu unterwerfen und dass den unausbleibH-
eben Gesetzen der Beaktion gemäss, — soUte die vollkommene Sanktion S. M.
nicht erfolgen — gerade Jene zu seiner Zeit am meisten gegen die Begierung
schreien werden, dass diese nicht einmal da einen Schritt vorwärts thun will, wo
sich der Adel zum Zahlen selbst anträgt, die jetzt Alles auibieten, um das bereits
gebrachte Gesetz zu vereiteln, was sie auch, ich stehe dafür — denn ich kenne das
Terrain zu gut — erreichen werden, wenn Ew. D. zugeben, dass der besagte Kon-
trakt noch einmal an die Beichs-Deputation zurückgesendet werde — was natür-
Ucher Weise geschehen muss, wenn S. M. den Kontrakt nicht allsogleich zur Effek-
tuirung zu befördern geruhen — oder wenn die ganze Sache gar auf den kommen-
den Landtag postponirt wird, dessen Folgen nicht abzusehen sind.
Das Gesetz wurde nach allen Formen gebracht, S. M. sanktionirte es, die
Beichs-Deputation hat laut Gesetzes eine illimitirte Vollmacht erhalten ; bewirken
£. D. demnach, dass S. M. die Effektuirung des Gesetzes Wort für Wort nach dem besag-
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ORAF STEFAN SZÖOHBNYI'b BRIEFE. 1*^
ten Kontrakt ohne Verzug befehle — so ist die Sache konkhidirt. E. D. ! Die Sache
ist för Ungarn von -einer unendlichen Wichtigkeit — denn dieser Schritt, der bereite
als klares Gesetz da stehet — wird ohne den geringsten Konklusionen allmälig das
nach sich ziehen, dass der ung. Adel ein allen Lasten des Landes Teil nehme.»
loh habe personlich gar keinen Vorteil dabei, im Gegenteil werde ich, als Urheber
der Sache nnd Mitglied der Beichs-Deputation, dem allermeisten Odium ausgesetzt
sein. Ich bin aber überzeugt, dass das Gelingen des in Frage stehenden Gegenstan-
des, in jeder Hinsicht, so viel wesentliche Vorteile für Ungarn nach sich ziehen
wird, dass ich jede Zensur meiner Person und meiner Absichten gern ertrage. Und
diese meine Ueberzeugung ist so gross, dass sie mich auch zur Absendung dieser
Zeilen bewegt und mir fühlen macht, dass E. D. meine ehrhch und gut gemeinte
Absicht nicht missdeuten, mich Höchstdero WohlwoUen auch femer erfreuen
lassen und von dem gesagten nach Hochdero Weisheit Gebrauch machen werden,
der ich mich — «mir auf jeden Fall die Hände waschend» — mit der imbegr&nz-
testen Hochachtung und aufrichtigsten Ehrerbietung nenne Ew. Durchlaucht gehor-
samsten Diener etc.»
Doch nicht genug mit diesem demütigen Briefe an Mettemich, er
schreibt am nächsten Tage an Baron Sina, er möge «alle Minen springen
lassen, zum Erzherzog Ludwig, zu Mettemich, zu Kolowrat gehen und möge
ihnen vorhalten 1 . dass der Palatin bereits seine Unterschrift gegeben, 2.
dass Graf Sz^cbenyi bereits 70.000 fl. ausgegeben, 3. dass die Absicht mit
der Besteuerung des Adels sonst für lange vereitelt würde, 4. dass Graf
Szechenyi bereits Contracte für Holz und Stein abgeschlossen hätte und man
ihn nicht sitzen lassen dürfe, 5. dass Europa den Kopf über die Wiener
Eegierung schütteln würde.» Graf Szechenyi schreibt und hetzt, wie ein
echter Agitator. Baron Sina soUe nichts, ^auch die kleinsten Hilfsmittel
nicht unversucht lassen.» Ihm selbst geht es «miserabel, aber die Hetze thue
ihm wohl. Es mache ihm viel Spass. Je mehr darunter und darüber, desto
besser.»
IndesB die Hetze wurde immer ärger und Graf Szechenyi konnte seine
Gkklle nicht mehr zurückhalten und erhob sich zu dem Mute, seihst den
Reichskanzler anzugreif eUy wovon der folgende Brief, am 14. December 1838
an Erzherzog Josef gerichtet, ein für immer denkwürdiges Zeugniss ablegt :
«Ew. k. k. Hoheit, Durchlauchtigster Erzhensogf
Indem ich Ew. k. Hoheit das letzte Schreiben des Barons Sina, welches ich
gestern spät Abends bekam, hier beigebogen zu unterbreiten die Ehre habe, erlaube
ich mir zugleich, die Ansicht Sr. Durchlaucht des F. Mettemich, wie er sich kürz-
lich in seinem Salon äusserte, E. k. H. hier ganz imterthänigst mitzuteilen. Se. D.
findet, dass das, was durch den Bau der Brücke gewonnen wird, die Opfer nicht
wert wäre, die das Land bringen soll. Die anderen Feinde der Brücke in Wien
führen hingegen als Hauptargument — damit die Sache bis auf den Landtag post-
ponirt werde, das an, dass sie unpopulär sei. Man muss gestehen zwei
gehaltvolle Argumente fürwahr, um ein klares Gesetz nicht zu erfüllen, weil es nicht
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1^^ GRAF STEFAN SZ^CHBNYl's BRIEFE.
SO viel nützen soll, als es kostet, und weil es unpopulär ist ! In den Theiss-Oegen-
den wollen hingegen Einige, wie die Herren Szombathelyi, Elauzäl, Beötby, Noväk
etc. (die sich sammt und sonders gegen die Brücke prononciren, weil sie dies
populär halten und es somit für klüger erachten, sich dagegen zu äussern, um es
mit ihren etwaigen Wählern nicht zu verderben) in dem 29. Gesetzartikel 1832/6
das finden, dass die Deputation gar nicht das Recht hatte, mit B. Sina abzusohlies-
sen, sondern erst die Ratifikation des Landtages hätte einholen sollen ; sie behaup-
ten demnach, die Deputation habe ihre Vollmacht überschritten : da doch der Eon-
trakt für das Land weit vorteilhafter ist, als es die Grenzen des Gesetzes erlauben
würden. Ueberdies behaupten sie : B. Sina hätte eine volle Garantie gewähren sollen,
nach 97 Jahren die Brücke dem Lande im besten Zustande zu übergeben; repräsen-
tiren werden sie indessen nicht, ausser wenn sie nun hören sollten, dass man dies
in Wien quasi verlangt und erwartet I Eine Karrikatur ist bereits auch auf dem
Tapet — wo die Deputat, durch Aktien gehetzt — in einem Thermometer darge-
stellt mit dem Tarif imd den Jahren immer höher steigt, bis meine Person die ent-
setzlichen 97 Jahre ausspricht. — Korcher, hiesiger Magistratsrat, mit dem Fiska-
len Sigmund Hegedüs hat berechnet, dass Baron Sina 50.000,000 fl. K.-M. durch
die Brücke gewinnt I Graf Josef Esterhäzy in Wien findet das am härtesten, dass
nach der Erbauung der Brücke kein Mensch ein Schiff auf der Donau wird haben
dürfen, und dass B. Sina nur die Hälfte der Aktien für Ungarn bestimmte ! ? etc.
Alles dies ist albernes Zeug, ohne Zweifel, und man sieht, dass die Leute
nicht nur von der Sache nichts verstehen, sondern nicht einmal, die so reden, das
Gesetz, noch den Kontrakt gelesen haben. Wenn man sich aber an das Sprichwort
erinnert, dass viele Gänse einen Wolfen tödten, dann wird einem doch bange und
wahrUch nicht mehr um die Brücke und alles das, was damit verbunden ist, son-
dern — ich muss es offen heraussagen — unter einer solchen Regierung Gut und
Leben zu haben, die sich auch nur einen Augenblick durch derlei Gewäsch von der
strengen Vollziehimg des Gesetzes abhalten lässt ! — Ich bin sehr leidenschaftlich,
E. k. H., ich weiss es, und habe meine Sympathien und Antipathien, wie ein
Anderer, ich will es eingestehen ; aber abgesehen von jeder Persönlichkeit, muss
ich bekennen, ^7ide ich es für unser Land ein grosses Ungliwk, dass solclw VerhäU-
yiisse obwalten, wo der Kanzler ein Separat- Votum über das geben kann, was E, k.
IL mit Höchstdero Handschrift und Insiegd bekräftigen,*
In einem weiteren Briefe an Baron Sina vom 14. December treibt er
diesen zu ruheloser Thätigkeit an, nennt ihm eine Anzahl Intriganten und
Feinde, auf welche man Acht haben müsse und schreibt sogar, auf Wunsch
des Palatins, an Se. Majestät. Zum Schluss äussert er sich gegen Baron Sina
folgendermassen :
•Jetzt bitte ich Sie um Folgendes: «Geben Sie auf Ferdinand Pälffy recht
Acht.i Dieses Männlein soll sicliilie Füsse ungeheuer ablaufen, um die Sache zu
zertrümmern. Sie haben ihn ja in Händen. Sodann soll man im Salon von Fürst
Mettemich sehr gegen die Brücke schwätzen, Fürstin Melanie besonders, und blos
aus Unkenntnias der Saclie etc. Die sollten Sie auch nicht negligiren. Nagy Päl läuft
sich auch ab, um zu schaden, und ist ein verdammt zäher kecker Intrigant, auch
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(SHUF STEFAN SZ^HBNYT^S BRIKFBS. 14^
diesen bitte ich wo möglich im Zaum zu halten. E. H. Ludwig imd 6r. Eolowrat
Bind — wenn ich mich nicht irre — ganz für sie gestimmt. Können Sie, so senden
Sie mir das Votum separatum von Pälfiy per extensum oder wenigstens in der
Essenz, damit ich es dem Erzherzog mitteile, der — wie ich weiss — es sehr gerne
haben möchte.
Es war übrigens voraus zu sehen, dass Wir Adelige in Ungarn einen horren-
den Lärm schlagen würden, wenn es einmal ad firactionem panis kommen wird,
dass wir die Jungferachaft (des Nicht Zahlens) verlieren würden.
Hier verbreitet sich auch das Gerücht, Eskeles hätte sich angetragen, gerade
dasselbe zu leisten, was Sie, aber mit 50 privat Jahren ! Was ist an dieser Sache?!
So sehen wir den Grafen Szechenyi nun schon im achten Jahre für
sein Brückenproject kämpfen. Und noch sollte es kein Ende nehmen. Als er
die allerhöchste Sanction schon erhalten zu haben glaubte, meldete sich ein
neuer Concurrent — das Wiener Haus Arnstein u. Eskdes, verbunden mit
Graf Sztäray, Ullmann und Consorten. Am 6. März 1839 schreibt der Graf
an seinen Baron :
•Hochwohlgebomer Freiherr, Sehr geachteter Freimdl
Ihrem Schreiben vom 3-ten zu Folge — das ich gestern bekam — konnte
ich erst heute spät (nach dem Abgang der Post) mich Sr. Hoheit vorstellen. Ich
kann Ihnen in Kürze nur das sagen, dass nach dem unumwimdeneu Ausspruch S.
k. H. in so ferne die Entscheidung der fraglichen Angelegenheit, wie Sie mir berich-
ten, wirklich herabgesendet und Höchstdemselben übertragen werden wird, dieselbe
als apodictisch und auf der Stelle zu Ihren Gunsten beendigt angesehen werden
kann, und wir somit die Siegesposatme ohne alle Eücksicht in die Ohren von Sztäray,
Ulimann et C. ertönen lassen können, denn S. k. H. wird — wie er erklärte und
mir auch erlaubte, Ihnen dies mitzuteilen, — die ganze Angelegenheit höchstens
3 Tage bei sich behalten, und mit solchen 48-Pfündem auftreten, Äie Eskeles und
Konsorten gewiss nicht anticipirten und die selbst M. Ullmann ^üfetzen* machen
dürften. Indessen glaubt der E. H. zuversichtlich, dass die Sache nicht zu ihm
komme, sondern in der grossen Conferenz, auch ohne sein Zuthim, zu Ihren Gunsten
entscliieden sein wird. Gott gebe es ! Da gestehe ich aber, bin ich nicht Höchst-
seiner Meinung, und fürchte, dass es dort auf jeden Fall ein Hackerl haben oder
lange liegen bleiben dürfte ; während die Sache als concludirt zu betrachten ist,
kommt sie hierher. Ich bitte Sie, — vergeben Sie mir den Ausdruck — ■ schlafen
Sie ja nicht ein, • oder vielmehr : lassen Sie sich durch nichts einschläfern, bis Sie
den Eontrakt auch von der Begierung genehmiget nicht im Sack haben. Unsere
Antagonisten sind wie der Teufel, «sonder Buh und sonder Bast.i
Während dieser «Hetze» um die Kettenbrücke, um welche als Bewerber
zum Schluss noch Baron Pereira auftritt, hat Graf Szechenyi Zeit, sich mit
dem Grafen Moriz Sändor über Wettrennen und Pferdezucht auszusprechen,
für das Casino zu agitiren, an der Gründung der Walzmühle teilzunehmen
und den Baron Sina für Lonyay um 20.000 fl. anzupumpen. «Er ersucht
Sie, ihm diese Summe auf sechs Monate zu leihen ; er kann Ihnen viel
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J
t44 GRAF STEFAN BZiOHENYI^B BRIBPE.
nützen. Sicherheit iRt da, ich glaube, Sie sollten ihm diese Gefälligkeit thnn.t
Am 8. April 1839 erinnert Szechenyi den Baron wieder, ihn bei der nächst-
kommenden Anleihe von 30,000.000 fl. zu betheiligen, «mit einer kleinen
Summe — versteht sich, um den Emissionspreis. •
In einem Briefe an Eillias wegen der zu gründenden Walzmühl-Actien-
Gesellschaft beharrt Szechenyi auf der Notwendigkdt, dass das gründende
Haus die Hälfte der Actien übernehmen müsse, denn nur darin sähen Alle
die Garantie des Gelingens. Hiebei macht Szechenyi folgenden denkwürdigen
Ausspruch : «Ich habe das Glück, dass jede meiner kleinen Entreprisen bis
jetzt mit Erfolg gekrönt wurde. Ich habe aber auch nichts begonnen, was ich
früher nicht combinirt hätte; denn ich halte es geradezu /ür ein Verbrechen^
in einem Lande, wie Ungarn, wo noch Alles zu erschaffen ist, so etwas zu
unternehmen, was nicht höchst wahrscheinlich gelingt; indem eine moderne
Buine auf lange Zeit das Publikum abschreckt und die nützlichsten, die
bestcombinirten Unternehmungen schon im Keime erstickt.» Graf Szechenyi
selbst zeichnet 10.000 fl. und gibt weitaussehende Ansichten über die
Zukunft des ungarischen Mehlhandels zum Besten.
Endlich — endlich — am 16. Mai 1839 kann Graf Sz6chenyi an Baron
Sina über die endgiltige Annahme des Brückenprojectes schreiben : «Endlich
brachte mir Ihr Schreiben die lang erwünschte Nachricht Gott Lob ! Das
Warten hat mich aber beinahe müde gemacht I » Szechenyi ist mm wieder
frisch und munter, er gibt dem Baron Sina Batschläge, wie weitere Zuge-
ständnisse von Landtag und Begierung zu erlangen seien, und vertieft sich
in die näheren Details des Baues.
Nun kommt es aber auch zur Abrechnung zwischen dem Grafen
Szechenyi und dem Baron Sina. Szechenyi schreibt am I.August 1839,
dass er sich zwar vor drei Jahren angetragen habe, 300.000 fl. zum Brücken-
bau zu zeichnen und ihm Sina wirklich für 1 50.000 fl. Actien offen gelassen
habe, die er nun mit Gewinn weiter geben könne, er jetzt aber Gründe habe,
von diesem Geschäfte abzustehen, er daher den Baron aus dem Worte lasse.
Hierauf antwortet Baron Sina in einem sehr charakteristischen Briefe :
«Hochgebomer Graf, Sehr geehrter Freund I Ich antwortete auf Ihr Schrei-
ben vom 1 -ten August 1839 deshalb nicht früher, weil ich unmöglich glauben konnte,
da88 Sie sich einem Unternehmen im vollen Emnt entziehen wollten, welches Sie
zuerst in Anregimg brachten, und zu dessen Gelingen Sie so viel beitrugen. Da Sie
indessen auf Ihr Ansinnen durchaus bestehen, imd mich um eine Antwort so oft
angegangen sind, so muss ich Ihnen geradezu erklären, dass ich den Bau der Ofen-
Pester Brücke nie unternommen haben würde, wenn Sie mich dazu nicht überredet
und sich mir angetragen hätten, auch in finanzieller Hinsicht die Cliancen des Ver-
lustes sowohl, als des etwaigen Gewinnes mit mir tragen zu wollen. Nachdem nun
das schwierigste der Arbeit erst zu vollenden sein wird, und ohne Ihnen schmei-
cheln zu wollen, es im Interesse des ganzen Unternehmens liegt, dass Sie an selbe
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äLOSSEN ZUR BULOARISG^EN ZAREN -OENEALOaiB.
Ii5
anch in finanzieller Hineicht gebunden sein sollen : so werden Sie es mir nicht übel
deuten, wenn ich Ihren Antrag nicht annehmen kann, und femer darauf beharre,
dass Sie ad vires von 150.000 fl. E.-M. in dem fraglichen Bau beteiligt bleiben*
Mit vorzüghcher Hochachtung verharre ich, Hochgebomer Graf, Wien den 3-ten
Februar 1840. Ihr gehorsamster Diener und Freund Georg Freiherr v. Sina.»
Der vorliegende Band endigt mit dem Jahre 1839 und wir scheiden
mit der mannigfachsten Belehrung von demselben. Die Herausgabe dieser
Briefe, welchen bislang noch keine rechte Würdigung zuteil geworden ist,
wird sich immer mehr als höchst werthvoUer Beitrag zur Culturgeschichte
Ungarns und zur Charakteristik des Regenerators unseres Landes heraus-
stellen. Man wird sich an dem Feuereifer, an der Zähigkeit, an der Umsicht
und Geschäftskenntniss Szechenyi's, dessen Gehirn vollkommen gesund war
trotz aller Leberkrankheit, ein Beispiel nehmen können, man wird aber auch
bescheiden werden im Hinblick auf die fürchterlichen Kämpfe, welche noch
vor 50 Jahren wegen einzelner bedeutender Neuerungen, wie Kettenbrücke,
Nationaltheater, Dampf mahlen, Donau-Dampfscbifffahrt und ähnlicher
Institutionen, bestanden werden mussten. Die gütige Vorsehung hat Ungarn
sehr viel Zeit zur Einholung seiner Culturversäumnisse gelassen. Heute geht
zwar schon Vieles in raschem, beinahe zu raschem Tempo, aber wer weiss
es, ob nicht die Zeit unser teuerstes Gut ist, mit welchem wir in vielen
Dingen weit sparsamer umgehen sollten, damit der ungarische Staat noch
vor dem Sturm unter sicheres Dach gebracht werde ? Ad. Silbbrstein.
GLOSSEN ZUR BÜIXMRTSCHEN ZAREN-GENEALOöTE.
(Sohluss.)
16. Der Despot Jakob Svetslav.
Im Wenzerschen «Codex Arpadianus continuatus» XH. pag. 8, Nr. 3
stossen wir auf eine Urkunde ddo. 10. Dezember 1270, mittelst welcher König
Stefan V. von Ungarn den Ban Ponych mit den Gütern des treulosen
Nikolaus, des Sohnes des Obergespans Arnold beschenkt Unter Ponych's
Verdiensten wird in der Urkunde Folgendes angeführt : « Porro mm Zvetis-
laus Bulgarorum Imperator, carissimus gener noster,
tunc nostre Majestati opposüus, terram nostram de Zeurina miserabfliter
deuastasset, nos injuriam nostram hujusmodi propulsantes, ctun ad Bulga-
riam congregato exercitu venissemus, dictus Ponych Banus ibidem incepte
fidelitatis ardore äagrans castrumP/^^/2. Bulgarorum obtinuit expugnando.»
Um diese merkwürdige Stelle zu erläutern und den «gener«> (Zve-
üngmrlwhe Berae, XL 1891. 11. Heft. ^q
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Ii6 GLOSSEN ZUR BULaARIßOHEN ZAREN -GENEAIiOÖIE.
tislaus^ Imperator der Bulgaren) Stefans V. kritiscb-genealogisch zu wür-
digen, müssen wir etwas tiefer in die Vergangenheit greifen.
Die Beziehungen des ungarischen Hofes zu Bulgarien hatten durch
den im Jahre 1237 erfolgten Tod der ungarischen Prinzessin Maria, der Gattin
des Bulgarenzaren Johann Asßn ü. durchaus nicht aufgehört; selbst
der Umstand, dass Maria's Söhne kinderlos gestorben, änderte an diesen
Beziehungen nichts ; wir finden, dass teils durch die eheliche Allianz, teils
durch die Anregung des päpstlichen Stuhles ein manchmal stärker, manch-
mal schwächer sich manifestirendes Bestreben der ungarischen Könige auf-
tauchte, sich in die Angelegenheiten Bulgariens zu mengen und sich daselbst
eine Fräponderanz zu schaffen.
Dieses den regierenden Kreisen und einzelnen mächtigeren Boljaren
sicherlich nicht genehme Streben des imgarischen Hofes war jedenfalls der
Anlass zu jenen in den letzten Jahren B^las lY. so häufig erfolgten Guerilla-
kämpfen zwischen Ungarn und Bulgarien, die wir ebensowenig politisch wie
strategisch kennen und von denen uns nur die Urkunden einige Kunde
geben. Mir sind ausser der schon citirten noch folgende diesbezügliche docu-
mentarische Daten bekannt :
1. In einer seinem Oberstallmeister Dionysius (aus dem Geschlechte
Tomaj) 1235 ausgestellten Donationsurkunde ^ spricht Bela lY. von einem
vor 1235 erfolgten Feldzuge in Bulgarien. Dionysius ist gelegentlich eines
Ausfalles der von den Ungarn belagerten Besatzung des bulgarischen Castells
Widin (= Budung) mit derselben ins Handgemenge gerathen und hat sie,
ohne verwundet zu werden, in das Castell zurückgedrängt. Während des-
selben Feldzuges wurde Dionysius auch gegen die Truppen des Prinzen
Alexander, des Bruders des Bulgarenzaren, der durch seine Guerillakämpfe
häufig das Gebiet der zerstreuten Ungarn verwüstet und den "^ Obergespan
der Szekler gefangen genommen hatte, geschickt.
2. 1260 schenkt Stefan V. dem Torda, Sohne des Györ« das imZalaer
Comitate gelegene Grundstück Cheusy. «Quod idem Torda de nostro man-
dato in acie domini sui in Bulgariam proficiscens ibidem exhibuit laudis
merita recolende obponens se pro alüs exercitu Bulgarorum pro honore
regio fortune casibus se committere non formidans.»
3. 1262 ^ belohnt ß61a IV. den Merse und dessen Bruder Nicolaus,
die Söhne des Benedikt, weil Merse «fidelis juvenis noster» sowohl in Bulga-
rien, als gelegentlich anderer Expeditionen des Königs demselben grosse
Dienste geleistet ; speziell ist während des bulgarischen Feldzuges Nicolaus
im Gefechte «circa coronam nostrse regise maiestatis fideliter dimicando»
' Fejör, Cod. diplom. IV. 1. 21—27.
« Hazai okmÄnyt&r VI. 105/68.
• Fej^r IV. 3, 60.
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aLÖSSEK ZUB BULGARISOHBN ZAKBN-GBNEALOOIB .
U?
gefallen und hat Merse trotz seiner lebensgefährlichen Verletzungen tapfer
fortgekämpft.
4. 1263 ^ schenkt Stefan Y. dem Grafen Jakob de Pank einige zum
Schlosse üng gehörige Besitzungen für seine Verdienste «specialiter quando
habuimus pugnam in regno Bulgarie sitbtus civitatem Budun nuncupatam.*
5. 1264, am 13. April* schenkt Bela IV. dem Meister Lorenz, Judex
Aul» und Obergespan des Wieselburger Comitats, einige im Comitate
Baranya gelegene Güter und begründet diese Donation unter Anderm
folgendermassen : «als schliesslich der Uebermut der Bulgaren zur Zeit
des zwischen uns^ dem Könige von Böhmen und dem Herzoge von Oester-
reich und Steiermark geführten Krieges unser Severiner Banat feindlich
verwüstet und die meisten unserer Barone die Verteidigung dieses Ba-
nates nicht übernehmen wollten, trotzdem wir dieselben hierzu öfters
aufgefordert, war es der mehrerwähnte Lorenz, der, nachdem wir ihm
das genannte Banat übergaben, das Bulgarenheer besiegte, dessen Baub
und Beute abnahm und einige Bulgaren längs des Donauufers auf-
hängen Hess, und so durch Niederschlagen ihrer bösen Pläne das genannte
Banat in seinen früheren guten Stand brachte und unserer Majestät zurück-
gewann. ...»
6. 1269* werden die Brüder Gosztony belohnt. Es heissthier: «In
Anbetracht der Treue und der verdienstvollen Leistungen Nicolaus' und
Michsels, der Söhne Nicolaus' von Gosztun, die sie sich in Bulgarien vor den
Augen unserer Majestät im vorzüglichen Kampfe unter unserer Fahne
lobenswert errungen, indem sie namentlich unter der Fahne unseres Taver-
nicus Aegydius, unter mannigfachen Wechseln und Todesgefahr unsere
bulgarischen schismatischen Feinde ganz bis zum Schlosse Turnow
(= Tmova) auf unseren Befehl zu verfolgen, zu plündern und einzufangen
nicht zögerten, sondern nach Art des brüllenden Löwen die Spuren des
Feindes verfolgend, zu unserem, des Reiches und der Krone Glücke das
feindliche Gebiet zerstörten und die gefesselten Gefangenen uns zu-
führten. ...»
7. 1270^ erfolgt Stefans V. Donation an den Oberstallmeister Bainald,
den Ahn der Bozgonyi. Es heisst: «Als wir noch zu Lebzeiten unseres
Vaters (Bela IV.) das Herzogtum Steiermark innehatten, zeichnete sich
Meister Reynoldus mit seiner tüchtigen und bewaffneten Familie in unserem
Heere, welches wir unter der Anführung noch anderer Barone nach Grie-
chenland geschickt, vor den Augen Aller gelegentlich des Angriffes und der Ver-
' Hazai okmÄnytÄr VL 116/78.
» Fej4r IV. 3, 196.
» Fej^r IV. 3, 525.
* Wenzel. XII, 12.
10*
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I4f8 GLOSSEN ZUR BULOAMSCHEN ZAREN -OENEALOGlti.
Wüstung des griechischen Reiches als tapferer Soldat aus. Nachdem er aus
diesem Feldzuge glücklich zurückgekehrt, hat der genannte Meister Bey-
nold nachträglich fünfmal, zweimal unter unserer persönlichen und drei-
mal unter der Anführung anderer unserer Barone an den Feldzügen in Bul-
garien Teil genommen, und indem er sich nicht scheute den mannigfachen
Eriegsgeschicken die Stirne zubieten, lobenswerte Erfolge errungen »
8. 1273 ^ schenkt Ladislaus IV. dem Nicolaus, dem Sohne Buda's, die
Besitzung Magyar- Rokolan im ZalaerComitate und führt unter den Verdiensten
des Beschenkten Folgendes an : «als dieser Nicolaus zur Verteidigung der
königUchen Krone, damals als unser Vater sein Heer gegen die Bulgaren
entbot, mit seinem Bruder Caslou, der Todesgefahr Trotz bietend, vor dem
Schlosse Budun (= Widdin) unter Anrufung des Namens Christi, sich
mächtig auf die feindlichen Schaaren stürzte, einige derselben mit seinem
Schwerte tödtete, andere siegreich in die Flucht schlug oder gefangen
nahm ...»
9. 1274 ^ beschenkt Ladislaus IV. den Peter v. CsÄk dafür, dass «cum
idem carissimus Pater noster in Bulgariam pro pulsandis injuriis confinii
regni sui insultum faceret, idem Magister Petrus ut leo fortissimus, cuius et
insigna gessit in vexiUo, postposito timore mortis imminentis in adversa
Bulgarorum acie militans, victoriam magnificam reportavit. »
10. 1278 am 1. September^ schenkt Ladislaus IV. dem Grafen Peter,
dem Sohne Dorogs (aus dem Geschlechte Gutkeled) die Besitzung Szekelyhid
und führt unter des Beschenkten Verdiensten an: «qui (Peter) in quadam
expedicione predicti gloriosi Regis Stephani patris nostri sub Budum, rela-
tionibus veridicis, fertur letale vulnus dimicando cum hostibus excepisse . . ■
11. 1279 am 21. Juni* sagt Ladislaus IV. von den Söhnen Kilian's
V. Saagh, Amanus und Uz: «quia tempore Domini Stephani Illustris Regis
gloriosse recordationis, parentis nostri charissimi, tunc cum suam ad juris-
dictionem, potestatem seu Regnum Bulgarin subjugavit. ...»
Durch die Heirat des jungen Bulgarenzaren Michael Asön (Sohnes
Asßn's n.) mit der Tochter Rostislavs, Bans von Macsö, Schwiegersohnes
B61a's IV. — um 1255 — nahmen — wie wir wissen — die Beziehungen
des ungarischen Hofes zu Bulgarien eine festere Gestalt an. Rostislav ver-
mittelte im Frühjahre 1257 einen Frieden zwischen seinem Schwiegersohne
und dem Kaiser Theodor II. von Nikaea, und als nach Michaelas Ermor-
dung Rostislav, die Ehe seiner Tochter mit Eoloman II. nicht billigend, mit
einer Armee gegen Tirnova zog, musste Eoloman die Flucht ergreifen und
wurde auf derselben getödtet.
^ Hazai oklev^lt4r 67/59.
* Fej^r V. 2. 174/5.
^ Wenzel IX. 196.
* Fej^r VII. 2. 73.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
149
Wie wir oben gesehen^ unterliegt es keinem Zweifel, dass sich
Rostislav durch diesen Sieg zum Herrn der Situation in Bulgarien empor-
geschwungen, dass er sich urkundlich Imperator Bulgarorum genannt
und dass selbst bulgarische Truppen auf ungarischer Seite gegen Ottokar
von Böhmen kämpfen mussten. Der kräftigste Ausdruck seiner Oberherr-
schaft aber war, dass er den Mytzes, den Schwager des ermordeten Zaren
Michael zum Könige der Bulgaren unter seiner und — da er selbst auch
ungarischer Vasall war — ungarischer Oberhoheit einsetzte. Dass aber
Bostislav seine Erfolge in Bulgarien dem Eingreifen ungarischer Truppen
zu verdanken hatte, ist selbstverständlich.
Da Mytzes 1258/9 durch Konstantin verdrängt wurde, ward eine kräf-
tigere Unterstützung desselben seitens Ungarns notwendig ; hierzu gesellte
sich noch das Abwehren der, in Folge dieser Einmischung der Ungarn, die
ungarischen Grenzen verwüstenden Bulgaren, unter denen wir aber nicht
ausschliesslich die Truppen des Zaren Konstantin zu verstehen haben, son-
dern die Unterthanen und Söldner auch mancher einzelner bulgarischer
Dynasten, die im Trüben fischen wollten. Diese Periode ist es nun, in der
.sich der jüngere König Stefan zu wiederholten Malen in bulgarischen Feld-
zügen thätig erwies. Laut der Urkunde 7) geschah es zweimal imter seiner
persönlichen Anführung, dreimal unter jener seiner Generale. Zum ersten
Male befehligte er persönlich das Heer vor Widin (Urkunde Nr. 4). Das
zweite Mal nahm er persönlich Teil an jenem Feldzuge, in dem sich die
Brüder Gosztony auszeichneten (Urkunde Nr. 6), und drang bis Timova
vor. Dass sich Mytzes in den gebirgigen Gegenden Bulgariens längere Zeit
gegen seinen Gegner halten konnte, hatte er offenbar Stefans Unterstützung
zu verdanken, und da dieser — wie es urkundlich festgestellt ist * — selbst
Widin eingenommen, so is es leicht erklärlich, dass sein Ansehen in Bul-
garien dem eines Oberherrn in Nichts nachgestanden haben mag, was übri-
gens Liadislaus IV. in der Urkunde Nr. 1 1 genug deutlich bestätigt.
Der neuerlich erfolgte Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Stefan
und seinem Vater hatte zur Folge, dass Konstantin den von Stefan nicht
mehr unterstützten Mytzes 1265 in die Flucht jagte; — wie wir wissen, zog
Mytzes zuletzt an den griechischen Hof.
Die Urkunde vom 10. Dezember 1270 zeigt nun, dass trotz der Flucht
des Mytzes die ungarisch-bulgarischen Feindseligkeiten nicht aufgehört
hatten ; sie deutet einen Feldzug Stefans, resp. des Bans Ponych, zur Vertei-
* lieber die Einnahme Widins aussein sich die Chronisten folgendermAssen :
KSzat IV. 13: «Dieser (Stefan V.) brachte auch die Stadt Budun unter seine
Herrschaft, und zwang, so lange er lebte, den Herrn der Bulgai*en zum Gehorsam.»
Turöczi n. 77 : *«qui . . prseterea Budam oivitatem Bulgarorum expugnavit et
Bulgaros superavit, Eegem eorum sibi compulit deservire,!
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150 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN- GENEALOGIE.
digUDg des von den Bulgaren verwüsteten Severiner Banates an^ welcher
Feldzug etwa zwischen die Jahre 1267 — 1269 fällt; die Urkunde zeigt aber
auch; dass damals der Feind der Ungarn nicht Zar Konstantin, sondern
•Zuetislaus Imperator Bulgarorumi gewesen, der vordem 10. Dezember 1270
sich der Majestät Stefans entgegengestellt, am 10. Dezember 1270 aber als
«gener» Stefans der allergetreueste Schützling Ungarns geworden.
Wer ist dieser «Zuetislaus, Imperator Bulgarorum», was haben wir
von seiner genealogischen Verknüpfung mit der Familie Stefans V. zu hal-
ten ? Im Jahre 1262 kommt der Name dieses Mannes — Jakob Svetslav's —
zum ersten Male vor. Damals sandte er dem Kiever Erzbischofe Kyrill III.
eine Abschrift des Nomokanons, wobei er seine Abstammung in dem Begleit-
schreiben folgendermassen angibt : «Vseja ruskyja zemli, blagoderzavnago
rodia mojego, ich ie otrasl i korön az bych svjatych ot*c mojich.» * Er nennt
sich also einen Nachkommen russischer Fürsten, und da der Name Svjae-
toslav bei den Burikiden oft genug vorkommt, mag auch er (vielleicht nur
von mütterlicher Seite) dieser Familie entsprossen sein.
Während der Begierung Konstantins treffen wir ihn als selbständigen
Despoten in den Balkangegenden (Jire6ek meint: f vielleicht im Western,
unsere Urkunde ddo. 10. Dezember 1270 gibt durch Anführung Plevna's
näheren Aufechluss) und ist er den Byzantinern als «Sphenthostlabosi
bekannt. Dieser mächtige Boljar hatte wahrscheinlich die Jahre 1260 — 1270
dazu benützt, um sich auf Kosten des Mytzes und Konstantins ein Gebiet
zu erwerben, über welches er als selbständiger Souverain^ quasi als Nebenzar
des regierenden Zaren von Bulgarien herrschen wollte. Durch Verheiratung
mit einer ihrem Namen nach unbekannten Tochter des Kaisers Theodor U.
von Nikaea ** kam Svetslav in äusserst vornehme Verwandtschaft Die
* Vostokov, Beschreibung der Codices der Bumjancover Bibliothek (russisch),
ßt-Petersburg 1842, pag. 290.
*'•' Theodor 11. war 1258 gestorben und hatte ausser der an Konstantin ver-
mählten Irene und der veruiälilten Maria noch drei Töchter hinterlassen. Michael
Palaiologos heeilte sich dieselhen an nicht allzu vornehme imd mächtige Männer zu
vermälilen, um ihnen dadurch jede Lust und MögUclikeit zur Geltendmachung ihrer
Ansprüche auf ihres Vaters Erbschaft abzuschneiden. Theodor's Töchter sind also
folgendermassen vereheUcht:
a) Maria | vor 1265, Gem. September 1256 Nikephor I., nachmaliger Despot
von Epiros (reg. seit 1271 f 1296.)
b) Irene f 1270, vermählt 1258 mit Konstantin von Bulgarien.
c) Anonyma, vermählt mit dem Despoten Jakob Svetslav.
d) Theodora, verm. mit Mathias von Valainoourt.
e) Eudokia, vermählt mit Wilhelm Peter (Balbo), Grafen von VentimigHa.
Aus dieser Ehe stammten die Laskaris in der Grafschaft Nizza. Man leitet die Venti-
miglia von Konrad ab, dem vierten Sohne des Markgrafen (und Kaisers) Berengar
von Ivrea und der Gisela, der Tochter Boso's von Toskana. Das Haus spaltete sich in
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GLOSBEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE. 151
älteste Schwester seiner Gattin war seit 1256 an den Kronprinzen von
Epiros^ die zweite seit 1258 an den regierenden Zaren Konstantin von Bul-
garien vermählt und — was die Hauptsache gewesen sein musste — als
Tochter der Helene von Bulgarien war seine (jattin eine Enkelin der unga-
rischen Königstochter Marie. *
Durch seine Erfolge übermütig geworden, und stolz auf die vor-
nehme Verschwägerung, mag ihm vielleicht das Entgegenkommen des noch
stolzeren Stefan nicht so entsprochen haben, wie er es erwartet hatte. Die
Urkunde Stefans vom 10. Dezember 1270 beweist, dass zwischen 1267/69
Svetslav es war, der das Severiner Banat mit seinen Kaubzügen heim-
suchte. — Von den Ungarn geschlagen, vom Zaren Konstantin und wahr-
scheinlich auch vom griechischen Hofe keine Sympathien erhoffend, fand er
es zur Sicherung seines Besitzes und seiner Herrschaft angezeigt, sich an
Stefan V. von Ungarn anzuschliessen und sich ganz und gar unter unga-
rische Aegide zu begeben. Dies ist sicherlich die Genesis des «genert und
des «Imperator Bulgarorum.»
Im Geiste der damaligen Zeit konnte man sich ein politisches Schutz-
und Trutzbündniss ohne eheliche Allianz nicht einmal vorstellen ; Stefan V.
verlobte daher eine seiner Töchter dem Despoten Jakob Svetslav, und daher
ist es erklärlich, dass er seinen Schwiegersohn zum Imperator Bulgarorum
avanciren liess ; der Imperator Bulgarorum war noch lange kein Imperator
GermaniflB, und dann war ja das Ganze nur ein Schachzug gegen den Zaren
Konstantin von Bulgarien. Der ehelichen Allianz ging aber auch eine zwi-
schen Stefan und Svetslav abgeschlossene Militärconvention voraus. 1270
belohnt nämlich Stefan ** die Brüder Peter und Jakob, Söhne Samsons aus
dem DorfeGerend, für ihre militärischen Verdienste, die sie sich u. A. während
jener Expedition erworben, die Stefan unter Commando der Wojwoden
mehrere Zweige ab. Wilhelm Peters Mutter soll eine Balbo gewesen sein. Er konmit
1278 und 1285 in einem zwischen seinem jüngeren Bruder Peter und Karl I. von
Anjou geschlossenen Vertrage vor. Kurz vor der Vertreibung Balduins II. aus Kon-
stantinopel befand er sich in dieser Stadt und daher rührt seine Bekanntschaft mit
Michael Palaiologos, der die Eudokia Laskara ihm vermählte.
Walirscheinlioh sind sämmtliche drei Schwestern gleichzeitig und bald nach
Michaels Tronbesteigung vermälilt worden. K^ri (Hist. Byz. 101 ) setzt die Vermählung
der Anonyma mit «Sventistlavus, dem Herrn einer gebirgigen Landschaft in Bul-
garien» auf 1262. Die Angabe des Mor^ri'schen und Zedler'schen Lexikons (unter
Berufung des Letzteren auf AkropoUta, Spondanus, Ducange etc.), dass der Gemahl
dieser unbekannten Prinzessin ein bulgarischer Herr Namens Wenzel sei, ist dahin
zu erklären, dass das griechische cSphenthosthlabos» von diesen Autoren für einen
gracisirten Wenzel gehalten wurde.
* Vgl. meine Stammtafel der Aseniden in dem oben zitirten ungarischen
Werke.
** Hazai okmanytar VI. 166,
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152 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
Nicolaus und Ladislaus zur Unterstützung Zuetislaus' gegeti die Griechen
abgeschickt. Bezüglich der Zeit dieser ehelichen Allianz ist Folgen-
des zu bemerken. Aus der Fassung der Urkunde ist allerdings nicht zu
entnehmen, ob Svetslav vor oder nach dem Feldzuge Ponych's der gener
Stefans geworden ; mir scheint jedoch das Letztere fast unwiderleglich, denn
das ftunc nostrse Majestati oppositust scheint darauf hinzudeuten, dass
8tefan damit sagen will, es sei Svetslav vor dem Feldzuge noch nicht sein
gener gewesen ; er will mit diesem Passus gewissermassen erklärlich machen,
wie so es komme, dass er seinen einstigen Gegner jetzt als carissimus gener
noster bezeichnet. Svetslav's erste Gattin, die nikäische Eaiserstochter, dürfte
zur Zeit dieses Verlöbnisses wohl nicht mehr gelebt haben; übrigens
wäre sie selbst in diesem Falle kein Hindemiss zum Abschlüsse der neuen
Allianz gewesen, da ja fast jeder serbische, bulgarische Herrscher, wenn sich
ihm eine vornehmere oder vorteilhaftere Gattin in Aussicht stellte, seine
erste Gemahlin nach Belieben verstiess. Zar Konstantin ging ja hier mit dem
Beispiele voran, als er zur Zeit seiner Tronbesteigung seine erste Gattin
verstiess, um Theodor's II. Tochter zu heiraten.
Ob nun unter «gener» wirklich ein Schwiegersohn Stephans V. zu verste-
hen sei, scheint mir heute nur im bejahenden Sinne beantwortet werden zu
können. Es ist allerdings wahr, dass die Arpäden manchmal von einem gener
sprechen, der nicht die Tochter desjenigen zur Gattin hat, der die Urkunde
ausstellt, und dass unter « gener » oft nur ein Gemahl einer Ärpäden-Frinzessin
überhaupt verstanden wird; insolange aber nicht der Nachweis geliefert
wird, dass Svetslav eine Andere als Stephan 's Tochter erhalten, müssen wir
in diesem gener Stephan's den Verlobten oder Gemahl seiner Tochter er-
kennen. Uebrigens ist in der Beihe der uns aus jener Zeit bekannten unga-
rischen Prinzessinen keine einzige vorhanden, auf welche dieses Verhältniss
mit Svetslav anderswie passen würde.
Welche von Stephan's Töchtern Ende 1270 mit Svetslav verlobt oder
vermählt gewesen, lässt sich nicht bestimmen. — Katharina war damals
schon mit Stephan Dragutin von Serbien, Maria mit Karl von Neapel ver-
mählt. Sollte es die nachmalige Nonne Elisabeth gewesen sein ? Ich glaube
nicht, weil sie 1. schon 1270 urkundlich als im Kloster anwesend angeführt
wird und weil 2. schon im nächsten Jahre Svetslav im Friedensvertrage
zwischen Stephan V. und Ottokar von Böhmen* do. 3. Juli 1271 nur mehr
als «Svetislaus Imperator Bulgarorum» ohne den Zusatz « gener • vorkommt,
wo hingegen Stephan Dragutin, Andronikos Palaiologos und Andere als
Schwiegersöhne und Verschwägerte Stephan's V. genannt werden. Da nun
das freundschaftliche Verhältniss zwischen Stephan und Svetslav, wie wir
aus dem Friedens-Instrumente ersehen, nicht aufgehört hat, deutet die Ab-
ir V. 1. 124^-126.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE. 153
Wesenheit des Wortes «gener» höchstwahrscheinlich an, dass Svetslav's Ver-
lobte (oder Gattin) zwischen dem lO.December 1270 und 3. Juli 1271 gestor-
ben sein muss ^ und dass demzufolge zwischen Maria und Elisabeth noch
eine Tochter Stephan's einzuschalten sei.
In einem Schreiben des Bischofs von Olmütz, Bruno von Schauen-
bürg, an Papst Gregor X. do. 1272*, kommt folgende Stelle vor: «Due
filie Begis Ungarie Buthenis, qui sunt scismatici, desponsati» fuerunt. Soror
juvenis hujus Begis Yathatio est tradita, Ecclesie inimico». Unter den an
Bussen vermählten Königstöchtern haben wir Bela's lY. Töchter Anna und
Konstanze zu verstehen. — Die Bedeutung der dem kirchenfeindlichen
f Vathatius» übergebenen Prinzessin ist schwerer zu klären. Sicher ist, dass
unter der Schwester des jungen Königs eine Tochter Stephan's V. zu ver-
stehen sein muss. Nun hat aber den Namen • Vatatzes» (= Vathatius des Bi-
schofs Bruno) meines Wissens nur der am 30. Oktober 1254 gestorbene
Kaiser von Nikaea, Johann (lH.) Dukas geführt, während sein Sohn Theo-
dor II. und sein Enkel Johann IV. den Namen Laskaris vorzogen; Letzterer —
bereits am 25. December 1261 geblendet und in Dakibyza eingekerkert —
scheint überhaupt nicht vermählt gewesen zu sein.
Ich glaube nun, dass sich Bruno's Angabe einzig und allein auf Anna,
die Schwester des jungen Königs Ladislaus IV. (Tochter Stephan's V) bezieht,
welche 1272 als Gemahlin des griechischen Kronprinzen Andronikos, Sohnes
des Kaisers Michael Palaiologos, sich am Hofe zu Konstantinopel befunden.
Michael oder sein Sohn dürften entweder auch den Namen Vatatzes geführt
haben, oder hat ihn der Bischof, als bezeichnend für einen der abendlän-
dischen Kirche feindlichen Fürsten, wie ein solcher Johann III. gewesen,
den Palaiologen eigenmächtig beigelegt. Sollte aber meine Annahme sich
nicht bestätigen, so hätten wir es hier mit einer auf der Stammtafel der
Ärpäden noch nicht untergebrachten Tochter Stephan's V. zu thun, die mög-
licherweise auch mit dem Despoten Svetslav in Verbindung zu bringen
wäre.
8
Nach Pachymeres hatte unser Despot ein tragisches Ende gefunden.
Konstantin's Gemahlin Maria Kantakuzena, die während der Krankheit ihres
Gatten die Begierung in ihren Händen hatte und die Zukunft ihres unmün-
* Es wäre denn, dass die Verlobung noch vor dem 3. Jtdi 1271 mit gegenseitiger
Uebereinstimmung und ohne Schädigung des freundschaftlichen Verhältnisses gelöst
worden wäre.
« Wenzel IV. 10/6.
^ Engers Vermutung, dass Svetslav sich deshalb an den ungarischen Hof
angelehnt, weil Stefans Tochter Anna 1271 an den griechischen Tronfolger vennählt
worden, wird durch unsere Urkvmde widerlegt, da Svetslav schon 1270 Stefans
cgeneri war. Eher mochte die Annäherung Konstantins an Kaiser Michael 1270
(Vermähltmg mit des Kaisers Nichte) hier mitgewirkt haben.
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154 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
digen Sohnes Michael gegen alle Eventualitäten sichern wollte, fürchtete, der
mächtige Svetslav könnte dem Prinzen einmal hindernd in den Weg treten.
Um den Despoten einzuschläfern, bot sie ihm das Thronfolgerecht an, wenn
er sich von ihr als jüngerer, zweiter Sohn adoptiren lassen wolle. Der alte
Mann machte sich so lächerUch, dass er sich in Timova vor dem Altare,
beim Scheine vieler Kerzen, durch Umschlagung des Mantels der jungen
Zarin in den jüngeren Bruder des sechsjährigen Michael verwandeln liess.
Kaum durch den Titel « Sohn der Königin der Bulgaren, als zweiter nach
dem Knaben Michael» eingeschläfert, liess die ränkevolle Zarin ihn und
seinen Anhang heimUch aus dem Wege räumen.
Von etwaigen Nachkommen Svetslav's haben wir keine Kunde.
17. Die Terterijden.
Johann AsSn m. war noch kaum auf dem Trone, als Kaiser Michael die
Wahrnehmung machte, dass sein SchützUng nicht der Mann sei, die Krone
für die Dauer zu behaupten ; somit musste dafür Sorge getragen werden, den
Leiter der mächtigsten und einflussreichsten Partei in Bulgarien auf des
schwachen Zaren Seite zu bringen. Dieser Parteichef war Gborg Terterij. *
Seine Abstammung ist unbekannt ; wir wissen nur, dass sein Vater ein
Kumane, seine Mutter mit den vornehmsten bulgarischen Familien ver-
wandt gewesen. Die Lockungen des Hofes und eine ihm von griechischer
Seite offerirte eheliche Verbindung mit einer Prinzessin thaten das Ihre, um
den Mächtigen an den Hof zu ketten; zudem erhielt er den Despotentitel.
Alles dies half aber der griechischen Politik dennoch nicht. — Der todt-
geglaubte Ivajlo erschien plötzlich vor Tirnova und schlug zweimal die ihm
entgegengestellten griechischen Truppen ; der ehrgeizige Terterij fand jetzt
mehr als je Gelegenheit seinen Einfluss zur Erlangung der Krone geltend
zu machen, und als Johann Äsen schmählich die Flucht ergriffen, ward
Georg I. Ende 1280 zum Zaren gekrönt. Selbstverständlich verfolgte der
neue Zar eine griechenfeindliche Politik. Er verbündete sich mit den
Gegnern des griechischen Hofes : Karl von Anjou-Neapel und Johann Fürsten
von Neopatrae. 1284 schloss er indess mit Kaiser Andronikos IL Frieden.
1285 brachen Nogaj's Tataren in Bulgarien ein und Terterij konnte nur
durch Aufopferung einer seiner Töchter seinen Tron behaupten ; doch nicht
lange dauerte seine Sicherheit. Durch die fortgesetzten Drohungen des Ta-
tarenkhans eingeschüchtert, floh er zum Kaiser, um diesen zu Hilfe zu ru-
fen ; in der Nähe von Adrianopel hielt er sich so lange auf, bis ihn die Grie-
chen in Haft nahmen. Auf die Kunde seiner Flucht setzte der Khan (um
* So Bchreibt diesen Namen Jirecek nach den Worten des Pomenik : Terterija
starago. Bei den Byzantinern heisst er TipteprJ^. Der Papst nennt ihn cEönig Oeoig.i
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OLOBSEN ZXJB BUL6ABIS0HEN ZABEN-OENEAL06IE.
155
1292) in der Person des Smiltzes (siehe 18.) einen neuen Zaren ein. Als aber
des Georg Sohn Svetslav in der Folge znm Throne gelangte und (um 1298)
mit Griechenland Frieden schloss, befand sich unter den beiderseits aus-
gewechselten Gefangenen auch Georg I. Dieser erhielt nun wohl seine Frei-
heit, nicht aber den Tron ; sein Sohn wies ihm eine anständige Apanage
an, dass er den liest seiner Tage vergnügt und sorgenlos verleben könne.
Wann und wo er gestorben, ist unbekannt.
Georg's erste Gemahlin war eine Bulgarin, des Namens Maria. ^ Engels
Angabe, sie sei eine Schwester des Boljaren Eltimeres gewesen, ist falsch, da
wir heute Eltimir als Georges Bruder kennen. Als nun Georg 1 280 sich dem
griechischen Hofe anschloss, verstiess er Maria mit ihrem ältesten Sohne
und überlieferte sie dem Kaiser, der sie in Nikaea bewachen liess.
Als nach Georg's Krönung die bulgarische Geistlichkeit die Zurück-
berufung der Verstossenen urgirte, benützte er 1284 einen Frieden mit
Andronik 11., um seine verstossene Gemahlin zurückzufordern, was ihm auch
gelang ; seitdem sind die Schicksale dieser Zarin Maria unbekannt.
Georg's zweite Gemahlin war eine Schwester des Zaren Johann
As^n KL, gleichfalls Maria genannt. Sie wurde ihm 1280 vermählt, um ihn
in das Interesse Johann Asän's und des kaiserlichen Hofes zu ziehen. —
1284 sah er sich genötigt, um seine Geistlichkeit zu versöhnen, die Prin-
zessin Maria nach Konstantinopel zurückzusenden. ^ Was weiter mit ihr ge*
schah, ist unbekannt.
Von Georg's Kindern kennen wir: 1. Zar Theodor Svetslav. 2. Voj-
slav. 3. und 4. zwei, ihrem Namen nach unbekannte Töchter. Vojslav er-
richtete nach dem Tode seines Neffen Georg n. ein unabhängiges Fürsten-
tum im oberen Tundiatale mit der Residenz auf der Burg Kopsis. ^ Sein
Gebiet umfasste vier Städtchen, seine Armee zählte 3000 Mann. ^ Im Bunde
mit Andronikos dem Jüngeren belagerte er 4 Monate vergeblich Philippopel.
Als Michael II. zum Zaren der Bulgaren gewählt worden, wollte er den
Fürsten Vojslav unterwerfen. Er widerstand dem Angriffe ein ganzes Jahr,
bis ihn die Unzufriedenheit seiner Unterthanen und der Mangel an Zufuhr
im Frühjahre 1324 zur Flucht nach Konstantinopel nöthigten. Seine
Familienverhältnisse sind unbekannt.
Georg's ältere Tochter (geboren von semer bulgarischen Gattin) ist ein
Opfer der Politik geworden. Als 1285 sich Nogaj's Tataren auf Bulgarien
warfen, wusste sich Georg ihrer nicht anders zu erwehren, als dass er seine
* Synodik (Pomenik) : «Maria, Gattin des Zaren Terter des Aelteren.«
* Pachymeres ed. Bonn ü. 57.
' Eantakozenos I. 172 ed. Bonn.
* Durch Huldigung erhielt er vom griechiechen Hofe die Erlaubniss sich «Des-
pot von Mysien» zu nennen.
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156 GLOSSEN ZUR BULGARI8CHBN ZAREN -GENEALOGIE.
Tochter dem Öoki, Sohne des Nogaj, vermählte. Wie wir wissen, schützte ihn
dies aber doch nicht vor dem Verderben. Öoki (auch Czakas) * zog nach dem
1293 erfolgten Tode seines Vaters abermals nach Bulgarien^ um daselbst, als
Georg's Schwiegersohn, sich zum Zaren erklären zu lassen. Um seine Herr-
schaft populär zu machen, nahm er den Bruder seiner Gattin, Svetslav, zum
Mitregenten an. Kaum hatte aber Svetslav durch eine reiche Heirat sich ein
Ansehen verschafft, Hess er Coki meuchlings ergreifen und im Gefängnisse
erdrosseln (1:295). Des Ermordeten Kopf schickte er in die Krim zu dessen
Feinden. Coki's Kinder aus der Ehe mit der Terterijdentochter sind unbekannt
Auch was mit Coki's Witwe geschehen, wissen wir nicht ; aber es ist mehr
als gewiss, dass sie sich nach ihres Gatten Ermordung an den Hof ihres
Bruders begeben, weil wir sie in einer Action ihres Bruders aus dem Jahre
1308 erwähnt finden.
Die im Jahre 1302 in griechische Dienste getretenen Catalonier hatten
sich nämlich, als ihnen die Griechen ihren Sold nicht zahlen wollten, von
denselben losgesagt und auf eigene Faust eine autonome Körperschaft ge-
bildet, die für Geld für Jeden und gegen Jeden zu haben war. 1308 knüpfte
nun Svetslav mit einem der Chefs dieser Catalonier, genannt Boccaforte (bei
Engel Eomofortus), Unterhandlungen an, um diese Schaaren zu einer Expe-
dition gegen Byzanz zu gewinnen. Um Boccaforte's Zustimmung zu er-
werben, schlug er demselben eine Heirat mit seiner Schwester, der Witwe
6oki*s vor, doch führten die Verhandlungen nicht zu dem gewünschten Re-
sultate. **
Georg's jüngere Tochter — Engel nennt sie Kotanicza — (geboren
um li281 von der AsSniden-Prinzessin) war zweimal vermählt:
a) 1296 mit dem Könige Stephan Urosch H. von Serbien. Bald nach
der Heirat fand es aber Stefan Urosch geraten, sich mit dem griechischen
Hofe zu liiren. Kaiser Andronikos H. der den häufigen Einfällen des ser-
bischen Königs in griechisches Gebiet ein Ende bereiten wollte, bot dem-
selben eine Falaiologentochter an und verfocht die Meinung, dass die Ehe
mit der Bulgarin keine gesetzliche sei, weil zur Zeit ihrer Schliessung Ste-
fan Urosch' erste (verstossene) Gemahlin noch am Leben gewesen. Da
diese jetzt gestorben, sei der Serbenkönig erst Witwer geworden und dürfe
er erst jetzt eine zweite Ehe eingehen. Stefan Urosch, der es in Sachen
der Abwechslung des «ewig Weiblichen» nicht zu strenge nahm, verstiess
nun 1298 die Bulgarin und lieferte sie dem Kaiser aus.
b) Kaiser Andronikos 11. fürchtete, es könne Zar Svetslav die seiner
Schwester angethane Schmach rächen wollen, und beeilte sich, die Sache
* Bei Hammer auch Coke, Cuke.
='^* Paohymeres II. 600—603, 606. Nach Engel 438 hat Svetslav seine verwit-
wet« Schwester dem Bomofortus zur Gemahlin gegeben.
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atiOSSEI^ ZÜK BtJLOAlUSCHBK 2ARE^-OENEALOOIE. 1-^>7
irgendwie auszugleichen. Das beste Mittel hierzu glaubte er in einer Standes-
massigen Verheiratung der Yerstossenen zu finden.
Demetrius Angelos (auch Michael Dukas Eutrules)^ Sohn des Despoten
Michael 11. von Epiros und der Theodora Petralipha, war in erster Ehe mit
Anna, Tochter des ELaisers Michael VIII. (der einstigen Braut Milutins) ver-
mählt gewesen. Witwer geworden, warf er seine Augen auf die in Griechen-
land intemirte Tochter Terterij's. Andronikos IL kam die Sache sehr er-
wünscht, und er negocürte mit möglichster Raschheit die Vermählung des
Paares 1301. Diesmal war der Umstand, dass der Gemahl der Yerstossenen
noch am Leben gewesen, kein Ehehindemiss I
Michael führte den Titel eines Despoten von Fatras, den er gelegent-
lich seiner Vermählung mit Anna erhalten ; diesen Titel erhielt nun Svetslav's
Schwester. Diese hatte ihrem Gatten bereits mehrere (ihrem Namen nach un-
bekannte) Kinder geboren, als es 1305 dem Kaiser schien, Michael habe
grössere Aspirationen, als sich mit der Despoten- Würde zu begnügen. Am
13. März dieses Jahres liess er ihn sammt seiner Gemahlin und seinen Kin-
dern ohne Weiteres verhaften und seitdem spricht die Chronik nichts mehr
von diesem Schwager Svetslav's. Die Zurücksetzung seiner Schwester be-
schwor aber einen Krieg zwischen Bulgarien und Byzanz.
Der Zar Theodor Svetslav.
Aeltester Sohn Georg's I. aus dessen erster Ehe mit der bulgarischen
Maria. Als diese 1280 Verstössen und nach Griechenland geschickt wurde,
musste sie auch ihren Sohn Svetslav mit sich nehmen. Als sie 1284 wieder
zu ihrem Gatten zurückgelangte, blieb Svetslav noch ferner in Griechenland,
bis sich der Kaiser durch den bulgarischen Patriarchen Joachim zur Frei-
lassung des Prinzen bewegen liess.
Als der Tatare Öoki nach der Entsetzung des Zaren Smiltzes sich
selbst zum Herrn der Bulgaren aufwarf, glaubte er in der Erhebung seines
Schwagers Svetslav zum Mitregenten ein Mittel zum Populärmaehen seiner
Herrschaft gefunden zu haben. — Er hatte sich aber verrechnet. Svetslav
liess den Schwager aus dem Wege räumen und bestieg 1295 als t Befreier
des Vaterlandes» den Tron.
Die erste Hälfte seiner Regierung war mit Streitigkeiten gegen Byzanz
ausgefüllt, die zweite verfloss in Frieden. Er starb 1322. Er war zweimal
vermählt
Noch zur Zeit als er in Nikaea sich als Geissei befand, benützte sein
Vater den Tod des Kaisers Michael VTQ. (1282) und den Regierungsantritt
Andronikos' H., um durch ein Bündniss mit Johann I. (Angelos Komnenos
Dukas), Fürsten von Neopatrae, die Befreiung Svetslav's zu erwirken ; eine
Vermählung des Prinzen mit Johann*s Tochter sollte das Bündniss krönen.
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^^ aiiOSSBN ZUR BÜLOARI80HBN ZARBN-OBNBALOGHt.
Als nun Andronikos II., durch diese Allianz eingeschüchtert, mit Georg Ter-
terij seine freundschaftlichen Beziehungen erneuerte, gab Letzterer auch
sein Verhältniss zu Johann Angelos auf; er entsagte nicht nur dem Schutz-
und Trutzbündnisse, sondern lieferte auch dessen Tochter, die ihm als Braut
Svetslav's anvertraut war, dem Kaiser aus.
Johannas von Neopatrae uns bekannte Töchter sind folgende :
a ) Johanna, Gem. um 1276 Stephan Urosch 11. von Serbien, Verstössen,
b) Helene, Gem. 1. Wilhelm I. (de la Boche), Herzog von Athen,
2. Hugo von Brienne, reg. 1291—1296,
c) Tochter, Gem. Andronikos Tarcboniata, Gross-Connetable, Neffe des
Kaisers Michael Vm., t 1283 (?)
d) Tochter, (?)
Ob Svetslav's Verlobte eine dieser gewesen oder ob sie (wie z. B. Mor^ri
u. A. annehmen) eine fünfte Tochter Johann 's war, ist nicht festgestellt.
Svetslav war durch die Wirren nach der Flucht seines Vaters ganz
arm geworden ; er suchte und fand eine reiche Gattin. Ein gewisser Mankus
hatte eine Tochter, deren Taufpathin des Khans Nogaj Gemahlin Euphro-
syne (natürliche Tochter Michael's VÜI.) gewesen. Pachymeres nennt die-
selbe Enkone, der Pomenik nennt sie : Zarin Euphroeina, Gattin des Zaren
Svjatislav, welchen Namen sie nach ihrer Taufpathin erhielt. Der Vormund
dieser Euphrosyne, der reiche Kaufmann Pantoleon, hatte das Mädchen zu
seiner Erbin eingesetzt und Svetslav's Bewerbung um deren Hand angenom-
men. Von dieser Zarin wissen wir sonst gar nichts; sie ist sicherlich vor 1320
gestorben. Im Jahre 1320 vermählte sich Svetslav zum zweiten Male. Diesmal
warf er seine Augen, um mit dem griechischen Hofe in näheren Gonnex zu
treten, auf eine byzantinische Prinzessin und so erhielt er Theodora Pa-
laiologa zur Gemahlin. Sie war die Tochter des am 12. October 1320 gestor-
benen Kronprinzen Michael und Enkelin des Kaisers Andronikos II. Witwe
geworden, heiratete sie um 1323 den Bulgaren- Zaren Michael H. (s. 19a).
Svetslav hatte aus erster Ehe einen einzigen Sohn, der ihm als Oeorg
Tertmj IL folgte. * Er starb nach einem gegen Byzanz imtemommenen
Feldzuge schon im Jahre 1323. Er war der letzte regierende Terterijde.
Zu den Terterijden gehört noch der
Despot Eltimir.
Dieser war der Bruder des Zaren Georg I. und hatte sich zum
Despoten von Krun (um Karnobad) emporgeschwungen. Als 1298 die Grie-
* In einem für ihn 1322 geschriebenen, im Ghilandarkloster befindlichen
Evangelium heisst es: cvelikyj oar Georgije, syn velikago carja Theodora SvetslaTat
(der grosse Zar Georg, Sohn des grossen Zaren Theodor Svetslay).
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<)L0S8EN ZÜB BULOABI80HEK ZABBN'GBNEALOGIJS. ^^^
eben den Michael, den Sohn Konstantin 's, mit griechischen Truppen nach
Bulgarien sandten, um Syetslav anzugreifen, vertrat Eltimir seines Neffen
Interessen so gut, dass er den Sebastokrator Badoslay schlug und blendete.
Um 1306 unterstützte Eltimir seinen Neffen neuerdings und es gelang ihnen
die Städte Diampolis, Ancbialos, Mesembria und SozopoUa zu erobern ; um
1309 gelang es indess den griechischen Intriguen, Onkel und Neffen zu ent-
zweien. Bei dieser Gelegenheit wurde Eltimir durch die Griechen aus seinem
Besitze verjagt. Um sein Land zurückzuerhalten, söhnte er sich wieder mit
Svetslav aus und schüchterte dadurch den Kaiser ein. Da er aber einige von
Svetslav für seine Unterstützung erhaltene Städte dem Kaiser zurückgab,
befeindete ihn Svetslav 1308 aufs Neue. Eltimir 's fernere Geschichte kennen
wir nicht. Seine Gemahlin war eine Tochter des Zaren Smilec. Ob dieses Paar
Kinder gehabt, wissen wir nicht.
18. Zar Smilec (Smiltzos).
Nach Georges I. Flucht setzte Khan Nogaj um 1292 den Boljaren
Smilec auf den Tron Bulgariens.
Smilec's Eltern sind unbekannt. Seine Güter lagen an der Topolnica,
wo noch jetzt bei dem Dorfe Akydzi zwischen Tatar-Pazardzik und Ichtiman
die Ruinen des «Smilcev-Monastir» zu sehen sind, welches Kloster nach einer
dort befindlichen Inschrift der «Knez Smilec» 1286 in den Tagen des Zaren
Georg I. erbaute.* Sein Zarentum war von nur sehr kurzer Dauer. Nach Nogaj 's
Tode (f 1293) zog dessen Sohn Öoki nach Bulgarien und setzte Smilec ab.
Seitdem wird dieser Zar nicht mehr erwähnt. Er dürfte gleichzeitig mit
Coki aus dem Wege geräumt worden sein (um 1295).
Seine Gattin spielte in der Diplomatie der Höfe von Byzanz und Bul-
garien eine grosse Bolle.
Ihr Vatf^r war Prinz Konstantin, Sohn des Kaisers Michael VIII. Er
starb am 5. Mai 1306. Seine Gemahlin war eine Tochter des Protovestiars
Johann Baoulis. Die Angabe Jener, welche des Smilec Gattin für äne En-
kelin Andronikos' IL (nach dessen Sohne Konstantin) halten, ist deshalb
nicht stichhältig, weil diese Prinzessin, als Tochter Konstantins und Enkelin
Andronikos' IL, in den 90er Jahren des 13. Jahrhunderts und ersten Jahren
des 14. Jahrhunderts noch keine verheiratete Tochter haben konnte. Nun ist
Michael, der äheste Sohn Andronikos' IL erst 1277 geboren und Smilec^
Gattin um die oben erwähnte Zeit bereits Schwiegermutter.
Diese Palaiologa wurde 1305 von Andronikos ü. benützt, um den
Eltimir, ihren Schwiegersohn mit Svetslav zu entzweien und für Griechen-
* Jiredek 283.
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IßO GLOSSEN ZUR BULGARI8CHBN ZAREN -GEKBALOOHÖ.
land zu gewinnen. Die Mission gelang auf kurze Zeit, bis Eltimir 1307 seine
Schwiegermutter nach Konstantinopel zurückschickte.
Von Smilec kennen wir nur zwei Töchter:
1. eine 1293 an den Serben -Prinzen Stefan (Urosch Decsanski) und
2. eine an Eltimir, den Bruder des Zaren Georg Terterij I. vermählte
Tochter.
Zur Familie Smilec's gehören noch seine zwei Bruder:
a) Badoslav.
Dieser war unter Andronikos II. Sebastokrator in Thessalonich und
wurde 1298 mit einer griechischen Armee gegen Svetslav nach Bulgarien
geschickt. Im Kampfe gegen Eltimir wurde er geschlagen und geblendet.
/>> Vojslav (Bossilas).
Dieser jüngste Bruder des Smilec stand gleichfalls in griechischen
Militärdiensten und kämpfte 1306 gegen Svetslav. Er blieb aber seiner bul-
garischen Abstammung eingedenk und entliess sämmthche bulgarische
Kriegsgefangene des Mannschaftsstandes, wodurch es den Bulgaren gelang,
die Griechen zu schlagen.
Weder Radoslav's noch Vojslav's Familienverhältnisse sind bekannt.
Engel ist mit Bezug auf Radoslav sehr confus und gibt ihm eine Schwester
Eltimir's zur (Jattin, ohne dies aber plausibel zu machen.
19. Die jüngeren äismaniden.
Zu des Zaren Georg Terterij I. Zeiten sass in Vidin und in ganz West-
bulgarien ein unabhängiger Fürst des Namens Simian, der, gleich den Ter-
terijden, dem in Bulgarien eingewanderten kumanischen Adel verwandt
war.* Wir wissen von ihm, dass er um 1292 einen Einfall ins Serbische
that und plündernd bis Ipek vordrang. Als König Milutin dann Vidin be-
setzte, floh Sisman über die Donau in das Severiner Banat nach Ungarn,
erhielt jedoch im Frieden seine Länder zurück. Sein Todesjahr ist unbe-
kannt.
Dass er 1292 schon einen Sohn gehabt, beweist, dass er damals ent-
weder verwitwet war oder seine Gattin verstiess, denn in dem Frieden dieses
Jahres vermählte er sich mit der Tochter des Dragos, eines serbischen Va-
sallen. Namen und Chronologie seiner beiden Gattinnen sind unbekannt.
Nach Engel war Michaels IL Mutter eine Rumänin. Von seinen Kindern
kennen wir zwei Söhne : Michael und Belaur und eine Tochter Kerata.
* Jü-e^ek 282.
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GliOSSBN ZUR BÜLÖARISCHfiN ZAREN-GENEALOGIE. i^l
a) Zar Michael n.
Sohn äiöman's aus erster Ehe ; folgte seinem Vater als Despot von
Bulgarien und Herr von Widin. Als solcher schloss er mit Venedig Freund-
schaftsverträge. Nach Georg Terterij's IL Tode erwählten ihn die Boljaren
zum Zaren Bulgariens (1323).
Seine Regierung verstrich unter Kriegen gegen Griechenland und Ser-
bien. In dem Streite zwischen Kaiser Andronikos 11. und dessen gleich-
namigem Enkel schlug sich Michael anfangs auf des Enkels Seite, später auf
jene des Kaisers.
Die Spannung mit Serbien führte zur Entscheidungsschlacht zwischen
Bulgarien und Serbien, in welcher Michael am 28. Juni 1330 (an" einem
Samstage) aufs Haupt geschlagen wurde. Sein Schlachtross strauchelte, er
stürzte zu Boden, erlitt schwere Verletzungen und wurde von einigen nach-
setzenden Serben getödtet ; seine Leiche hob man auf ein Pferd und brachte
sie vor den siegenden Serbenkönig Stefan Urosch IE.* Auf Bitten der bulga-
rischen Grossen wurde die Leiche in dem Kloster von Nagori6in bestattet.
Michael hatte zwei Göttinnen :
1. Im Friedensschlüsse 1292 hatte der junge Michael, gleichzeitig mit
seinem Vater, eine serbische Gattin erhalten. Sie hiess Anna (Neda) und
war des Königs Milutin natürliche Tochter. Als aber Michael sich 1324 mit
dem byzantinischen Hofe versöhnte, verstiess er Anna mit deren Kin-
dern. Diese Verstossung war die Ursache jener zwischen ihm und dem
serbischen Hofe ausgebrochenen Spannung, die ihm 1330 Tron und Leben
kostete. 2. 1324 hatte man eben am griechischen Hofe eine Kriegserklärung
an Michael beschlossen, um die durch denselben verursachte Verwüstung
Oberthrakiens zu rächen, als zwei seiner Boljaren, Grud und PanSe am kai-
serUchen Hoflager erschienen und die Meldung brachten, Michael habe die
Serbin sammt ihren Kindern Verstössen und sich mit Theodora, der Witwe
des Zaren Svetslav vermählt. Die Nachricht erregte natürlicherweise freu-
dige Bewegung am kaiserlichen Hofe und es wurde sofort zwischen Beiden
Friede geschlossen. Diese Ehe hatte zur Folge, dass sich Michael seinem
Schwager, dem jüngeren Andronikos, gegen dessen Grossvater anschloss.
Theodora wurde nach MichaeFs Tode zur eiligen Flucht nach Griechen-
land genötigt. Theodora's Kinder, die sie auf ihrer Flucht nach Griechen-
land mitnahm, sind unbekannt. Von Micha^Fs Kindern erster Ehe kennen
wir Sisman und Johann.
'^ So erzählt den Sachverhalt sein Zeitgenosse, der serbische Erzbischof
Daniel (f 1338). Nach den Byzantinern Kantakuzenos und Nikephoros wäre, er erst
nach einigen Tagen in der Gefangenschaft seinen Wunden erlegen.
TTngarUehe Bevoe, XL 1891. II. Heft. l\
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)^S GLOSSEN ZUB BULOARISOHEN ZARBK-OENBALOOIfi.
Siiman (auch Stefan)^ wurde durch seinen siegreichen Oheim Stefan
Urosch in. 1330 zum Zaren erhoben.
Seine Herrschaft war aber yon nicht langer Dauer. Kaiser Andronikos
hatte, um Theodora's Vertreibung zu rächen, einige bulgarische Städte er-
obert, weshalb gegen Siäman und seine Mutter eine (jährung ausbrach.
Anna floh nach Serbien, Sisman zu den Tataren (FrühUng 1331); unter-
dessen bestieg ein Anderer den Zarentron. Der Ex-Zar begab sich nun
nach Eonstantinopel und als sich ihm hier keinerlei Aussichten boten, ^ ging
er nach Italien, wo er sich unter dem Namen Ludwig an den Hof der Anjous
in Neapel begab. Wir stossen auf ihn urkundlich am IS. Jänner 1338^ in
einem Schreiben des Königs Robert yon Neapel, welches folgenden Passus
enthält : «Quatenus Spectabili Lodoyco filio Incliti Imperatoris Bulgarie nepoti
nostro carissimo ad nos pridem venienti, quem in comitiva nostra providimus
moraturum, uncias auri X. ponderis generalis mense quoUbet in principio
mensis, qutts ei pro expensis suis et familie sue mense quolibet usque ad be-
neplacitum providimus exhiberi de quacunque pecunia .... solvere et ex-
hibere curetis . . . . » 1 363 geriet er in Siena gelegentlich eines Gefechtes
sammt einem bulgarischen Bischöfe in Gefangenschaft und starb 1373^ zu
Neapel. Seine Gemahlin war eine natürliche Tochter des Prinzen Philipp I.
von Tarent aus dem Hause Anjou. *
Johann floh mit seiner Mutter 1331 nach Serbien. Seine Spur verliert
sich. Nach Engel starb er in Bagusa.
bj Belaur.
Dieser hatte während Michaers Abwesenheit (zur Zeit des Serben -
krieges 1330) mit anderen Boljaren die Regierung geleitet. Auf die Nachricht
von dem Tode seines Bruders schickte er dem siegreichen Stefan Urosch
bis Izvor eine Gesandtschaft entgegen und unterwarf sich demselben. Eine
^ Bei Daniel: Stefan, bei Eantakuzenos; AiSman. Stefan ist der Name fleiuei«
mütterlichen, Sisman der seines väterlichen Grossyaters.
* Zar Alexander verlangte Sommer 1341 vom Reichsverweser Johann Kantakiize-
nos die Ausliefenmg ^iämans und drohte im Weigerungsfalle mit Krieg. Kantaknzen gab
zur Antwort, er werde den Sisman die Donau aufwärts nach Widin (wo er noch
eine mächtige Partei erhoffen durfte) mit einigen Kriegsschiffen senden und ausser-
dem ein türkisches Mietsheer in Bulgarien einmarschieren lassen. Alexander beeilte
sich nun in Folge dieser Antwort, fi-iedliche Saiten anzuschlagen.
" Diplom, eml. az Anjoukorböl I. 300.
* Mm-alt n. Ü9f).
" Luccari hält diesen Schwiegersohn Philipps für einen Schwindler des Namens
Nikolaus Sapina, Sohn eines ragusanisclieii Krämers. Zai- Johann SiSnian III. soll ihn
durch seinen (Sapiua's) Kanzler oder durch seine Konkubine Dunava haben vemften
lassen (1372).
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atiOBSBli ZUB BULGARiaOHBN ZABBN-dHNEALOOl^. ^^^
Zeitlang befehdete Belaur seinen Neffen^ den Zaren Alexander, dann hören
wir nichts mehr von ihm. Seine Familienverhältnisse sind anbekannt.
c) Zar Johann Alezander Äsen. ^
Nach äiäman'sIL Vertreibung wählten die Bulgaren 1331 den Johann
Alexander zum Zaren, der sich nach seiner Tronbesteigung den Namen Äsen
beifügte. Wie wir wissen, hatte Zar Michael IL eine Schwester Kerata. Diese
war an einen bulgarischen Despoten, genannt Stracimir vermählt und führte
als Nonne den Namen Theophania.^
Hieraus dürfen wir also schliessen, dass sie nach ihrem Gatten Stra-
cimir gestorben. Dies ist aber auch Alles, was wir über die Chronologie dieses
Paares wissen. Aus dieser Ehe stammen zwei Söhne und zwei Töchter: Zar
Alexander, Johann As^n, Helene und eine Anonyma.
Alexander's Regierungsantritt inaugurirte eine Goalition Bulgariens,
Serbiens und der Walachei gegen Ungarn und Byzanz. 1333 besiegte er die
Griechen. 1341 mischte er sich in die Tron- Aspirationen Johann Eanta-
kuzen's. Unter ihm begannen schon die Türken ihre Arme nach Bulgarien
auszustrecken. Sein Tod fällt wahrscheinlich ins Frühjahr 1365;^ seine
Leiche wurde in dem Marienkloster zu Stenimachos beigesetzt.
Er war zweimal vermählt.
a) Mit Theodora, Tochter des Rumänenfürsten Ivanko Bassaraba. Nach
Jire^ek war er zur Zeit seiner Tronbesteigung (1331) schon mit ihr vermählt.
Nach ihrer Yerstossung ging sie in ein Kloster, wo sie ihre Tage als Nonne
Theophana beschloss.
h) Einmal nahm ein schönes Weib, eine Jüdin, bei Alexander
Audienz. Der Zar verliebte sich in sie, sie nahm das Christentum an
und wurde ihm als tneu erleuchtete Zarin» angetraut. Das Datum der
Trauung ist unbekannt. Ebensowenig kennen wir die Eltern und den Ge-
burtsnamen dieser Zarin. Als Christin führte sie den Namen Theodora. Der
Pomenik erwähnt sie folgendermassen : t Zarin Theodora, (Jattin des Zaren
Alexander Johann, stammend aus hebräischer Familie, nahm das Christen-
tum an, hielt die rechtgläubige wahre Religion, gründete viele Kirchen, baute
viele Klöster auf . . .• Ihre sonstige Geschichte ist unbekannt
d) Alexander^R Geschwister.
1. Johann Äsen nKomnenos*, Alexander's Bnider, war als Schwager
des Serbenkönigs Duschan dessen Statthalter in ValonaundKanina. Er starb
* DasR er diesen Namen geführt, ist nrknndlich bewiesen.
* Der Pomenik nennt sie: «Despotin Kerata, Mntter des Zaren Alexander
Johann, als Nonne Theophana.»
* So naoh Jirecek. Nach Luccari V,^i(\ nach Orbini 1353, nach einer rmnä-
nischen Chronik 1371, nach manchen Anderen 1356. Engel acceptirt 1353.
11*
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164
aLOSSBN ZUR BULGARISGHEN ZARBN-GENBAIiOOlB.
1356. Seine Gemahlin war Anna, die letzte Despina von Epiros, die ihren
ersten Gemahl durch Gift ans dem Wege geräumt.*
2. Helene, vermählt 1330 — 1331 an den Serbenkönig Stefan Duäan
(s.mein oben zitirtes ungarisches Werk), f als Nonne EUsabeth.
3. Anonyma, erwähnt von Nikephorlll. 148 und Kantakuzen. 1356 —
1357 verlangte der Despot von Epiros, Nikephoros IL, der Sohn Johann'sIL
und der Anna, die Schwester Alexander's ; wir irren wohl nicht, wenn wir
in dieser Anonyma die von Nikephor Geworbene erkennen. Nikephor's Gkittin
war übrigens seit 1340 Maria, die Tochter des Kaisers Johann Kantakuzenos.
Nikephor starb 1358.
e) Alezander's Kinder.
Aus erster Ehe :
1. Michael Äsen. Erstgeborener Sohn seines Vaters, seit 1337 zu
dessen Mitregenten erklärt ; er starb frühzeitig und soll von seiner Stief-
mutter vergiftet worden sein, eine Angabe, die sich nicht beweisen lässt.
Gelegentlich des zwischen seinem Vater und dem Kaiser Andronikos IIL
1337 geschlossenen Friedens wurde er im Sinne einer von Alexander schon
vordem ausgesprochenen Absicht mit des Kaisers Tochter Maria vermählt.
Sie war die Tochter von Andronikos' zweiter Gemahlin Anna (Johanna) von
Savoyen. Die Hochzeit wurde 8 Tage lang in Adrianopel gefeiert.
2. Johann Äsen (IV.) figurirt um 1355 neben seinem Vater auf dem
Concil zu Tirnova. Von ihm besitzen wir eine Urkunde do. 1347; auch er-
wähnt ihn eine griechische Inschrift in Mesembria. Auch er starb vor
seinem Vater.
3. Johann Stracimir. Diesem gab Alexander die Landschaft Widin,
um dort als selbstständiger Zar zu regieren (s. f).
Aus zweiter Ehe :
1. Zar (Johann) l^isman IIL (s. g).
2. Maria. Diese heisst im Pomenik «Bazilissa, Tochter des Zaren
Alexander Johann •, Nikephor in. 557 nennt sie Maria; Rakovski (Asßn 101,
ap. Jire6ek 321) nennt sie Kyratza. Sie ist 1346 geboren und wurde 1355
mit dem im selben Jahre geborenen Prinzen Andronikos, dem Sohne de^
Kaisers Johann Palaiologos vermählt.** Dieser suchte, gestützt auf seine bul-
garischen Verwandten zu wiederholten Malen seinen Vater zu stürzen. Eine
* Jirecek 300. Diese Anna kann nach meinem Dafürhalten nur die Gemahlin
des epirotisclien DeRpoten Johann IT. ans dem Hanse Orsini sein, der von 1323 — 1335
regierte. Anna war die Tochter des Andronikos Angelos, eines Sohnes des nns
bekannten Michael (Deinetrins) Kntrnles. Andronikos war Protovestiar und starb 1326.
** Vertrag vom 17. August 1355 ap. Miklosich und Müller, Acta patr. I.
Bakovski Asdn 101.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN- GENEALOGIE. 165
Zeitlang hatte er den Kaisertron als Andronikos IV. inne und starb am
28. Juni 1385. Seine Witwe Eyratza kommt noch 1390 vor.
Ausser diesen Kindern kennen wir noch folgende Töchter Alexander's,
ohne jedoch zu wissen, von welcher seiner Gattinnen sie geboren wurden.
1. ThamaTf nach dem Pomenik (ap. Wenzel) Maria Kerata; nach
jenem bei Bakovski (AsSn 52) Eyra Thamar.
Als Zar Johann Sisman (das Jahr ist unbekannt) vom türkischen
Sultan Murad I. hart bedrängt wurde, gab er demselben seine Schwester
Thamar zur Gattin. Da das Ereigniss in die Begierungszeit Sisman's, also
nach dem Tode Alexander's, fällt und der Sultan wohl kein Gelüste nach einem
älteren Mädchen gehegt haben dürfte, können wir getrost Thamar ah Toch-
ter der zweiten Gattin Alexander's, betrachten. — Der Pomenik ap. Bakovski
gedenkt ihrer folgendermassen : «Der Kyra Thamar, der Tochter des grossen
Zaren Johannes Alexander, der grossen Frau, welche dem grossen Amir
Amurat für das bulgarische Volk gegeben wurde, und als seine Gtemahlin
sowohl den christlichen Glauben bewahrte, als auch ihr Volk rettete, gut
und fromm lebte und im Frieden verschied, — es sei ihr ein ewiges An-
denken». Die Erinnerung an sie lebt noch heute fort in dem bulgarischen
Volksliede :
•Gar Morat Mari dumaäe :
Maruljo, bela Bulgarko !»
Die «weisse Bulgarin» Mara, so wird in demselben erzählt, habe sich
von Murad die Sophienkirche und Galata in Konstantinopel, die üzun-
carsia in Adrianopel, die weissen Städte am Meere und die Burgen längs
der Donau erbeten. Murad jedoch habe ihr statt der Sophienkirche eine
Moschee voll Silberleuchter angeboten. Sie aber wollte keine Moschee und
wies das Anerbieten mit den Worten zurück: «Teuer ist mir mein Glaube,
eine weisse Kadina (türkische Frau) mag ich nicht werden.» *
2. Descislava. Von dieser Prinzessin kennen wir nur den Namen
(Pomenik).
f) Johann Straöimir.
Auf seinen Münzen heisst er «Ivan Stracimir blagovemyj car Blgarom.»
Er regierte als selbstständiger Zar in Widin. Im Sommer 1365 eroberte
Ludwig I. von Ungarn Widin, nahm Stracimir sammt dessen Gemahlin
gefangen und hielt ihn vier Jahre lang auf der Burg Gumnik in Kroatien
gefangen. 1369 setzte sich Stracimir mit Hilfe seines Bruders und Schwagers
wieder in Widin's Besitz. 1388 musste auch er sich der Türkenherrschaft
ergeben. 1396 ergab er sich dem Könige Sigmund von Ungarn, als dieser an
der Spitze eines gewaltigen Heeres gegen Gross- Nikopolis zog. Sigmund's
Niederlage führte auch Stracimir's Ende herbei. Wir besitzen hierüber nur
* Jirecek 326.
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(1^ GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE.
eine kurze Notiz in den serbischen Annalen ^ : «Im Jahre 6906 (1398) führte
Zar Bajazit den Zaren Stracimir aus Bdyn heraus. •
Stracimir's Gemahlin war die Tochter des walachischen Wojwoden
Alexander und dessen Gemahlin Klara. '^
Aus dieser Ehe kennen wir zwei Kinder :
a) Konstantin, Mitregent seines Vaters ^ floh nach der türkischen In-
vasion erpt nach Ungarn, später nach Serbien, wo er — vom Serbenfürsten
Stefan Lazarevics beweint — am 16. September 1422 (zu Belgrad) starb.
b) Dai'othea (Doroslava), vermählt um 1376 — 1378 mit dem Könige
Stefan Tvrtko I. von Bosnien * Sie starb vor 1382.
g) Zar (Johann) Sisman IIL
Sohn Alexander's aus aweiter Ehe. Obgleich er viel jünger als Stracimir
war, bestimmte ihn Alexander dennoch zum Tronfolger. Nach dem Tode
seines Vaters folgte er (mit dem Sitze in Timova) als Herr des Mittellandes
Bulgariens. Den Anfang seiner Regierung eröfifnete er mit Gefangennahme
des Kaisers Johann Palaiologos, musste ihn aber auf die bewaffnete Inter-
vention Amadeus' VI. von Savoyen bald wieder freigeben. Gleich darauf be-
gannen die Keibungen mit den Türken und Ungarn. 1388 zogen die Türken
von Adrianopel auf und rückten gegen Norden. Timova ergab sich nach kur-
zem Widerstände. Sisman schloss sich in Gross-Nikopolis ein, musste aber
mit dem persönlich heranrückenden Sultan Murad Frieden schhessen. Als er
aber nach Murad's Abzüge noch einmal verzweifelten Widerstand leisten
wollte, belagerte ihn der Grossvezier Ali Pascha zum zweiten Male in Niko-
polis. Der unglückliche Zar soll mit Frau und Kindern dem Grossvezier zu
Füssen gefallen sein und um Gnade beim Sultan gebeten haben. Sie wurde
^ äafarik, Pam&tky 74 ap. Jirecek 356.
'^ Nach einem päpstlichen Schreiben an die Wojwodin Klara ap. Theiner Mon.
Hung. II. 95, 98 do. 19. Jänner 1370 und nach einem ChrysobiiUon des Woj-
woden Mirca, stellt sich der Stammbaum Alexandei-s folgendermassen dar:
Wojwode Alexander
Gem. 1. N. N. 2. Klara, katholiaoh.
I. Wladislav (Vlajko), Johann Badul. 2. Toohter 2. Ancha'
orientaUsch. i 1370 kathoUsoh. 1370 orientalisch,
STl^^i löhi^ Jöhi^ ^"^^^ W*IS?n°^' '"^^"^ ^'^'^••
Gem. Zar Urosch V. Dan. Mirca. ^^^ ^^^*^
Yon Serbien.
^ Joasaph, MetropoUt von Widin (ap. Golubinski 224-) nennt ihn cMladyj oar»
(= junger Zar).
* Ducange spricht von zwei Töchtern Stracimir's, nennt aber nur die eine
Dorothea.
• 1370 war VlkaÄin König von Serbien. Nach einer Urkunde do 1370 ap. Miklosloh
180 heisst seine Gattin fKralica Kyr. Aldnat. Nach Ljubic wäre Ancha des Zaren Urosoh
Frau gewesen.
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GL08SBN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE. 1Ö7
ihm gewährt und er blieb vorläufig (1388) noch auf seinem Trone. Am 17.
Juli 1393 wurde Timova schliesslich dennoch von den Türken erstürmt Sis-
man*8 Schicksal, der damals von Tirnova abwesend war, ist in Dunkel gehüllt.
Nach türkischen Berichten habe er, in ein Todtenhemd gekleidet, um
Gnade gebeten, sei zu Philippopel eingekerkert, nach einer Version hin-
gerichtet, nach der anderen am Leben gelassen worden. Nach dem Zeit-
genossen Bchiltberger wäre er mit seinem Sohne von Bajezid gefangen wor-
den und im Gefängnisse gestorben. Kussische Quellen bestätigen die Ge-
fangennahme ; eine rumänische Chronik sagt, dass Bajezid den Sisman,
Herrn der Bulgaren, im Jahre 6903 gefangen genommen und getödtet habe.
Nach bulgarischen Sagen fand er jedoch seinenTod auf dem Schlachtfelde. *
Sisman^s Gemahlinen waren :
1. Maria, Tochter der Descislava. Die Fassung des Pomenik, der di^se
Zarin Maria erwähnt, lässt nicht deutlich verstehen, ob Maria oder ihre
Mutter «in Engelgestalt t den Namen Debora geführt.
!2. Despinay eine Tochter des Fürsten Lazar I. von Serbien.
Von Sisman's Kindern kennen wir folgende ;
1. Alexander. Nahm, um sein Leben zu retten, den Islam an, und
wurde Statthalter in Klein- Asien. Durch Sultan Mohammed I. erhielt er als
Lohn für die Beaiegung des Teilfursten D^uneid die Verwaltung Smyma's.
1418 wurde er gegen des Fanatikers und Beformators Mahmud Bedreddin
Anhänger ausgesandt, um sie zu bezwingen, er fand aber mit seiner ganzen
Armee in den stylarischen Schluchten seinen Tod unter den Schwertern der
fanatischen Bebellen.
:2. Fruzin floh zu König Sigmund von Ungarn, bei dem er Schutz und
Unterstützung fand. Engel 465 teilt eine Urkunde Sigmund 's mit, die fol-
genden auf Fruzin bezüglichen Passus enthält : « Attentis et in animo nostrse
considerationis sedula meditatione pensitatis fidelitatibus et fidelium servi-
tiarum digne attoUendorum meritis et synceris complacentiis fidelis nostri
dilecti, Magnifici Fruschin, filii quondam Susman Imperatoris Bulgarorum,
quibus idem in nonnuUis nostris et regnorum nostrorum arduis expeditioni-
bus, sicuti prosperis, ita etiam adversis, contra Turcas aliosque Grucis Chri-
sti et nostros inimicos laboribus sudorosis, plerumque pro nostri regü honoris
exaltatione et incremento viriliter infudantem seque et bona sua diversis
fortuna' casibus, summo alacrique fidelitatis fervore studuit, et ipsum in
antea non haesitamus velle complacere. Cupientes itaque pramissorum Me-
ritorum suorum contemplatione sibi nostrse Majestatis benevolentiam osten-
dere favorosam quandam possessionem nostram N. vocatam in Gomitatu
Tbemessiensi sitam cum Gastello in eadem habito, cunctisque villis, seu
possessionibus ad eandem pertinentibus, ipsiusque et earundem utilitatibus
* VgL Jirecek 350, 351, 352.
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168 DIE FRANZ JOSEF-BRÜCKE BEI PRESSBÜRG.
et pertinentiis quibuslibet, quovis nominis vocabulo vöcitatur ad ipsum et
easdem de jure spectantibus eidem Frusyn pro deBcensu duximus daudum
et concedendum, imo damus donamus et conferimus prsesentium per tenorem
possidere, tenere pariter et habere. Salvo jure alieno. Harum nostrarum
vigore et testimonio literarum mediante. Datum in Feldwar partium uostra-
riun Transsilvanarum.» Leider gibt Engel nicht das Datum der Urkunde.
In der altserbischen Biographie des Fürsten Stefan Lazarevics, die
einen Augenzeugen zum Verfasser hat*, heisst es, dass um 1405 sich die
Städte Bulgariens, über Aufwiegelung der Söhne der bulgarischen Zaren,
gegen die Türken empörten, doch gelang es dem Sultan Soliman, die-
selben zu bezwingen. Im Sinne des uns bisher Bekannten können unter
diesen Söhnen der bulgarischen Zaren nur die beiden Vettern Konstantin
und Fruzin gemeint sein.
3. Kerata.
4. Herrin Maria, «rechtgläubige Zarin, Tochter des grossen Zaren
Jobann Sisman» («Kyr Maria»). Dr. Moriz Wertner.
DIE FßANZ JÜSEF-BKÜCKE BEI PEESSBÜßG.
Am vorletzten Tage des abgelaufenen Jahres hat die feierliche Erö&ung
der neuen ständigen Donaubrücke bei Pressburg in Anwesenheit Sr. Majestät des
Königs und der Spitzen der Regierung stattgefunden. Im Folgenden geben wir
zunächst in kurzer Uebersicht die Vorgeschichte der neuen stabilen Brücke, die
den Namen Franz -Josef-Brücke führt.
Schon im Jahre 1838, als es sich um die Herstellung der Eisenbahn von
Wien nach Raab handelte, beabsichtigte man, dieselbe über Pressburg zu führen t
es fanden auch bezügUch der Herstellung einer sowohl von der Bahn, als auch
von gewölmUohen Fuhrwerken zu benützenden Brücke Verhandlungen statt ; die-
selben führten aber nicht zum Ziele und die erwähnte Eisenbahn wurde vom
rechten Ufer über Brück an der Leitha geführt.
Im Jahre 187:2 projectirte die Waagtalbahn für ihre Linie Pressburg-
Oedenburg eine nächst der Tuchfabrik auszuführende Brücke über die Donau.
Lange Verhandlimgen führten wohl zu bestimmten Entschlüssen, aber trotzdem
blieb die Brücke unausgebaut, weil inzwischen die Gesellschaft in grosse finan-
zielle Bedrängniss geriet imd auf den Ausbau der Linie Pressbiu-g-Oedenburg
verzichten musste.
Nun versuchte es die Stadt, eine Brücke für den Landverkelir aus eigener
Initiative zu Stande zu bringen ; durch den Wiener Ingenieur Frey wmde im
Jahre 1880 ein Project. für eine Strassenbrücke vorgelegt. Die Stadtrepräsentanz
beschloss die Durohführimg dieses Projects, wenn der Staat die den Betrag von
* Konstantin, den Philosophen, einen Bulgaren aus Eostenec.
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DIB FRANZ JOSEF- BRÜCKE BEI PRESSBURG. 169
600,000 fl. übersteigenden Baukosten decken würde ; die Begiening lehnte aber
diese Zumutung ab und es blieb wieder beim Alten.
Im Jahre 1887 hatte der k. und k. FML. Dunst die Vorkonzession für eine
Localbahn von Pressburg nach Oedenburg erhalten und er suchte die Bahnbrücke
mit einer stabilen Communication für gewöhnliches Fuhrwerk zu verbinden. Allein
auch Herr v. Dunst musste auf die Durchführung seines Planes verzichten, da die
Capitalisten, welche das Geld für die Bahn und die Brücke hergeben sollten, au
den Staat solche Anfordeiomgen stellten, denen derselbe nicht entsprochen wollte
Inzwischen hatte der damalige Communications-Minister Gabriel v. Baross die
Angelegenheit gründlich kennen gelernt und er beschloss, im Falle die königliche
Freistadt Pressburg auf ihr Mautrecht zu Gunsten des imgarischen Staates Ver-
zicht leiste, den erforderlichen Grund und Boden für die Brücke und die Zufahrts-
rampen unentgeltlich zu überlassen und die Brücke auf Staatskosten auszubauen.
Dem Entschlüsse folgte auch sofort dieThat. Es wurden zwei inländische Brücken-
bau-Unternehmungen, nämlich die Firma Gregersen in Budapest und der Inge-
nieur und Unternehmer Franz Julius Cathry, zur Einreichung von Projecten und
Offerten aufjgefordert, femer mit der königl. Freistadt Pressburg in dem obigen
Sinne ein definitives Abkommen getroffen. Im Oktober 1888 wurde Cathry 's Offert
angenommen.
Gathiy hatte bereits im März 1889 die Vorbereitungen für den Bau im
grossen Masstabe begonnen. Am 12. August wurde der erste Caisson in die Finten
der Donau versenkt, am 20. das Sclüff, welches die Dampfmaschinen und Luft-
pressen trug, die nunmehr Monate hindurch den tief unter dem Wasserspiegel
schaffenden Arbeitern die Luft zum Atlimen zuzuführen und das Wasser aus der
Arbeitskammer zu verdrängen hatten, durch den Abt und Stadtpfarrer Bimely
eingesegnet Von da ab wurde Tag und Nacht ununterbrochen über und unter dem
Wasser bis zu Weihnachten fortgearbeitet; am 1. Jänner 1890 waren die Wider-
lager an beiden Ufern, dann zwei Strompfeiler auf der Auseite und ein Strom-
pfeiler auf der Stadtseite fertig fundirt imd bis über den gewöhnlichen Wasser-
stand heraufgereutet, überdies der grösste Teil des Bedarfes an Bausteinen bei-
gestellt. In den folgenden Monaten ging die Arbeit flott von Statten. An&ngs Juli
wurde die Pilotirung für das Genist der grossen Mittelöffnung begonnen, doch
wurde ein rasches Vorwärtskommen durch den fortwährenden hohen Wasserstand
und die grosse Geschwindigkeit des Wassers wesentlich verhindert. Um diese Zeit
ging das Programm des Unternehmers dahin, die Brücke sammt allen Neben-
arbeiten bis Ende October zu vollenden. Der alte Danubius war aber mit einer
so raschen und glatten Bezwingung seiner bisher unbeschränkt ausgeübten Macht
nicht einverstanden ; während es in Ungarn grösstenteils heiter und trocken war,
regnete es in den Monaten Juli und August in Oberösterreich und Tirol ohne
Unterlass ; die Nebenflüsse der Donau wurden zu reissenden Strömen und führten
der Donau grosse Wassermassen zu, so dass sie die für die Sommermonate ausser-
gewöhnliche Höhe von 4 bis 4Vs Meter erreichte. Dabei hatte der Strom eine Ge-
schwindigkeit von i — 4V» Meter per Sekunde erreicht. — Das Montirungsgerüst
der grossen Mittelö&ung der neuen Brücke hatte bis jetzt dem ungeheuren
Wasserstande widerstanden, obwohl die Montirung eben bei Eintritt des Hooh-
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170 DIB FRANZ- JOBEF-BRÜOKE BEI PRBSSBURG,
waesers, Ende August, begonnen worden war und nur das verhältnissmässig geringe
Gewicht von 1 300 Meterzentner Eisen dasselbe beschwerte. Nun erreichte der
Wasserspiegel die unerhörte Höhe von 5*/i Meter ; da beobachteten die Ingenieure,
dass die ursprünglich in vollkommen gerader Linie auf dem Gerüste znsammen-
gefalzte Eisenconstruction eine kleine Ausbiegung stromabwärts zeigte ; es konnte
dies nur von einem Nachgeben oder Verschieben des Gerüstes stammen und man
verbuchte der Bewegung, welche von Stunde zu Stunde stärker wurde, durch Ver-
ankerungen und Belastung mit Steinen entgegenzutreten ; allein der Strom wollte
sein Opfer haben und erhielt es auch. Am 7. September, 5 Uhr Früh gab das
Gerüst bei einem Wasserstande von 6 M. 25 Cm. über Null dem ungeheuren Drucke
nach und versank sanmat den darauf bereits montirten Eisenteilen im Gewichte
von 180,000 Kilogramm in den Fluten des brausenden Stromes! — Ein Schrei
des Entsetzens drang durch die ganze Stadt, man glaubte nun, die VoUendimg
der Brücke sei wieder auf viele Monate hinausgerückt; Unternehmer Cathry
hatte aber bereits vor Eintritt der nicht mehr abzuwendenden Katastrophe die
Folgen derselben ins Auge gefasst, sich das Holz für die Wiederanlegnng des
Gerüstes sichergestellt und war entschlossen, auf die Wiederverwendung der ins
Wasser gestürzten Eisenteile zu verzichten. Am 8. September wendete er sich
persönlich an den Handelsminister Baross und bat um dessen Unterstützung,
damit die staatlichen Eisenwerke in möglichst kurzer Zeit den Ersatz für die
vom Wasser verschlungenen Brückenteile liefern ; diese Unterstützung wurde ihm
auch zuteil.
Inzwischen trat der bis zur Höhe von 6 M. 75 Gm. angeschwollene Strom
nur sehr langsam in sein normales Bett zurück, so dass erst Anfangs October bei
noch sehr hohem Wasserstande mit dem Schlagen der Joche begonnen werden
konnte ; das Gerüst wurde aber dennoch in etwa drei Wochen hergestellt ; Ende
October begann man neuerdings mit dem Aufbringen und Zusammenstellen der
Eisenconstruction. Gegen den 20. November war man damit soweit vorgerückt,
dass sich die Brückenträger schon selbst zu tragen vermochten und daher ein all-
fällig eintretender Eisstoss nicht mehr gefahrlich werden konnte. Unterdessen
waren auch sämmtUche übrigen Arbeiten sowohl an der Brücke selbst als auch bei
den Zufahrtsrampen soweit vorgeschritten, dass man für die gänzliche Vollendung
einen bestimmten Tag in Aussicht nehmen und für den 22. Dezember die Vor-
nahme des technisch-poHtischen Augenscheines ansetzen konnte. Am 9. Dezember
begannen unter der Leitung des Sectionsrathes ^ltet6 die Probebelastungen und
dauerten fast ununterbrochen bis zum 20. Dezember, weil jede OefiEnung für sich,
und zwar unter zwei Voraussetzungen — Belastung des Fahrweges allein und
gleichzeitige Belastung des Fahrweges und des Gehsteges — geprüft werden musste.
Die Resultate der Probebelastung waren aussergewöhnlich günstige und lieferten
ein glänzendes Zeugniss sowohl für die richtige Protection als für die exacte Aus-
fülirung der ganzen Eisenconstruction. Am 22. Dezember fand der Augenschein
statt, bei welchem protokollarisch ausgesprochen wurde, dass die Brücke und
sämmtliche Nebenarbeiten vollendet und anstandslos dem öffentlichen Verkehre
übergeben werden können.
Der neue Donauübergang bei Fressburg besteht aus drei Teilen und.ewar :
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DIE FRANZ JOSEF^BBÜOEE BEI PKBS6BÜRG.
171
aus der Pressborger Zufohrterainpe, aus der eigentlichen Donaabrücke, aus der
Abfahrtsrampe in der Au und der Ligeter Strasse. Die Länge der Pressburger
Rampe beträgt l!20 Meter, jene der Brücke selbst zwischen Parapet- Anfang und
Parapet-Ende 465 Meter, die Länge der Ligeter Rampe und Sti-asse 820 Meter,
daher die ganze Baulänge 1405 Meter. Beide Rampen haben eine Breite von
13 Meter. Die linksufrige Rampe ist mit eisernen, die rechtsufrige, sowie die Ligeter
Strasse mit harthölzemen Geländern versehen.
Die Donaubrücke ist in ihrem Unterbaue derart angelegt, dass auf den Pfei-
lern ausser der gegenwärtig bereits hergestellten Fahrbahn für gewöhnhches Fuhr-
werk und dem Gehwege für Fussgänger auch noch eine zweite Brückenconstruction
zur Legung eines Eisenbahngeleises Platz findet. Es bestehen ^ Widerlager, 1 Ufer-
pfeiler auf der Pressburger Seite, 5 Strompfeiler und 7 vollständig von einander
getrennte Brückenconstructionen aus Eisen. Die ganze Länge der Eisenconstruc-
tion misst 460*4 Meter. Als Unterlage für die Eisenconstruction dienen Granit-
quadem, welche durchwegs 70 Cm. hoch, 1*20 bis 1*50 breit und 1'60 bis 180 M.
lang sind imd von welchen die grössten Stücke ein Gewicht von 50 bis 60 Meter-
zentner haben. Zum gesammten Brückemmterbau und für die Uferschutzbauten
wurden folgende Materialquantitäten verbraucht: Etwa 16,000 Kubikmeter Bruch-
steine aus den Granitbrüchen von Pressburg, Earlsdorf, Berg- und Wolfsthal, circa
1460 Kubikmeter Quader- und Haokelsteine aus denselben Brüchen, circa 1289
Kubikmeter Qiiader- imd Hackelsteine aus den Steinbrüchen von Theben-
Neudorf, circa 1350 Kubikmeter Quadern von Neuhaus-Mauthhausen, circa
13,000 Meterzentner Romancement von Sattel-Neudorf, circa 1200 Meterzentner
Portlandcement von diversen Fabriken.
Die neue Brücke ist auch von grosser strategischer Bedeutung. Die wich-
tigste Donaustrecke für unsere Monarchie ist jene zwischen Wien-Budapest, denn
sie bildet die Centralbasis für jede Operation, und die letzte Verteidigungslinie
in jedem Kriege. Als nächster stabiler Donauübergang abwärt« von Wien besitzt
Pressburg vermöge seiner Nähe zu Wien (zwei Märsche) imd den daraus bei der
Verteidigung der Donau resultirenden innigen Wechselbeziehungen zum Gentnim
der Monarchie eine in allen Kriegsfallen hervorragende mihtänsche Bedeutung.
Die Lage des Punktes bringt es mit sich, dass Pressburg alle wichtigen, aus dem
March- und Waagtale zur Donau, und alle zwischen der Donau und dem Neu-
siedler-See führenden Communicationen vereinigt, beziehungsweise beherrscht.
Jeder von Norden oder Süden her der Donau sich nähernde Gegner wird ange-
sichts der im befestigten Lager bei Wien stehenden eigenen Armee schon durch
den Zug der Communicationen auf den Uebergangsversuch bei Pressburg hinge-
wiesen (so 1805, 1809 und 1866). Es ist klar, dass der neue stabile Uebergang in
der Basis befestigt werden muss, um die Verbindung mit dem Hinterlande auf-
rechtzuerhalten, hauptsächlich aber, um sich da den Uferwechsel auch im An-
gesichte des Feindes sichern zu können. Ein befestigtes Pressburg ist als Eisen-
bahn-, Wasser- und Landstrassen-Knotenpunkt berufen, in allen Kriegsfallen eine
hervorragende Rolle zu spielen.
Die Herstellung der neuen Brücke hat zu einer interessanten Gelegenheits-
schrift Veranlassung gegeben, in welcher Dr. Johann Kiräly die Geschichte des
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172 DIB FRANZ JOSEF-BRÜCKE BEI PRESSBURG.
Pressburger Maut- und Urfalirrechtes behandelt. * Diese interessante Schrift, ein
Product Üeissiger und intelligenter Quellenforschungen, gibt sich lediglich als
eine Chronik, in welcher Alles, was auf die Entwicklung des Pressburger Brücken-
wesens Bezug hat, verzeichnet ist. Aber die Schrift ist bei all ihrer Anspruchs-
losigkeit weit mehr, als sie selbst scheinen will. Sie stellt sich dar als ein Sttick
nationaler Geschichte, als ein Bild von acht Jahrhunderten ungarischen Lebens,
aus der Pressburger Vogelperspective betrachtet. Das ürfahr- und Mautrecht in
der altehrwürdigen Stadtgemeinde Pressburg steht im Mittelpunkte des Werkes
als fixer Punkt im reichbewegten Wandel der Ereignisse. Und wir sehen an diesem
Pimkte eine Epoche imi die andere vorüberrauschen : die Ai-päden-Zeit, in welcher
der Grund zu der tausendjährigen Institution des Pressburger ürfahrs gelegt
worden ist ; die Aera der Anjous, welche diese Institution zu raschem Aufblähen
gebracht Imt; das Jahrhundert der Könige aus gemischten Häusern, *in welchem
die kluge und patriotische Bürgerschaft von Pressburg dieser Stadt zu hohem An-
sehen verholfen und ihre Donaubrücke gewissermassen zu einem geschichtlichen
Factor erhoben hat ; die Habsburgische Epoche endlich, in der die Stadt Pressburg
und ihre Brücke in drei grossen Kriegen (in dem Feldzuge gegen die Türken, in
den napoleonischen Kriegen und in den 1866er Kämpfen) eine bedeutende strate-
gische Bolle gespielt.
Das Pressburger ürfahr ist so alt wie das ungarische Königtum. König
Stefan der Heilige hat in seiner Urkunde betreffend die Stiftung der Martinsberger
Abtei schon im Jahre 1001 das Donau-Urfahr bei Pressburg als Beneficium diesem
Stifte verliehen. Später teilten sich in diese Einkünfte der Graf von Pressburg und
die Piliser Abtei, sowie das Graner Erzbistum, welch' letzterem ein Zehntel des
gesammten Einkommens zugesprochen war. Wahrscheinlich befand sich die
Ueberfuhr in diesen Zeiten unterhalb des Sclilossberges in der heutigen Press-
burger Theresienstadt, wie dies aus einer Urkunde des Königs B61a lY. aus dem
Jahre 1 254 hervorgeht, durch welche dem Abte Johannes von Pills das Eigen-
tumsrecht auf den von demselben erbauten Wasserturm in Vepricz (Wödritz)
zugesichert wird. Was diesen Wasserturm betrifft, so mag er wohl ein Vorwerk
des befestigten Schlosses gewesen sein, doch weist ja schon seine Benennung
darauf hin, dass er in irgend einem Zusammenhange mit dem Ürfahr gestanden
sein muss. Im Jahre 1 306 schenkte der Erzbischof von Gran seinen Anteil vom
Einkommen aus dem Pressburger Maut- und Urfahrrecht dem Domprobste und
dem Capitel zu Pressburg, um deren schwache Dotation zu erhöhen. Bald nach-
her treten aber merkwürdigerweise auch Privatpersonen als Inhaber von Anteilen
an den Ürfahr- und Mautgerechtsamen auf. So verkauft im Jahre 1 37 1 Elisabeth
Barthö yhren Anteil an der Wödritzer Maut an einen sichern Slaginkauf. Vier
Jahre später vermacht • Hanns der PoUe, Purger zu Pressburg t, seinem Sohne
Andreas ^sein Ürfahr an dem Türmt ; und der Bürger t Jakob der Patzhan» setzt
die Set. Martinskirche , im Jahre 1381 zum Erben eines Teiles seines Urfahrs ein.
Desgleichen testirt Thomas Frank 1419 seine fünf Urfahrteile der Set. Lorenz-
* A pozsonyi nagy-dunai viim- ^8 'r^yjog törtöuete. Irta dr. Kir41y J4no8.
Fozsony, 1S90 Heckenast G. utöda. Auch in deutscher Sprache.
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t>m FRAi^Z JOgBF-BRÜOK>^ BEI PRB88BURO. 1^^
kirohe» welche ausserhalb des Stadtweichbildes lag, ein Filial der Dompfarre bil-
dete und stets einen Domherrn des Pressburger Capitels zum Pfarrer hatte. Die
Schatzkammer dieser Kirche war eine so reichhaltige, dass man sie 1484 in einem
besondem Anbau unterbringen musste. Die Kirche selbst wurde im Jahre 1529,
als die Türken nahten, vorsichtshalber demolirt und ihren Schatz Hess die Stadt
zu Verteidigungszwecken einschmelzen. Wie waren nun Privatpersonen in den
Besitz einzelner Teile des Urfiahr- und Mautrechtes gelangt ? Der Verfasser findet
eine plausible Antwort auf diese Frage. Er spricht die Vermutimg aus, dass die
ursprunghchen Eigentümer dieser Gerechtsame die letztere verpfändet hatten :
eine Annahme, welche ^unterstützt wird durch die Thatsache, dass in jener Zeit
die Piliser Abtei sowohl wie der König selbst sich in beständigen Oeldnöten
befunden haben. Musste doch König Sigismund tals Vormund des Landest die
Stadt Pressbarg selbst im Jahre 1 385 an seine Schwäger Jodochus und Procopius
verpfänden, um eine Wegzehrung für seine Fahrt nach Böhmen zu haben ; aller-
dings hat er dieses Pfand vier Jahre später getreulich wieder ausgelöst. Dans der
König auch kleinere Beträge zu pumpen genötigt war, erhellt aus dem von Stefan
Bakovszky festgestellten Umstände, dass Sigismund von den Pressburger Bürgern
148, dann 150 Qulden, ja einmal sogar die Summe von 32 bölunischen Groschen
sich ausgeliehen hat. Unter solchen Verhältnissen ist wohl anzunehmen, dass
manche Urüahrteile im Wege der Verpfändung in die Hände einzelner Bürger
geraten seien.
Bis an das Ende des XTV. Jahrhunderts war die Art imd Weise der Besor-
gung der Donau-Ueberfuhr bei Pressburg ganz imd gar dem Beheben der Bechts-
inhaber und ihrer Pächter überlassen. Dass es dabei recht patriarchaHsch herging,
lässt sich wohl denken ; sicherUch sind die Schiffe zumeist morsch, ist der Verkehr
über die Donau stets ein langsamer und ein lebensgefälirlicher gewesen. Erst durch
König Sigismund griff hier die Staatsgewalt reformirend ein, offenbar aus mihtä-
rischen Motiven, unter den Eindrücken des drohenden Türkenkrieges. So ordnete
der König im Jahre 1396 an, dass behufs Beschleunigimg des Verkehrs an beiden
Ufern je drei Schiffe stets verfügbar sein mussten ; und sechs Jahre später gab er
sogar, um den Verkehr zu fördern, das Ueberfuhrsrecht jedem Pressburger Bürger
hei. Doch all das scheint wenig genützt zu haben ; nach wie vor mochte
der Verkehr ein langsamer und unregelmässiger sein, denn König Sigismund sah
sich vei*anlasst, in Pressburg auf eigene Kosten eine Brücke zu bauen ; diese iiihte
auf Jochbäumen imd auf Schiffen, doch ist sie offenbar sehr nachlässig gebaut
gewesen, denn bald darauf wurde sie unpraktikabel. Im Jahre 1439 schenkte König
Albert diese Brücke der Stadt Preesburg gegen die Veri)flichtung, dieselbe her-
richten zu lassen und sie in Stand zu erhalten. Von da ab ist Pressburg fast nie
ohne Brücke gewesen ; — ifast nie», denn Treibeis imd Hochwasser zerstörten
gar oft die Pressburger Donaubrücke so gründhch, dass dieselbe wohl ein dutzend-
mal und darüber vom Grund auf neuerrichtet werden musste, wie dies aus zahl-
reichen Urkunden des städtischen Kammeramtes hervorgeht Der Umstand, dass
den Pressburger Bürgern zugleich mit der Brückensohenkung die Mautfreiheit
im ganzen Comitate verliehen wurde, hat in der Folge zu manchem scharfen Con-
flicte mit den Oligarohen auf Kittsee geführt. Die Pressburger Kaufleute, die nach
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174
DIE FRANZ JOgBF-BRÜOKB BBI PRASSBÜtUl.
Hamburg zogen, wurden von den Burgbauptleuten auf Kittsee genötigt, ihren
Weg statt über das tOerinn» an Kitsee vorbei zu nehmen; hier wurden sie dann
von den Hauptleuten angeMlen, zur Mautzahlung genötigt und im Weigeninge-
falle tüchtig geplündert. Zu Beginn des XV. Jahrhunderts zeichnete sich beson-
ders der Burghauptmann Heinrich Slandersperger durch solche Raubritter-Excesse
aus, ßo zwar, dass König Sigismund im Jahre 1416 aus Paris und im Jahre 1418
aus Padua ihn brieflich ermahnen musste, seine Umtriebe einzustellen ; als dies
nichts half, setzte der König den Pressburger Obergespan Peter v. Kappler als
Commissarius mit königlichen Gewalten ein, um der Baubwirtschaft des Ölig-
archen von Kittsee zu steuern. Nahezu durch zwei Jahrhunderte währte dar
Kampf der Pressburger Bürgerschaft ge^ren diese Brandschatzungen und Ueber-
gnffe, in welchen später merkwürdigerweise sich gerade die Nachfahren des ober-
wähnten Peter v. Kappler am imrühmlichsten hervorthaten.
Im Frühjahre 1440 litt die Pressburger Brücke manchen schweren Schaden
durch die Treibhölzer, welche der Eisstoss wider ihre Jochbäume geführt hatte.
Die ehrsame Stadtgemeinde entsandte demnach den Ratsherrn Peter Jungetl zu
der in Komom weilenden Königin- Witwe Elisabeth, um von ihr einen Beitrag zu
den Kosten der Instandsetzung zu heischen. Die Königin empfing Herrn Jungetl
sehr gnädiglioh und sagte ihm einen Beitrag von hundert Ooldgulden zu. Aller-
dings wai' der würdige Batsherr nicht mit leerer Hand vor das Antlitz der Koni-
gin getreten, vielmehr hatte er als Huldigungs- Angebinde seiner Mitbürger ein
Fässchen kostbaren Weines mitgenommen, wie dies m den Kammeraoten gewis-
senhaft verzeichnet steht in den Worten : lAm Erichtag vor Tiburtii und Vale-
riani der Königin ein lagl malvasia gebn durch Jungetl. » Herr Jungetl muss aber
bei dieser Gelegenheit für seine Pressburger Landsleute auch noch manches Andere
solUzitirt haben, denn am Tage nach seiner Audienz bei der Königin schreibt er
an die Herren vom Rate einen Brief, worin er dringend bittet, dass die Stadt den
Küchenmeistern des Kanzlers Johann und des Grafen Ulrich Czilley je einen Gentner
Oel, Feigen und Häring und «ein guets lagl wein, der suess sy> schicke, damit
diesen Herren lein besunder wohlgevallen erczaigt sei». Bald nachher erschien
auch die Königin selbst mit ihrem neugeborenen und als Säugling gekrönten Sohne
Ladislaus in Pressburg, wo sie einige Zeit verweilte ; sie hatte in dem ehemals
Spindler' sehen Hause in der Yenturgasse ihr Absteigquartier. Die Stadt gab der
ankommenden Königin zu Ehren ein Festessen, wie dies bezeugt wird durch die
folgende Anmerkung der Kammeracten : fitem am Sambstag vor St. Veitstag kam
unsere gnedige Fraw die Kunigin ; haben wir gebn zu Obendessen mancherley
ding, als man das hernach geschrieben fint. » In den folgenden zwei Jahren fand
die Königin sich wiederholt in Pressburg und in der Umgegend dieser Stadt ein ;
wie denn überhaupt ein Band wechselneitiger Vorliebe die Pressburger und «ihre»
Königin mit einander verknüpfte. Um auf die Brücke zurückzukommen, so scheint
sie in den letzten Jahren der Königin Elisabeth vollständig zugrunde gegangen
zu sein; denn König Ladislaus V. ordnet 1453 ihren Wiederaufbau an und sta-
tuirt, wohl mit Rücksicht auf die hohen Instandhaltungskosten, die Mautpflicbt
auch für Edelleute. Dies ist wohl als der erste Eingriff in die Privilegien des unga-
rischen Adels anzusehen ; und wenn der Landtag damals sich nicht stürmisch
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hm PRAKZ JOJSEF-BRUGKE BBI PR^SBURG. 1?5
dagegen auflehnte, so nnterliess er solohes wohl nur in der Erwägung, dass diese
Bestimmung in der Praxis sich werde umgehen lassen, eine Annahme, die sich ja
auch nachmals als eine gerechtfertigte erwies. Bald darauf kam der König auch
persönlich nach Pressburg ; da die Brücke noch nicht stand, wurde die üeberfuhr
auf sechs Schiffen bewirkt. Die Pressburger verehrten bei dieser Gelegenheit tdem
genadigsten herm Kunig Laszla» Kirschen als Erfrischung. Der Wiederaufbau der
Brücke ist aber erst unter Mathias I. erfolgt, in dessen Auftrag Ernst Johann Graf
von Sohl die Sache betrieben hat. Bis zum Ende des XV. Jahrhunderts wurde die
Brücke wiederholt durch Treibeis beschädigt, durch Hochwasser fortgerissen und
jedesmal wieder aufgebaut, so dass die Stadt und ihr Säckel ihre liebe Not damit
liatten. Aber auch das Strassenwesen in Preesburg scheint damals sich nicht des
besten Zustandes erfreut zu haben ; denn in den städtischen Kammeracten findet
sich eine Notiz darüber, dass der Wagen des iKunigs Wlaslai eines Nachts im
tiefen Wege stecken geblieben sei und dass man aus dem Rathause iden Fass-
zieher mit seinen Helfemt hinausgeschickt habe, um den Wagen wieder flottzu-
machen.
In den Kämpfen der Gegenkönige Ferdinand von Habsburg und Johann
von Zäpolya spielten die Stadt Preesburg und ilire Brücke eine bedeutsame Bolle.
Zunächst fand die Wahl Ferdinand's zum König von Ungarn auf dem in der Press-
burger Franziskanerkirche abgehaltenen Landtag statt. Doch hatte Ferdinand noch
manchen harten Strauss zu bestehen, ehe er den ihm angebotenen Tron besteigen
durfte. Es galt vorerst, den Nebenbuhler Johann von Zdpolya aus dem Felde zu
schlagen, ihm seine zahlreichen Parteigänger abwendig zu machen und das von den
Schrecknissen des Bürgerkrieges heimgesuchte Land zu pazifiziren. Pressburg ist
dem König Ferdinand in diesen Kämpfen eine wichtige Position gewesen und leicht
begreift es sich, dass der König aus strategischen Gründen die baldigste Wieder-
herstellung der Pressburger Brücke betrieb. Auch gingen die bezüglichen Arbeiten
recht flott von Statten, so zwar, dass die Brücke schon binnen Jahr und Tag —
wieder vom Hochwasser fortgerissen werden konnte. Beschädigt und wieder aus-
gebessert, zugninde gegangen und wieder aufgebaut, unterlag diese Brücke den
mannigfachsten Wandlungen, welche die Zuversicht in ihre Stärke nicht eben zu
fordern geeignet waren. So ist es denn durchaus nicht zu verwundem, dass die
Könige, wenn sie die Stadt passirten, es vorzogen, auf Schiffen über die Donau zu
setzen ; und femer, dass bei besonders festlichen Anlässen jedesmal auch beson-
dere Brücken aufgeführt worden sind. So gab es 1578 eine besondere Landtags-
Schiffbrücke, welche das Staatsärar hatte errichten lassen und für welche die Stadt
Pressburg lediglich drei ungarische Dolmetsche beizustellen hatte. Im Jahre 1 563
aber wurde speziell zur Krönung Maximilian' s eine Krönungsbrücke gebaut. Nim
geboten aber wieder strategische Kücksichten die Errichtung einer starkem Brücke
bei Pressburg ; die Türkenkriege standen in Sicht und der Hofkriegsrat in Wien
begehrte nachdrücklich den Aufbau einer Schiffbrücke. Der Pressburger Stadtrat
fürchtete für seine Mauteinkünfte und schrieb an den König, dass dieser wohl
eine Brücke bauen, aber die Mautverwaltung an niemand Andern ab an die
Stadtgemeinde verpachten dürfe, worauf der Delegirte des Kriegsrates, Herr
von Sprinzenstein, replicirte, er sei bereit, dem König fünf feste Brücken zu bauen,
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176
DIB FRANZ JOSEF-BRÜCKE BEI PRBSSBÜR6.
wenn ihm die Mauteinkünffce der Pressburger Brücke überlassen werden. Inzwi-
schen wurden die durchziehenden Truppen mittelst einer Anzahl von Schiffen
über die Donau geführt. Die Brücke aber wurde erst erbaut, als der nächste Land-
tag zum Behufe der Königswahl nach Pressburg einberufen worden war.
Von da ab wiederholt sich dAs altgewohnte Spiel. Es werden wiederholt
Schiffbrücken erbaut, durch das Treibeis zerstört, um dann abermals errichtet und
durch die Hochflut fortgerissen zu werden. Erst vom Jahre 1676 datirt eine grös-
sere Dauerhaftigkeit im Pressburger Brückenwesen. Das System der fliegenden
Brücken wird eingeführt und bewährt sich besser als die bisherigen Schiffbrücken.
In den mannigfaclien Wechselfallen der Türkenkriege wird aber auch die fliegende
Brücke wiederholt abgetragen und niedergebi-annt. Auch scheint die Instandhal-
tung der Brücke zu Beginn des XVlU. Jahrhunderts bereits erheblich höhere
Kosten als bis dahin gefordert zu haben, denn als Karl lEE. die ärari«che Brücke
der Stadtgemeinde zum Geschenk machte, da protestirte der Magistrat gegen diese
Danaergabe mit dem Bedeuten, dass die Instandhaltung jährlich 2500 fl. und
darüber erheische. Im Jahre 1722 drängt sich dem Landtage bereits die Erkennt-
niss auf, dass eine stabile Brücke bei Pressburg aus wirtschaftlichen wie aus stra-
tegischen Gründen gleich notwendig sei. Freihch scheint in diesem Jahrhundert
auch die Rentabilität der Brücke sich in bedeutendem Maasse gesteigert zu haben,
denn im Jahre 1791 nahm der Pressbnrger Arzt Dr. Johann Szluha das Maut-
recht der Brücke gegen einen jährlichen Pachtschilling von 10,750 fl. auf sechs
Jahre in Pacht. Bei dem Anbruche des XIX. Jahrhunderts verschlugen sich die
letzten Wellenringe der napoleonischen Kriege liieher und die Pressburger Donau-
brücke pah am 10. Dezember 1805 den Marschall Davoust mit sechs Regi-
mentern Fnsstruppen imd zwei Regimentern Reiterei nach dem Weichbilde der
Stadt ziehen, um die durch den Waffenstillstand vereinbarte Demarkationslinie zu
besetzen. In Pressburg wurde auch am 27. Dezember zwischen Talleyrand einer-
seits und den Feldmarschall- Lieutenants Fürst Johann Lichtenstein und Graf
Ignaz Gyulai andererseits der definitive Friede abgeschlossen. Nicht so glimpflich
kam die Stadt Pressburg im Frühjahre 1809 davon. Nach der Schlacht von Aspem
warf sich Davoust mit 14,009 Mann auf Audoi-f und als diese Position sich ihm
nicht ergeben wollte, liess er am 3. Juni Pressburg selbst bombardiren. Die Be-
schiessung währte von 10 Uhr Vormittags bis 1 Uhr Nachmittags, während wel-
cher Zeit der Verkehr auf der fliegenden Brücke ungestört fortbelrieben wurde.
Vom ti6. bis 28. Jimi wurde in drei aufeinander folgenden Nächten das Bombar-
dement fortgesetzt, ohne dass die Audoi-fer Schanzen aufgegeben wurden. Bis zum
Abschluss des Wiener Friedens 1 809 war die Gemarkung von Pressburg beständig
von französischen Besatzungstruppen und von mehr minder heftigen Scharmützeln
heimgesucht. Nach dem Friedensschlüsse berief Franz I. nach Pressburg den
Landtag ein und ordnete zugleich in Anerkennung der patriotischen Verdienste
dieser Stadt die Emchtung einer grossen ständigen Schiffbrücke durch die in
Pressburg gamisonirenden Pionniertruppen an. Diese nach der Kaiserin und Kö-
nigin Karolina genannte Brücke wurde am 29. Dezember 1 825 unter grosser
Feierlichkeit dem Verkehr übergeben ; sie war aus 32 Schiffen zusammengesetzt
und mass in der Länge 148 Klafter, in der Breite 24 Klafter. In das Erbe dieser
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MITTELALTBRLICHE GRABDENKMÄLER AUS UNGARN.
IW
Schiffbrücke tritt nun die neue, mit allen Emmgenschaften der modernen Technik
auegeetattete Eisenbahnbrücke, welche am 30. Dezember 1890 durch Se. Majestät
den König persönlich eröffnet worden ist.
MinELAIiTERIJCHE GRABDENKMÄLER AUS UNGARN
VI. Grabstein des Andreas Scolari. XV. Jahrhundert.
Der Grabstein des Bischofs Scolari ist unstreitig das interessanteste
unter den wenigen alten Monumenten, welche im Dome von Grosswardein
uns bis zur Gegenwart erhalten geblieben sind. Das Materiale, aus welchem
derselbe verfertigt ist, ist grauer Sandstein, seine Höbe 2 M. 0*7 Gm., die
Breite aber 79 Gm., was also eine bei Grabsteinen ganz ungewohnte
Schmalheit zu bedeuten hat, welche auch dem minder geübten Auge sofort
auffällt.
Abgesehen von einem in schräglinker Bichtung laufenden Bruche,
welcher oben beim linksseitigen Schriftenrande beginnt und sich über
einen Teil des Polsters sowie über den Hals bis zur rechten Schulter der
das Figurenfeld belegenden Gestalt zieht, abgesehen femer von der
starken Beschädigung des Gesichtes derselben Figur, welche das erstere
vollkommen unkenntlich gemacht und auch ein vorderes Stück der Mitra
etwas in Mitleidenschaft gezogen hat, — ist dieser Denkstein sammt seiner
durchwegs lesbaren Inschrift wohlerhalten zu nennen.
Diese letztere, in ausnehmend regelmässigen und zierlichen Minus-
keln, aus den vier Seiten des beiderseits mit dünnen Leisten eingefassten
schmalen Schriftenrandes herausgemeisselt, beginnt linksseitig oben und
lautet :
iHic jacet reverendus in Christo pater dominus Andreas Floren-
tius hujus ecclesie Yaradiensis pontifex venerandus deo ac gentibus hung|
arie dilectus qui obüt X° VIII die mensis januarii VII hora noctis anno do-
raini M«"" CCCCX| XVI hie honorifice sepultus.»
Das glatte Figurenfeld wird von der liegenden und zugleich stehenden
Gestalt des in pontificalibus dargestellten Bischofs Andreas Scolari vollstän-
dig ausgefüllt. Das Haupt, mit beiderseits bis zu den Ohrläppchen reichenden,
rundgeschnittenen Haaren, ist mit einer hohen Mitra bedeckt, deren Spitze
bis zur Mitte des Schriftenrandes hinaufreicht, und ruht auf einem mit einer
Schnur eingefassten Polster, dessen vier Ecken mit eben so vielen Quasten
besteckt erscheinen. Die mit Handschuhen versehenen Hände erscheinen
(wie dies bei Veratorbenen der Brauch) nach vorne abwärts, über die Mitte
des Körpers, in Form ein^s Andreaskrt-uzes gelegt ; die mit einer breiten
Ungwineh« Bevae, XL 1891. IC. Heft. XS
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178 MITTB!LAI.TERUCHE ORABDEKKMÄLER AUS UNÖARN.
Bordare und vorne mit einem Passionskreuze verzierte Gasula aber, mit
hohem weiten Halskragen, sowie darunter die Tunicella und dann die bis
zn den (sichtbaren) Fassspitzen abfallende, reiche Alba amhüUen die Ge-
stalt des unter diesem Grabsteine ruhenden Prälaten. Sichtbar machen sich
auch die beiden schmalen Enden des Manipulus, sowie unten die befranste
Stola. Links vom Bischöfe befindet sich gerade aufgerichtet und die untere
Leiste des oberen Schriftenrandes etwas überragend, das Pedum oder der
Hirtenstab, dessen einwärts gekehrte, schneckenartige Windung mit zierli-
chem künstlichen Laubwerke besteckt erscheint und um dessen Stiel, einige
Spannen weiter unten, das Sudarium, von einem Krönlein überhöbt,
mehrfach gewunden ist und mit den Enden nach abwärts hängt.
Noch haben wir Eines unerwähnt gelassen : es ist dies die — wohl
nicht gelungene — Gestalt des Hundes (als Symbol der Treue), auf welcher
die Fussflächen des Bischofes ruhen. Wir werden über diese Sitte ver-
gangener Jahrhunderte, wo Personen die in ganzer Gestalt auf Grabsteinen
dargestellt erscheinen, Tiere, in gleicher Verwendung wie hier, beigegeben
wurden, noch später Gelegenheit finden, eingehender zu sprechen.
Wir können unser Augenmerk demnach dem Wappenschilde des An-
dreas Scolari zuwenden. Dieses befindet sich, die scharfe^ halbrunde
Dreieckform seiner Zeit aufweisend, in einer Höhe mit dem Eniee der
Gestalt, aufrecht, sowie den rechten Schriftenrand berührend und zeigt
drei Schrägbalken.
Es stimmt dieses Wappen vollkommen überein mit demjenigen des
Pipo de Ozora,* Grafen von Temes, eines Florentiners aus vornehmem
Geschlechte, welcher zu König Sigismund's Zeiten eine hervorragende
Bolle in unserem Vaterlande gespielt, — dessen eigentlicher Name aber
Philipp Scolari gewesen und welcher der ältere Bruder des vorstehenden
Bischofs Andreas war.
Erst nach seiner Vermälung mit Barbara Ozoray, mit welcher er
auch die Burg Ozora erhalten hatte, nahm er den Namen dieses (uralten,
nunmehr ebenfalls schon lange erloschenen) Geschlechtes auf, unter
welchem derselbe vornehmlich in der Geschichte bekannt ist.
Domherr Vincenz von Bunyitay, der gelehrte Verfasser des Werkes :
«Nagyvaradi püspökseg törtenete»,** welcher uns diesen Grabstein (der
auch sein eigenes vorzügliches Buch ziert) mit grösster Liberalität zur Ver-
fügung gestellt hat, führt eben dortselbst (I. 243) noch ein anderes Wap-
* Siehe : B. A. B. Pesth 9432 etc. D. O. woselbst dieses Wappen completer, wie
folgt erscheint: Schild, wie das Grabstein wappen des Bischofes Scolari. - Kleinod:
Armloser, mit einem Oberkleide versehener wachsender Männemimpf. — Vergl. audi
Siebmacher, Der Adel v. Ungarn, XX.
'•'* Geschichte des Grosswardeiner Bisthums, I, 243.
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GRABSTEIN DES ANDREAS SCOLARI.
12*
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i80
MITTELALTERLICHE GRABDENKMALER AÜB üNÖARK.
pen des Andreas Scolari auf, das sich jedoch nur allein auf die Person des-
selben und auf seine Würde als Bischof bezieht.^
Derselbe Andreas Scolari, welcher von Einigen (nach seinem eben
hier genannten Bruder) magyarisirt auch als «Ozorai» genannt erscheint,
nahm von 1409 bis 1426 den Bischofstuhl von Grosswardein ein, nachdem
er bereits früher Bischof von Agram gewesen war. Er war ein GänstUng
des Königs Sigismund, den er auch zum Goncile nach Gonstanz begleitete
und an dessen Seite er bis zur Beendigung desselben verblieb. Er starb,
wie wir auch aus der Legende ersehen, in der Nacht des 18. Januar, im
Jahre 1426.«
Vn. Familiengrabstein der Berzeviczy. XV. Jahrhundert.
Es muss insbesondere den ungarischen Heraldiker mit Freude und
Genugthuung erfüllen, wenn er in die Lage versetzt wird constatiren zu
können, dass das eine oder das andere heimatliche Geschlechtswappen
durch viele Jahrhunderte hindurch bis auf die jüngste Zeit in seiner
ürfom unverändert beibehalten und von der zersetzenden Wirkung der
Zeit, welche sich insbesondere auch in unserem nationalen Wappenwesen
so fühlbar gemacht hat, — in keiner Weise beleckt wurde. Wir können
nämlich die Thatsache nicht wegläugnen, dass das Festhalten an dem
ererbten Blason, welches speciell beim guten alten Adel deutscher sowie
lateinischer Zunge fast zur Regel geworden, bei uns leider nur zu
den selteneren Fällen gezählt zu werden hat, — wenn wir es auch zurück-
weisen müssen, was gewisse heraldische Vielwisser (Nichtwisser) zu
behaupten für gut befunden haben : dass von einer intacten Beibehaltung
des Urwappens seit geraumer Zeit bei uns überhaupt nicht mehr gespro-
chen werden kann, weil unsere alten Geschlechter ihre Blasons (mit Sanc-
tion des Landesherrn oder aber willkürlich) wiederholt schon verändert
haben. Diesen Ausfluss der völligen Nichtorientirtheit lassen diese Herrn
aber zugleicl^ auch als Beweis dafür gelten, dass unserem nationalen Wap-
penwesen, schon von sehr alten Zeiten her, nicht die geringste Wichtigkeit
beigelegt worden war.
Schlagende Gegenbeweise wurden nach der einen wie nach der
anderen Richtung hin, in verschiedenen wissenschaftlichen Organen*, von
Seite unserer neuen Schule schon zur Genüge erbracht und werden auch in
diesen Blättern noch geliefert werden. Wenden wir uns daher einem jener
^ Es zeigt dieses andere Wappen einen aus der obern linken Schihierecke
ragenden, gebogenen Arm, welcher einen Kmmmstab hält.
« Siehe auch: Nagyvaradi pflspöks^g tört^nete T. 232—243 und III. 110—112.
» Siehe : Tnrul und Archseologiai ]6rtesit6. Jahrgänge 1887—1889.
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MITTELALTERLICHE GRABDENKMÄLER AUS UNGARN. 1^1
Wappen zu, welches, als zur oben hervorgehobenen Kategorie gehörig,
stets unverändert geblieben ist und seit einem halben Jahrtausende sich
typisch zu erhalten gewusst hat
Es gehört dasselbe dem bekannten und vornehmen Geschlechte der
Berzeviczy de Berzevicze und Eakas-Lomnicz an und findet sich auf
einem wohlerhaltenen 190 Gm. hohen und 114 Gm. breiten Grabsteine aus
rotem Marmor vor, welcher in der Kirche von Berzevicze im S&roser
Gomitate [und nicht in Kis-Szeben (Zeeben) wie Bömer im Arch. 6rt. VII.
4. 1887 Oktoberheft, irrtümlich angibt], — in der westlich gelegenen Fa^ade
unter dem Thurme senkrecht in der Mauer eingefügt erscheint. Die an
Gapiiälstelle beginnende, beiderseits mit einem massig verflachten Bande
versehene Legende, welche alle vier Seiten des Schriftenrandes ausfällt und
in regelmässigen Minuskeln aus dem Steine herausgemeisselt erscheint,
lautet wie folgt :
.Sßpulfura • magntfttt
uiri • bomi ♦ pcfri • I;erm • b • bttiomtt
lecottnitoi • rglm • magri • ntt
non • comüia • acepus ac • fuDrum
(Lies : Sepultura magnifici viri domini petri herinici (oder henrici) de
brezovice tavernicorum regalium magistri nee non comitis scepusiensis
ac suorum.)
Aus dem letzten Worte der vorstehenden Inschrift ersehen wir, dass
dieses Monument als Familien-Grabstein anzusehen ist und aus diesem
Grunde finden wir auch keine Jahreszahl dort vor.
Wenn wir jedoch in Betracht ziehen, dass Peter Berzeviczy, dessen
Namen wir auf dem Epitaphe verzeichnet finden, zwischen den Jahren 1432
und 1433 mit Tod abging, sowie anderseits, dass in derselben gemeinsamen
Buhestätte (wie es zweifellos erscheint) auch die irdischen Ueberreste von
Peters Vater bestattet worden sein dürften, so werden wir unwillkürlich
zu der Annahme gedrängt, dass das fragliche Monument vor den Jahren
1432 — 33 verfertigt worden sein dürfte, u. z. auf Veranlassung des erwähn-
ten Peter selbst noch zu seinen Lebzeiten.
Bomer hat zweifellos auch hier nicht das Bichtige getroffen, indem er
gelegentlich der Auslegung der Legende (siehe: Arch. l^tt. wie oben),
einen fHermann» (bezw. einen «Peter Hermann») vorführte, ganz abgese-
hen davon, dass es uns bisher, auf Grabsteinen des XV. Jahrhundertes,
noch niemals vorgekommen ist, dass auf solchen einer und derselben Person
zwei Taufnamen beigegeben worden wären ; abgesehen auch femer davon,
dass derselbe Feter, welchen unser Grabstein deckt, urkundlich nie anders
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184 MITTBI^ALTERLICHE GRABDENKMÄtER AUS UNGARN.
als eben nur einfach als «Peter» aufgeführt erscheint. Wohl ist es aber ande-
rerseits aus Urkunden ganz wohl bekannt, dass wieder dieser Peter ein
Sohn des Heinrich Berzeviczy aus seiner Ehe mit Helene Derencsenyi
gewesen ist.
Indem wir es uns für den Schluss vorbehalten, noch einige Worte
über das Leben und Wirken des vermeintlichen Erbauers dieser Berzeviczy-
Gruft zu verlautbaren, schreiten wir zur Blasonirung des Wappens, welche
wie folgt zu lauten haben wird: In Blau ein aufspringender weisser (?)
Bock. — Kleinod : Der Bock wachsend. — Decken : blau- weiss ? — Der
Drachenorden.*
Der ausführende Künstler hat sich hier jedenfalls bemüht, in den vor-
geschriebenen Grenzen zu bleiben. Das Figurenfeld ist für das Wappen, so-
wie der Schriftenrand für die Legende ausgenützt worden, ohne dass
gegenseitig etwas «erborgt» worden wäre. So soll es sein, und deshalb
berührt die ganze Vorstellung das Auge auch sofort in angenehmer
Weise. Nicht minder gefallig präsentirt sich das Wappen als solches,
mit welchem auch die Gesetze der Baumausfüllung in Bezug auf das
Figurenfeld vollkommen richtig eingehalten wurden. Die Form des
nach rechts geneigten Dreieckschildes ist regelrecht ; an dem Stechhelme
und an seiner Placirung nichts auszustellen. Die Helmdecke, welche (ana-
log wie bei Tornay) als Fortsetzung des Felles der wachsenden Schild-
figur (des Bockes) sich nach aufwärts schwingt, ist ebenfalls schön, obwohl
nicht mehr so einfach wie diejenige des Tornay- Wappens, Sie beginnt zwar
mit den gewöhnUchen Zadd- lungen, nimmt aber dann, obwohl gleichfalls
nur einen Ast bildend, in Folge der tiefen, blätterartigen Einschnitte, einen
bereits decorativen Charakter an.
Lobend muss hervorgehoben werden die Stylisirung sowie die Art
und Weise der Placirung des den Schild umgebenden, feuerspeienden ge-
flügelten Drachens, — dieses alten Kitteroniens, welcher hier als Ehren-
zeichen (und keineswegs als Schildhalter) fungirt und über welchen wir
gelegenthch der weiter unten folgenden Besprechung des Johann Perenyi-
schen Grabsteines eingehend berichten werden.
Betrachten wir dieKcs fabelhafte Tier näher, wie es hier reproducirt
erscheint, so ist es jedenfalls die höchst gelungene Position des vom
* Die Edelleiite Berzeviczy de Berzevicze führen gegenwärtig (wie bereits seit
dem Jahre 16] 9 und mutmasslich schon früher) den Bock auf einem kleinen golde-
nen Krönlein, gegen eine spitze Felsengruppe anspringend. — Dies sind unbedeu-
tende Zuthaten, welche dem llaupttypus keinen Eintrag machen. Der Book ist bei
den adehgen Linien des genannten Geschlechtes weiss, bei der dem gänzlichen
Erlöschen sich nähernden freiherrlichen Linie, — schwarz. Die Decken sind gegen-
wärtig schwarz -golden und blau-sübem, sonst Alles, wie hier oben blasonirt.
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>iA*tifr)^^**fM*
FAMILIBNORABSTBIN DEB BBBZBYIOZY.
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184- MITTELALTERLICHE GRABDENKMÄLER AUS UNGARN.
Schwaiusende umschlungenen aufwärtsstrebenden Kopfes (sammt Hals),
was die Aufmerksamkeit sofort erregt. Auch dies geschah im Uebrigen
Yomehmlich deshalb^ um keinen leeren Baum zwischen Schild und Helm
entstehen zu lassen, welcher jedenfalls sich orgeben hätte, da es schon
ursprünglich in der Absicht gelegen zu haben scheint, die Helmdecke
nicht zweiBSÜg darzustellen.
Was nun den Bock betrifft (welcher sich hier auch als Heimkleinod
wiederholt), so ist dieses Wappentier, wie es sich im gestürzten Schilde
(ganz richtig nach der Achse gerichtet) zeigt, zwar nicht als heraldisch
incorrect zu qualificiren, hätte aber jedenfalls gefälliger ausgeführt werden
können. Der Leib ist nämlich zu dick, insbesondere der Unterleib, der Hals zu
lang, die Beine nicht genug schmal, die Homer endlich ohne Knorpeln und
zu Beginn viel zu wenig aufgebogen ; sie sollen die Stirnseite überragen,
nicht aber eine eben verlaufende gerade Linie mit dieser bilden. Der Bock
des Schildes ist mit einem Worte zu plump und ohne jeden heraldischen
Schwung, was bei einem Producte jener guten Zeit, in welcher der Ber-
zeviczy-Grabstein verfertigt wurde, sowie in Ansehung der im Grossen hier
vollkommen gelungenen sonstigen Ausführung, überrascht. Das gleiche gilt
von der Kleinodfigur, deren Körperformen jedoch bereits etwas gefälliger
erscheinen. Es ist hier der rechte Yorderfuss sammt E^aue verzeichnet.
Dass endlich in der Heraldik jeder Bock einen Steinbock zu bedeuten
hat, sollte zur Genüge bekannt sein. — Deshalb glaubten wir auch die
Berechtigung zu haben, auf das Fehlen der Hömerknorpeln aufmerksam
machen zu dürfen.
Wir haben die beiden Eltern des Peter Berzeviczy bereits nam-
haft gemacht. Er selbst hatte eine wissenschaftliche Erziehung erhal-
ten und kam bereits in jungen Jabren an den Hof des Königs Sigis-
mund, woselbst er auch den wichtigeren Beratungen beigezogen wurde.
Insbesondere nahm er auch lebhaften Anteil an den Bündnissbesprechungen
der ungarinchen und polnischen Stände. Wiederholt sehen wir ihn ferner,
mit verschiedenen Missionen betraut, an den Hof des Königs von Polen
eilen. Später in türkische Gefangenschaft geraten, wird er aus derselben
befreit und übernimmt endlich die Würde eines Oberst- Schatzmeisters,
welche er bis zu seinem Ableben behält, das, wie schon früher berich-
tet, in den Jahren 143:2 oder 1433 erfolgte. Er war auch Obergespan
der Zips. Gsergheö und Csoma.
* Hier brechen wir die Fortsetzung dieser Studie ab, da inzwischen das voll-
ständige Werk unter dein Titel Alte Grahdenkmälrr aiis Ungarn von Geza Csergheö
und Josef Csoma. 122 S. mit 25 Illustrationen im Verlage von Friedr. Kilian in
Budapest erschienen ist. D. B^d.
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JOHANN DANIBLIK. ^^5
JOHANN DANIELIK.*
Danielik erblickte das Licht der Welt in einer romantischen Gegend unse-
res Vaterlandes, am Fasse der von unseren Dichtem besungenen Muränyer Burg,
in Mur&ny-Älja im Gömörer Komitat am 20. Mai 1817. Sein Vater war ein wissen-
schaftlich gebildeter, seiner vorzüglichen Kenntniss der lateinischen Sprache
wegen in der ganzen Gegend bekannter SicherheitsCommissär, welcher in seinem
Sohne frühzeitig die Liebe zur Wissenschaft und Lektüre erweckte. Demzufolge
ragte der talentirte Jünghng denn immer unter seinen Mitschülern hervor. Als
Bosenauer Gleriker auszeichnungsweise in das Pester Seminar gesandt, erwarb er
hier noch als Studirender das philosophische Doctordiplom, und da er hierselbst
auch durch seine kirchenliterarischen Erstlingsarbeiten Aufmerksamkeit erregte,
wurde er nach Beendigimg seines Studienkurses, noch vor seiner Priesterweihe,
1839 am Rosenauer Lyceum Professor der Philosophie und ungarischen Literatur
und einige Jahre später Professor der Bibelstudien an der theologischen Facultät.
1848 in die Bedaction des Blattes «Religio 6s Nevel^s» berufen, traf er in
der Hauptstadt in den stürmischen Märztagen ein, von starken katholischen
Grundsätzen inspirirt, allen revolutionären Ideen abhold. Da dies der Wiener
Regierung nicht verborgen blieb, wurde Danielik von ihr zu grossen Diensten in
den antimagyarischen Bewegungen ausersehen ; schon am 1. Oktober 1849 wurde
er zum Mitglied des Erlauer Domcapitels ernannt.
Einer der um Csengery's «Pesti Hirlapt geschaarten Gentralisten, Baron
Sigmund Eemöny, suchte Danielik, dessen grosse Bildung und Befähigung er
erkannte, der nationalen Sache zu gewinnen. Und dies gelang ihm dermassen, dass
Danielik alsbald seine politische Gesinnimg teilte, welche das Blatfc • Religio»,
dessen Eigentümer und Redacteur er 1849 wurde, in solchen Ausdrücken zu
Tage treten liess, dass die Polizei dasselbe 1851 in Beschlag nahm und Danielik
selbst zu zweimonatlicher Haft verurteilte. Im Herbste des folgenden Jalires
indessen konnte dieser auf Intervention des Fürstprimas Scitovszky, unter den
Glückwünschen des ungarischen kathohschen Lesepublikmns, die Redaction seines
Blattes wieder aufnehmen.
Ein wichtiges Moment seines Lebenslaufes ist seine im Sommer 1853 er-
folgte Wahl zum Vicepräsidenten der Set. Stefan-Gesellschaft. In diesem seinem
Wirkungskreise konnte er unseren Uterarischen und nationalen Interessen grosse
Dienste leisten und er leistete sie auch ; denn jene Gesellschaft war damals das
einzige Feld, auf welchem sich unser Ungartum und Schriftstellertum, wiewohl
unter Controle, mit einiger Freiheit bewegen durfte. Er wusste hier mit grosser
Geschickhchkeit — man darf sagen — die sämmtlichen kathohschen, kirchlichen
und weltlichen NotabiUtäten des Landes in den Verband des Vereins, ja selbst in
den Ausschuss desselben einen Franz Deäk, Baron Josef Eötvös, Graf Georg
'*' Aus Josef SzYor^nyi*B in der Januar-Plenarsitzung der ungar. Akademie der
Wissenschaften gelesenen Denkrede.
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186
JOHANN DANIBLIK.
E4rolyi, Paul Somssich, Baron Ladislans Wenckheim, und unsere ei-sten belehr-
ten : Franz Toldy, Dr. Johann 6rdy u. A. hineinzuziehen, welche nicht allein
die Sitzungen des Vei-eins besuchten, sondern dort regelmässig berieten, debat-
tirten und Commissions-Präsidien tibemahmen, während unsere Grelehrten ihre
Arbeiten mit Vergnügen dem Verein zur Pubhcation Überhessen. Diese seine
Thätigkeit wird allezeit ein glänzendes Blatt in den Annalen des Vereins bilden,
denn er leistete damit den Uterarischen und nationalen Interessen gerade in der
kritischesten Zeit grosse Dienste, deren Wert er noch dadurch erhöhte, dass er,
zur Unterstützung unserer auf literariscben Verdienst angewiesenen zahlreichen
guten Schriftsteller, die in riesigen Dimensionen geplante • Allgemeine ungarische
Encyklopädiei begann imd deren olme Unterschied des Glaubens gewählten
Mitarbeitern durch glänzende Honorirung einen sicheren Erwerb verschaffte. Er
initiirte auch die ferneren grossen Publicationen des Vereins: Cäsar Cantu's
«Weltgeschichte», das «Leben der HeiUgen» u. s. w. und stimmte durch diesen
Thateifer und beträchtlichen Erfolg mehrere hohe geistüche und weltliche Herren
zu bedeutenden Opfern.
Nachdem er 1857 die Bedaction seines Blattes «Beligioi in andere Hände
gegeben, konnte er das von Baron Sigmund Eemeny redigirte «Pesti Naplö»
häufiger mit seinen Artikeln au£9uchen. Diese erregten alsbald grosses Aufsehen,
so dass Baron Eemeny bezüglich des Verfassers derselben wiederholt massenhaften
Interpellationen ausgesetzt war. Seine Leitartikel «Ueber die PoUtik der Zukunft»,
in welchen er die Stellung unseres Landes gegenüber den Agitationen Preussens
constatirte, hatten eine so ausserordentliche Wirkung, dass sich daraus ein wirk-
licher diplomatischer Krieg zu entwickeln begann. Bismarck wütete, unsere
Minister erschraken imd die ausländische Presse beschäftigte sich damit noch
anhaltender, als mit Franz Deäk's berühmter « Oster-Epistel ». In Anbetracht sei-
ner um dieselbe Zeit erschienenen Abhandlungen und selbständigen Werke
(«Der Geist der Geschichte», «Golombus» u. s. w.) wählte ihn die Ungarische
Akademie der Wissenschaften 1858 zu ihrem EhrenmitgHed.
Am Ausgang der fünfziger Jahre keimte in seinem Geiste ein grosser und
weitgreifender Plan : der Plan der Errichtung einer auf Liegenschaften zu grün-
denden Bodencreditbank, in welche der ungarische hohe Clerus mit seinen sämmt-
lichen Besitztümern eintreten soUto, und zwar so, dass zwischen den Kirchen-
gütem und der geplanten Bank als nationalem Geldinstitut ein so enger Verband
organisirt werden sollte, dass in Folge desselben eventuell, wann immer diese
Güter angegriffen würden, die ganze Nation dagegen, als gegen eine Gefährdimg
ihres eigenen Interesses, zu protestiren gezwungen sein müsste. Da indessen der
Plan auf unüberwindhche Hindernisse stiess, gab er den Versuch der Ausführung
desselben vorläufig auf und spann seine Entwürfe in Betreff eines anderen, viel
umfangreicheren Unternehmens weiter. Er hatte die grandiose Absicht, eine
Bundesvereinigung der Kirchengüter der sämmtlichen katholischen Staaten
Europas zu dem Zwecke zu bewerkstelligen, um vermittelst Erhöhung der Ein-
künfte des katholischen Vermögens die grossen Aufgaben und Institutionen der
Weltkirche zu fördern. Er schickte sich an, die von Langrand-Dumoncean geleite-
ten belgischen katholischen Banken für seinen Plan zu gewinnen. Zu diesem
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JOHANN DANIEUK. 187
Zwecke nahm er einen auf vier Monate nach Deutschland, Frankreich, Spanien,
ItaHen, Belgien und Holland lautenden Beisepass heraus und trat, iu Wien auch
vom König und mehreren hohen Persönlichkeiten empfangen, seine Reise an.
Langrand trat seinen grossen Bestrebungen bereitwillig bei, und zwar mit dem
Versprechen, dass er mit den Wohlthaten der dem Plane gemäss zu errichtenden
neuen katholischen Banken in erster Linie die volkswirtschaftliche Entwicklung
Oesterreichs und Ungarns ins Werk setzen werde. Zu grossem Vorteile gereichte
der Angelegenheit die eben in diese 2ieit fallende Erhöhung des AnseheuH und
Einflusses Daniehk's, welcher Anfangs 1861 mit dem Titel eines Wahlbischofs
von Pristina zum Mitgliede des könighohen Stattlialtereiraten ernannt wurde.
Im Frühling desselben Jahres constituirte er den auch heute segensreich
wirkenden Set. Ladislaus- Verein, dem er als katholisch-patriotische Aufgabe : die
Subvention der Schulen und Kirchen der Moldauer, Biikowinaer u. a. Csängö-
Magyaren, die Konservirung der vaterländischen alten Kirchengebäude imd end-
lich die Förderung der grossen Aufgaben des HeiUgen Stuhles vorsteckte. Ferner
bildete den Gegenstand seiner Sorge vomehmhch die Sache der politischen Erlö-
sung unseres Vaterlandes. Er stand von 186:2 angefangen in Angelegenheit des
•Ausgleichs» in Briefwechsel mit dem Kanzler Grafen ForgÄch, in häufiger
Berührung mit Franz Deäk, und gar mancher hochgestellte und einflussreiche
Mann stand unter seiner pohtischen Leitung und sozusagen Vormundschaft.
Damals entstand auch sein sogenannter «Politischer Programmentwurf», welcher,
die definitive Regelung der öffentlichen Angelegenheiten im Wege der Vertretung
Bämmtlicher Völker der Monarchie entwickelnd, den Zweck verfolgt, vor Allem
die Einheitsansprüche der Monarchie vollständig zu befriedigen, jedoch sämmt-
liehe Rechte Ungarns zu sichern ; feiner sämmthche aus den früheren Gesetz-
gebungen noch an der Oberfläche befindhehen Fragmente miteinander in Einklang
zu bringen, die definitive Gestaltung — insofern sie keine Retraction erfordert -
ohne jegUches Compromiss des Herrschers zu bewerkstelligen, und endlich durch
all dies die volle und sichere Hoffnung auf Bildung einer siegreichen Partei zu
bieten. Und dieser, grosse Vorteile verheissende Programmentwiirf wurde auch
an competenter Stelle vorgelegt ; da jedoch der auf anderer Grundlage einberufene
«Reichsrat» damals bereits tagte, konnte derselbe nicht mehr verhandelt werden.
Inmitten dieser seiner gross angelegten Thätigkeit reifte zugleich seine,
vereint mit den belgischen Geldinstituten Anfangs 1 864 zu beginnende Operation.
Als ersten Schritt beschloss er die persönliche Ueberreichung einer an den Heili-
gen Vater zu richtenden Bittschrift, in welcher er die Zustimmung und den Segen
Pills' IX. zur katholischen Unternehmung Langrand erbitten wollte. Und diese
seine Mission wurde durch den Nuntius in Wien und in Brüssel und durch
mehrere hochgestellte belgische und französische Kathohken nicht blos gutge-
heissen, sondern auch urgirt. Er überreichte die Bittschrift am 13. April 1864,
worauf die zustimmende Antwort und der Segen des Papstes noch in demselben
Monat an Langrand gelangte. Der bittstellende ungarische Bischof wurde in Rom
mit grossen Ehren empfangen ; die «Accademia dei Quiriti» wählte ihn zu ihrem
Mitgliede und die vatikanischen Notabilitäten wetteiferten, ihn auszuzeichnen.
In Folge der Wirkung dieses ersten Erfolges kamen die den Interessen der
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188 JOHANN DANIBLIK.
belgisclien Bank und in Verbindung damit des Heiligen Stuhles günstigen
Momente zu rascher Entwicklung. Die Bank begann in unserem Vaterlande am
1. Mai 1864 durch den Ankauf von vier Herrschaften (180,000 Joch) Fuss zu fas-
sen. Danielik aber förderte in Born, durch seine geräusclilos fortgeführten Nego-
ziationen, die Frage eines zu Gunsten der römischen Curie bei den belgischen
katholischen Banken imter den günstigsten Bedingungen abzuschhessenden Anle-
hens bis hart an die Grenze des Vollzuges.
Und als Jedermann in Anbetracht seiner, Europa, ja die ganze katholische
Welt berührenden Thätigkeit, dieser seiner gewaltigen morahschen Wirkung und
politischen Bedeutung eine nahe bevorstehende, glanzvolle Zukunft weissagte,
wurde seine Laufbahn Anfangs 1865 ganz unerwartet abgebrochen. Er geriet in
materielle Wirren. Die belgische Bank und zahlreiche Notabihtäten beeilten sich
vergebens, dem nahenden Uebel zuvorzukommen. Er selbst wandte sich noch
einem grossen rettenden Gedanken zu. Er fasste im Bunde mit dem berühmten
Wiener Ingenieur Heinrich Bessel den Plan, die in der Nähe Boms über 33,000
Quadrat-Eatastraljoch ausgedehnten, Malaria erzeugenden tPontinischen Sümpfe»
auszutrocknen und in berieselbares Wiesenland umzugestalten. Der Plan, die
Vermessung und der Kostenvoranschlag (2,700.000 fl.), all dies war am ± Novem-
ber 1865 fertig, — aber zu spät; denn der Anfang des verhängnissvollen
Endes war bereits da. Nachdem er auf sein eigenes Ansuchen von seiner Statthai-
tereiratswürde unter Verleihung des Hofratstitels enthoben worden, zog er sich von
seiner öffenthchen Stellung zurück.
Das Jahr 1 865 beschloss er noch imter grosser politischer Thätigkeit in der
Hauptstadt. Er nahm lebhaften Anteil an dem Werke des c Ausgleichest und
anderen schwebenden Fragen jener Zeit Ihm gebührt der Löwenanteil an dem
Zustandekommen des zu Gunsten der Pest-Leopoldstädter imd der O&ier Festungs-
kirche geplanten iKirchenunterstützungs -Vereins», in dessen constituirender Ver-
sammlung, im Ofner Bathaussaale am 23. Jänner 1865, seine durch Wissenschaft-
lichkeit und Vortrag gleichmässig glänzende, begeisternde Bede eine grosse Wir-
kung hervorrief. Endlich zog er sich Mitte Dezember desselben Jahres nach Erlau,
einige Monate nachher aber zu seinem Freunde, dem damaligen Probst von Jäszö
zurück. Hier verfasste er sein grosses Werk : tDie Prämonstratenser» (515 Seiten),
welches die Kritik mit ungeteiltem Lob begrüsste. In derselben Zeit schrieb er
auch im tPesti Naplö» wirkungsvolle Artikel «Ueber die Begelung der Eomitatei
und andere zeitgemässe Fragen ; nach dem Ausgleich aber nahm er vereint mit
Baron Sigmund Eem^ny kräftigen Anteil an dem Kampfe gegen die ihr Haupt
erhebende Beaction, welche besonders in ihrem «Der 14. April 1849» betitelten
geheimen Blatte gegen die Deäk-Partei einen wahren Feldzug eröffnete und den
Parteiführer selbst, in anonymen Briefen, wiederholt mit dem Tode bedrohte.
Von 1871 an, als Baron Sigmund Kem^ny durch seine Erkrankung gänzlich
von der Politik abgezogen wurde, zog sich auch Daniolik immer mehr zurück
imd erschien nur noch im cEgri Egyhdzmegyei Közlöny» (Erlauer Diözesan-
Zeitschrift), im tUj magyar Sion» (Neues ungarisches Sion), in der «Budapesti
Szemle» (Budapester Bevue) und endlich, als Direktor des juridischen LyoeimiB,
in einigen rechtswissenschaftlichen Studienheften auf dem Felde der Literatur.
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JOHANN DANIELIS. lÖ*
Als ihn 1883 sein Erzbisohof zu seinem eigenen Stellvertreter ernannte, lebte er
beinahe ausschliesslich nur noch diesem seinem Wirkungskreise. Sein letztes
öffentliches Auftreten fand am 26. März 1 885 im Magnatenhause statt, wo er in
einer glänzenden Bede für das Becht der Einberufung der Titular-Bisohöfe in das
Oberhaus eintrat.
Am Anfang des folgenden Jahres 1886 begann sich bei ihm ein Gehimlei-
den zu zeigen. Es drohte ihm dasselbe traurige Ende, welches seinen Freimd, den
Baron Sigmund Eemöny traf, — sein glänzender Geist verdunkelte sich allmälig.
Er beschloss seine Tage am 23. Jänner 1 888 in Erlau bereits als ein Lebendigtod-
ter. Sein Oberhirt, der Erzbischof Dr. Josef Samassa, würdigte sein Hinscheiden
in seiner Diöcese unter besonderer Hervorhebung seiner erspriesslichen und
ruhmreichen Thätigkeit auf dem Gebiete der kirchheben Literatur. Seine Schö-
pfungen sowohl auf dem Utoraiischen, als auch auf dem Felde der Wolilthätigkeit
werden ihm ein langes Andenken sichern. Jene sind zahlreiche selbstständige
Werke, Abhandlungen, Beden, Bücheranzeigen, Kritiken u. s. w. Auf literarischem
Gebiete zeigte er den edlen Zug, ausgezeichnete junge Kräfte zu fördern. Viele
unserer Schriftsteller hatten ihr literarisches und sonstiges Emporkommen seiner
Aneiferung, seinen Batschlägen und Unterstützungen zu verdanken.
Als Mensch war er von lebhaftem Temperament, menschenfreundhch, opfer-
willig, ein grosses Herz, ein grosser Geist. Weil er aber seinen Lebenspfad nicht
ohne Verirrungen zu wandeln verstand : wurde auch ihm der Welt Lohn zuteil.
Viele bekrittelten seine Vergangenheit, auch Solche, die weder Hterarische Werke
von dauerndem Werte imd einen Set. Ladislaus -Verein, noch andere, auf Jahr-
hunderte hinaus wirkende Denkmäler der Wohlthätigkeit liinterlassen haben.
In Verbindung mit seinen materiellen Wirren wurden am meisten seine sogenann-
ten «lucullischen Gelage» erwälmt. Nun, er liebte, in Gemeinschaft mit seinem
Freunde Baron Sigmimd Kem^ny, die lustige Gesellschaft ; darum empfingen sie
an ihrer Tafel lieber öfter einzelne, als auf einmal viele ihrer Freimde. Und dann
bedeuteten ihre Gastmähler keine Schwelgerei, sondern gehörten zur politischen
und socialen Bewegung. Dort wurden viele gute Ideen und Pläne gezeitigt ; und
daneben bewies er bei solchen Gelegenheiten des Oefteren seine Güte gar manchen
in bedrängter Lage befindlichen Schriftstellern, welche derlei Unterstützung von
ihm in anderer Form weder gebeten, noch angenommen haben würden. Seine
materiellen Verlegenheiten müssen weit mehr auf Bechnung seiner grossen Her-
zensgüte, seiner Spenden, der Verlagskosten seiner sieben Jahre hindurch mit
einem jährHchen Deficit von 3 — 4000 fl. redigirten Zeitschrift tBeligio» und
endlich seiner mehrmaligen, grossen Beisen gesetzt werden. Glücklicherweise
kann ihm kein Lebender des Gesagten wegen ein schweres Wort in das Grab
nachsenden.
Als sich die Nachricht von seinem Hinscheiden verbreitete, erregte sie in
Vielen Bührung über das Erlöschen des glänzenden Geistes des einst eine euro-
päische Bolle spielenden, im Lande hochangesehenen Mannes. Nur Diejenigen, die
seinen ruhelosen Geist in der Vergangenheit und seinen traurigen Verfall in sei-
nen letzten zwei Jahren kannten und sahen, konnten, versölmt, seinem Geiste die
•Bohei wünschen, deren er nicht in grossem Maasse teilhaft wurde, bis er end-
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^^ KURZfe SITZUNOSBfiRiCHTi:.
lieh die Zeit mit der stillen Ewigkeit verbinden konnte. Nicht allein seine Kirche,
sondern auch die literarische und wissenschaftliche Welt konnte in ihm mit Recht
einen ihrer grossen Todten betrauern, nebst jenen Vielen, die in dem Dahinge-
scliiedenen ihren Wohlthäter liebten und denen er — wiewohl dahingegangen —
lange im Gedächtniss gegenwärtig nnd lebendig bleiben wird.
KURZE srrZTINGSBERTCHTE.
— ungarische Akademie der Wissenschaften. In der Sitsung der ersten
Classe am 5. Jänner las das c. M. Bemliard Munkiicsi eine Abhandlung des c. M.
Sigmund Simonyi über Die Sprachneuerung und die Fremdartigkeiten (A nyelv-
ujitäs ^s az idegenszeWis^gek). Verfasser gibt der Ansicht Ausdruck, dass der
principielle Streit über die Sprachneuerung — selbst wenn er im Stande wäre, noch
etwas Neues zu produciren — heute kaum mehr einen Zweck hat, sondern dass es
unsere Aufgabe ist, einerseits jene fehlerhaften Ausdrücke zu verfolgen, welche
sich noch nicht ganz eingewurzelt haben, und andererseits uns eingehender mit
der Geschichte der Sprachneuerung imd unserer neueren Literatursprache zu
beschäftigen. Zu diesem Zwecke arbeitet Verfasser an einem Kazinczy- Wörterbuch
und legt auf Gi-und seiner zu diesem Zwecke gemachten Studien eine ausführliche
Abhandlung über die fremdartigen Ausdrücke Kazinczy's vor.
Hierauf legte Dr. G6za N^methy als Gast sein Werk Cato8 Weisheitsspräcke
vor, welches demnächst als Publication der klassisch-philologischen Commission
der Ungarischen Akademie erscheinen soll. Vortragender bietet in demselben von
dem unter dem Titel «Catonis disticha moralia» aus dem III. oder IV. Jahrhun-
dert nach Chr. stammenden Lehrgedicht, welches beinahe bis zur jüngsten Zeit
eines der verbreitetsten Schulbücher in ganz Europa gewesen ist, eine metrische
ungarische Uebersetzung nebst einer kritischen Textausgabe auf Grund der ältesten
und besten Handschrift, des Veroneser Codex. In einer längeren Einleitung
spricht er über den Charakter und die Entetehungszeit des Werkes und führt
schliesslich in möglichster Vollständigkeit die zahlreichen ungarländischen
Uebersetzungen und Editionen desselben auf. Demzufolge wird das Werk nicht
allein für die klassischen Philologen von Interesse sein, sondern auch zur unga-
rischen Literaturgeschichte und Bibliographie zahlreiche neue Beiträge liefern.
— In der Sitzung der zweiten Classe am 12. Jänner las das correspondi-
rende Mitglied Josef Jekelfalussy über Die Rolle der Eisenbahnen in unserem
Staatshauslialte. Diesen Vortrag teilen wir im nächsten Hefte vollständig mit. —
Hierauf hielt das correspondirende Mitglied Gabriel Tögläs einen Vortrag Ethno-
grajihische Verhältnisse und administrative Organisation des dacisciten Berg-
baues der Römer, Der Vortrag bildet den zweiten Teil der Studien des Vortra-
genden über den dacischen Goldbergbau der Römer. Das einleitende Capitel wirft
einen Rückblick auf die volkswirtschaftliche und rechtsgeschichtliche Entwicklung
des Bergbaues. Das zweite Capitel schildert Trajan's planmässiges Vorgehen bei
der Besiedelung des Bergbangebietes, welches sich vornehmlich darin äusserte,
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RÜRZB SITZUNGSBERICHTE.
i91
daas er die Goldberge mit den aasgezeicbnetsten Bergbauem jener Zeit, mit Dal-
maten und Pimsten bevölkerte. Ausser diesen haben die Inschriften das Anden-
ken vieler syrischen, pannonischen, griechischen Geschäftslente und Golonisten
erhalten, sowie auch die massenhafte Anwesenheit von Daciem constatirt. Und
eben diese Vielartigkeit der Sitten, Bacencharaktere und Religionen verhinderte
eine engere Verschmelzung der dacischen Volkselemente. Der Bergbau indessen
erfreute sich dabei einer schönen Blüte und Trajan liess die Bergwerke foi das kaiser-
liche Aerar durch kaiserUche Beamte verwalten. Das dritte Capitel behandelt das
Personal der Bergbauverwaltung und des Polizeidienstes. Es weist nach, dass die
administrative Organisation des römischen Goldbergbaues in Dacien eine
höchst vollkommene gewesen und unter der Leitung des Procurator aurari-
arum stand.
— In der Plenarsitzung am 26. Januar wurden — nachdem Emerich Pauer
Josef Szvor^nyi's Denkrede auf Johann Danielik (s. oben) verlesen und der Präsi-
dent Baron Boland Eötvös dem Andenken des dahingeschiedenen Fürntprimas
Johann Simor, der auch Mitglied des Directionsrates der ungar. Akademie der
Wissenschaften gewesen, einen warmen Nachruf gewidmet hatte — folgende lau-
fende Angelegenheiten erledigt.
Der Unterrichtsminister teilt mit, dass die von Theodor Duka der Akademie
geschenkten zwei Buddha-Götzen am 13. November in Calcutta eingeschifft wur-
den und über Triest hiehergelangen werden. — Der Unterrichtsminister übersen-
det den Entwurf des neuen Stiftungsbriefes der Fek^shAzy Stiftung zur Begut-
achtung. Wird an die L Olasse gewiesen. — Der Unterrichtsminister übei*sendet
ein alphabetisches Verzeichniss der von den nichtmagyarischen Bewohnern des
Landes am meisten gebrauchten Taufnamen mit der Bitte um Angabe der ent-
sprechenden ungarischen Taufnamen. Wird der I. Classe zugewiesen. — Der
Honv^dminister meldet, dass er wieder 100 Exemplare der «Eriegsgeschichtlichen
Mitteilungen i für die Honv^dtruppen und Commanden bestellt habe. Dient zur
Kenntniss. — Die königlich Dänische Akademie meldet, dass sie die auf die astro-
nomische Expedition HelFs bezügHchen Daten in den dänischen Archiven mit
Vergnügen sammeln werde und übersendet zugleich die Begesten der im Staats-
arclüv gefundenen Acten. Wird der III. Classe zugewiesen. — Das auswärtige
Mitglied Alfred Ameth dankt für die anlässlich seines Dienstjubiläums erhaltene
Olückwunschadresse der Akademie. Dient zur Kenntniss. — Die II. Classe unter-
breitet die Antworten der Historischen und Archäologischen Commission auf die
an die Akademie gerichteten Fragen in Betreff der liistorischen, ethnographischen
nnd archäologischen Anhaltspunkte für das die Landnahme durch Herzog Arpiid
darstellende Plafondgemälde, welches Michael Munkäcsy für das neue Psrlaments-
gebäude anfertigen soll. Wird der Parlamentsbau-Commission zugestellt werden. —
Die n. Classe befürwortet die Bitte der Historischen Commission, Dr. Rudolf
Yin die Herstellung einer kritischen Ausgabe der Hauptquellen der ältesten unga-
rischen Geschichte (der Werke der Kaiser Leo und Constantinus Porphyrogenitus)
zu ermöghchen. Der Unterrichtsminister soll ersucht werden, Dr. Rudolf Väri
durch Verleihung eines Staatsstipendiums die Vergleichimg der alten Handschrif-
ten in Neapel, Rom, Florenz, Mailand, Paris u. s. w. möglich zu machen. — Die
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JÖ2 KURZE 8ITZTJNGSBBRI0HTE.
I. Classe unterbreitet den Prospect der von der literarhistorischen CommisBion
unter Bedaotion des corre8i>ondirenden MitgHedes Aladär Ballagi herauszugeben-
den Vierteljahrsschrift «Irodalomtört^neti Közlem^nyeki (Literarhistorische Mittei-
lungen). Dient zur Kenntniss. — Für die Christian Lukäcs-Preisaufgabe (mathe-
matische oder mathematisch-physikalische Monographie) sind bis 31. Dezember
fünf Concurrenzwerke eingelaufen. Werden der III. Classe zugewiesen. — Bei der
Akademiecasse wurden die Legate von Samuel Jdszay (2000 fl.) und Alexander
Than (500 Ü.) und die Stiftung der Stadt Dobschau (5000 fl.) eingezahlt. — Den
Schluss machte die Vorlage der eingelangten Geschenk- und Tauschwerke.
Nach der Gesammtsitzung fand eine geschlossene Sitzung statt, in welcher
das diesjährige Budget der Akademie festgestellt wurde.
Die Einnahmen erscheinen mit 1 52,000 fl. prähminirt, und zwar : Stiftungs-
zinsen 9000 fl., aus Forderungen 3000 fl., Wertpapiere 51,000 fl., aus anderen
Realitäten 3500 fl., Zinsertiägniss 39,000 fl., Bücherverkauf 6000 fl., zurückzuzah-
lende Vorschüsse lOOOfl., Landesdotation für historische und literaturgeschichtliche
Zwecke 15,000 fl., für Veröffentlichimg von Kunstdenkmälem 5000 fl., für naturwis-
senschaftliche Foi-schungen 5000 fl., für klassisch-philologische Zwecke 1500 fl., für
die Bibliothek 5000 fl. imd zur freien Verfügung der Akademie 8500 fl. Im vergange-
nen Jahr betrugen die Einnahmen 1 46,000 fl. Die Ausgaben für das laufende Jahr sind
mit 1 50,000 fl. in Vorschlag gebracht. Die bedeutenderen Posten derselben sind : Die
I. Classe und deren Ausschüsse 16,500 fl., die II. Classe 29,500 fl., die UI. Classe
16,500 fl. ; zur Unteretützung der Büchereditions-Unternehmungen 3000 fl., für
die Edition der Werke des Grafen Stefan Sz^clienyi 1500 fl., für die Edition der
Briefe Kazinczy's 2000 fl., für Preise 5000 fl., Subvention der iBudapesti Szemle»
5000 fl., Pi'ännmerationen auf die «Ungarische Revue» und auf die «Naturwissen-
schaftlichen Berichte » 30(X)fl., für dieBibhothek 7000 fl., Personalgebühren 28,650fl.,
Heizung, Beleuchtung u. s. w. 9500 fl.. zur Ausschmückung des Prunksaales 700 fl.
Gegen das Vorjahr werden an Interessen 424- fl. 94 kr., nach den Realitäten 65 fl.
32 kr. ; aus dem Bücherverkauf 527 fl. 22 kr. mehr, hingegen nach Wertpapieren
109 fl. 60 kr., an Hauszins 807 fl. 62 kr. weniger eingenommen, so dass das Ein-
nahmeplus nur 100 fl. ausmacht. Aus dem Büchereditions-Untemehmen nimmt
die Akademie ebenfalls um 3569 fl. 84 kr. mehr ein als sie ausgibt ; dieser Betrag
wird zur teilweisen Deckimg des Deficits der früheren Cyclen verwendet, so dass
dieses Unternehmen nunmehr keiner Subvention bedarf. Mehrausgaben kommen
vor bei den Posten : Personalbezüge (645 fl. 22 kr.), allgemeine Auslagen (1 026 fl. 29
kr.), Preise (2708fl.), BibHothek (526 fl. 27 kr.), auf Gebäude (3499 fl. 24 kr.), verschie-
dene Ausgaben (1098 fl. 54 kr.) ; hingegen sind die Ausgaben geringer bei Steuern
(82 fl.), Ausschmückung des Pninksaales (600 fl.), alten Gebühren (111 fl.) und
bei den Werken Sz^chenyi's (356 fl.). Das Ausgabenplus beträgt 7413 fl. 86 kr.,
welches aus dem Einnahmeplus der nächsten Jahre gedeckt werden muss. Das
Vermögen der Akademie betnigEnde 1889 2.269,978 fl. 66 kr., am Ende des vori-
gen Jahres aber 2.299,194 fl. 60 kr., dasselbe hat daher um 29,215 fl. 94 kr. zuge-
nommen. In diesem Vermögen sind der Akademiepalast, das Akademiezinshaus,
die Bibliothek und das Inventar im Werte von einer Million aufgenommen. Die
Plenarsitzung nalun das Budget unverändert an.
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UNGARNS INDUSTEIE. HANDEL UND VERKEHE IM JAHRE 1889.
Ein stattlicher Qaartband von 861 Seiten berichtet über die amtliche
Thätigkeü des kön. ung. Handelsminisiers im JaÄreiSSP. Schon dieser
äusserliche Umfang des Berichtes flösst Bespect ein ; noch mehr erhöht
wird aber die Achtung vor der unermüdlichen, vielseitigen Wirksamkeit
unseres Handelsministers^ Sr. Excellenz des Herrn Gabriel Baboss
DE Belüs, wenn wir den Inhalt dieses Quartanten einer aufmerksamen
Prüfung unterziehen. Trotz der nahezu besorgnisserregenden Fülle mnd
Mannigfaltigkeit der amtlichen Agenden, womit dieses Ministerium bedacht
ist, erfüllt den Leser dieses Berichtes allenthalben das Gefühl der Befriedi-
gung über die allenthalben zu Tage tretende Einsicht, Sachkenntniss und
Sorgfalt, mit welcher dieses ebenso weitläufige als höchst wichtige Bessort
geführt wird. Die glückliche und mit zielbewusster Zuversicht leitende Hand
des jetzigen Handelsministers ist übrigens auch aus jeder Zeile dieses Be-
richtes erkennbar, der ebenso durch den Beichtum seiner Daten und durch
mannigfache Anregungen in volkswirtschaftlicher Hinsicht als durch die
Anordnung und Klarheit in der Darstellung befriedigt.
Minister Baboss gehört zu den schöpferischen Naturen ; sein gestal-
tender Geist begnügt sich keineswegs mit dem Fortschreiten im alten
Geleise ; er sucht und findet neue Formen, deckt frische Quellen des Fort-
schrittes auf, bricht neue Bahnen und zwingt durch seine wohlerwogenen,
dann aber auch mit Kühnheit und Energie in Angriff genommenen und
durchgeführten Beformen selbst den Gegnern die Achtung und Anerkennung
ab. Die Neuerungen im Personen- und Frachtentarif der ungarischen Staats-
bahnen haben den Namen und Kuhm des Ministers weit über die Grenzen
des Landes getragen. Aber auch in den andern Zweigen seines Amtes ent-
faltete Herr v. Babohs eine nimmerruhende, lebenweckende Thätigkeit, wor-
über im Nachfolgenden auf Grund des vorliegenden ministeriellen Berichts
für das Jahr 1889 das Wichtigste in möglichster Kürze mitgeteilt
werden soU.
Das mittelst Gesetzartikel XVIII vom Jahre 1889 neu organisirte
ungarische Handels-Ministerium umfasst folgende Zweige amtlicher Thätig-
ünguiMlM B«TiM, ZI. 1891. m. Heft. 13
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194 UNGABNS INDUSTRIE, HANDEL UND VBRKEHB IM JAHRE 1889.
keit : I. Strassen, Brücken und öffentliche Bauten. II. Post, Telegraphen und
Telephon. IIL Die königl. Fostsparcasse. IV. Industrie und Binnenhandel
V. AuBsenhandel, Zoll und Seeschiffahrt. VI. Ejisenbahnen und Binnen-
schiffahrt. Vn. Landesstatistik. VIII. Beamtenbildungs-Institute. Von dieser
Reihenfolge etwas abweichend wollen wir uns mit den wichtigsten Daten
von allgemeinem Interesse bekannt machen, wobei wir in diesem ersten
Artikel uns mit den Verzweigungen der Industrie und des Handels, in einem
zweiten Artikel aber mit den verschiedenen Verkehrsanstalten befassen
werden.
In Bezug auf Industrie und Binnenhandel betrachtet Minister Baross
als leitendes Frincip seiner Thätigkeit vor Allem die richtige Handhabung
der Industrie- Verwaltung. Den Rahmen und die geeignete Grundlage hiefür
hat das neue Gewerbegesetz (G.-ArtXVII: 1884) geschaffen. Demzufolge
bildet der Minister das oberste Aufsichts- und Entscheidungsforum in
gewerblichen Angelegenheiten. Die pünktliche EUnhaltung und Anwendung
der Bestimmungen des Gewerbegesetzes gibt zugleich den erforderlichen
Schutz und die Sicherheit für gesunde und auf solider Basis ruhende
Industrie-Bestrebungen. Dabei war der Minister bemüht, einerseits den Un-
ternehmungsgeist nicht durch unbegründete Vexationen und Einschrän-
kungen behelligen, anderseits die berechtigte und heilsame Goncurrenz
nicht in Schwindel ausarten zu lassen.
Diese mehr negative, beaufsichtigende und abwehrende Thätigkeit fand
ihre entsprechende Ergänzung in den positiven Massregeln zur Unter-
stützung und Förderung unserer Industrie. Jene Unterstützung meint der
Herr Minister aber nicht in dem Sinne, als ob der Staat selber auf das
Gebiet der industriellen Thätigkeit treten sollte, um dadurch etwa die Privat-
concurrenz anzuspornen, sondern er erblickte diese Förderung vielmehr in
anderen, systematischen und zielbewussten Massnahmen der Regierung.
Anregung, Aufmunterung, wohlwollende Unterstützung, unablässige Auf-
merksamkeit und Verfolgung der wirtschaftlichen Regungen, nötige Sorg-
falt hinsichtlich der gewerblichen Interessen, Entwickelung und Verbesse-
rung der geistigen Ausbildung d^ Arbeiter sowie unablässige Beobachtung,
Prüfung und Verwertung der Gestaltungen und Erscheinungen des prakti-
schen Lebens — das sind ebensoviele Mittel der Staatsge^calt zur Entwicke-
lung und Förderung der Industrie, welche, zur richtigen Zeit benützt und
angewendet, gar bald zu dauerndem Erfolg führen. Der Minister hat deshalb
seine positive Mitwirkung zur Hebung der Industrie nur dort eingesetzt, wo
es die Notwendigkeit geboten hatte und ein concreter Erfolg erreichbar war.
Es ist ein gutes Wort, das der «Berichti hierbei ausspricht: «Bei der
Industrie sind vor Allem eine von Illusionen freie praktische Tüchtigkeit,
sowie ein unermüdlicher Fleiss notwendig.!
Die Thätigkeit der Regierung hinsichtlich der Industrie erstreckte sich
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UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND YBRKEHR IM JAHRE 1889. 1^5
zunächst auf die • Induslrieverwaltung » (Gewerbegenossenschaften, Industrie-
gesellschaften, Lehrlingsschulen, Bauführer-, Steinmetz- etc. Prüfungen,
Fabriksinspection) ; dann auf die t^Entmckelung der Industrie» (Klein-
gewerbe, Fabriks- und Hausindustrie, Lehrwerkstätten, Handels- und Ge-
^erbekammem, Ausstellungs- Angelegenheiten) ; femer auf 91 Merkantile
Angelegenheiten» (die Börse, kaufmännische Firmen, Jahr- und Wochen-
märkte, Hausierwesen, Maass und Gewicht, Pfandleih- Anstalten) und end-
lich auf •Indtistrieüe Privilegien und Schutzmarken».
Nach Aufhebung der alten Zünfte (durch G.-Art. Vm vom Jahre 1872)
haben sich auf Grund des neuen Gewerbe-Gesetzes (G.-Art. XVH vom Jahre
1884) Gewerbe- Genossenschaften gebildet, deren gegenwärtig 844 im Lande
vorhanden sind. Mit diesen Genossenschaften sind 135 Unterstützungs-
Gassen mit einem Stammcapital von 149,215 fl. 90 kr. für kranke oder
erwerbsunfähige Gewerbetreibende verbunden. Manchen Orts betreiben
diese Gassen auch gemeinsamen Ankauf des Bohmaterials für ihre Mit-
glieder. Für die Gehilfen oder Arbeiter bestehen dermalen blos 54 Hilfs-
cassen mit einem Vermögen von 104,802 fl. 16 kr.
Die im Gewerbegesetz vorgesetzten Gewerbe- Cor porationen, welche
über die Angehörigen des Gewerbes die Aufsicht und die Gontrole fähren
und zugleich in mancher Beziehung auch behördliche, namentlich friedens-
richterliche Functionen besorgen, haben sich nur in der Hauptstadt Buda-
pest nach einzelnen Industriezweigen oder Industriegruppen gestaltet, wäh-
rend in den übrigen Städten und Gemeinden in der Begel sämmtliche
Gewerbetreibende zu einer Corporation verbunden sind. Solcher Gewerbe-
Corporationen zählt man gegenwärtig im Lande 189; von diesen haben
62 Hilfscassen für ihre Mitglieder mit einem Vermögen von 70,002 fl.
05 kr. ; für die Gehilfen bestehen 88 Unterstützungs-Cassen mit 186,606 fl.
86 kr. Die Gonstituirung und die entsprechende Wirksamkeit der Gewerbe-
(Jorporationen stossen noch immer auf beträchtliche Hindemisse im Schosse
der Gewerbetreibenden selbst.
Wenig Erfreuliches zeigen die Lehrlingsschulen, obgleich der Fort-
schritt hierin seit 1884 ebenfalls ein augenfälliger ist. Damals bestanden
im Lande (angeblich) nur 19 Lehrlingsschulen, von denen sieben auf die
Hauptstadt entfielen. Gegenwärtig gibt es deren 309, von denen 20 niedere
Handelsschulen sind. Wie mangelhaft aber die Zahl, die innere Einrichtung
und der Besuch dieser Schulen ist, lehrt schon das dne Factum, dass selbst
in der Hauptstadt, wo Staat und Municipium scharfe Aufsicht ausüben, von
9765 Lehrlingen nicht weniger als 3869 Lehrlinge, somit weit über ein
Dritte], die Lehrlingsschulen nicht besuchen. Der energischen Thätigkeit des
Handels- und des Unterrichts-Ministers sowie der untergeordneten Behörden
in Comitat und Stadt bleibt auf diesem Gebiete noch ein grosses Stück
Arbeit zu thun übrig ; da namentlich zahlreiche Industrielle sich um die
13*
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196 UNGABNB INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
geistige AusbilduDg ihrer Lehrlinge gar nicht bekämmem und deshalb auch
dem Abschlüsse eines ordentlichen Lehrlings Vertrages gerne ausweichen.
Die Institution der staatlichen Fabriks-Inspection hat in Ungarn noch
keine entsprechende Organisirung erhalten, obwohl der jetzige Handels-
Minister auch in dieser Bichtung bereits die erforderlichen Einleitungen
getroffen hai Im Jahre 1889 wurden 555 Fabriken durch staatliche Organe
inspicirt, wobei in 301 Fällen das Ministerium zur Abstellung der wahr-
genommenen Mängel und Ordnungswidrigkeiten einschreiten musste. Unter
Einem liess der Minister das Muster einer Arbeitsordnung ausarbeiten und
in den betreffenden Fabrikslocalitäten öffentlich anschlagen. Die gesetzlich
vorgeschriebenen Arbeiterlisten fehlen noch immer in vielen Fabriken. In
den im Jahre 1889 inspicirten 555 Fabriken gab es 626 Dampfmotoren mit
37,481 Pferdekraft, 214 Wassermotoren mit 4523 Pferdekraft und 26 Luft-
druckmotoren mit 155 Pferdekraft; ohne Motoren waren 103 Fabriks-
anlagen. Die Zahl der Arbeiter war 41,336; der Lehrlinge 1619; der Tag-
löhner 5887; zusammen: 48,842 Arbeiter, von denen 35,673 (75 o/o) dem
männlichen und 13,169 (25 o/o) dem iWeibUchen Geschlechte angehörten.
Erwachsene waren : 44,333 ; von 14—16 Jahren : 3459 ; von 12 — 14 Jahren:
101 1 ; unter zwölf Jahren : 39. Die meisten männlichen Arbeiter gab es bei
der Eisen- uud Metall-Industrie, die meisten Arbeiterinen bei der Tabak-
fabrikation. Die Arbeitsbücher mangeln leider noch vielenorts, am meisten
sträuben sich dagegen die Ziegelfabrikanten, welche ihre beschäftigten
Arbeiter gerne nur als Taglöhner bezeichnen wollen.
Die Arbeitszeü in den ungarischen Fabriken dauert gewöhnlich 8 bis
12 Stunden, je nach den verschiedenen Industriezweigen; eine fünf zehn-
stündige Arbeitszeit wurde nur an einem Orte vorgefunden. In einigen
Dampfmühlen Siebenbürgens wechselt 24 Stunden Arbeit mit 24 Stunden
Buhe; eine längere Arbeitszeit als 12 Stunden findet man bei der Sprit-,
Hefe- und Glas-Industrie, wo aber die Arbeit nicht ununterbrochen, sondern
mit mehrstündigen Pausen betrieben wird. Die tägliche Arbeitspause dauert
in den meisten Fabriken 2, in anderen nur IVa Stunden. Die Stnckarbeiter
sind an keine Stundenzeit gebunden. Nachtarbeit findet hauptsächlich in
Eisen- und Metallfabriken, in Mühlen und Spiritus-Fabriken derart statt,
dass in der Begel morgens und abends 6 Uhr der Schichtwechsel eintritt
Eine Hauptaufgabe der Fabriks-Inspectoren besteht darüber zu wachen, damit
jugendliche Arbeiter nicht des Nachts übermässig beschäftigt werden.
Interessant ist es, dass im Jahre 1889 Zwistigkeiten zwischen Arbeitgebern
und Arbeitern in den ungarischen Fabriken kaum vorgekommen sind und
damals kein einziger Arbeiterstrike stattgefunden hat. Eine besondere Sorg-
falt müssen die Inspectoren auch den gesetzlich vorgeschriebenen Vorkeh-
rungen zur Sicherung des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter zu-
wenden.
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ÜKOARKS IKBÜSnofi, BAKDEL tlKD VISRKfifilt IM JABfifi 18^. 1^7
Gegenüber der auch in Ungarn rasch zunehmenden Fabrika-Industrie
hat das Kleingewerbe einen wachsend schwierigen Stand und man macht die
betrnbende Wahrnehmung, dass gewisse^ bisher handwerksmässig betrie-
bene Gewerbe in manchen Landesteilen gänzlich verschwunden sind. Der
Herr Handelsminister erachtet diesen Niedergang des Kleingewerbes für
keine naturgemässe Erscheinung. Er findet die Ursachen dieses Verfalles
vor Allem in dem Mangel an Betriebscapital, resp. an Credit, wodurch auch
die Anschaffung der heute unentbehrlichen Hilfs- Maschinen verhindert wird.
Daraus folgt femer die Verteuerung der Kleingewerbe- Production. Nichts-
destoweniger steht diesem Gewerbe noch ein breites Terrain zu Gebote, auf
welchem es eine lebensfähige, ja lohnende Thätigkeit entwickeln kann. Der
Minister ist bemüht, das Kleingewerbe bei Bestellungen für den Staat zu
berücksichtigen, er begünstigt die Bildung von Creditverbänden, Productiv-
Genossenschaften etc.
Mit Ende des Jahres 1889 gab es in Ungarn 1132 grössere Industrie-
Anlagen und 267 landwirtschaftliche Spiritusbrennereien, somit insgesammt
1400 Etablissements. Kroatien-Slavonien zählte damals 117 Fabriken,
somit die Länder der ungarischen Krone zusammen 1516 ; doch bieten diese
Zahlen noch keinen vollständigen Ausweis. Im Jahre 1889 allein vermehrte
sich die Zahl der Fabriken um 151 mit einem Anlagecapital von über
20 Milhonen Gulden und einem Arbeiterstand von mehr als 10,000 Seelen ; —
jedenfalls ein deutlicher Beweis wachsender Unternehmungslust und erstar-
kender Gapitalskraft in Ungarn. Dass hiezu auch der G.-A. XLIV vom Jahre
1881 über die staatlichen Begünstigungen der einheimischen Industrie
Vieles beigetragen hat, wird durch Thatsachen bewiesen.
Ausser der Heilung des Uebels beim Kleingewerbe und nebst der Ent-
wickelung der Grossindustrie befasste sich der Handelsminister noch in
hervorragender Weise mit der Unterstützung und Beförderung der Haus-
industrie, welche unter unseren Verhältnissen eine ausserordentliche Wich-
tigkeit hat. Sieht man von der Deckung der häuslichen Bedürfnisse ab, so
werden ausserdem die verschiedensten Zweige der gewerblichen Produotion
durch hausindustrielle Arbeit betrieben. Hieher gehören : Hanf-, Flachs- und
WoUespinnerei und Weberei, Spitzenerzeugung, Teppichweberei, Ausnähen
und Stickerei, Korb-, Binsen-, Stroh- und Weidenflechterei, Kürschnerei
und Hutmacherei^ Erzeugung von Holzgefässen und häusHchen Gerät-
schaften, Kinderspielwaaren, Möbeltischlerei, Töpferei, Schwammarbeiten,
Siebflechten, Holzschachteln- und Brettererzeugung, Bürsten- und Besen-
binderei — Alles das sind Beschäftigungen, welche in Ungarn von der
Hausindustrie getrieben werden. Es gibt Gegenden, in denen dieser Betrieb
geradezu eine Lebensfrage für die Bewohner bildet und schon deshalb eine
besondere Aufmerksamkeit und Berücksichtigung verdient. Dies gilt nament-
lich von jenen Landesteilen, wie z. B. von Gebirgsgegenden Siebenbürgens
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198 UNGARNS INDtSTftrt:, fiAKDfcL ÜNt) VteRKfiHR Ilf JaBRK 1880.
und Obemngams, wo es weder eine Fabriks-Indnstrie noch eine ausgiebige
Landwirtschaft gibt und die Bevölkerung aus Mangel an Erwerbsquellen
zur Auswanderung nach Bumänien oder Amerika genötigt ist. Allein auch
in Gegenden mit landwirtschaftlicher Production hat die Haus-Industrie
grossen Wert, weil sie in den arbeitsfreien Wintermonaten eine angemessene
und lohnende Beschäftigung bietet und dadurch zu fortgesetzter Arbeitsam-
keit und Sparsamkeit gewöhnt. Nicht minder werden durch die Haus-
industrie die tauglichen Arbeitskräfte für die Grossindustrie vorgebildet.
Leider entbehrt trotz dieser mehrseitigen grossen Bedeutung die Haus-
industrie in Ungarn noch immer (mit wenig Ausnahmen) der erforderlichen
Beachtung sowie der entsprechenden Organisation. Bei uns werden bei-
spielsweise die Erzeugnisse der Hausindustrie noch immer von den Erzeu-
gern selbst durch monatelanges Hausiren im Lande und ausserhalb des-
selben in Umsatz gebracht. Eine solche Hausindustrie ist nach des Mini-
sters Ansicht nicht lebensfähig ; es sei unvermeidlich notwendig, dass die
Hausindustrie mit Unternehmern in Verbindung stehe, die dem armen
Volke das Bohmaterial liefern, eventuell Vorschüsse leisten und die fertigen
Waaren gegen einen anständigen Preis übernehmen. Dabei 3teht allerdings
zu besorgen, dass die Hausindustriellen auf diesem Wege gar leicht in die
völlige wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit, ja in die Schuld-
knechtschaft des l)etreffenden Unternehmers und Arbeitgebers verfallen.
Zur Hebung der Hausindustrie ist in erster Reihe die verbesserte Vor-
bildung der Hausindustriellen vonnöten. Der Handelsminister hat deshalb
den bestehenden Lehrwerkstätten seine besondere Aufmerksamkeit zuge-
wendet und ist bemüht, dieselben nicht nur zu erhalten und weiter zu ent-
wickeln, sondern sie nach Thunlichkeit auch zu vermehren. Im Jahre 1889
gab es zehn solcher Lehrwerkstätte^, welche teils vom Staate, teils von
einzelnen eifrigen Interessenten erhalten wurden.
In das Ressort des Handelsministers gehören auch die gewerblichen
Fachschulen y welche in zwei Gruppen zerfallen: in solohe, welche vor
Allem fachmännisch gebildete Industriearbeiter, insbesondere Werkführer
vorzubilden haben, und in solche, welche zwar auch gewerbliche Arbeiter
heranbilden, aber zunächst zur Entwicklung der Hausindustrie beru-
fen sind.
Zur ersten Gruppe gehören : die staatlich subventionirte mechanische
Lehrwerkstätte in Budapest, die mittlere Maschinen-Industrieschule in
Easchau, die Lehrcurse für Maschinenführer und Dampfkesselheizer in
Budapest und Elausenburg, die Lehrwerkstätten für Bau-^ Holz- und Eisen-
industrie in Klausenburg, die Strick- und Webeschule in Easchau, die Eunst-
webeschule in Käsmark, die Lehrwerkstätte für Eunstschnitzerei in Ho-
monna, der Lehrcurs, resp. die Fabrik zur Erzeugung von Einderspielwaaren
in Bartfeld und M.-Väsärhely und der Schuhmacher-LehrcursinHermannstadi
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tmOAims iKDtSntm» StAKD^i und VEltKCHU IM JAfitlS I8dd. I9ft
Zur zweiten Gruppe gehören : die Lelnrwerkatatten für Spitzen-Erzeu-
gung in Eremnitz, für Weberei in Gsikszereda und Sz6kely-Eeresztur, für
Tuchweberei in Heitau, für Teppichweberei in Gross-Becskerek ; dann die
Frauen-Indüstrie-Schulen inBudapest, Elausenburg und Szepsi-Szentgyörgy,
endlich die Lehrwerkstätte für die Erzeugung von Einder-Spielwaaren in
Gyergyö-Szent-MiklÖB, Hermannstadt und Szel-Akna.
Alle diese Anstalten sind jedoch nur spärlich dotirt, entfalten aber
nichtsdestoweniger auch bisher schon eine erfreuliche Wirksamkeii
Die Institution der Handels- und Gewerbekammern besitzt eine wichtige
volkswirtschaftliche Bedeutung, indem diese Kammern einerseits die entspre-
chend organisirte Interessen-Vertretung des einheimischen Gewerbes und
Handels bilden, andererseits die Regierung in ihren volkswirtschaftlichen Ver-
fügungen durch vertrauenswürdige, auf praktische Erfahrung gegründete Mit-
wirkung unterstützen sollen. Der Herr Handelsminister v. Baboss hatte bei
üebemahme seines Bessorts angesichts der zahlreich aufgetauchten Klagen
über die Handels- und Gewerbekammem für den 5. Oktober 1889 eine fach-
männische Gomroission zur Beratung einer Reihe von Beformfragen hin-
sichtUch dieser Handels- und Gewerbekammem einberufen. Auf Grund der
Resultate dieser Beratungen verfügte sodann der Minister eine teilweise
Reform dieser Institution, namentUch in dreifacher Beziehung : a) Ver-
mehrung der Kammern und entsprechendere Einteilung der Kammer-
bezirke ; b) Zuweisung jenes Wirkungskreises und Einflusses, welcher den
Kammern als begutachtenden Oorporationen in Gewerbe- und Handels-
angelegenheiten gebührt ; c) Gkirantie der Berücksichtigung der von den
Kammern erstatteten Gutachten und Berichte.
Auf dem Gebiete des Königreiches Ungarn bestanden zu Ende des
Jahres 1889 fünfzehn Handels- und Gewerbekammem, und zwar :
1. Arad mit den Gomitaten Arad, B^kes, Gsanäd und Hunyad und der
königlichen Freistadt Arad ;
2. Kronstadt (Brassö) mit den Oomitaten Kronstadt (Brassö), Osik,
Udvarhely, Gross-Kokeln (Nagy-KüküUö), Hermannstadt (Szeben), Fogaras
und H&omsz^k.
3. Budapest mit der Landeshauptstadt Budapest, mit den Komitaten
Pest-Pilis-Solt-Klein-Kumanien, Gran(Esztergom),Stuhlweis8enburg (Feh^r)^
Neograd, Heves, JazygienGross-Kumanien-Szolnok, Osongräd, Bäcs-Bodrog
und Sohl (Zolyom), mit den königlichen Freistädten Stuhlweissenburg, Sze-
gedin, Neusatz, Maria-Theresiopel und Zombor und den Municipalstädten
Baja, Hödmezö-Väsärhely und Kecskem^t.
4. Debreczin mit den Komitaten Hajdü, Bereg, ügocsa, Marmaros,
Bihar, Szabolcs, Szatmär und Szilägy, mit den königlichen Freistadten
Debreczin und Szatmär-N^meti und der Municipalstadt Grosswardein ;
5. Essegg mit den Oomitaten Veröcze, Pozsega und Syrmien, mit den
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200 TTNOABNS INDÜ8TRIB, HAKDfiL UND VEBRBHB IM JAHBB 188d.
königücben Freistadten Essegg und Pozsega und mit den (ehemaligen) Grenz-
distrikten von Gradiska, Brood und Peterwardein ;
6. Finme mit dem Gebiete der Stadt Fiume ;
7. Eascbau mit den Comitaten Abauj-Toma, Liptau, Säros, Zipa, üng
und Zemplin und mit der königlichen Freistadt Eascbau ;
8. Elausenburg für die Gomitate Unterweissenburg, Bistritz-Naszod,
Elein-Eokeki (Eis-Eüküllö), Eolozs, Maros-Torda, Szolnok-Doboka und
Torda-Aranyos und für die königlicben Freistädte Elausenburg und Maros-
VÄsÄrbely.
9. Miskolcz für die Comitate Borsod und Gömör-Eis Hont ;
10. Fünfkircben für die Gomitate Baranya^ Somogy und Tolna sowie
für die königlicbe Freistadt Fünfkircben ;
11. Pressburg für die Eomitate Pressburg (Pozsony), Neutra (Nyitra),
Trencsin, Ärva, Turocz, Hont, Bars und Eomom, und für die königl. Frei-
städte Eomorn, Sobemnitz-B^labänya und Pressburg ;
12. Oedenburg für die Comitate Oedenburg (Sopron), Eisenburg (Vas),
Zala, Raab (Györ) und Wieselburg (Moson) und für die königlicben Frei-
städte Oedenburg und Baab ;
13. Temesvär für die Gomitate Temes, Erassö-Szöreny und Torontäl,
für die königlicbe Freistadt Temesvär und für die Municipalstädte Panosova
und Werscbetz ;
14. Agram für die Gomitate Agram (Tt>&h), Warasdin, Ereuz (Eörös)
und Belovär und für die (früheren) Grenzdistrikte Banal und Ogulin-Sluin,
mit Ausnahme des Bezirkes Bründl ;
15. Zengg für das Gomitat Fiume, für den ehemaligen Grenzdistrikt
ljika-Oto6a2 und für den Bründler Bezirk.
Die Gesammtkosten dieser Eammern beliefen sich im Jahre 1889 auf
180.346 fl.
Vom 1. Jänner 1891 an ist die Anzahl dieser Eammern auf SO erhöbt,
also um fünf vermehrt worden und zwar haben die neuen Eammern ihre
Sitze : in Neusohl (Beszerczebänya) für die Gomitate Ärva, Bars, Hont, Lip-
tau, Neograd und Sohl mit der königlichen Freistadt Schemnitz-Belab&nya;
in Baab mit den Gomitaten Gran, Baab, Eomom und Veszprim und der
königlichen Freistadt Baab ; in Maros- Väs^hely mit den Gomitaten Gsik,
Häromszek, Maros-Torda und üdvarhely und mit der königlichen Freistadt
Maros-Väsärhely ; in Grosswardein für das Gomitat Bibar und die Municipal-
stadt Grosswardein ; endlich in Szegedin für die Gomitate Bäcs-Bodrog und
Gsongr&d sowie für die Städte Baja, Hödmezö-V&särbely, Maria-Theresiopel
(Szabadka), Szegedin, Neusatz (Ujvid^k) und Zombor.
Nach dieser Ausscheidung ändern sich mehrfach auch die bisherigen,
weiter oben angeführten Territorien der älteren Eammern.
Eine ganz besondere Aufmerksamkeit widmet der Handelsminister den
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ÜKÖARN8 INDUSTRIE, HANDEL UND VKBKEHB IM JaHBC 1889. ^1
öffentlichen Lieferungen für staatliche Zwecke, wobei er bestrebt ist, der
eiobeimischen Prodaction den ihr gebührenden Anteil zu gewinnen nnd zn
sichern, ohne jedoch die verschiedenen Prodnctionskreise, Industrie- und
Gewerbezweige in einseitiger, monopolistischer Weise zu begünstigen. Ganz
richtig erscheint auch des Ministers Anschauung, dass eine Fabrik oder eine
(Jewerbsgruppe sich nicht bloss für ärarische Lieferungen einrichten solle. Die
Bildung von Verbänden Kleingewerbetreibender zur Uebemahme und Be-
sorgung solcher Lieferungen, namentlich unter Aufsicht der Gewerbe-Gor-
porationen, begegnet mit Recht der Förderung von Seiten des Ministers.
Unter den Angelegenheiten des Handels steht in erster Linie die
Waartn- und Effecten-Börse in Budapest^ welche sich aus der schon in der
ersten Hälfte unseres Jahrhunderts bestandenen Pester Getreidehalle ent-
wickelt und ihre erste festgestellte Organisation im Jahre 1 864 erhalten hat
Ihre gegenwärtige Verfassung regeln die vom Handelsminister im Jahre 1888
bestätigten Statuten auf Grund einer weitgehenden Autonomie. Die Oberauf-
sicht über das Institut gebührt dem Handelsminister ; die Aufgabe der Börse
besteht in der Erleichterung und Begulirung des kaufmännischen Verkehrs
in allen Arten von Waaren, Wertpapieren, Wechseln, Münzen und Edel-
metallen. Der Besuch und die Mitgliedschaft der Börse ist sehr erleichtert.
Zur Leitung der gesammten Börse-Angelegenhaiten besteht ein von den
Mitgliedern auf drei Jahre gewählter Börsenrat. Dieser verfügt über alle
Vermögens- und Verwaltung^ngelegenheiten der Börse, er bestimmt die
Geschäfts-Usancen, entscheidet über die Börsenwerte und die ofßciellen Gurs-
notirungen, ernennt die beeidigten Börsensensale, setzt alle Taxen und Ge-
bühren fest u. s. w. Eines der wesentlichsten Rechte dieser Selbstverwaltung
besteht in der Gerichtsbarkeit des Börsenrates in Börsen- und Merkantil-
Streitsachen« Keine Börse auf dem Gontinente besitzt eine Autonomie von
solchem Umfange, die Regierung ist bei der Budapester Börse bloss durch
zwei Gommissäre vertreten.
Im Jahre 1889 zählte die Börse 951 ordentliche Mitglieder und 162
Börsenbesucher; die Zahl der beeidigten Sensale oder Agenten betrug 166.
An der Getreide-Börse fand ein Verkehr von 13,188.300 Meterzentner statt,
womit jedoch keineswegs der gesammte Geschäftsverkehr der Börse in dieser
Richtung bezeichnet wird. Eine vertrauenswürdige Statistik über Zahl und
Umfang dieses Verkehres ist überhaupt noch nicht vorhanden. Das Börsen-
gericht hatte in 1764 Fällen zu entscheiden, von denen 711 Fälle appellirt
wurden.
Nur im Vorbeigehen bemerken wir, dass im Jahre 1889 im Lande ins-
gesammt 4561 Handelsfirmen improtocollirt worden sind und wenden unsere
Aufmerksamkeit sofort den Wochen- und Jahrmärkten zu.
Auf dem Gebiete der Länder der ungarischen Krone werden in 1600
Gemeinden Jahrmärkte abgehalten, und zwar in der Regel jährlich 2 — 4,
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^^ ÜKGABNS iKDtTSTRIE, HANDEL UND VERKEHK IM JAHEB 1880.
dooh gibt es auch Gemeinden^ welche die Berechtigung zu 6 — 8 Jahrmärkten
besitzen. Ebenso verschieden ist auch die Dauer dieser Märkte ; die meisten
dauern blos einen Tag, dann gibt es aber auch Märkte von 2—4 Tagen, ja
in grösseren Städten dauert der Markt 8 -14 Tage. Die Jahrmärkte sind
entweder allgemeine oder Vieh- Märkte, letztere bei mehrtägigen Märkten
in der Regel nach Viehgattungen abwechselnd.
Gegen die übermässige Vermehrung der Märkte haben die gewerb-
lichen Kreise, namentlich die Handels- und Gewerbekammem, Einsprache
erhoben. Auch haben die Märkte in Folge der erleichterten und vermehrten
Gommunicationsmittel an ihrer früheren Bedeutung vieles verloren ; aber die
Abhaltung dieser Märkte kann dennoch, insbesondere für kleinere, abgele-
genere Orte nicht entbehrt werden und es bilden namentlich die Viehmärkte
für einen grossen Teil unserer Bevölkerung ein dringendes Bedürfniss.
Noch weit nötiger als die Jahrmärkte sind die Wochenmärkte, deren Zu-
nahme um so weniger beanstandet werden kann, je zahlreicher selbst in
kleineren Gemeinden jene Familien werden, die ihre Lebensbedürfnisse sieh
nicht selbst erzeugen können, wie z. B. Beamte, Militärpersonen, Industrielle,
Fabriksarbeiter u. dgl. Die engherzige Bestimmung des Gewerbegesetzes vom
Jahre 1884, der zufolge die Wochenmärkte von fremden Handwerkern nicht
beschickt werden durften, wurde im Jahre 1887 teilweise modificirt. Die
nach dem G. A. VE v. J. 1888 verschärften strengen Veterinär-Massregeln
haben namentlich kleinere Gemeinden veranlasst, ihrem Marktrechte zu
entsagen oder dessen Ausübung mindestens zu suspendiren, da sie den
erhöhten gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechen konnten.
Einen Gegenstand stetiger Klage der Gewerbetreibenden in Stadt und
Land bildet das Hamiertvesen, welches gemäss dem mit Oesterreich geschlos-
senen Zoll und Handelsbündnisse in der ganzen Monarchie nach gleichen
Grundsätzen geregelt ist. Doch sowohl damit, wie mit dem GimentirungS'
wesen können wir uns an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen und wenden
deshalb den königlich ungarischen Pf andleihanstaUen in Budapest die Auf-
merksamkeit zu.
Die Institution eines königlich ungarischen Pfandhauses verdankt ihre
Entstehung der Kaiserin-Königin Maria Theresia, mittelst deren Entschlies-
sung vom 1. Juli 1773 die erste Anstalt dieser Art in Ungarn tzur Unter-
stützung der hilfsbedürftigen armen Volksclassen und zur Verhinderung des
Wuchers» zu Fressburg ins Leben gerufen wurde. Dieses Pfandhaus dauerte
bis zum Jahre 1855.
Nach dem Muster des Pressburger Institutes wurde von Kaiser Josef EL
am 6. Juni 1787 das • königlich privilegirte ungarische Pfandhaus» in Ofen
errichtet, zu dessen Gunsten der Kaiser unter dem 28. Juni d. J. den Ankauf
und die Adaptirung eines Hauses um 13.962 fl. 51 kr. anordnete und das
Umsatzcapital der Anstalt auf 6000 fl. bestimmte. Ausserdem sollte das
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tJKOARNS INDUSTRIE, HAKDEL ÜKD VERKBHn IM JAHBE 1889. 203
Institut für seine Bedürfnisse vom königlich ungarischen Statthaltereirate
Darlehen zu 3Vs% Verzinsung erhalten. Das Institut nahm bald einen
bedeutenden Aufischwung und wurde nach der Entscheidung des Statthal-
tereirates vom Jahre 1801 auf die Pester Seite der ungarischen Hauptstadt
verlegt^ wo es in seinem noch gegenwärtig innehabenden Gebäude in der
inneren Stadt am 1. Januar 1803 seine Thätigkeit eröffnete. Die monat-
lichen Versteigerungen dar nichtzurückgelösten Pfand-Objecte begannen am
1. Oktober 1788 und fanden seitdem in jedem Monate statt.
Das königlich ungarische Leihhaus in Budapest hat innerhalb der
letzten zwei Decennien hinsichtlich der Verpfändungen eine bedeutende
Zunahme, in Bezug auf die hiefür erhaltenen Beträge aber eine beträchtliche
Abnahme aufzuweisen. Während z. B. bis zum Jahre 1876 die Verpfän-
dungen von 321,701 auf 439,800 Fälle und die Pfandsummen dort 2.672,624,
hier 3,401.631 fl. betrugen; ist seither zwar die Zahl der Verpfändungen
erheblich grösser geworden (im Jahre 1889 betrug sie 550,520), dagegen
aber die Höhe der ausbezahlten Beträge continuirlich gesunken; im Jahre
1889 steht sie nur auf 2.476,405 fl., also niedriger als im Jahre 1871, da sie
2.672,624 fl. gewesen.
Ein erfreuliches Moment zeigen die erfolgten Auslösungen der Pfand-
Objecte. Während nämUch bis zum Jahre 1 876 die Höhe der Auslösungs-
summe stets hinter der Grösse der ausbezahlten Pf^dbeträge zurückgeblieben
war, machen seither die zurückgezahlten Summen in der Regel mehr aus als
die geborgten Beträge. Im Jahre 1889 wurden 541,219 Pfandstücke um
2,488.323 fl. ausgelöst. Die Bestanzen bewegen sich in Bezug auf die Objecte
in aufsteigender Linie, hinsichtlich des Geldwertes zeigen sie mit einigen
Variationen im Grossen und Ganzen abnehmende Tendenz.
Im Jahre 1876 war z. B. die restliche Stückzahl 246,837 mit einem
belehnten Werte von 2.255,863 fl., im Jahre 1889 hatte erst^re 251.121
Stücke, letzterer 1.389,660 fl.
Bei der Gründung des königlich ungarischen Leihhauses hatte dasselbe
einen Zinsfuss von lOVe^/o, der bis zum Jahre 1840 aufrechterhalten blieb.
In diesem Jahre wurde derselbe auf 9^Va7®/o herabgesetzt, dagegen im Jahre
1874 (in Folge der Krisis vom Jahre 1873) auf 12®/o erhöht und erst im
Jahre 1879 wieder auf 10 Percent reducirt. Dieser Zinsfuss ist auch heute
noch in Geltung. An Zinsen flössen im Jahre 1889 im Budapester könig-
lichen Leihhause 159,598 fl. 78 kr. ein.
Das zum Umsatz erforderliche Oapital entiehnt das Leihhaus teils
einzelnen Geldinstituten, teils von Privaten zu verschiedenem Zinsfusse.
Im Jahre 1889 hatte die Anstalt auf solche Weise 982.304 fl. 94 Vs kr. auf-
genommen und an Zinsen 54,099 fl. 34 kr. gezahlt.
Ausser dem innerstädtischen königl. Leihhause besteht in Buda-
pest noch eine Filiale desselben in der Vorstadt Theresienstadt.
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^^ UK0ARN8 INDUSTRIE, BaKDBL XJKD VBRKEHE IM JAHfiE iSSd.
Diese Zweiganstalt wurde am 1. Juni 1881 im eigenen neuen Oebäude
eröffnet; sie ist in Bezug auf den Pfandverkehr selbständig, hat jedoch kein
eigenes Vermögen, denn ihre Einkünfte kommen alle auf Bechnung des
innerstädtischen Hauptinstituts. Desgleichen untersteht sie derselben
Direotion. Ihr Geschäftsverkehr ist ein bedeutender; denn im Jahre 1889
war die Zahl der Verpfandungen 276,000 Stück mit einem Capital von
1.224,768 fl. und die Zahl der Auslösungen 259,720 Stück mit einem Be-
trage von 1.212,707 fl. An Bestanzen zählte man 122,488 Stück mit
624,091 fl. Capital. An Zinsenerträgniss ergaben sich 65,739 fl. 83 kr.
Im Jahre 1889 wurden in beiden Anstalten 83,240 Pfandobjecte ver-
steigert. Die Institute hatten darauf eine Forderung von 339,303 fl. 71 kr.;
das Licitations-Ergebniss war 463,840 fl. 81 kr., so dass nach Befriedigung
der Instituts-Forderungen noch 124,537 fl. 10 kr. zu Gunsten der Parteien
übrig blieben. Was innerhalb drei Jahren nicht in Empfang genommen wird,
verfällt der Gasse des Leihhauses.
Für die königl. ung. Pfandleihanstalten wirken drei Vermittlungs-
Institute, welche dann wieder Pfandsammei-Geschäfte in verschiedenen
Teilen der Stadt errichten. Solcher Sammelgeschäfte zählte man im Jahre
1889 insgesammt 78.
Die nach G.-Ari XIV: 1881 geschaffenen Privatleih-Anstalten unter-
stehen gleichfalls dem Handelsminister, dessen Hauptbestreben darauf
gerichtet ist, die Leihgebühren nach den jeweiligen Localverhältnissen zu
ermässigen, damit das verpfändende, zumeist arme Publicum nicht über-
mässig belastet werde.
Der Schutz der industriellen Erfindungen wurde in Oesterreich zuerst
im Jahre 1810 durch ein Statut geregelt; diesem folgte hauptsächlich unter
Einfluss des französischen Privilegien- Gesetzes am 8. Dezember 1820 ein
kaiserliches Patent, welches durch die ung. Hofkanzlei im Wege des kön. ung.
Statthaltereirates unter dem 21. August 1821 allen Municipalbehörden zur
Damachachtung zugestellt wurde. Die Municipien empfingen dieses Patent
mit grossem Missfallen und dasselbe bildete auf dem Landtage von 1825/27
eines der Landes-Gravamina. Die weiteren österr. Gesetze und Verordnungen
in Angelegenheit der Industrie-Privilegien fanden zwar in Siebenbürgen und
in der Militärgrenze Einführung ; im eigentlichen Ungarn beschäftigte sich
erst G.-Art. 66 vom Jahre 1840 mit den Privilegien, dieses Gesetz kam jedoch
kaum zur Geltung. Im Jahre 1 852 regelte ein kaiserliches Patent die industriel-
len Privilegien und diese Verordnung blieb bis zimi Jahre 1867 in Kraft.
Erst der G.-A. XVI vom Jahre 1867 ordnete in Ungarn die Privile-
girung der gewerblichen Erfindungen. Darnach stehen diese Erfindungen
nach gleichen Grundsätzen in beiden Beichshälften unter gesetzlichem
Schutze; diese Bestimmung wurde dann auch in den Jahren 1878 und 1881
bei Ernouerung des Zoll- und Handelsbündnisses beibehalten ; nur in Betreff
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ÜNÖABNS INDUB131IB, HANDEL UND VBRKEHB IM JAHRE 1889. 205
der Gebührenverteilang zwiscfaen Ungarn und Oesterreich fanden einige
Abänderungen stau Uebrigens erbeiscbt die zeitgemäase Begelung der
Patentsachen eine entsprechende Beform des betr. Gesetzes, worüber zwi-
schen den beiderseitigen Regierungen die Verbandlungen bereits im
Zuge sind.
Im Jahre 1889 wurden insgesammt 3481 Patente erteilt; davon ent-
fielen auf ungarische Staatsangehörige 261 (7*469 o/o), auf Oesterreicher
1265 (36-340 o/o) und auf Ausländer 1956 (56191 o/o)-
Die Zoll' und HandeU- Angelegenheiten stehen mit den übrigen Fac-
toren und Entwicklungen der Handels- Politik im unmittelbaren, wechsel-
seitigen organischen Zusammenhang, weshalb bei der amtlichen Erledigung
der hieher gehörigen Agenden der leitende Minister seine Aufmerksamkeit
auf die Anforderungen des praktischen Lebens überhaupt und insbesondere
jener Bichtung zuwenden musste, welche unter objectiver Berücksichtigung
unserer volkswirtschaftlichen und staatlichen Lage und der durch die gegen-
wärtigen europäischen Wirtschaftsverhältnisse geschaffenen Situation der
Befriedigung des praktischen Lebens am meisten zu entsprechen schien.
Das Hauptbesfreben des Handelsministers war indessen dahin bemüht,
die drnckenden Folgen der jetzt herrschenden, absperrenden Schutzzoll-
Politik möglichst zu oompensiren oder mindestens abzuschwächen und zur
Erleichterung und Beförderung sowohl des Binnen- wie des Aussenhandels
alle zur Verfügung stehenden Mittel und jede sich darbietende (jelegenheit
zu rechter Zeit und mit gehöriger Vorsicht und Energie zu benützen.
Hinsichtlich der Zoll- Angelegenheiten steht für das Jahr 1889 an
erster SteUe die nach G.-Art XXIV vom Jahre 1887 mit dem 31. Dezember
1889 vorgeschriebene Auflassung der Freihäfen von Triest und Fiume. Da
jedoch die Vorarbeiten hinsichtlich Triests bis zu dem obigen Termine nicht
beendigt waren, so wurde der Aufhebungs-Termin bis zum 1. Juli 1891
verlängert
Den an Getreidemangel leidenden dalmatinischen und Quamero-
Inseln wurde gestattet, jährlich höchstens 80,0(X) Q. Mais und 20,000 Q.
Weizen und Hirse zollfrei einzuführen. Einer ähnlichen Vergünstigung
erfreuten sich im Jahre 1889 auch die südtirolischen Gemeinden Casotto
und Pedemonte.
Die sonstigen Detail Verfügungen in Zoll- Angelegenheiten können wir
an dieser Stelle nicht weiter verfolgen.
In Bezug auf die Hebung und Beförderung des Aussenhandels kommt
die Initiative und Ausbreitung zunächst der Privatthätigkeit zu ; die Begie-
rung kann hierin kaum etwas anderes thun, als die der Entwickelung im
Wege stehenden Hindernisse hinwegzuräumen und auf die Interessenten
aneif^md einzuwirken. Dabei legte der Minister ein besonderes Gewicht
darauf, die Ooncurrenzfähigkeit unseres Handels zu erleichtem, die auf-
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206 UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
täucfaenden Schwierigkeiten möglichst zu bewältigen und zur Eroberung und
Sicherung des uns nahegelegenen Marktes in den orientalischen Ländern
das Interesse und die zielbewusste Bewegung in den weiteren Kreisen unserer
Industriellen zu wecken und wach zu erhalten.
Hierher gehört die Errichtung des Handels- Museums inBudapest,
welches im Jahre 1885 entstanden ist und seither durch Minister Baross
eine bedeutsame Erweiterung erfahren hat. Ziel und Aufgabe dieses Mu-
seums ist : a) Bekanntmachung aller jener Waaren- Artikel, welche in Ungarn
concurrenzfähig erzeugt werden und deshalb auf Export rechnen können ;
b) Bekanntmachung aller jener Handels-Artikel, welche im Aaslande,
namentlich im Orient in grösserem Maasse consumirt werden, um so den
inländischen Erzeugern und Händlern die nötigen Fingerzeige zu bieten ;
c) möglichste Orientirung der Producenten über jene Bedürfnisse des ein-
beimischen und des fremden Consums, an dessen Deckung wir Teil nehmen
können.
An dieser permanenten Ausstellung im Handels-Museum nahmen im
Jahre 1887 671, im Jahre 1888 750, im Jahre 1889 746 Aussteller Anteil.
Ausserdem finden jährlich periodische Obst-, Honig- und Eäse-Ausstel-
lungen statt. Das Budapester Handels-Museum hat in Salonichi und in Belgrad
seine Vertreter und in Serajewo soll eine Filiale desselben errichtet werden.
Um die Wirksamkeit des Instituts zu erhöhen, hat Minister Baross
bei Gelegenheit der neuesten Organisation dieses Handels-Museums dasselbe
mit dem Handels-Ministerium in nähere Verbindung gebracht und zur Lei-
tung und Ueberwachung eine Aufsichts-Gommission bestellt, an welcher
ausser einigen Mitgliedern aus dem Schosse des Ministeriums noch eine
Anzahl ernannter Vertreter des Handels- und Gewerbestandes teilnehmen.
Die Hauptthätigkeit richtet das Institut auf die Hebung, Belebung und För-
derung des ungarischen Exporthandels in den Balkanstaaten. Dazu dienen
nicht blos die schon erwähnten Vertretungen und Musterlager des Museums
in Belgrad und Salonichi sowie die Filial- Anstalt in Serajewo, sondern
auch besondere reisende Handels-Agenten und an verschiedenen wichti-
geren Handelsplätzen zu bestellende Berichterstatter und Gorrespondenten.
Denselben Zweck der Aufklärung und Orientirung hat auch die im Handels-
Museum errichtete bosnisch-herzegowinische Abteilung und das mit einer
Fachbibliothek verbundene merkantilische Auskunfts-Bureau. Ungemein
erschwert wird diese Action des Ministers durch die oft fast unglaubliche
Scheu, ünerfahrenheit und vollständige Unorientirtheit unserer Geschäfts-
leute in Sachen des Aussenhandels. Es soll durch das Handels-Museum die
Selbstthätigkeit der Interessenten keineswegs geschmälert oder gar beseitigt
werden ; die Aufgabe des Museums besteht nur in der Anregung, Beförde-
rung und Unterstützung der Handels-Unternehmungen Einzelner und
ganzer Gesellschaften und Vereine.
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UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889. 207
Ein besonderes Angenmerk wendet Minister Baross der «Bückerobe-
rang des griechischen Marktes für den nngarischen Export» zm Deshalb
soll Fiume mit den vornehmsten Häfen Griechenlands in nnmittelbaren
Verkehr gesetzt werden.
Ebenso ist der Minister bestrebt, die Hindemisse des ungarisclhen
Wein- Exports zu bewältigen. Der Minister hat zu diesem Zwecke Sachver-
ständige zum Studium der Weinconsum-Verhältnisse namentlich in der
Schweiz entsendet und sodann deren Berichte einer Fach-Enquete zur Be-
gutachtung und Beurteilung vorgelegt. Hauptsache sei, dass dem auslän-
dischen Gonsumenten das ungarische Product in seiner gesicherten Reinheit
und Unver&lschtheit bekannt und leicht zugänglich gemacht werde.
Von grosser Wichtigkeit für Ungarns Aussenhandel sind ferner die
Beziehungen zum deiUschen Reiche, und da kommt für das Jahr 1 889 nament-
lich das Verbot der Einfuhr von Schweinen dahin in Betracht. Den aus-
dauernden Bemühungen des Ministers Baross und seines GoUegen, des
Ackerbau-Ministers, ist es gelungen, den deutschen Beichskanzler zu be-
stimmen, dass er dieses Einfuhrverbot für Transporte lebender Schweine
aus Steinbruch mindestens für eine Anzahl bestimmter Einfuhrsplätze er-
heblich gemildert hat. Die Schweineausfnhr Ungarns bewegte sich in den
Jahren 1882 und 1889 zwischen 542,099 (1888) und 778,119 (1887) Stück
und den Geldwerten von 31.119,840 (1888) und 44.377,760 fl. Im Jahre
1889 wurden exportirt 601,502 Stück im Werte von 37.831,591 fl.
Auch die von Frankreich her drohende Gefahr einer empfindlichen
Einschränkung, ja Verhinderung unseres Exportes von Schafen und Schaf-
fleisch wurde glücklich überwunden; im Allgemeinen litt jedoch der ge-
sammte Vieh-Export an Bindvieh, Schafen^ Ziegen und Schweinen der
österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1889 erheblich durch die
ausgebrochene Maul- und Klauenseuche.
Ungünstig beeinflusst wird Ungarns Spiritus-Export durch das seit 1887
in der Schweiz eingeführte Sprit-Monopol und dann durch die drückende
Goncurrenz der deutschen Branntwein -Production. Zu mehrfachen Klagen
gab das serbische Zollamt in Belgrad Anlass, namentlich deshalb, weil es
von jedem Marktbesucher aus Semlin bei Uebertretung der Grenze von dem
einzelnen Stück Vieh einen Gesundheitspass mit einer Stempelmarke von
einem Dinar abforderte. Mit Bussland gab es im Jahre 1889 Schwierigkeiten
wegen der Einfuhr von Weinreben, Weintrauben, Obst und Gemüse ; mit der
Türkei hinsichtlich der Einfuhr von Bum u. a. m.
Indem wir auf die im Jahre 1889 mit fremden Staaten geschlossenen
handelspolitischen Verträge und Uebereinkommen^ welche sich jedoch haupt-
sächlich auf die Begelung der Patentsteuerfrage in der Türkei, in Aegypten
und in Bulgarien beziehen, sowie auch auf die ohnehin einer gründlichen
Beform unterliegenden Oonsular- Angelegenheiten hier des Näheren nicht
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208
UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
eingeben, geben wir nur nocb die wicbtigsten statistiBcben Daten mit Bezug
auf den ungariscben AusBenbandel in den Jahren von 1885 — 1889.
Damacb betrag die Eivjvhr im Jahre in Tausenden von
Meterzentnern
Stack
Geldwert
(Tatuenden von Golden)
im Jahre 1885
15,419
307
448,889
< • 1886
13,527
236
416.237
. . 1887
13,913
220
434,504
. . 1888
15,283
274
446,631
• < 1889
16,438
267
459,478
Die Ausfuhr dagegen war:
Heteizentoer
Stock
Geldwert
(TauBenden von
im Jahre 1885
29,923
48,831
396,148
. • 1886
29,682
32,298
417,846
. . 1887
31,769
41,206
402,528
. • 1888
36,976
52,081
444,383
. . 1889
34,479
63,346
460,563
Jahre
Der Gesammtverkehr in Tausenden von Gulden betrug somit im
1886
845,037
1886
834,083
1887
837,032
1888
891,014
1889
920,041
Die Einfuhr zeigt sich nur in den zwei Jahren 1886 und 1889 activ^
dort mit 1,609, hier mit 1,085 Tausend Gulden.
Ungarns Aussenhandel befindet sich sowohl hinsichtlich seines
Umfanges wie seiner Richtung im Ganzen in fortschreitender Entwickelung.
Die hauptsächlichsten Import- Artikel sind: Textil-Producte, Baum- und
Schafwoll-, Leinen-, Flachs-, Jute- und Seidenwaaren und Bekleidungs-
stücke; diese Gruppen allein betrugen im Jahre 1889 die Summe von
195.550^000 fi. Ausserdem werden in grösseren Mengen eingeführt: Leder
und Lederwaaren, Holz-, Eisen- und Möbelwaaren, wissenschaftliche und
musikalische Instrumente, Uhren, Getränke, Schlacht- und Zugvieh, Zucker,
Uterarische und Kunstgegenstände, Petroleum, Steinkohle u. a. Der
Getreide-Import hat seit dem Zollkriege mit Bumänien erheblich abge-
nommen.
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UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 18S9.
209
Ausfuhrproducte sind vor Allem Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl u. s. w.
Ungefähr die Hälfte des ungarischen Exports gehört dieser Gruppe an.
Hierauf folgen: Schlacht- und Zugthiere, Holz, Kohle, Torf, Wolle
und WoUwaaren, Mineralien, Getränke, Gemüse, Obst, thierische Pro-
ducte u. s. w.
Der Haupthandelsverkehr Ungarns findet selbstverständlich mit dem
benachbarten Oesterreich statt, das bei der Einfuhr mit 80— 86Vo, bei der
Ausfuhr mit 69 — 74®/o beteiligt ist. Das deutsche Beich liefert Ungarn in
bedeutender Menge BaumwoUwaaren, Frankreich hauptsächlich Seiden-
fabrikate. Deutschland ist ein guter Abnehmer des ungarischen Schlacht-
viehes, namentlich der Schweine (Jahresausfuhr 1889: 93,378 Stück); da-
gegen haben wir seit 1882 für unser Mehl den deutschen Markt fast gänzlich
verloren ; ebenso ist unser Mehl-Export nach der Schweiz zurückgegangen
und in En^nd stationär geblieben. Von unseren südlichen Nachbarn ist das
Königreich Serbien mit seinen wichtigsten Export- Artikeln (hauptsächlich
Schweine, Ochsen, gedörrte Pflaumen, Wein) nahezu ausschliesslich auf
Ungarn und Oesterreich angewiesen ; die Einfuhr von dort betrug im Jahre
1889 schon 17*9 Millionen Gulden; im Jahre 1884 erst 1 1*4 Millionen Gulden.
Hinsichtlich Rumäniens ist der Zollkrieg bei der Einfuhr weit fühlbarer als
bei unserer Ausfuhr. Eine günstige Entwickelung nimmt der Handelsverkehr
mit Bosnien-Herzegowina, wohin unser Export von 2.882,000 fl. (1884) auf
4.905,000 fl. im Jahre 1 889 gestiegen ist. Auch mit Bulgarien und Ost-
rumelien zeigt unsere Ausfuhr eine zunehmende Tendenz.
Einen erfreulichen Aufschwang hat in den letzten Jahren Ungarns
maritimer Handelsverkehr genommen. Angesichts der europäischen Schutz-
zollpolitik und der hohen Eisenbahntarife musste man zur Gewinnung und
Behauptung eines unabhängigen und wohlfeilen Ezportweges vor Allem den
Verkehr zur See pflegen. Diesem Zwecke dienten alle jene Vorkehrungen des
Handelsministers, welche im Interesse der Förderung des Handelsverkehres
mit Fiume getroffen wurden. Diese Vorkehrungen bezogen sich aber nicht
blos auf die Erleichterungen in der Zufuhr, sondern auch auf die Hebung
des See- Verkehres selbst, um so Eisenbahn und Schifffahrt in gehörigen
Zusammenhang und in üebereinstimmung zu bringen. Andererseits wurden
die Verkehrsmittel zur See vermehrt, neue überseeische Verbindungen ange-
knüpft und neue Handelslinien eingeführt. Ebenso regelte der Handels-
minister die amtliche Behandlung der Marine-Angelegenheiten in zweck-
dienlicherer Weise.
Auf die Anführung von Details müssen wir an dieser Stelle verzichten
und begnügen uns mit der Angabe einiger Hauptziffem, welche den unge-
meinen Aufschwung des Seeverkehrs des ungarischen Haupthafens von
Fiume klar beweisen. Es war nämlich in Fiume an Geldwert
UngwiMhe Banie, XI. 1891. lU. Hell. 14
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210
UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
im Jahre 1880
1881
1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
die Einfuhr
7.851,655 fl
12.179,211
14.828,127
21.712,293
23.224,335
21.882,325
20.8il,027
20.719,611
23.723,477
26.202,627
die Ausfuhr
13.362,498 fl.
22.323,810
29.149,865
43.011,562
44.950,026
54.333,479
54.931,288
54.459,675
68.204,551
62.319,470
zusammen
27.214,153 fl
34.503,021
43.977,992
64.723,855
68.174,361
76.772,315
75.772,315
75.179,286
91.928,028
88.522,097
Während dieses Decenniums hat also die Einfuhr um 18.350,972 fl.
oder 221.80/0, die Ausfuhr um 42.956,972 fl. oder 211-8o/o, der Gesammt-
verkehr um 61.307,944 fl. an Geldwert zugenommen.
Vom Einfuhrswert entfielen im Jahre 1889 auf Schiffe unter öster-
reichisch-ungarischer Flagge 44.1 o/o > auf sämmtliche fremde Flaggen aber
55.90/0. Beim Export war die österreichisch-ungarische Flagge mit 42.9 0/0,
die fremden Flaggen jedoch mit 57.1 0/0, beteiligt. Im Vergleich mit dem
Jahr 1888 zeigen diese Verhältnisszahlen für unsere Flagge eine Besserung
mit 5.70/0.
Eine Staatssubvention genossen: 1. die ungarische Seeschiffahrts-
Gesellschaft cAdria»; 2. der • österreichisch-ungarische Lloyd»; 3. dasFiuma-
ner Dampfschiffahrts-Ünternehmen tSwerljuga & Comp.t; 4. das Dampf-
schiffahrts-Untemehmen «Erajacz & Comp.» in Zengg und 5. der Unter-
nehmer Leopold Schwarz in Agram. Den Hauptexport aus Fiume unter-
hält die Actiengesellschaft lAdria» mit zehn eigenen Dampfern zu 8847
Tonnengehalt. Ausserdem steht die Gesellschaft mit englischen Bhedem
in festem Vertragsverhältnis behufs Lieferung von Export-Schiffen. Im Jahre
1889 unternahm die GeseUschaft 272 Fahrten und zwar 156 für Export
und 116 für Import. Der Gesammtverkehr umfasste 279,489 Tonnen und
21,161 Kubikmeter. Die Hauptrichtung unseres Exports zur See geht nach
dem Westen und darin liegt die grosse Bedeutung der ungarischen See-
sohiffahrts-GeseUschaft «Adria.»
Der Schiffsverkehr Fiumes im Jahre 1889 betrug: angekommen
5,158 Schiffe (2948 Dampf- und 2,210 Segelschiffe) mit 814,632 Tonnen-
gehalt (davon 114,270 Tonnen leer); ausgelaufen 5145Schiffe( 2932 Dampfer
und 2213 Segler) mit 825,948 Tonnen (davon 115,599 Tonnen leer). Gegen
1888 war die Zahl der Dampfer um 462, der Tonnen um 113,785 grösser;
dagegen die Zahl der Segler um 425, der Tonnen um 28,533 geringer; so
dass insgesammt der Schiffsverkehr sich blos um 37 Fahrzeuge mit 85,253
Tonnengehalt erhöht hatte.
Gegenüber jenem von Fiume ist der Schiffsverkehr der übrigen Seehäfen
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UNGARNS INDUSTRIE, HANDBL UND VERKEHR IM JAHKB 1889. 211
an der ungarisch-kroatischen Küste ein zanaeist wenig bedeutender. Es
verkehrten im Jahre 1889 in den H&fen :
Angekommen :
Aosgelanfan:
beladen
leer
beladen leer
Buccari
426
80
362 121
Portorö _.
1141
45
1182 8
Girqaenizza
911
51
857 101
NoTi
482
151
219 412
Selze
620
206
313 513
Zongg
762
103
786 54
San Giorgio
58
73
95 38
Stinizza
5
89
42 —
Jablanacz
76
19
18 77
Garlopago
173
5
156 22
Zasammen
4654
770
3830 1346
Bescheiden wie dieser Schiffsverkehr in den zehn ungarisch-kroati-
schen Küstenplätzen^ ist selbstverständlich auch der hierdurch vermittelte
Güterumsatz. Die meisten der ein- und auslaufenden Schiffe sind nur
Küsten- und Lokalfahrer und die grosse Anzahl der leer verkehrenden
Fahrzeuge beweist deutlich die Geringfügigkeit des hier betriebenen
Handels.
Ueberhaupt (und darauf weist auch der Minister nachdrücklich hin)
hemmt einen kräftigeren Aufschwung unseres Handelsverkehrs zur See
der Mangel an einheimischen Gapitalien sowie die geringe Initiative, der
schwache Unternehmungsgeist und der fehlende merkantilische Blick,
welcher über die engen Grenzen des unmittelbaren Verkehrs hinausreichend
die Verhältnisse, Bedingnisse und Fördemisse überseeischer Handelsbezie-
hungen aufzufassen, zu würdigen, zu pflegen und zu erweitem vermag.
Möge hierin das voranleuchtende Beispiel des ung. Handelsministers G. v.
Baross in den zunächst interessirten Kreisen die gewünschte frachtbare
Nachfolge finden !
Prof. Dr. J. H. Sohwiokbb.
14*
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212 BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATHIAS COBVINUS ZU WIENER- NEUSTADT
BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATHIAS CORVINUS ZU WIENER-
NEUSTADT UND DER CORVINUS-BEGHER.
Nicht lange nach dem Antritt seiner Regierung trat Mathias Corvinus
in Beziehungen zu der österreichischen Grenzfestung Wiener-Neustadt. Die
Bürger dieser Stadt besassen zahlreiche Weingärten auf ungarischem Gebiete,
insbesondere in der Oedenburger Gespanschaft, und zwar in solcher Aus-
dehnung, dass schon Herzog Albrecht III. (1378) eine Beschränkung dieses
Besitzes in fremdem Lande geraten fand. Diese Weinberge waren es auch,
welche den ersten Befehl (sowie die meisten folgenden) des Königs Mathias
zu Gunsten von Wiener-Neustadt veranlassten. Derselbe erfloss zu Oeden-
burg am 20. Juli 1463* und bedeutete den Dreissigsteinnehmern, von den
Neustädtem für ihre auf dem ungarischen Boden gebauten Weine keinen
Dreissigst mehr einzuheben, wie zuvor imberechtigter Weise geschehen
sei ; denn die Weinberge der Bürger von Wiener-Neustadt in Ungarn seien
von dieser Abgabe zufolge eines Privilegiums von König Ludwig (dem
Grossen) befreit. An demselben Tage ergeht auch an den Bischof von Raab
die Weisung, dass er von den Neustädtern für ihre ungarischen Bauweine
keine anderen Abgaben zu erheben habe, als von seinen inländischen Unter-
thanen. Da diese beiden Erlässe schon am nächsten Tage nach dem end-
giltigen Abschluss des Friedens zu Oedenburg zwischen Kaiser Friedrich III.
und König Mathias ausgefertigt wurden, so liegt die Vermutung nahe, dftös
der Kaiser selbst bei den Unterhandlungen, die bereits 1462 begonnen
hatten, die Sicherung der Rechte seiner Unterthanen in Ungarn, die durch
den vorausgegangenen Krieg gefährdet waren, in die Hand genommen habe.
Bei dem nächsten Erlass des Ungarkönigs für Wiener-Neustadt ist dies aus-
drücklich hervorgehoben: am 14. November 1468 trägt nämlich König
Mathias von Ofen aus den ZoUeinnehmem auf, den Bürgern von Wiener-
Neustadt, wenn sie ihre auf ungarischem Boden gebauten Weine abführen,
keine Abgaben abzuverlangen, wie es geschehen sei; nur die von den
genannten Bürgern in Ungarn gekauften Weine sollen der Besteuerung
unterliegen. Er gestatte jenes aus Ehrfurcht und aus Gefälligkeit (ob respec-
* Es findet sich im hiesigen Archiv wohl auch ein angeblicher Befehl des
Königs Mathias Dienstag nach Lukas 1458 in einer Abschrift aus der Mitte des 17.
Jahrhunderts. Die erste Vergleichung ergibt sofort, dass derselbe identisch ist mit dem
Befehle vom 20. Oktober 1478.
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ÜltD t)teB CORVn^S-BfeCHÄÄ. 213
tum et complacentiam) gegen den Kaiser, der sieb für Wiener-Neustadt ver-
wendet habe. Kaiser Friedrich residirte ja in dieser Stadt, und man konnte
sich daher gleich direct an ihn wenden. Zehn Jahre später, am 20. October
1478, abermals nach Beendigung eines Krieges mit Kaiser Friedrich EI.,
ergeht von Ofen aus neuerdings ein königlicher Befehl an den Hauptmann,
Bürgermeister, Eichter und die Geschwornen zu Oedenburg, welcher darauf
hinweist, dass in der vergangenen Weinernte abermals manche Weine von
Wiener-Neustädter Bürgern angehalten wurden, und der den Auftrag gibt,
dies fürder hintanzubalten.
n.
Das letzte Jahrzehent der Regierung des Königs Mathias ist von wie-
derholten Kämpfen gegen Oesterreich ausgefällt ; in diese Zeit fallt auch die
zweimalige Belagerung von Wiener-Neustadt 1486 und 1487 und die Ein-
nahme der Stadt im letzterwähnten Jahre zufolge eines Vertrages. Da näm-
lich trotz der wiederholten Zuschriften und Versprechungen des Kaisers
und seines Sohnes, des römischen Kaisers Maximilian, der Entsatz nicht
eintraf, und Wiener- Neustadt in Hungersnot geriet, so traf der Ungarkönig
mit der Stadt, vertreten durch ihren kaiserlichen Hauptmann Hans Wül-
fenstorflfer, durch Bernhard von Westernach, Karl Augspurger, Balthasar
Hagen, Siegmund Wienberger, Hans Kunigsfelder, sowie durch ihren Bür-
germeist-er Jacob Kelbel, ihren Stadtrichter Wolfgang Färstenberger und
den Rat, am St. Peter- und Paulstage die Vereinbarung, dass die Stadt nach
Ablauf von sieben Wochen sich ihm ergeben solle, falls es während dieser
Zeit nicht dem römischen Kaiser oder seinem Sohne gelinge, mit 3000
Wehrhaften den ungarischen Cordon zu durchbrechen, und ohne Unter-
stützung von Seite der Belagerten in die Stadt zu dringen. Der Besatzung
und ihrem Hauptmann und wer von Geistlichen oder Weltlichen mit ihnen
gehen wolle, wird freier Abzug mit Wehr und Waffen gestattet; doch sollen
sie, was des Kaisers sei, weder mit sich wegführen, noch vergraben, ver-
mauern oder sonst verbergen. Die Gerechtsame der Stadt verspricht der
König in ganzem Umfange zu belassen ; und was den Bürgern oder der
Geistlichkeit in Wiener-Neustadt Schadens an ihren Häusern, Weinbergen,
Wiesen, Aeckem oder anderem liegenden Besitze in diesem Kriege zugefügt,
oder was anderen gegeben worden seif das solle ihnen wieder zurückersetzt
werden. Auch wolle er sie mit ihrem Gesuche bezüglich des Ungelds und
bezüglich der Juden fgnediglich bedennckhen». Der Status quo solle von
deb Belagerten und von den Belagerern streng eingehalten werden.
Die Frist lief am 17. August ab, ohne dass das gehoffte Entsatzheer
sich zeigte, und so kam die Stadt in den Besitz des Mathias Gorvinus, und die
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il4r BEZIEHUNGEN DBS KÖNIGS MATHIAS CORVINUS ZU WlENER-NEUSTABf
Bewohner mossten ihm sofort huldigen und schwören. Boeheim * erzählt
nach Bonfin sehr ausführlich die darauf folgenden Feierlichkeiten, darunter
ein Faradegefecht auf der Haide. Etwa zwei kleine Wegstunden nördlich
von Wiener-Neustadt, in der Nähe des Dorfes Sobnau, ist ein derzeit viel-
leicht noch 2 M. hoher künstlicher Hügel auf dieser Haide, der nach der
Aussage des dortigen Grundbesitzers früher etwa doppelt so hoch war, in
dessen Innerem sich Quadern vorfanden und noch vorfinden sollen. Diese
Erhöhung heisst noch jetzt Eönigshügel und würde sich zu einer Ueber-
blickung des Steinfeldes besonders eignen. Allerdings lässt sich ein Zusam-
menhang mit Mathias Corvinus und seiner Anwesenheit in Niederösterreich
nicht weiter nachweisen, und von den über diesen Hügel gehenden Sagen,
die übrigens sämmtlich unhaltbar sind, erinnert keine an die fragliche Zeit
m.
Nun handelte es sich darum, die in den üebergabsbedingungen gege-
benen Zusagen zu erfüllen. Mathias Corvinus zeigte, dass es ihm Ernst mit
denselben gewesen war : er wollte jedesfalls die Burger von Wiener-Neu-
stadt, das ihm einen wichtigen Stützpunkt an dem Westufer der Leitba bil-
dete, für sich und seine Herrschaft gewinnen. Daher bestätigte er schon am
7. September 1487 alle Privilegien der Stadt, die sie je erhalten hatte. Wohl
konnte man nicht darauf rechnen, dass die Unterthanen des ungarischen
Königs in den Erblanden des Kaisers der Mautfreiheit, einer der ältesten
Begünstigungen von Wiener-Neustadt, hinfür werden geniessen können;
dafür wird den Neustädtem diese Freiheit in allen, von Mathias beherrschten
Landen — das Privilegium nennt Ungarn, Böhmen, Mähren, Schlesien —
für alle Zeiten gewährleistet ; auch werden ihnen alle Bechte zugestanden,
deren die freien Städte seiner Lande teilhaftig sind. Und falls etwa ein
Erlass seiner Vorgänger auf dem Trone hiemit im Widerspruch stände, so
solle derselbe den Neustädtern kein • schaden, abpruch oder Verletzung
bringen.»
Mathias gieng aber noch weiter. Schon vier Tage später (am 11. Sep-
tember) vergünstigte er den Bürgern der Stadt, dass sie von dem Wein-
gulden frei blieben, der für jeden fDreiling» Wein bei der bevorstehenden
Lese eingehoben werden sollte ; und zwar, i damit Sy aus dem verderben
darein Sy gesetzt, widerumb zu aufnemen komen», damit sie die Türme,
Mauern, Stadtwehren, die, wie der König selbst in der vorerwähnten Bestä-
tigung aller Privilegien sich ausdrückt, mit ciain zerrüttet und verwüstet
waren, wieder aufbauen können». Am 3. October trägt er dann allen unga-
* Ferdinand Carl Boebeims Chronik von Wiener-Neustadt, herausgegeben von
Wendelin Boeheim. I. Band. S. 150 tL
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ÜKD DER CORViKüS-BfiCHBR. 215
rifichen Beamten, Bebörden und ünterthanen auf, die Neust&dter wegen
ihrer Weinberge nirgends und in keiner Weise zu belästigen. Am 6. Juni
des folgenden Jahres ei^eht an den Vicegespan des Oedenburger Gomitats
Benedict von «Eysfalwd» und die Geschworenen wieder eine Weisung zu
Gunsten der Neustädter : trotzdem die Bewohner von Wiener-Neustadt gleich
denen von Ofen von jeder Zahlung von Steuern (tributi seu thelonii) durch
seine Huld befreit seien^ werden sie doch an manchen Orten des Gomitats
hiezu verhalten, worüber sich jene beschwert hätten. Von dieser Bedrängung
sei unbedingt abzustehen. Am 13. Dezember 1488 wird Wiener-Neustadt
neuerdings ein wichtiges Privilegium verliehen. König Mathias statuirt, dass
die Bürger der Stadt nirgends mit Leib oder Gut wegen irgend einer Fropess-
sache angehalten werden dürfen. Wer eine Forderung an einen der Neu-
städter habe, müsse sich an den Bürgermeister, Richter und Bat ihrer Stadt
wenden ; alle anderweitig über Leib oder Gut derselben geBchöpfte^ Urteile
haben nicht Kraft noch Geltung.
üebergehend auf die Gutmachung der Verluste^ welche Neustädter
Bürger durch den letzten Krieg erlitten haben, kommen wir zunächst auf
jene Häuser, welche durch die Belagerung der Stadt zerstört worden waren.
Aach in dieser Richtung that Mathias Gorvinus das Seinige, um die Nea-
anterworfenen für sich zu gewinnen. Schon am 4. September 1487 wurde
Leopold von Wehing auf Befehl des Königs für ein Haus in der Neun-
kirchnerstrasse an Gewähr geschrieben ; am 16. September wurde dem Bür-
germeister der Ststdt, Jacob Kelbel, für seine drei abgebrochenen (kleinen)
Häuser und «von Gnadenwegen» das Haus des Wilhelm von Auersperg
überlassen. Am 13. März 1489 ergeht dann von Wien aus eine Zuschrift
des Königs an den Rat von Wiener-Neustadt : es sei sein Wille, dass die
Mitbürger der Stadt, deren Häuser in den Vorstädten i^gebrochen wurden,
und die jetzt keine Unterkunft haben, jene Häuser und Gärten erhalten
sollen, die ihnen auf königlichen Befehl sein Kämmerer und Burggraf i Jan
Tartzay» ausgezeigt habe. Darauf hin werden am 18. März drei, am 19. März
vier Bürger, am 20. März eine Bürgersfrau mit ihren Kindern und am
5. Mai ein Bürger an Gewähr für die zugewiesenen Häuser geschrieben.
Am 3. März war der Stadtgemeinde selbst ein Haus verliehen worden :
auch sie hatte Verluste in den Vorstädten erlitten. Einige weitere An-
schreibungen am 6. und am 15. Mai veranlasste der königliche Stadthaupt-
mann «Fogam Fetter». Die betrefifenden Häuser rührten grösstenteils von
Männern her, die mit dem kaiserlichen Hof in Verbindung standen, so z. B.
von Georg von Herberstein, Pfleger zu Stixenstein, von dem Truchsess Ritter
Heinrieh Himelberger; und es kam bei diesem Wechsel der Stadt noch der
Umstand zu gute, dass Freihäuser, die von den Lasten der Gemeinde aus-
genommen waren, ihrer Sonderstellung entkleidet wurden. Auch die Ver-
leihungen des Ungarkönigs an sein eigenes Hofgesinde verwandelten eine
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21 ö BEZrBHUNGEN DBS KÖNIGS MATHIAS OORVINÜS Zu WIENER-NEüSTADf
Anzahl Freihäuser in mitleidende Häuser, die ins Gewäbrbnch eingelegt
wurden, und gereichten so der Stadt zum Vorteil. So wird am 25. Sep-
tember 1487 der königliche Schatzmeister «Bischof Urban zuErlacb» für
ein ehemaliges Freihaus als Besitzer im Gewährbuch angeschrieben, für
ein zweites ebenderselbe mit seinen Brüdern Blasius und Hans von
« Nagluche t. Am 16. October desselben Jahres weist das Gewährbuch die
Anschreibung des königlichen Secretärs Lucas Snitzer für das Freihaus des
•Gastelwartert, dann des königlichen Secretärs Nicolaus von Fuechau für
jenes des Grafen von Mantfort aus, wofür der Befehl am 11. September
ergangen war. An dem gleichen Tage, 16. October, kommt der königliche
Hauptmann Jacob Zeckler mit seinen Brüdern Nicolaus, Hans und Bene-
dict in Gewähr und Besitz des Freihauses, das dem Siegmund von Niedem-
thor gehört hatte (Befehl des Königs vom 15. October), und eben so wird
am 29. April 1488 der Hauptmann «Lassla Graf zu Eanyscha» an Gewähr
für ein Freihaus geschrieben, das dem Jacob von Emau gehört hatte. Fs
bleibt einzig die Eintragung des Hans Biedrer, königlichen Barbiers, von
11. August 1489, die ein Bürgerhaus betraf.
Was die Bemerkung in dem Vertrag anbelangt, der König werde der
Stadt wegen des Ungelds (vielleicht wegen Pachtung dieser Abgabe) und
wegen der Juden (vielleicht zum Zwecke der Einschränkung derselben)
gedenken, so können wir diesbezüglich nichts constatiren.
IV.
Mathias Corvinus soll überdies der Stadt Wiener-Neustadt sein eigenes
Bildniss und einen silbernen, vergoldeten Focal geschenkt haben. *
Bezüglich des ersten Stückes muss, abgesehen von allen berechtigten
Bedenken gegen das hohe Alter dieses Oelgemäldes auf Leinwand, das im
Museum von Wiener-Neustadt sich befindet, insbesondere betont werden,
dass die Schenkung des eigenen Conterfeis an neugewonnene ünterthanen,
deren Treue gegen die angestammte Dynastie der Eroberer selber rühmt,
gar nicht grossköniglich erscheint. Daher wollen wir dieses Geschenk nicht
weiter in Betracht ziehen. Was jedoch die Schenkung des erwähnten PocaJs
anbetrifft, so verdient dieser Punkt einer eingehenderen Berücksichtigung,
schon wegen des Kunstwertes des Objectes. Der Pocal ist allgemein unter
der Bezeichnung iCorvinusbechert bekannt. Und die Meinung, dass er von
dem Eroberer Mathias Corvinus an die Gemeinde Wiener-Neustadt gekom-
men sei, lässt sich etwas zurückverfolgen. So wird bei den Vorkehrungen
für das Friedensfest vom 3. October 1797 gesagt, dass bei der Tafel die
Gesundheit Sr. Majestät des Kaisers «aus dem grossen Silber- und vergol-
* Siehe Boeheim, Chronik, L Bd. 8. 153.
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UND bfiH CORVlNüS-BECäßB. 5*1 1^
deten Focal, welcher als ein Geschenk des Königs Mathias Corvinus in dem
Stadtarchive aufbewahrt wird», getrunken werden soll. Ebenso heisst es bei
dem Feste, welches zur Geburt des nachherigen Kaisers Josef U. gefeiert
wurde, * dass die Gesundheiten der fürstlichen Hoheiten «aus dem von dem
Hungar : König Mathias Corvinus der Statt Neustatt wegen dem Allerdurch-
lauchtigsten Erzhausz von Oesterreich vnverbrüchlich erzeigten Treu und
Tapfrer gegen wöhr annoch im Jahr 1462 zum ewigen andenkhen Verehrten
Kostbahren groszen Silber und Vergolten Pöcal, dessen Deckl eine Crone
darstellet, worinnen dessen Portrait und Jahreszahl zusehen, getrunkhen
worden.» Hier erhalten wir zugleich Einblick in die Meinungen, die man
sich über die Formen an dem Focale damals schon gebildet hatte.
Wenn sich eine Belegstelle auch nicht weiter nachweisen lässt, so ist
doch so viel sicher, dass man im vorigen Jahrhundert ein Trinkgefäss von
solchen Dimensionen, das mehr als drei Liter fasst, nicht mehr «Corvinus-
becher» genannt hätte, wie ja die angezogenen Notizen zeigen. Und bei dem
Umstände, dass derartige Zusammensetzungen kaum ein Bestimmungswort
abstossen, um ein anderes anzunehmen, kann die Sache viel weiter hinauf
als belegt angesehen werden, gewiss bis in die Zeit so grosser «Becher».
Ueber die Abnahme der Grösse der Becher schon im XVI. und noch mehr
im XVn. Jahrhundert können wir uns hier als zu weit ab führend, nicht
einlassen.
Und nun wollen wir an die Frage herantreten, ob wirklich Mathias
Corvinus den Bürgern von Wiener-Neustadt den Becher geschenkt haben
kann. Wir sind hier natürlich bei dem Mangel schriftlicher Anhaltspunkte
auf blosse Vermutungen angewiesen und kommen im günstigsten Falle zu
einer Wahrscheinlichkeit. Zu diesem Zwecke wird es notwendig, eine kurze
Beschreibung des Pocals mit allen seinen Schrift- und Wappenzeichen
voranzuschicken.
Der Corvinusbecher ist ein grosser, etwa 80 Cm. hoher Silber-Pocal
mit Deckel, stark vergoldet, voll reich aufgesetzter Ornamentik aus vergol-
detem Silberblech und mit verschiedenfarbigem Drahtemail. ** Der Fuss
hebt dreiteilig an, indem die Basis einen Sechspass von 17 Cm. Durch-
messer bildet, zieht sich sofort ein, zuerst concav, dann vertical aufsteigend,
und wird in diesem letzteren Teile etwa 1*5 Cm. breit durch ein breites
Emailband bedeckt, das auf dem hellblauen Grunde an einer fortlaufend
gewundenen Draht-Banke grüne fünfblättrige Blütenkelche mit rotem stark
hervortretenden, etwas gebogenen Griffel und kleine längliche (grüne)
Blätter trägt.
* RaisprotokoU 741, Pol. 73.
** Auf die einzelnen zahlreichen Abbildungen des Corvinus-Bechers braucht
wohl nicht verwiesen zu werden.
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4l8 BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATÖIAÖ CÖRVimJS ZU WlENteB-NEÜSTAl)t
Von den sechs Winkeln der Basis legen sich Distelblätter an das Ejmail
herauf. Oberhalb dieses Bandes verengt sich der Fuss durch sechs Bund-
buckel in Form von Eugelsegmenten^ über welche von innen ausgehend eine
schmale, steile Erhöhung nach beiden Seiten fort- und hinablauft, zu dem
eigentlichen Ständer. Zwischen diesen Buckeln und an deren innem Enden
sind zwei Beihen, also zwölf, kleine Drachengestalten nach Art der gothi-
sehen Wasserspeier aufgenietet. Der Ständer ist 14*5 Gm. hoch, anfänglich
ebenfalls sechsseitig und in gleicher Weise emaillirt, wie früher angedeutet ;
er geht sodann in die Kreisform über, innerhalb welcher er einfach durch
blaues Email bedeckt ist, und wird unmittelbar unter dem Wulst, der das
Bindeglied mit dem eigentlichen Focalleib bildet, durch ein zweimaliges
abwärts fallendes und sich erweiterndes Distelomament eingefasst, das den
Knauf des Ständers vertritt. Das obere dieser Blattomamente zeigt vier
Kletten und bildet so den Uebergang aus dem dreiteiligen in den vierteiligen
Bhythmus, welcher den Becher selbst beherrscht. Der eigentliche Focal
beginnt mit zweimal acht Buckeln und verengt sich im Verlaufe derselben
etwas. Die unteren sind gehalten und verziert wie jene am Fusse, die oberen
verflachen sich allmählich nach aufwärts und laufen zu einer Spitze zu, so
dass von der Guppa des Bechers acht gleiche Buckel zwischen dieselben ein-
laufen. Mit diesen beginnt die Ausweitung des Leibes, die sich in acht neuen
Buckeln über den letzterwähnten kräftig fortsetzt und abschliesst. In den
Vertiefungen zwischen den Buckeln dieser vier Reihen der eigentlichen
Focalhöhlung sind selbstredend wieder Ornamente sichtbar. Bei den zwei
unteren und der ersten oberen Reihe begegnen wir den früher erwähnten
Drachengestalten; zwischen die acht obersten Buckel fallen Distelblätter
herab, die über diesen an einem mehrfachen gedrehten Silberdraht sich um
die Cuppa ziehen und den ornamentirten Becher von jenem Rande trennen,
der den Deckel aufnimmt. Die oberste Buckelreihe ist durch eine Emaillirung
auf eigenem Grunde überdeckt, zwischen welcher die vergoldete Fläche
glänzend hervorblickt. Dieses Email zeigt in der Mitte jedes Buckels einen
grösseren Blütenkelch mit fünf Blättern und mit sehr starkem Griffel, rings
um denselben kleinere ähnlich gestaltete Blüten und Blätter. Der Kelch der
grossen Mittelblumen hat, wie es scheint, dunkelblaues Email, das Centrum
ist entweder blaugrün mit rotem Griffel oder rot mit blaugrünem Griffel ; die
Kelche der kleineren Blumen sind dunkelgrün oder blaugrün, der Griffel rot,
die Blätter der Pflanze selbst (natürlich) grün.
Der Deckel des Pocals, der in der That eine Krone bildet, ist zu unterst
zwischen zwei mehrfachen Silberdrähten wieder von einem 1*5 Cm. breiten
Emailband umgeben, gleich jenem am Fusse, nur sind die Blätter des Blüten-
kelches rot, die Griffel blau. Mitten in diesem Email sind überdies im
ganzen Umfange sechs Blüten eingesetzt, bestehend aus je sechs schmalen
am Ende etwas gefaserten Blättern von SUberblech, vergoldet. Von diesem
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Xn^D DiSR CÖRVnJtJS-BECfifeR. ^lö
Bande erhebt sich abermals ein Distelomament^ die Krone^ ringsum sechzehn
grössere und dazwischen sechzehn kleinere Ereuzformen bildend ; inmitten
der letzteren begegnen wir je einem Blumenkelch aus Silberblech mit sechs
Blättern und äberstarkem Pistill. Von da schliesst sich der Deckel durch
zweimal acht Buckel mit denselben steilen Falten- Erhöhungen wie früher
rasch, wie der Fuss zu einem Stengel zusammen, die Vertiefungen zwischen
den Buckeln gleichfalls mit zwei Drachenreihen ausfüllend. Der schlank auf-
schiessende kreisförmige Stengel 23 Cm. hoch, wird durch einen breit vor-
tretenden Wulst in zwei Hälften geteilt und durch einen eben solchen oben
abgeschlossen. Er ist einfarbig dunkelblau emaillirt. Die bekannten Distel-
omamente umkleiden die untere Hälfte, nach abwärts fallend, umfassen
sechsstrahlig von unten und von oben den Mittelwulst und breiten sich vor
der oberen Hälfte nach der Bildung von drei Kletten über die ünterfläche
des zweiten abschliessenden polsterartigen Wulstes aus, denselben in sechs
Zweigen tragend, so dass in dem obersten Teile das Eunstgebilde zu dem
dreiteiligen Rhythmus des Fusses zurückkehrt. Die Oberfläche dieses Polsters
bedeckt ein Stern mit zehn Strahlen, auf welchem ein Bitter mit blossem
Haupte kniet. Stern und Ritter möchten wir auf ihre Originalität nicht zu
strenge prüfen. Die Rittergestalt hält in ihrer Rechten schief aufwärts ein
gestieltes Herz, auf dessen einer Seite wir die Jahreszahl 1. ^ 6. 2. erblicken,
während die andere halbgestielte Seite rechts (heraldisch) das AEIOV und
den Doppelaar des Kaisers, links den Schriftzug M und den Raben mit dem
Ring im Schnabel zeigt. Noch bleibt des länglichen, nach unten in einem
geschweiften Bogen endigendes Schildes zu erwähnen, der im Innern an dem
Scheitel des Deckels sich vorfindet. Dieser Schild in kreisförmigem Medaillon
trägt eine bartlose Heiligengestalt (bis zur Brust), mit goldenem Haar und
Heiligenschein ; das Gewand und der Schildgrund sind von rotem Email.*
Ueberdies hat der unterste Rand des Deckels innen die Zeichen FI in der
nebenstehenden Form. |^^B Diese Zeichen kehren in der gleichen Weise an
der Innenseite des Fusses wieder, wo wir auch nicht weit hievon entfernt eine
Andeutung über das Silbergewicht des Bechers finden : MR XIII %ül XI.**
Mit der Erwähnung eines Z, das in nebenstehender Form am äusser-
^ Der Annahme, dass hier das Porträt des Königs Mathias vorliege, wie die
Noüz von 1741 meint (s. o.), fehlt jede Begründung, und der Heiligenschein spricht
dagegen.
** Verfasser sieht sich genötigt nach genauer Untersuchung der betrefifenden
Zeichen sich diesbezüglich der Meinung Boeheims (Chronik I. S. 154) und Dr. Ho-
mers (Arch. Ert. 1869) anzuschliessen, im Gegensatz zu einer früher abgegebenen
(Correspondenzblatt des Vereins f. siebenb. Landeskxmde 1889, Nr. 2).
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i^
BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATHIAS COEVINUS ZU WIENEB-NÄUSTAbT
sten Uande des Fusses eingeschlagen ist^ sind die Schriftzeichen
auf dem Corvinus-Becher erschöpft; die im Ratsprotocolle von 1741
(s. o.) erwähnte Jahreszahl im Innern des Deckels findet sich nicht*
Am Schlüsse der Beschreibung müssen wir noch bemerken, dass der
Becher mannigfach schadhaft ist. So fehlen sämmtliche Drachengestalten
an der unteren Hälfte des Pocalleibes, so ist das blaue Email (an der oberen
Hälfte des Ständers, an dem ganzen Stengel der Krone, in den Kelchblättern
der grossen Blumen, an den Buckeln der Cuppa) zum allergrössten Teile ver-
schwunden. Die übrigen Emailfarben haben sich besser gehalten, sind jedoch
auch nicht schadlos. Das gestielte Herz ist ganz neu, eine Arbeit des Gold-
schmiedes F. Beger, doch versicherte dieser dem Verfasser dieser Zeilen,
dass er die Zeichen genau so gemacht habe, wie sie auf dem alten Herzen
gewesen seien. Soweit die Ziffern der Jahreszahl ein Urteil zulassen, kann
man diese Aussage im grossen Ganzen als verlässlich ansehen.*
Nun zur Deutung. — Die Buchstaben und Wappenzeichen auf dem
Herzen sprechen für sich selbst. Nach denselben muss der Becher in Berüh-
rung stehen mit einer Action, welche den Kaiser Friedrich IH. und den
König Mathias Gorvinus zugleich betrifft. Schon die Deckelkrone weist auf
derartiges hin. Und für diese Action gibt uns die Jahreszahl 1462 den Fin-
gerzeig. In diesem Jahre endeten nämlich die Feindseligkeiten der beiden
Fürsten. Am 4. März 1459 hatte Friedrich HI. die von einer Gegenpartei des
Mathias ausgegangene Wahl zum König von Ungarn angenommen ; die St.
Stefanskrone war noch in seiner Hand. Es handelte sich somit bei den
Friedensverhandlungen des erwähnten Jahres in der That um hochwichtige
Angelegenheiten: um den Verzicht Friedrichs HI. auf den ungarischen
Tron, um die Herausgabe der Krone, auch um die Nachfolge in Ungarn,
für welche ja das Haus Habsburg alte Erbeinigungen besass. Ein dauernder
Friede sollte fortan zwischen beiden Fürsten herrschen ; und es lässt sich
wohl denken, dass man den Friedensschluss durch ein Versöhnungsfest
feiern und den Umtrunk halten wollte, zu welchem Zwecke nur ein neuer
prächtiger Becher dienen konnte. Wir wollen wenigstens vorübergehend
auch auf die Pflanzensymbolik aufmerksam machen, die in dem ganzen
Zierat des Bechers zu liegen scheint, und die im Mittelalter keine geringe
Bolle spielt.
Die fünfblättrigen Blüten kelche der Emailbänder sind vielleicht
durch Nachbildungen des Jelänger-jclieber (Solanum dulcamara) oder des
* Wir können wohl in gleicher Weise annehmen, dass etwaige frühere Kepa-
raturen an dem Becher die Zeichen nicht geändert haben werden.
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UND DEB CORVINÜ8-BECHBR. 221
Johanneskrautes (Hypericnm perforatum) entstanden. Beide sollten gegen
Zauberei und Anfechung schützen, weshalb sich die weite Verbreitung der
Floren erklären würde. Die Kletten versinnbilden die Anhänglichkeit; ; zwi-
schen alle anderen Blumen und Ornamente hinein legt sich beherrschend
die männliche Tüchtigkeit der Distel. Manche Formen sind wohl allgemein ;
einzelne scheinen jedoch speciell dem Becher angehörig und verdienen wohl
Beachtung. Insbesondere aber predigt der heilige Evangelist Johannes, als
welcher am ehesten jene Figur im Innern des Deckels aufzufassen ist, den
Vertragschliessenden die Liebe.
Die vorausgegangenen Erwägungen als richtig angenommen, gelangen
wir zu dem weiteren Ergebnisse, dass einer der beiden genannten Herrscher
die Anfertigung des Pokals veranlasst habe. Dieser Auftraggeber aber ist mit
Wahrscheinlichkeit an dem Kunstgegenstande genannt : er findet sich auch
bei Kunstwerken jeder anderen Art aus jener Zeit viel regelmässiger verewigt
als der Künstler. Erinnern wir uns denn des F I im Innern des Deckels und
des Fusses vollkommen an richtiger Stelle, so können wir diese Buchstaben
nur Fridericus Imperator lesen. Dass der Kaiser, der höchste aller weltlichen
Fürsten, als Auftraggeber erscheinen werde, war im voraus zu vermuten.
Man kann nicht einwenden, dass Kaiser Friedrich ein karger Mann war, der
eine solche Ausgabe schwerlich gemacht hätte. Ihn auch bei aussergewöhn-
lichen Anlässen, wie bei dem vorliegenden, eines Aufschwunges für unfähig
halten, hiesse ihn vollständig zum Filz stempeln, und das war er wahrhaftig
nicht. Ueberdies war für die Auslieferung der ungarischen Königskrone ein
hohes Lösegeld in Aussicht gestellt, so dass auch die immerwährende Geld-
verlegenheit Friedrichs HE. hier wegfällt. Ist der Versöhnungspocal auf
Gebot des Kaisers gefertigt, so ist beinahe selbstverständlich, dass derselbe
in der Besidenz Wiener Neustadt entstanden ist, wo sich damals das Gold-
schmiedhandwerk einer hohen Entwicklung erfreute, wo von mehreren Mei-
stern dieses Handwerkes (z. B. Heinrich Maierhirsch, Wolfgang Nachschuss)
durch vereinzelte Urkunden direct bewiesen werden kann, dass sie für den
Kaiser gearbeitet haben. Es bleibt wirklich an dem Becher noch ein Zeichen
für den Künstler übrig, wieder an richtiger Stelle, jenes Z nämlich an dem
äusseren Bande des Fusses. Bei der Aufsuchung des Namens müssen wir uns
vergegenwärtigen, dass die Technik des Pocals mit ungarischen Schulen jener
Tage, und zwar nach Dr. J. Hampel * mit der oberungarischen und der Press-
burger Schule eine grössere Gemeinsamkeit hat. Der Forderung, eine solche
herzustellen, entspricht einzig der Goldschmied Wolfgang Zulinger, und zwar
in folgender Weise : Seit dem Jahre 1431 wird in Wiener Neustadt ziemlich
* Siehe dessen eingebendes interessantes Büchlein t Das mittelalterliohQ Draht-
email.» Dort sind auch einzelne Details der Ornamentik des Corvinus-Beohers abge-
büdet (S. 23.)
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222 BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATHIAS CORVINUS ZU WIENER- NEUSTADT
oft ein Goldschmied Siegmund Wallach * genannt, der hier nach und nach
eine hochangesehene Stellung erreichte, ein bedeutendes Vermögen besass
und zu Anfang des Jahres 1450 starb.
Schon sein Name lässt auf eine rumänische Abkunft schliessen. Durch
eine Sippschaftsweisung seiner Geschwisterkinder, veranlasst durch die Erb-
schaft nach Siegmund's Tode, wird dies auch bestätigt : er bat nämlich diese
Verwandten in Langenau, Gimpolung in der Walachei, nicht weit von der
Grenze Siebenbürgens, und mehrere Zeugen sagen aus, dass daselbst die
Verwandtschaftsverhältnisse des verstorbenen Wiener Neustädter Meisters
hinreichend bekannt seien. Es mag sich Siegmund auf die Wanderschaft
begeben, daselbst die ungarischen Werkstätten kennen gelernt und sich end-
lich in Wiener Neustadt dauernd niedergelassen haben. Seine erste Frau war
Elisabeth, und ihre Schwester Ghristina war ebenfalls mit einem Kunst-
handwerker Hans Schwertfeger vermählt, dessen Sohn Wolfgang das Gold-
schmiedhandwerk erlernt. Es liegt nahe zu glauben, dass dies bei dem
Gemahl seiner Tante geschah. Obwohl nun zufallig der Familienname dieses
Wolfgang nie an einer solchen Stelle genannt wird, aus welcher sich dessen
Verwandtschaft unmittelbar festsetzen liesse, und obwohl in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht wemger als vier Goldschmiede mit dem
Namen Wolfgang in Wiener Neustadt erwähnt werden, so lässt sich doch
durch Verfolgung aller einschlägigen Notizen mit Sicherheit aussprechen, dass
der Neffe Elisabeth's nur Wolfgang Zulinger sein kann.** Auf dem gleichen
Wege lässt sich erweisen, dass Wolfgang Zulinger mit der Witwe Anna, der
zweiten Frau des Siegmund Wallach, sich verheiratete. Das kann als ein
Mitbeweis dafür dienen, dass er in der Werkstätte Siegmund*s sein Hand-
werk erlernt hat. Wolfgang Zulinger war schon 1457 Kirchmeister, zu wel-
chem Amte man gern tüchtige Goldschmiede nahm : auch Siegmund Wal-
lach war viele Jahre Kirchmeister von Zemendorf, einem Vororte von
Wiener Neustadt gewesen.
VI.
Die Friedensverhandlungen zwischen Friedrich m. und Mathias
gingen nicht so rasch von statten, als vielleicht zu hoffen gewesen war ; die
Ungarn wollten dem getroffenen Vergleiche ihre Zustimmung nicht geben.
So verrauchte die Begeisterung, und ak der Friede, erst am 19. Juli 1463,
zu Oedenburg abgeschlossen wurde, fand der Frachtpocal vielleicht nicht
* Siehe hierüber den Artikel des Verfassers «Siebenbürger in Wiener Neu-
stadt . . . .• in dem Gorrespondenzblatt des Vereines für siebenbtlrgisohe Landes-
kunde 1889, Nr. 2.
** Siehe den citirten Artikel des Verfassers.
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UND DER CORVINHö-BECHER. 22.^
einmal die ihm zugedachte Verwendung — war ja der Kaiser schon wieder
durch andere Sorgen in Anspruch genommen. Mochte man sich desselben
indees bedient haben oder nicht, jedesfalls kam der Pocal in die Burg zu
Wiener Neustadt und blieb daselbst. Und als Mathias Gorvinus im Jahre 1487
Herr der Ststdt wurde^ musste auch der Becher in seine Oewalt kommen.
Wenn der König denselben — etwa bei der Huldigung — den Bürgern über-
gab^ so konnte er auf die vereinigten Embleme, auf die einstens abgeschlos-
sene dauernde Versöhnung hinweisen^ gemäss welcher ja nach dem Tode
des Mathias (ohne Erben) die Dynastie der Habsburger auf dem ungarischen
Trone folgen sollte; lauter Momente, welche etwas zur Gewinnung der
Bürger von Wiener Neustadt für seine Herrschaft beitragen konnten. Und
damit wäre die Bezeichnung «Corvinus-Becher» erklärt.
vn.
Was die Halskrause, das Barret, den Sattel und das Reitzeug des
Königs betrifft, die sich gleichfalls im Museum von Wiener Neustadt befin-
den, so sind diese erst im vorigen Jahrhundert dorthin gekommen.* Sie sol-
len an einem ßeiterstandbilde gewesen sein, mit dem der siegreiche Ungar-
könig die Kirche der Burg in Wiener Neustadt geziert habe. Dies wäre
zugleich die letzte Beziehung, die Mathias zu Wiener Neustadt gehabt -und
zu einer dauernden gemacht hätte. Vor der Frage, wie man das Standbild
beinahe drei Jahrhunderte in der Burg zu Wiener Neustadt stehen lassen
konnte^ eilischt unsere Aufgabe. Dr. Jos. Mater.
DER URSPRUNG DES AR6IRUS-MÄRCHENS.
Ea ist wohl keine seltene Erscheinung, dass poetische Producte des
einen Volkes zu einem anderen hinwandem, dort durch den Zusammen-
stoss and die Berührung verwandter Bildungselemente die ursprüngliche
Form verlieren, umgebildet, verschmolzen werden, oder, wenn keine ver-
wandten Bildungselemente vorhanden sind, der entlehnte Stoff unverändert
bis in die untersten Volksschichten dringt. Und bei Völkern, welche seit
Jahrhunderten auf derselben Erdscholle zusammen wohnen, wie Ungarn
und Rumänen, ist ein gegenseitiger Einfluss, ja ein direktes Entlehnen
poetischer Producte, besonders der Volkspoesie, etwas fast Selbstverständli-
ches. Wenn dann der Literarhistoriker daran geht, eigenes und fremdes
* Boeheim, Chronik I. S. 153.
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224 DER ÜB8PRÜNG DES ARGIRÜ8-MÄRCHBN8.
Gut ZU unterscheiden, so stösst er oft auf Partien^ die er mit einem Frage-
zeichen versehen muss, — die Literaturgeschichte hat eben auch ihre Pro-
bleme. Ein solches Problem nun bildet auch die Geschichte des Argirus,
welche heute ein gemeinsames Eigentum des rumänischen und ungarischen
Volkes ist. Welches hat vom andern entlehnt ?
In ungarischer Sprache erschien die Geschichte des tArgirus» von
Albert Gergei am Anfange des XVIII. Jahrhunderts im Druck; in rumäni-
scher Sprache dagegen erst am Anfange unseres Jahrhunderts von loan
Barac, und zwar unstreitig nach Gergei bearbeitet. Nach diesen Thatsachen
schien die Frage^ wie die Geschichte des «Argirus» bei den Rumänen popu-
lär wurde, eigentlich von selbst gelöst: durch Barac's Bearbeitung des
Gergei*schen Stoflfes.
Ganz andere Schwierigkeiten dagegen bot die Frage, woher Gergei
den Stofif genommen hat ? Er selbst gibt an, denselben einer italienischen
Chronik entlehnt zu haben, wenigstens kann man seine Worte so verste-
hen, denn er sagt in der dritten Strophe: «Wo die Burg des Argirus war,
weiss ich nicht, in der Chronik aber lese ich, dass sie im Feenlande gelten
seL» Welcher Art nun die Chroniken waren, die er las, gibt er in der
ersten Strophe an, er wo sagt : «üeber das Feenland habe ich Vieles in den
itaUenischen Chroniken gelesen, die ich ins Ungarische übersetzt habe.»
Aus diesen Aeusserungen könnte man ohne Weiteres schliessen^ dass auch die
Geschichte des «Argirus» aus einer italienischen Chronik stamme. Da man aber
diese Chronik bis heute nicht finden konnte, so hegt man mit Becht Zweifel
an der Richtigkeit der Aussagen Gergei's. Die Frage über die Quelle des
Argirus in der ungarischen Literatur ist somit unentschieden, und ich
glaube, sie wird so lange unentschieden bleiben, als man die Geschichte
des «Argirus» nicht näher ins Auge fasst, wie dieselbe im Munde des rumä-
nischen Volkes lebt ; aus einem Vergleiche zwischen dem rumänischen und
ungarischen Stofife dürfte man eher die Quelle dieses Märchens entdecken,
als durch das Suchen nach einer italienischen Chronik. — Wir wollen im
folgenden diesen Versuch anstellen.
Im Jahre 1856 erschien in Berlin ein Buch von Josef Haltrich:
«Deutsche Volksmärchen aus dem Sacbsenlande in Siebenbürgen.» In der
Einleitung äussert sich Haltrich auch über die rumänische Volkspoesie wie
folgt: «Es ist doch merkwürdig, dass sich kein Rumäne gefunden hat, die
epische Volkspoesie zu sammeln und die grossen geistigen Schätze, die in
der rumänischen Volkspoesie verborgen sind, ans TagesUcht zu fördern und
sie vom wissenschaftlichen Standpunkte zu erläutern. » Nun, gesammelt hat
man sie wohl, aber sie vom wissenschaftlichen Standpunkte zu erläutern,
das ist schwieriger, und zwar aus folgenden Gründen : Wer sich nur flüch-
tig mit der epischen Voikspoesie der Rumänen befasst hat, der muss unbe-
dingt Eines wahrgenommen haben: dass die epische Volkspoesie der
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DER URSPRUNG DES ARGIRUS-MÄROHBNS. 225
Bumänen, aIso die Märchen, Erzählungeiii Balladen, besonders aber die
sogenannten «Colinde,» d. h. Weihnachtslieder, einen eigentümlichen,
dunklen, mystischen Gharakterzng an sich tragen. Schon die Namen der
einzelnen Helden klingen höchst merkwürdig, z. B. «Serean und Diorean»,
«Fata din Daphin» (das Mädchen aus Daphin), «ImperatulDaphin» (Kaiser
Daphin), «Delia Damian», «Beana Sandiana» oder «Beana Gosandiana»,
•Argir» etc. Man wusste schlechterdings nicht, was man mit diesen exoti-
schen Namen anfangen solle, woher sie stammen, was sie bedeuten ? Und
vielleicht wäre man auch heute in Bezug auf Vieles im Unklaren, wenn
nicht, so zu sagen, das Volk selbst den Gelehrten Aufschluss in diesem Punkt
ertheilt hätte. Diese Märchen und Erzählungen haben nämlich die Eigen-
tümlichkeit, dass sie ausserordentlich viele Varianten aufweisen, so dass
z. B. unter den 190 Märchen, die Dr. Atanasie Marienescu gesammelt hat,
kaum 80 selbstständig sind ; die übrigen sind alle Varianten der einen oder
der anderen Erzählung. Diese Varianten liefern sozusagen den Schlüssel
zum Qeheimniss, denn wo in der eigentlichen Erzählung vieles dunkel und
unverständlich ist, darüber erteilen die Varianten oft vollständigen Auf-
schluss. So wurde es mögUch, mittelst dieser Varianten das constitutive
Element der rumänischen Volksmärchen festzustellen. Dieses Element ist
die griechisch-römmhe Mythe. Nicht nur die Bumänen, auch Fremde haben
dieses erkannt. Die Brüder Arthur und Albert Schott haben im Jahre 1845
in Stuttgart ein Werk eben drucken lassen: a Walachische Volksmärchen.»
In der Einleitung heisst es: «Die uralten Dichtungen eines Volkes, dessen
Schicksal eng verknüpft ist mit dem Schicksal der Brüder in Italien, ....
finden Widerhall in den Traditionen über die Götter des Altertums.» In
diesem Punkt, kann man sagen, ist heute jede Discussion ausgeschlossen,
nur über die Frage können die Meinungen auseinander gehen, welche
Bolle des Helden in der Mythologie der Bolle des Helden im Märchen
entspricht und umgekehrt, also nicht die mythischen Elemente erst con-
statiren , sondern diese Elemente richtig anwenden, das ist die Aufgabe.
Und auf diesem Gebiete hat sich, meines Wissens, Dr. Atanasie Marienescu
vor Allen das meiste Verdienst erworben.*
Unter den zahlreichen Märchen, die bis jetzt bei den Bumänen gesam-
melt wurden, bildet die Geschichte des Argirus und der Helena den Glanz-
punkt, was auch daraus zu ersehen ist, dass man von dieser Geschichte bis
jetzt nicht weniger alz !21 Varianten kennt, die im Munde aller Bumänen
leben : in Ungarn, Bukowina, Bumänien, Macedonien. In allen diesen Va-
rianten heisst die Heldin Bena oder Jana, mit dem Beinamen Gosandiana
oder Sandiana, der Held dagegen Argir oder Fet frumos oder Petrus. Wie
eine und dieselbe Person unter verschiedenen Namen vorkommen kann und
* Siehe die diesbezügliohen Publikationen in der AWina, 1870 — TL
Ungarische Bem«, XL 1891. HL HofL ]5
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22b DER UB8PBXJKO DER AROIRUS-MABCHENS.
was dieselben bedeuten, werden wir später sehen. Vorerst ist es notwendig,
den Inhalt dieses Märchens, wenn auch nur in allgemeinen Zügen kennen
zu lernen, und zwar in der Gestalt, wie Gergei und Barac uns dasselbe
überliefert haben, da wir von ihnen aus unsere weiteren Untersuchungen
anstellen wollen.
Argir ist der jüngste Sohn eines mächtige Königs, Namens Adeton. Im
Feenlande steht sein Reich. Dieser König bekommt plötzlich in seinem Garten
ein seltsames Wunder zu sehen : einen Apfelbaum, der am Tage blüht, in der
Nacht schon goldene Früchte trägt, die aber mit dem Morgengraaen jedesmal
spurlos verschwinden. Erbost, dass er die Aepfel nie zu Gesicht bekommen kann,
lässt er eines Abends Wächter anstellen, um den Bäuber zu ertappen. Wie erstaunt
er aber, als er am andern Morgen die Wächter alle schlafend findet. Zur Bede
gestellt, antworten sie, dass gegen Morgen ein Wind gekommen sei, so sanft und
berückend, dass sie alle todesähnlich eingeschlummert wären. — Nun lässt der
König einen Hofwahrsager holen, der ihm das Geheimniss entdecken soll. Der
Zauberer verkündet, dass nur des Königs 8ohn in diese Sache licht bringen könne,
er solle unter dem Baume Wache halten. Dieses geschieht ; des Königs ältester
Sohn steht Wächter, aber am Morgen findet man ibn ebenfalls schlafend. Dasselbe
geschieht mit dem zweiten Sohn. Schon hat der König, ergrimmt, den Zauberer
köpfen lassen, als Argir, der jüngste Sohn, sich die Erlaubniss erbittet, auch sein
Glück zu versuchen. Mit Widerstreben geht der König auf seinen Wunsch ein und
Argir begibt sich in den Garten. Er sieht den Baum grünen, Knospen treiben,
sieht, wie die Aepfel schon spriessen, grösser und immer grösser, dann dunkel-
rot werden — als plötzlich sechs Pfauen herbeifliegen, zuletzt ein siebenter, der
sich zu Argir's Haupt niederlässt. Dieser streckt hastig die Hand nach ihm ans,
erfasst ihn, während die anderen sechs davonfliegen. Plötzlich schüttelt der Pfau
sein Gefieder, ahmt Menschenstimme nach — und vor dem erschreckten Argir
steht ein wunderschönes Mädchen, dessen goldene Haare bis zu den Füssen herab-
wallen. Das Mädchen erzählt nun, dass sie den Baum in den Garten gepflanzt
habe, Argir zu Liebe, und dass sie aus ihrem fernen Lande gekommen sei, sich
ihm zum Geschenke zu geben. Unter süssen Worten schlafen sie ein.
Die Königin Mutter indess, vor Begierde brennend, das Besultat ihres
Sohnes zu erfahren, schickt schon am frühen Morgen eine Dienerin in den Garten,
um ihr Nachricht zu bringen. Als die Dienerin die goldenen Haare des schlafen-
den Mädchens sieht, schneidet sie hastig ein Büschel ab und läuft damit athemlos
zur Königin. Unterdessen erwacht die Fee und als sie ihr Haar verunziert sieht,
bricht sie in Wehklagen aus ; umsonst sucht sie Argir zu besänftigen, sie kann die
Schande nicht vergessen und ist fest entschlossen, ihn wieder zu verlassen. Da
alle Torstellungen vergebUch sind, bittet Argir schUesslich, sie möge ihm ange-
ben, wo ihre Burg hege, denn er will sie daselbst aufsuchen. Doch sie spricht:
«Was auch nützt dir's, wenn ich*s sage?
Da kein Mensch es anzufangen
Wüsste, dorthin zu gelangen.
Denn du wirst der Schwarzburg wegen,
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DEi; URSPRUNG DEH ARGIRUS-MÄRGHENS. ^^7
Die gen MiUernaoht gelegen,
Magst da dich auch no'ob so plagen,
Jedermann vergeblich fragen ;
Sollst den Ort du auch ergründen,
Eine Sprache dir ihn künden,
Jeder wüsst' es dort, gelingen
Kann dir's nicht, zu mir zu dringen.!*
Und damit schwingt sie sich von der SteUe. Argir zieht nun in die Welt
hinaus, seine Braut aufzusuchen. (Bei Gei-gei geben ihm seine Eltern einen Diener
mit, bei Barac lassen sie ihm ein mutiges Pferd satteln ; so zieht er vom Haus.)
lieber Berg und Tal wandernd, gelangt er nach vielen Drangsalen in eine
Wildniss, wo ein Biese haust, ein einäugiges Menschen -Ungeheuer. Bei diesem
erkundigt sich Argir nach der Schwarzburg. Der Biese erwidert, er habe nie davon
gehört, doch solle er bis Morgen warten, es kämen zu ihm die Zwerge, einer unter
ihnen müsse ihm sicherlich Auskunft; erteilen können. Bei Oergei erwartet der
Riese nicht die Zwerge, sondern die Feen, und als diese keine Auskunft erteilen
können, erscheint zuletzt ein hinkender Zwerg, der schon von Weitem ruft, er
wisse, wo die Schwarzburg sei. Auf das GeheisQ des Biesen begleitet der Zwerg den
Eönigssohn dahin ; an der Grenze des Feenlandes trennen sie sich. Argir und sein
Diener nehmen zuerst Quartier bei einer alten Frau, um hier nähere Erkundi-
gungen einzuziehen. Die AHe erzählt nun, dass in der Nähe ein ZauWrgarten
liege, darin sich jeden Tag die Königin der Feen ergehe. Argir ahnt sogleich, dass
er am Ziele sei. Schon ist er nahe daran, die Jungfrau wieder zu sehen, als durch
den Verrat des Dieners und der Alten die beiden Liebenden für unbestimmte Zeit
von einander wieder getrennt werden. Nachdem Argir den Diener und die Alte'
wegen ihrer Treulosigkeit mit dem Tode bestraft hat, zieht er aufs Nene in die
Welt hinaus. Obwohl er bereits Länder imd Meere hinter sich zurückgelassen hat,'
scheint ihn diesmal das Glück verlassen zu haben. Schon will er verzweiflungs-*
voll Hand an sich legen, als plötzhch furchtbares Gebrüll an sein Ohr dringt.
Näher in die Bichtimg eilend, gewahrt er drei scheussliche Dämonen, die mit ein-
ander in wutentbranntem Tone z^iken. Voll Mut tritt Argir zu ihnen und fragt
sie nach der Ursache ihres Streites.
f Wisse, dass wir Brüder sind.
Die des Vaters Erbschaft teilen
Und aus diesem Grund uns keilen f
Gegenstände sind es drei, f
i > Die vorhanden sind, und fcei
Sollst du deine Meinung sagen.
Wem dieselben zuzuschlagen ? ^ . .
Eine Schleuder, ein Paar Schuh
Macht das Erbe, und dazu
Eine Peitsche derb und schUohj; ;
* Aus dem Bumanischen des Barac von L. Vj Fischer.
15*
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^^ DEB UB8PBUNG DES ARGIBUS-MÄBCHENS.
Wenn man dreimal knallt und spricht :
ccHip, Hopf trag' mich rasch dahin,
Wo ich weile jetzt im Sinn !• •
Ist man mit Gedankenschnelle
Fliegend schon an Ort and Stelle ! . . .
Unserm mittlem Bruder doch
Ward dabei die Qabe noch,
Dass er den herunterziehen
Kann, der fliegend will entfliehen,
Was uns andere ärgern thut! —
Fälle nun dein ürtheil gut f •
Argir besinnt sich nicht lange und spricht :
•Geht auf drei verschiedene Seiten,
Wer zuerst zurück dann kehrt,
Der sei auch des Erbes wert !i
Jeder läuft ohne Weile davon. Und Argir nimmt sofort die Schleuder um,
zieht die Schuhe an, knallt dreimal mit der Peitsche und spricht :
cHip, hopl bei der Liebsten mein.
Bei der Spröden möcht' ich sein !•
Und mit Gedankenschnelle fliegt er davon. Als die geprellten Dämonen
zurückkehren, führen sie aufs neue Streit, besonders der mittlere Dämon sieht
sich arg bedrängt von seinen beiden Brüdern, da er eigentlich an dem Unglück
Schuld sei. Nur dadurch entgeht er dem Tode, dass er verspricht, mittelst seiner
Qabe den Bäuber aus dem Fluge herabzuziehen. Dies geschieht, und Argir fällt aus
den Lüften auf ein Gebirge, dessen Spitze bis zum Himmel emporzusteigen
scheint Er entschliesst sich, hinaufsuklettem. Unter grossen Beschwerlichkeiten
erklimmt er die Höhe, und was er hier sieht, erfüllt ihn mit Staunen und Bewun-
derung, — eine Burg, deren Zinnen weithin in die Feme winken, mit Mauem und
prachtvollen Gärten umgeben. Es ist der Palast der Feenkönigin. Während er
sich derselben nähert, kommt eine Fee des Weges gegangen. Wie sie den Jüng-
ling erblickt, läuft sie zurück, um Argir bei der Königin anzumelden. Die Königin
jedoch hält dies für eine Neckerei und gibt der Fee einen Streich auf die Wange ;
einer zweiten und dritten Fee, die mit derselben Meldung eintreten, ergeht es
nicht besser ; endlich erscheint Argir selbst, und jauchzend stürzen die Liebenden
einander in die Arme. — Mit grossem Aufwand und Pomp wird nun Hochzeit
gefeiert. Da, mitten in der Fröhlichkeit und Lustbarkeit, versetzt Argir seiner
Braut drei Streiche auf die Wange. Beschämt fragt diese nach der Ursache und
Argir erwidert:
•Was musst' Allee ich ertragen.
Was für Schrecken, was für Plagen,
Dass ich könnt' zu dir gelangen.
Da ich hieher eilte, sahen
Mich drei holde Jungfraun nahen,
Die dir froh die Botschaft brachten.
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DBR tJBSPRtmO DBS AfiOlBUS-MÄBOHflKS. tl9
Doch da sagteet mit Yeraohten,
Soleher Lüge glaubst du nicht,
Schlugst dabei sie ins Oesieht. —
Um zu mahnen dich daran,
Und dich aus dem Zauberbann
Zu entreissen für das Leben,
Musst' ich dir die Streiche geben.»
Die Braut verzeiht ihm, und von nun an trübt kein Schatten mehr ihr
Glück.
Dies ist in Kurzem der Inhalt
Ich glaube, in dieser Gestalt, wie uns Gergei und Barac die Geschichte
überliefert haben, wird schwerlich Jemand irgend welche mythische Ele-
mente erblicken können. Wie kam man trotzdem zu dieser Ueberzetigung?
Das Volk selbst spriclit es aus.
In den sechziger Jahren hat Atanasie Marienescn eine Sammlung rumä-
nischer Yolksballaden veranstaltet, in welcher sich eine Ballade befindet, die
auch in der Alhina 1868 gedruckt erschienen ist, unter dem Titel: t Sonne
und Mondi oder t Jana Cosandiana». Es wird darin erzahlt, dass sich die
Sonne einst in den Mond verliebt habe und ihn zu seinem Weibe machen
wollte. Der Mond, «Jana Cosandiana» genannt, wollte durchaus nicht ein-
willigen, da sie ja Geschwister und himmlische Körper wären. Die Sonne
wollte seine Schwester mit Gewalt entführen, da stürzte sich der Mond in
das Meer, die Sonne ihm nach, und seit dieser Zeit sinken Sonne und Mond
in das Meer hinab, steigen aus demselben empor und jagen am Himmel
einander nach. Also dieselbe Idee, die wir auch bei Ovid in seinem L Buche
der Metamorphosen finden. Was aber die Ausführung anbelangt, gehört diese
Ballade zu dem Schönsten, was rumänische Volkspoesie hervorgebracht hat.
Als dieselbe publicirt wurde, musste es selbstverständlich sogleich auffallen,
dass hier der Mond unter dem Namen «Jana» mit dem Beinamen «Cosan-
diana» vorkommt, also unter denselben Namen, unter welchen man Argir's
Braut in den Volksmärchen kennt.
Es fragt sich nun, woher hat das Volk diese Benennung für 4en
Mond ? — Wenn wir die Mythologie aufschlagen, so sehen wir, dass bei den
Bömem der Mond thatsächlich auch «Dea Jana» oder blos «Jana» genannt
wurde, auch war er die leibUche Schwester des Sonnengottes «Janus».
Varro I. 37, sagt : «Nunquam rure audisti octavo Janam et crescentem et
contra senescentem.»* Aus «Dea Jana» wurde später «Dijana» (Diana) als
Name des Mondes. Durch die Berührung mit dem griechischen Cultus wurde
später Diana nicht mehr als Mond-, sondern als Jagdgöttin gefeiert ; für den
* 8. At. Marienesou : Esplicativm lal Argir si Ilina Cosamditma in der
Albma, 1871.
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-^ Dfift tJl»PIlÜK6 DfiS ABGmüS-MÄROHliNd.
Mond hingegen wurde bei den Bömem allmälig der Name tLuna» gebräuch-
lich, und im Rumänischen kommt der Mond nur unter diesem Namen vor.
Der ältere Name dagegen (fJana») hat sich, wie wir aus der oben ange-
führten Ballade sehen, als alte Tradition in der rumänischen Volkspoesie
bis heute erhalten.
Aber auch der Name « Diana ■ zur Bezeichnung des Mondes kommt
im Bumänischen vor. Wir haben dafür einen eklatanten Beweis, unter den
yahireibhen Varianten des Argirus finden sich einige/ in welchen Argir's
Braut Ilona den Beinamen fSandianat führt. Dieses Wort ist entschieden
aus tSänt und Diana zusammengesetzt;' «Sani» ist das lateinische «San-
ctus», denn wir haben im Bumänischen : «San-Pfetru» (heiliger Petrus), «San-
Giorgiu» (heiliger Georg), tSan-Mihaiut (heiliger Michael) u. s. w., und
San-Diana (Sandiana) muss ohne Zweifel «heilige Diana» heissen. Nun sind
San-Petru, Sän-Giorgiu, San-Mihaiu u. s. w. bestimmte, von der Kirche
eingesetzte Feiertage, zum Andenken an diese Heiligen. Wie ist es mit Sän-
Diana ? Dies ist ebenfalls ein Fieiertag, der auf den '24. Juni fällt. Aber
wem zu Ehren ? Wir werden sehen.
«Sandiana» nennt man im Bumänischen dine gelbe, wohlriechende
Blume, welche besonders auf Waldwiesen wächst, deutsch : «da^s Labkraut»
oder «Waldmeister» genannt. Am Vorabend des 24. Juni nun windet das
Volk Kränze ans diesen Blumen, welche dann , in d^t Abenddämmerung,
nachdem die Sonne schon untergegangen ist, auf das Hausdach hinauf-
geworfen werden. Am nächsten Morgen, bevor noch die Sonne aufgeht,
werden die Kränze einer genauen Besichtigung unterzogen, wobei das Volk
allerlei Betrachtungen für das betreffende Jahr anstellt Die Jugend dagegen
schmückt sich mit diesen Blumen, ja selbst das Zugvieh wird damit bekränzt
Der Name «San diana» nun, dann der Umstand, dass die Kränze nach
Sonnenuntergang auf das Dach hinaufgeworfen und vor Sonnenaufgang
besichtigt werden, beweisen deutlich, dass diese Blumen einstens der Diana
als Mondgöttin geweiht waren, und dass wir es hier mit Beminiscenzen des
alten heidnischen Gultus zu thun haben, — Die christliche Kirche hat dann
auf diesen Tag die Geburt Joh^nnis des Täufers gesetzt Dass dies nur will-
kürlich geschehen ist, leuchtet ein : es ist eben der übliche Vorgang, den
die Kirche in den ersten Jahrhunderten stets befolgt hat, wenn es sich darum
handelte, den heidnischen Gultus zu verdränged. So ist fast alles, was wir beim
Volke mit dem Namen «Aberglaube» bezeichnen, bekanntlich nichts anderes,
als Beminiscenzen des alten heidnischen Gultus. Wit haben demnach nicht nur
in der Volkspoesie, sondern auch in den Sitten und Gebräuchen des rumä-
. nischen Volkes Beweise dafür, dass unter «Jana» und «Sandiana» der Mond
zu verstehen sei.
Nun kommt Argir's Braut in den Varianten auch unter dem Namen
«Ilena Gosändiana» vor. Il^na ist hier identisch mit der Helena aus der
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T>mt, ÜRSPlttlKG DfiS ARGIBU8-MÄR0HBK8. ^1
Mythologie, welche ebenfalls als Mondgöttin gefeiert wurde ; sie hatte a,uf
dem Berge Therapne einen Opferaltar. (Ovid, Meth. XII.) Durch die Berüh-
mng mit dem römischen Gultus geschah dann eine gewisse Amalgamisi-
mng : beide Namen blieben aufrecht zur Bezeichnung des einen Begriffes,
des Mondes, nämlich Il^na d. h. Helena, und Jana oder Sandiana, und
fanden ihre Weitererhaltung in der Poesie, in den Sitten und Gebräuchen
des rumänischen Volkes. Bezüglich des Namens «Gosandiana» ist man bis
heute zu keiner endgiltigen Deutung gelangt. In der letzten Silbe jedoch ist
Diana deutlich zu erkennen. Wie dem auch sein mag, aus dem bisher Ge-
sagten ist ohne Zweifel zu ersehen, dass unter «Jana Gosanidianai oder
•Ilena Sandianat der Mond zu verstehen sei. Nun ist es leicht zu erraten,
wer Argirus sein soll.
Zuerst gelangen wir auf Grund jener Ballade zu dem Schlüsse, dass
Argirus die Sonne sein müsse. Aber auch der Name sagt dieses. Der Sonnen-
gott Apollo hatte auch den Beinamen «Argirotoxos», also Träger eines gol-
denen Bogens, und wie uns Hesiod versichert, stammt diese Benennung
von den leuchtenden Strahlen der Sonne, die Pfeilen verglichen wurden.
Nun nehme man einmal die Varianten zur Hand und man wird sehen, dass
Argirus stets mit Bogen und Köcher bewaffnet erscheint, so als er in dem
Garten Wache hält, so als er auszieht, seine Braut aufzufinden. Gewiss ist diese
etymologische Deduction nicht hinreichend genug, um uns diesbezüglich
volle Ueberzeugung zu gewähren. Und da nehmen wir wieder zu den Va-
rianten unsere Zuflucht. Wie bereits erwähnt, zieht Argirus bei Barac zu
Pferd in die Welt hinaus. In anderen Varianten wird nun dieses Pferd näher
beschrieben. So wählt sich Argirus für seine Wanderung ein Pferd aus, wel-
ches mit Feuer gefüttert wird. Dies erinnert an die vier Pferde des Apollo,
von denen das eine Pyrois (Feuerpferd), das zweite Aethon (der Leuchtende),
das dritte Eos (der Dämmernde), das vierte Phlegon (d^r Sprühende) genannt
wird. Also alle sind mit dem Feuer in Verbindung gebracht, weil eben die
Sonne, nach der Anschauung der Alten, auf einem Feuerwagen mit vier
Feuerpferden dahinfährt. Daher lässt auch Argirus sein Pferd mit Feuer
füttern. In einer anderen Variante heisst es, dass dieses Pferd von sieben
Jungfrauen gepflegt wird. Dies erinnert an die sieben Hören, welche nach
der Mythe die Pferde Apollo 's ein- und ausspannten. In einer anderen heisst
es, dass der Palast der Helena auf einer Insel im Meere gelegen sei, von
wo sie auf einem zweispännigen Wagen ausfuhr. Dies erinnert an die An-
schauung der Alten, womach alle Gestirne in das Meer hinabsinken und
aus dem Meer emporsteigen, hier aber speziell an die obenerwähnte Ballade.
Der zweispännige Wagen dagegen erinnert an die Anschauung der Bömer,
dass nämlich der Mond auf einem zweispännigen Wagen fahre. tLunae biga
datur semper, solique quadriga.» Nach einer anderen Variante trifft Argirus
auf seiner Wanderung einen Greis an, der über einen Schwann Bienen
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^32 D£^ ÜBSPBÜKG Dfi8 A^GIBUB-BCÄBCHEKS.
gebietet. Diese Bienen schickt der Greis aus, um die Burg der Helena aufzu-
finden. Nur eine unter ihnen, die als die letste zurückgekehrt ist, hat die
Burg aufgefunden. Hier ist der Greis, nach der Anschauung der Alten, die
Personification der Nacht; die Bienen, über die er gebietet, sind die Sterne.*
Die Biene, die als die letzte zurückkehrt, ist der Morgenstern, denn während
die anderen Sterne beim ersten Sonnenstrahl sich in das Meer stürzen, hat
der Morgenstern allein den Mut, der Sonne ins Angesicht zu sehen, er weiss
folglich am besten, wohin sich der Mond versteckt hai (Ovid. Met. ü. erkl. von
B. Suchier). Wir sehen also, dass diese Varianten sich durchaus nicht auf
Aeusserlichkeiten, sondern auf sehr wesentliche Momente beziehen. Sie allein
geben uns vollständigen Aufschluss über den Ursprung und die Bedeutung
unserer Erzählung, sie allein bestätigen auch unsere Behauptung, dass unter
Argirus die Sonne zu verstehen sei.
Nun kommt in einigen Varianten statt Argirus der Name Petrus vor.
Es ist schwer, die Ursache anzugeben. Indess eine Andeutung zur Lösung
dieser Frage finden wir in einem rumänischen Weihnachtsliede, betitelt :
«Der Reiche und der Arme».** Dieses Lied ist in Allem identisch mit der
Mythe von Philemon und Baucis. Zeus pflegte sich nämlich unter allerlei
Gestalten zu verbergen, um die Menschen besser belauschen zu können. So
suchte er einst in Gesellschaft seines Sohnes Hermes eine Gegend Phry-
giens auf. Beide hatten sich als Pilger verkleidet, die eines Obdachs bedurf-
ten. Ueberall fanden sie die Türen der Reichen verschlossen; nur ein
frommes Ehepaar, Philemon und Baucis, gewährte den Unbekannten
herzUche GastfreundHchaft, trotz der eigenen Armut, die es drückte. Die
beiden Gatten wurden demzufolge, als die Götter von ihnen Abschied
nahmen, für den Beweis ihrer Nächstenliebe in einen glückUcheren Zustand
versetzt, die reichen Nachbarn dagegen, welche den Zorn der Himmlischen
gegen sich heraufbeschworen hatten, büssten unter einer sofort über sie
hereinbrechenden Wasserfluth. Ganz dieselbe Geschichte wird nun in dem
erwähnten Weihnachtsliede von dem Reichen und dem Armen wieder-
gegeben. Die Namen aber sind unter dem Einflüsse des Christentums durch
andere ersetzt. Statt Zeus figurirt Christus, statt Hermes — Petrus. Warum
gerade Petrus ? Wahrscheinlich, weil Petrus unter den Aposteln als der
unzertrennlichste und intimste Freund an der Seite Christi erscheint ; er
hat sich sozusagen zu einer zweiten Person nach Christus emporgeschwun-
gen, zum Apollo neben Zeus.
Dass diese Deduction nicht allzu gewagt ist, beweist folgender Um-
stand. In einer Variante aus der Bukovina heisst es, dass Petrus im Meere
* S. Nork, Mytholoffie aus den VoUmnärchen,— Friedreich, SifmhoHk imd Mytho-
logie der Natur.
** S. ColindSi Nr. 23, von At. Marieneson.
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DER ÜRÖPittmO DB8 AftÖIRÜa-MARCHBNS. ^33
von einem Fische geboren wurde. Wir treffen hier deutlich wieder auf jene
Anschauung, wonach die Sonne und alle Gestirne aus dem Meere ent-
stehen. Ovid, Met. V. sagt: «Venus sub pisce latuit», Venus war in Gestalt
des Fisches verborgen, d. h. Venus wurde aus dem Elemente des Baches,
aus dem Wasser geboren. Petrus ist demnach identisch mit Apollo, mit der
Sonne, mit Argirus, ist eine lAchtgoUheit, die nach der Mythe alle aus dem
Meere geboren werden.
Endlich treffen wir in den meisten Varianten statt Argirus den Namen
«Fet frumos» an. «Fet» ist das lateinische «Fetus» (das Erzeugte), im Ru-
mänischen speziell auf das Kind bezogen, «frumos» heisst «schön», dem-
nach «Fet frumos» das schöne Kind. Dieser «Fet frumos» i^t die wichtigste
und interessanteste Gestalt in der rumänischen Volkspoesie. Mit äbematür-
lichen Kräften geboren, besiegt er Biesen, Drachen und andere Ungeheuer,
und befreit die Mensohhdt von ihnen. Die gefährlichsten und hidsbreche«-
rischsten Aufgaben, die man ihm stellt, weiss er geschickt zu lösen. Und
wenn wir seine Thaten näher ins Auge fassen, so werden wir nicht eine
einzige finden, die nicht ihren Ursprung in der griechisch-römischen Mythe
hätte. Als Beweis mögen hier einige der auffallendsten angeführt werden.
So wird dem «Fet frumos» einmal die Aufgabe gestellt, er solle Wasser
bringen von dort, wo zwei gewaltige Felsen auf- und zuklappen. «Fet fru-
mos» begibt sich zuerst zur heiligen Venus — «santa Vinere», um sich
Bat zu holen. Die «santa Vinere» belehrt ihn, zuerst einen Vogel durch-
fliegen zu lassen. «Fet frumos» befolgt ihren Bat, und während die Felsen
nach dem Zusammenklappen beim Durchfliegen des Vogels wieder aus-
einandergehen, schöpft «Fet frumos» Wasser und schwingt sich auf sein
geflügeltes Boss. Die Klippen rennen sogleich gegen einander, doch konnten
sie nur noch die Hinterfnsse des Pferdes erreichen. — Wer erinnert sich
hier nicht an die Argonauten und die Symplegaden? Auch die Argonauten
lassen zuerst eine Taube durchfliegen, auch ihnen wird der Hinterteil des
Schiffes zertrümmert.
Auch die Art und Weise, wie «Fet frumos» zu dem geflügelten Pferde
gelangt, ist echt mythisch. «Fet frumos» soll einst von einem Einsiedler
einen Halfter als Geschenk bekommen haben. Wenn er den Halfter einmal
schüttelte, erschien sofort ein geflügeltes Boss, das sich ihm zu Diensten
stellte. — Dies erinnert an den Halfter, den Athene dem Korinthischen
Sonnenhelden Bellerophon schenkte; das geflügelte Boss aber an den
Pegasus, der nur von Bellerophon gebändigt werden konnte, auf dem dieser
dann gegen Ungeheuer kämpfte, die er gewöhnlich aus den Lüften mit einem
Bogenschuss eilegte. Pegasus, der nach dem Schwertstreiche des Perseus
aus dem Haupte der Medusa entsprungen war, erhielt später bekanntlich
seine besondere Bedeutung als Musenross.
Ein andermal soll sich «Fet frumos» am Hofe eines Königs gerühmt
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i^ f>fim ÜftÖPRtmo DfiS ABGIRÜS-MABOHEKS.
haben^ er sei im Stande; die goldenen Haare der «S6na CJösändiaüat m
rauben. Der König nimn(it ihn beim Wort, und iFet frumos» geht an die
Aasführung, die sehr gefährlich war, denn bis zur «Ilena Goaandiana» musste
man das Grebiet eines neunköpfigen Ungeheuers passiren. Doch «Fet ftumos»
nimmt Pfeil und Bogen, schüttelt seinen Halfter, das Pferd erscheint, er
schwingt sich auf dasselbe und während das Ungeheuer mit furchtbarem
Gebrüll auf sie losstürzt, schwingt sich das Pferd in die Lüfte und tFet
frumos» sendet dem Ungeheuer einen Pfeil durch's Herz. HieY haben wir
einen Teil der Geschichte des Perseus, Dieser hat sich vor dem König Poly-
dektes ebenfalls gerühmt, er sei im Stande, das Haupt der Medusa zu holen.
Der König nimmt ihn beim Wort und Perseus muss sein Versprechen erfüllen.
Der andere Teil ist wiederum mit der Geschichte des Bellerophon verwebt.
Wie diese Yerwebung möglich wurde und warum in den rumänischen
Volksmärchen fast ein und dersiBlbe Held die Thaten verrichtet, die in der
Mythe von verschiedenen Personen ausgeführt erscheinen, ist leicht erklärlich.
Die meisten mythischen Namen verdunkelten sich nämlich im Verlaufe der
Jahrhunderte, auch wurden sie direct durch christhche Namen verdrängt, bis
sie sich in nebelhafter Feme verloren. Die Fabeln und Märchen jedoch blieben
in der Erinnerung des Volkes und diejenigen, welche eine gewisse Aehn-
lichkeit mit einander hatten, wurden nun Einer Person zugeschrieben, die
mittelst Abstraction vom Volke gebildet wurde: diese Person ist tFet frumos»,
der als das Ideal eines Jünghnges, wie «U^na Ciosandiana» als das Ideal einer
Jungfrau beim rumänischen Volke erscheint. Nun können wir uns auch leicht
erklären, woher die zahlreichen Varianten stammen. Jene mythischen Ele-
mente, ihr Sinn und Zusammenhang, ihre ursprüngUche Bedeutung ent-
schwand dem Volke nach und nach, die Fabeln und Sagen aber, das Material,
vererbte sich von Generation zu Generation und lieferte Stoff zu den mannig-
faltigsten Gombinationen. Solche Combinationen finden sich schon im Alter-
tum und nicht nur von der Volksphantasie, sondern auch von einzelnen
Dichtern ausgeführt. Was sind Ovid's Methamorphosen anders, als eine
Sammlung von Fabeln und Sagen aus der griechisch-römischen Mythologie,
die sich auf die Verwandlungen von Menschen in Tiere, Bäume, Steine,
Wasser, Feuer u. s. w. beziehen, und die Ovid dichterisch zu einem Ganssen
zu gestalten suchte ? AUe diese Fabeln und Sagen lebten auch im Munde des
Volkes, bildeten einen Teil seines Glaubens und hatten ihren Grund in der
frühesten Beobachtung der Verwandlungen und Veränderungen in der Natur.
Und so werden wir sehen, dass auch die Geschichte deo. Argirus aus
mythischen Elementen zusammengesetzt ist, die ursprüngUch gar nicht zu
einander gehörten, und die nur die Volksphantasie zu einem Ganzen auf-
gebaut hat. Ich meine die goldenen Aepfel und die sieben Pfauen, und die
Motive mit den Flügelschuhen, der Peitsche und dem Mantel. Woher stam-
men sie ? Hören wir, was uns die Mythologie erzählt. Zuerst über die gol-
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•deDen Aepfel. Als Zeus und Hera Hochzeit feierten, brachten alle Götter ihre
Geschenke dar. Gaia, die Mutter der Erde, Hess den goldenen Baum wachseh,
der am Ende der Welt neben Okeanos steht und von den sieben Hesperiden
bewacht wird. Bezüglich der anderen drei Motive erzählt uns die Mythologie :
•Als Perseus in seinem schwärmerischen Ehrgeiz jenes Versprechen abgab,
das Haupt der Medusa zu holen, hatte er sich unbewusst in eine Gefahr
gestürzt, die so furchtbar war, dass er sie ohne götthche Mitwirkung nicht
zu überwinden vermfocht hätte. Die allen Helden geneigte Athene geleitete
ihn daher zu einem Nymphengeschlechte, das von Zeus mit der Themis
erzeugt war. Von diesen Nymphen erhielt Perseus die nötigen Gegenstande,
die er zur Besiegung der Medusa brauchte, nämlich ein Paar Flügelschuhe,
•einen unsichtbar machenden Helm oder eine Nebelkappe und einen Schnapp-
sack. Ich glailbe, hiemit haben wir die Quelle aller jener Elemente, aus
denen unsere Geschichte zusammengesetzt ist, festgestellt : Mythisch ist die
Geschichte an sich selbst, und ihren eigentlichen Kern haben wir in jener
bereits erwähnten Ballade kennen gelernt; mythisch sind die Namen Argi-
rus, d. h. Sonne und Helena, d. h. Mond, mythisch sind die goldenen Aepfel
und mythisch sind die letzterwähnten drei Motive. Nachdem wir so die Basis,
auf welcher eigentlich unsere Geschichte ruht, festgestellt haben, wollen wir
nunmehr an . die Beantwortung der Frage gehen, woher Gergei diese Ge-
schichte entlehnt hat.
Untersuchen wir zunächst folgende Frage: hat sich diese Geschichte
unter dem rumänischen Volke durch Barac's Bearbeitung des Öergei'schen
Stoffes verbreitet, oder nicht ? Ist es einmal constatirt, dass nicht Barac sie
unter die Rumänen gebracht hat, nun, so hat es auch Gergei nicht gethan,
denn Gergei's und Barac's Dichtung ist eins.
Nehmen wir an, Barac's üebersetzung hätte den denkbar grössten
Erfolg unter den Rumänen in Ungarn gehabt. Aber da fragen wir uns, wie
ist diese Erzählung zu den Bukovinem, zu den Rumänen in der Moldau und
Walachei, zu den Macedo-Rumänen gedrungen? Sollte E|arac's Dichtung
dies Wunder bewirkt haben? Femer, da die rumänischen Volksmärchen
erwiesenermassen als mythische Erinnerungen von Generation zu Generation
sich fortgeerbt haben, sollte allein die Geschichte des Argirus mit ihrem
mythischen Inhalt aus einer nicht auffindbaren italienischen Chronik durch
Vermittlung einer ungarischen Eunstdichtung unter die Rumänen gedrungen
sein und sich daselbst den ersten Platz errungen, ja eine Menge Varianten
hervorgebracht haben? Warum hat das ungarische Volk keine Varianten
hervorgebracht? Und wie ist es zu erklären, dass auch diese Varianten lauter
mythische Elemente in sich fassen ? Vor Allem, wie ist es zu erklären, dass
man in dieser Oeschichte, welche die Rumänen nur am dem Anfange unseres
Jahrhunderts haben sollen, jene uralten Namen für den Mond : «Sandiana»
und cJana» wiederfindet? Sollte dies ein Zufall sein?
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Wir Beben, auf diesem Weg stossen wir auf lauter Unmöglichkeiten.
Aber nocb viele andere Fragen, die bier aufgeworfen werden müssen, lassen
sieb bei dieser Annahme soblecbterdings nicht erklaren« So wird bei Barac
Argir*8 Braut stets Helena genannt; Oergei dagegen erwähnt mit keiner
Silbe, wie sie beisst, er nennt sie blos «tünd^r le&ny» (tFeenmädebeni).
Nun ist es sehr wichtig, dass auch bei ungarischen Schriftstellern Argims mit
Helena in Verbindung gebracht wird. So finden wir in «DMalus templomat
(DaBdalus* Tempel) von Gyöngyössi folgende Stelle : «Auch Argirus erging es
so mit der Fee Helene, t^ Es fragt sich nun, woher weiss Gyöngyössi, dass
Argirus mit der Helena in Verbindung zu bringen sei? Von Gergei? Schwer-
lich I Denn Gergei's Argirus ist 1763 erschienen ; einer älteren Ausgabe aus
1749 wird blos Erwähnung gethan. «D^dalus temploma» aber erschien 1727.
Allerdings spricht Otroköcsy schon im Jahre 1693 von Gergei's Argirus, aber
der Helena wird nirgends Erwähnung gethan. Demnach müssen wir Gyön-
gyössi's Quelle anderwärts suchen. Vorläufig führen wir noch eine andere
Stelle aus der ungarischen Literatur an, bevor wir irgend einen Scbluss
ziehen. In einem Gedichte von Abraham Barcsay heisst es :
Megbocsdss, }6 n^näm, ^n ki Däciäban
Születtem, Ilona tündSr orszdgdban —
Ämbiir sz6p olähnäk hordoztak pölyAban **
Auf Grund dieser Stellen fragen wir uns nun, ist es möglich, dass
Jemand das Land Siebenbürgen «Helene's Feenlandt nenne auf Grund des
Gergei'scheu Gedichtes, in welchem mit keiner Silbe weder das Wort Sieben-
bürgen noch Helene vorkommt, aber auch sonst kein anderes Wort existirt,
aus welchem man diesen Scbluss ziehen könnte ? — Ist es möglich, dass
Jemand Argir's Braut Helene nenne auf Grund des Gergei'schen Gedichtes,
in welchem dieser Name gar nicht vorkommt? Nein, Gergei's Dichtung gibt
weder in der einen noch in der anderen Beziehung Veranlassung dazu. Wo
ist also die Quelle zu suchen ? Etwa unter dem ungarischen Volke, welches
nur die Gergei'scbe Dichtung kennt, oder unter dem rumänischen Volke,
wo die Geschichte des Argirus und der Helena in massenhaften Varianten
lebt, wo jede schöne weibliche Person in seinen Märchen den Namen Helena
führt und wo diese Helena zu einem nationalen Typus geworden ist ? Ich
glaube, Barcsay spricht deutlich genug : Rumänische Frauen, die ihn als
Kind auf ihren Armen getragen, haben ihm diese und ähnliche Geschichten
von der schönen Uena erzählt, und wie er, werden hunderte und tausende
Ungarn gewesen sein, die auf diesem Wege oder durch täglichen Umgang
"^ Siehe Gustav Heiniich, Argirus in Budapesti Szemle pro Angnst 1890.
** D. h. Verzeih' giite Tante, ich, der ich in Dacien, im Feenlande der lidme^
geboren bin — obwohl mich schöne Rumäninnen in den Windehi getragen. ....
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DER UBSPBÜNO DES ABOIBT78-MÄBOHEM6. ^^7
mit Bumänen solche Feengeschichten gehört haben. Nun finden wir es begreife
lieh, wenn Otroköcsy sagt : tN41unk Tünderorsz^ alatt rendesen Erdtiyt
ertik».* Aber wir finden jetzt auch begreiflich, warum Barac in seiner Dich-
tung das ergänzt, was (rergei unterlassen hat : als Barac nämUch den unga-
rischen Text las, erinnerte er sich sogleich, wie diese Geschichte im Munde
des rumänischen Volkes lebt, und sd setzte er den Namen Helena ein. Dass
er sich trotzdem fest an Gergei klammert, hat seinen guten Grund. Barac
wollte diese Geschichte, die im Volke in Prosagestalt lebt, in Verse und
Beime umsetzen, und so nahm er sich Gergei's Dichtung zum Muster, denn
Barac spielt als Dichter eine ziemlich untergeordnete Bolle.
Indess weichen sie auch wesentlich von einander ab. Und gerade in
jenen Punkten, in denen sie von einander abweichen, erkennen wir ihre
gemeinsame Quelle. Eine kurze Analyse des Gedichtes wird das Gesagte
Gergei erzählt, dass der Biese den Argirus aufigefordert hätte, bis
Morgen zu bleiben, es kämen die Feen, die müssten über die Schwarzbuig
Auskunft erteilen können. Die Feen kommen — aber keine kann Bescheid
geben. Da sei ein hinkender Zwerg gekommen, der habe Argirus nach der
Schwarzburg hingeleitei Nun fragen wir uns, ist es möglich, dass die Feen
den Aufenthalt ihrer Königin nicht wissen sollten, denn Gergei nennt Argir's
Braut ausdrücklich die t Königin der Feen» ?! Und dann, wie kommt der
Zwerg in die Geschichte hinein, denn wenn der Biese die Absicht gehabt
hätte» auch die Zwerge zu sich zu citiren, so hätte er sie alle dtirt, nicht
nur den einen, und noch dazu den hinkenden, von dem am allerwenigsten
etwas SU erwarten war?! Wenn wir die rumänischen Varianten zur Hand
nehmen, so erklärt sich die Bache. In einigen derselben erscheinen nämlich
nur die Feen, und diese erteilen auch Auskunft, weil eben von ihrer Königin
die Bede ist. In anderen erscheinen nur die Zwerge, und der letzte, der hin-
kend herankommt, weiss Bescheid. Gergei hat nun beide Varianten gekannt
und hat von beiden etwas genommen, ohne den Widerspruch zu bemerken.
Barac ist vorsichtiger in diesem Punkt, bei ihm erscheinein nur die Zwerge,
und ohne Zweifel hat er sie aus einer Variante entnommen, denn sonst
sehen wir wahrlich keinen Grund, warum er gerade in diesem Punkt hätte
von Gergei abweichen sollen. Ferner spricht Barac von sieben Pfauen, Gergei
dagegen von sieben Schwänen; bei Barac ist der Aufenthalt Argir*s beim
Biesen mit einigen Episoden verbunden, Gergei übergeht diese gänzlich.
Auch hier sehen wir keinen Grund, warum Barac von Gergei hätte abweichen
sollen, wenn nicht die Varianten ihn dazu getrieben hätten, denn in den*
selben wird thatsächlich bald von Pfauen, bald von Schwänen, bald von
* Siehe G. Heinrich, a. a. 0. (cBei uns versteht man unter dem Feenhmde in
der Begel Siebenbürgen. •)
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2^ DER URSPRUNG DES AROIRUS-MÄRCHBNS.
Tauben und bald — von Sternen gesprochen, ein Beweis mehr, dass diese
Geschichte unter den Bumänen vor Barac existirt hat, und diese Existenz
kann es doch unmöglich dem Gergei verdanken, da (}ergei erst dureh Barac.
in's Bumänische äbersetzt wurde.
Dagegen ist dem Barac an einer anderen Stelle ein Lapsus widerfahren.
Er erzählt nämlich, dass Argirus zu Pferd ausgezogen sei, ohne irgend eine
Begleitung. Im Verlaufe der Erzählung scheint er dies vergessen zu haben,
denn wir hören nichts mehr von dem Pferde. Diese Stelle ist lehrreich, denn
sie zeigt uns zugleich, wie unsere Geschichte aus verschiedenen Elementen
zusammengesetzt ist. Wir haben nämlich Varianten, wo Argirus zu Pferde
auszieht. In diesen aber fehlt consequent die Greschichte mit den drei Wun-
derdingen. Selbstverständlich^ denn in diesem Falle sind sie unbrauchbar;
das Pferd hat Flügel, wird mit Feuer gefüttert, ist ühernatürUch und weiss
somit wo die Schwarzburg liegt, nur ist der Weg dahin mit Gefahren ver-
bunden, und diese Gefahren besiegt AVgirus eben mit seinem Wunderpferde.
In anderen Varianten, wie bei Gergei, fehlt das Pferd, aber da treten die drei
Wunderdinge in die Composition ein, denn anders könnte Argir zu seiner
Braut nicht gelangen. Sowohl das Wunderpferd als auch die drei Wunder-
dinge gehören, wie wir gesehen haben, verschiedenen Mythenkreisen an. Das
Volk aber, das sich an den ursprünglichen Sinn und Zusammenhang dieser
Sagen nicht mehr erinnern konnte, hat nun diese Elemente in geschickter
Weise zu den verschiedenartigsten Varianten verwendet Es ist vielleicht
nicht uninteressant, hier über die Entstehungsweise solcher Varianten etwas
anzuführen. Der Ort, wo solche Varianten entstehen, ist gewöhnlich die
Spinnstube. In jeder Gemeinde existiren während des Winters mehrere der-
selben. Spinnen und Märchen erzählen bilden daselbst zwei fast unzertrenn-
liche Begriffe. Das Märchenerzählen geht folgendermassen vor sich : Jemand
beginnt mit einem Märchen. Nach einer kurzen Weile wird der Name irgend
einer der anwesenden Personen aufgerufen oder man wirft ihr irgend ein
Zeichen zu. Diese muss sogleich in der Erzählung fortfahren. Wenn sie
glaubt, genug erzählt zu haben, wirft sie das Zeichen einer dritten Person zu
u. s. w. Auf diese Weise dauert ein einziges Märchen oft stundenlang. Dasa
dabei die verschiedenartigsten Stoffe unter einander gemengt werden, ist
selbstverständlich. Ja, man betrachtet es als ein Zeichen des Scharfsinnes
und der Geistesgegenwart, wenn die aufgeforderte Person an die begonnene
Erzählung sogleich irgend einen verwandten Stoff anknüpfen kann. Es lässt
sich somit leicht erklären, woher die zahlreichen Varianten stammen. Aber
wir haben hier zugleich einen Fingerzeig, wie rumänische Märchen auch
unter die anderen mitwohnenden Nationen dringen konnten. In Gemeinden
von gemischter Bevölkerung nämlich hat die Spinnstube oft einen inter-
nationalen Charakter, der Ungar besucht sie ebenso wie der Sachse. Wir
brauchen uns demnach nicht mehr zu wundem, wenn in der Samnüung
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DBB ÜB8PBUNO DBS AlCGIBUß-lCABCHENS. ^^^
sächsischer Volksmärchen von Halbrioh nicht weniger als fünfzehn Stücke
für rumänisch erkannt wurden.*
Sowohl Gergei als auch Barac haben mehrere Varianten des « Argirus»
gekannt, aber sie schlecht angewendet, wie wir gesehen haben, denn sonst
hätten sie solche Compositionsfehler nicht begehen können, und dass beson-
ders Barac mehrere derselben gut gekannt hat, beweist folgender Umstand.
Barac's Dichtung ist um Vieles länger und breiter als die Gergei's. Dieses
Plus fallt entschieden auf die Ausschmückung in der Erzählung. Und diese
ist sehr schön : einfach, leichtdahinfliessend, hie und da schalkhaft — eine
echte volkstümliche Darstellung. Manche Partien finden sich wörtlich in
den Varianten wieder. Nun lese man von demselben Dichter beispielsweise
iDie Zerstörung Jerusalem *si in neun Gesängen. Man glaubt einen Menschen
vor sich zu sehen, der in einen lehmigen Boden gesunken ist und nun aus
demselben sich herauszuarbeiten sucht, — so schwerfä,llig und unbeholfen
ist er an manchen Stellen. Natürlich, hier konnte er nicht aus dem Volks-
munde hören, wie man erzählen und beschreiben soll.
Auch die drei Wunderdinge sind in unserer Erzählung von der Volks-
phantasie der Grundidee entsprechend umgeändert worden. In der Mythe
hat jedes Ding seinen besonderen Zweck, ebenso in den einzelnen Varianten.
Die Kappe macht unsichtbar, die Schuhe verleihen Flugkraft, die Peitsche
oder Schleuder verwandelt nach Wunsch jeden Gegenstand sogleich in Stein.
In unserer Erzählung haben alle drei Gegenstände eine und dieselbe Kraß :
die Weiterbeförderung im Fluge an den gewünschten Ort. Und dies ent-
spricht vollkommen der -Grundidee in der Erzählung : Argirus wünscht sich
nichts anders, als die Burg seiner Braut aufzufinden. Diese drei Motive
bekommen in den Varianten nur dann ihre specielle Kraft, wenn Argunis mit
Ungeheuern su kämpfen hat
Und eben auch dieser Umstand, dass diese verschiedenartigsten Va-
rianten unter den Bumänen vor Barac existirten, lassen keinen Zweifel dar-
über, dass Gergei den Stoff zu dieser Geschichte aus dem Bumänischen ent-
lehnt hat. Diese Behauptung haben wir bisher blos auf Deductionen basirt.
Nun finden sich auch im ungarischen Texte einige Ausdrücke, die entschieden
zu dieser Annahme hindrängen. Dort, wo Gergei von den drei Wunderdingen
spricht, gebraucht er zur Bezeichnung der Flugelschuhe den Ausdruck
«bocskort. Da nun das ungarische Volk den «bocskort nicht trägt, so muss
Gergei in der Quelle, aus der er geschöpft hat, Ursache gefunden haben,
diesen Ausdruck zu wählen. Und die Ursache kann nur darin liegen, dass
Gergei aus einer rumänischen Quelle geschöpft hat, denn das rumänische
Volk hat nur den t bocskor» und in seinen Märchen tragen sogar die Königs-
si^me und Prinzen den «bocskort. Man beachte nur, wie diese drei Wunder-
* Siehe Doi fiU ootofeU von At. Marienescu in der AUma, 1871.
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240
DER URSPRUNG DBS ARGIRUS-MARCHENS.
dinge bei anderen Völkern vorkommen. Der Türke z. R spricht von Turban,
Pantoffeln und Teppich ; die Motive sind also vorhanden, aber bei der Gon-
cretisirung wurden sie sozusagen nationalisiri Koch deutlicher spricht eine
andere Stelle im ungarischen Texte. Es heisst daselbst : tMonda a sz^p
leäny: t^r^ir^y szerelmem!» («Sprach das schöne Mädchen: Argire, mein
Liebster !•) Wie wir sehen, ist «Argire» der Vocativ. Aber in welcher Sprache?
In der ungarischen nicht ! In der italienischen ? Auch nicht, denn im Italie-
nischen gibt es keinen Vocativ, es müsste also der Nominativ sein. Aber da
fragen wir uns, warum gebraucht Gergei diese Form des Nomiilativs nicht
auch an anderen Stellen? er wendet fünfundzwanzigmal den Ausdruck
«Argirusi an, warum gebraucht er gerade hier diese Form des Nominativs?
Indess der Nominativ kann es auch nicht sein, denn dieser müsste von
Argirus, nach dem Geiste deir italienischen Sprache, «Argiro» lauten. Es ist
eben weder eine italienische, noch eine ungarische Form, es ist der reine
rumänische Vocativ, der von «Argirus» nicht anders als «Argire» lauten darf,
und Gergei hat diese Form benützt, weil er sie so gehört hat und weil sie
ihm in das Versmass passte.
Wie steht es aber mit den eigenen Aussagen Gtergei's, dass er nämlich
diese Geschichte aus dem Italienischen übersetzt habe? Wir haben gesehen,
dass die diesbezügliche Stelle dunkel genug ist. Doch geben wir zu, Gergei
habe thatsächlich sagen wollen, er habe die Geschichte des Argirus einer
italienischen Chronik entnommen, wie gestaltet sich dann die Sache? Wir
müssen in diesem Falle folgende Frage untersuchen : hat Gergei Ursache
gehabt, statt der rumänischen Quelle eine itaUenische anzugeben? Auf diese
Frage können wir mit einem entschiedenen «Ja» antworten. Wir dürfen
dabei nicht etwa an politische, sondern an rein literarische Beweggründe
denken. Seit die Ereuzzüge die Völker des Occidents und Orients in nähere
Berührung mit einander brachten, begann auch der Geist orientalischer
Volkspoesie nach Europa zu strömen. Diese Strömung hatte im XV. und
XVL Jahrhunderte ihren Höhepunkt erreicht und die Vermittlung stellte
Italien her, so dass dieses Land die eigentliche Heimat der Feenmärchen in
Europa wurde.* Alles, was in diesem Grenre poetisch bearbeitet und erzeugt
wurde, mochte es woher immer stammen, führte man auf Italien zurück.
Aus einer italienischen Chronik geschöpft zu haben, war das beste Empfeh-
lungsschreiben, das man einem derartigen poetischen Froduote in die Welt
mitgeben konnte — gerade so, wie man in Deutschland im XVIH. Jahr-
hunderte sogar die urgermanische Geschichte Siegfried's für französisch aus-
gab, um ihr die grösstmögliche Verbreitung zu verschaffen. Nun wissen wir
allerdings nicht genau, wer Gergei war, wann und wo er gelebt hat Die all-
gemein acceptirte Ansicht jedoch ist die, dass er ein Siebenbürger war und
* Siehe Gustav Heinrich, a. a. O.
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DIE GBTKEIDB-VEBSORGUNG OSTERKEICH- UNGARNS UND DEUTSCHLANDS.
2U
dass sein Leben in das XVI. Jahrhundert fallt, also in jene Zeit, wo die
obenerwähnte Manie so mächtig war, dass er nur dem herrschenden Zeit-
geiste folgte, wenn er die Geschichte des Argirus für italienisch ausgab. Um
dann diese seine Aussage halbwegs glaubwürdig zu machen, bediente er sich
auch in der Darstellung solcher Ausdrücke, die auf Italien hinweisen, wie
Cypressen, Orangen, Lorbeer u. s. w. Dass es sich hier aber nur um einen
ganz unschuldigen und zeitgemässen Kunstgriff handelt, und dass Gergei
aus einer rumänischen Quelle geschöpft hat, ersieht man auch daraus, dass
dieses Märchen unter den Magyaren in Ungarn bei Weitem nicht so ver-
breitet und volkstümlich ist, als unter den Magyaren in Siebenbürgen, weil
sie eben hier in grösserem Gontacte mit den Rumänen leben, als im eigent-
lichen Ungarn.
Auf Grund dieser äusseren und inneren Kriterien glaube ich entschie-
den annehmen zu dürfen, dass Gergei den Stoff zur Geschichte des Argirus
aus dem Bumänischen entlehnt hat. Georg Popp.^
DIE GETREIDMEESOKGÜNG ÖSTERREICH-UNGARNS UND
DEUTSCHLANDS.
Aus dem (^esiohtspmikte des abzuachliessenden Handels- und ZoUvertrages.^
Der Finanzminister Busslands befasste sich in einer vor kurzer Zeit
erschienenen sehr interessanten Publication,^ in welcher er die Stellung
Busslands auf dem internationalen Getreidemarkte untersucht, auch mit
der wichtigen Frage, ob die Agrar- Zölle, mit welchen Deutschland und,
dessen Beispiel folgend, die meisten europäischen Staaten ihre Agricultur
vor der Concurrenz der im grossen Maasse Getreide producirenden Staaten
^ VgL zu diesem Artikel den Auszug aus einem Vortrage Gustav Heinrich 's
über Argirus in dieser Ungarischen Revue IX., 1889, S. 46 — Die obige Darstellung
wird unstreitig dazu beitragen, das Dunkel zu lüften, welches auf der Frage nach dem
Ursprünge dieses Märchens lastet, denn — hei aller Anerkennung für die Umsicht
und den Schar&lnn des Verfassers — darf doch behauptet werden, dass seine Folge-
rungen über die Grenze der Wahrscheinlichkeit nicht hinausreichen. D. Red*
* Diese Abhandlung wurde noch im vergangenen Herbst geschrieben und
erschien im Dezember-Heft der imgar. Nationalökonomischen Revue. Was seitdem
geschah, dient zur Rechtfertigung der hier entwickelten Ideen. Die Frage ist jedoch
bisher noch nicht gelöst, demnach diese Abhandlung auch jetzt noch zeitgemäfi&
D.Bed.
* Ein weitläufiger Auszug hie von ist im April-Heft vom Jahre 1890 des durch
den französischen Ackerbau-Minister herausgegebenen « Bulletin • enthalten.
UagftTtooh» BeriM, XI. 1891. m. Heft. IQ
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242 DIE GETREIDB-VBRBOROÜNG
schützen, eigeDtlich durch die Producenten der Export- Länder oder durch
die Consumenten jener Staa.ten getragen werden, in welchen die Schutzzölle
in Anwendung stehen?
Diese Frage ist für Bussland von grosser Wichtigkeit, denn wenn es
wahr wäre, womit man die (Getreide-Zölle zu begründen pflegt, dass die-
selben nämlich ohnehin durch die ausländischen IVoducenten bezahlt wer-
den, würde Bussland nur in dem einen Jahre 1888 an Deutschland 12*5
MilUonen, an Frankreich 11*8 Millionen« an Italien aber 15 Millionen Me-
tallrubel Tribut entrichtet haben.
Das Ajüom der Schutzzölle wäre — nach dieser Quelle — richtig,
wenn die Production der importirenden Staaten die zur Ernährung der
Bevölkerung erforderliche Menge an Getreide decken würde; denn es könnte
in diesem Falle fremdes Getreide nur dann auf die inländiscl^en Märkte
gelangen, wenn die ausländischen Exporteure ihr Getreide um den ganzen
Zollbetrag billiger als die Local- Marktpreise anbieten würden. In jenen
Staaten, in welchen Schutzzölle bestehen, ist aber der Bedarf factisch
grösser als das Angebot, was notwendigerweise das Steigen der Preise ver-
ursacht, wodurch der Zollertrag so ziemlich ausgeglichen wird.
In der schon erwähnten Quelle ist ein Vergleich aufgestellt zwischen
den Preisen des russischen Getreides auf den Märkten jener Staaten, welche
sich durch Zölle nicht schützen und den Marktpreisen derjenigen Staaten,
wo Schutzzölle bestehen, und das Endresultat dieser Parallele ist, dass der
grösate Teil der Getreidezölle nicht die fremden Producenten, sondern die
inländischen Consumenten belastet. Gleichzeitig wird die Behauptung auf-
gestellt, dass, in welchem Maasse die Nachfrage in jenen Staaten, deren
Production den inneren Gonsum zu decken nicht im Stande ist — zunimmt, ein
umso grösserer Teil an Zollabgaben auf dieselben ei^t&llt, die Getreide
exportirenden Länder hingegen von den, ihren Export belastenden Tribut
in demselben Maasse befreit werden.
Diese Schlussfolgerung bestätigen auch andere, auf gleichen Grund-
lagen aufgestellte Studien und es steht gegenwärtig schon fast ganz
ausser Zweifel, dass, wenn auch von den deutschen Agrar-ZöUen für die
deutschen Landwirte einiger Nutzen sich ergab, dieselben für die ganze
Volkswirtschaft der deutschen Nation nur mit Schaden verbunden waren.
Deutschland beging daher auch aus dem Gesichtspunkte der eigenen Inter-
essen einen grossen Fehler, als es mit den Agrar-Zöllen, welche das Land
vor der Concurrenz der im riesenhaften Maasse Getreide billig produzie-
renden Staaten zu schützen berufen waren, nicht nur diese von den Märkten
ausschloss, sondern auch jene Staa^n, welche weder durch die Menge noch
die Billigkeit ihrer Production gefährliche Gonourrenten der deutschen Agri-
eultur waren.
Wir wollen uns keinen Becriminationen hingeben ; die gewonnenen
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Ö8TBRREIC5H-UNGARN8 UND DEUTSCHLANDS. 2i3
Erfahrungen jedoeh müssen in der Zukunft nach Möglichkeit nützlich ver-
wertet werden. Diese Erfahrungen sind eben gegenwärtig von grösstem
Nutzen, da Deutschland mit der bisherigen engherzigen Wirtschafts-Politik
zu brechen und mit der österreichisch-ungarischen Monarchie einen neuen
Zollvertrag zu schliessen beflissen ist.
Die Verhandlungen zwischen der ungarischen und österreichischen,
sowie der deutschen Regierung haben thatsächlich begonnen^ und man
kann dem Abschlüsse derselben mit Aussicht auf Erfolg entgegensehen.
Ein sehr günstiger Umstand ist vor allem jene Aufrichtigkeit und Innigkeit
des politischen Bündnisses, welche so den Völkern der Monarchie wie
den Bewohnern Deutschlands bereits ins Blut übergegangen ist. Dieser
Umstand führt die Regierungen der verbündeten Staaten mit der Kraft der
logischen Notwendigkeit dem Abschlüsse eines wirtschaftlichen Bündnisses
entgegen. Ein derartiger Factor ist femer die Solidarität der Interessen
beider Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie, welche der unga-
rische Handelsminister^ als er sich unlängst im Parlament äusserte, so
beBttmnl» so überzeugend und mit so viel staatsmännischer Weisheit betont
hai Die SoUdarität der Interessen wird es nicht gestatten, dass das in Aus-
sicht genonunene wirtMhaftliche Bündniss mit Deutschland aus kleinlicher
Eifersüchtelei oder Selbstsucht SchifiTbruch leide. Wahrscheinlich aber werden
es die deutschen Landwirte auch begreifen — in dieser Beziehung kann
oberwähnte russische Publication als überzeugendster Beweis dienen —
dasB ihre eigenen Interessen es nicht erheischen, dass die österreichischen
und nngarischen Producenten von den Märkten Deutschlands femgehalten
werden;
Es ist kaum glaublich, dass Deutschland mit der bisherigen SchutzzoU-
Teüdenz so bald brechen werde, um den Principien des Freihandels zu hul-
digen. Jene Staaten, welche Bohproducte im grossen Maasse erzeugen, sind
gegenwärtig viel mehr zu befürchten, als vor der Epoche der Schutzzölle,
da dieselben eben hiedurch angeeifert, ihre Production billiger und reich-
licher gestalteten, die Beförderungsmittel erstaunlich entwickelten, und die
Transportkosten auf ein Minimum reduoirten. Wie könnten einer derartig
verstärkten Goncurrenz die Landwirte jener Staaten, bei welchen Schutz-
zölle in Anwendung stehen. Trotz bieten, da die Klagen dieser Glasse im
Qrunde genommen schon früher gerechtfertigt waren, obzwar dieselben
unleugbar eiidgermassen übertrieben wurden ?
Die deutschen Märkte beherrscht gegenwärtig das russische Getreide ;
in dem freien Verkehr des Jahres 1889 entstammten von Weizen 58*9 <>/o,
von Roggen 88-2 o/o, von Hafer 92*5 o/o, von Gerste 48-0 o/o aus Russland;
von den wichtigeren Getreidegattungen war die nordamerikanische Waare
nur bei dem Mais im Uebergewicht; den zweiten Platz nahm aber
Bxsxk hier Bussland ein. Dieses Uebergewicht Würde Bussland auch nach
16*
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244 DIE OETBEIDE-YER80ROUNO
Abechaffung der Zölle beibehalten^ sogar vielleicht noch steigern, und es
würden die deutschen Landwirte eben den im grössten Maasse und am bil-
ligsten producirenden Concurrenten schutzlos gegenüberstehen, lieber die
Productionskosten liegen keine verlässlichen Daten vor, können auch natur-
gemäss nicht vorhanden sein, es stehen aber mehr oder weniger annähernde
Schätzungen zur Verfügung^ und die schon mehrmals erwähnte rus-
sische Quelle stellt auch einen Vergleich zwischen den Productions-
kosten des nordamerikanischen, des ostindischen und russischen Weizens
auf und gelangt, auch die Transportkosten in Anbetracht genommen, zu
der Schlussfolgerung, dass der Weizen dem russischen Producenten auf dem
Markt in London per Pud (1 Pud =16 Kilogramm) um 2 Kopeken billiger
zu stehen kommt, als dem ostindischen, und um 8 Kopeken billiger, als
dem nordamerikanischen Producenten.
Für die deutschen Producenten ist daher der Schutz vor Bussland eine
Lebensfrage; wenn jedoch die allgemeinen Interessen des Reiches nicht
geopfert werden sollen, ist es notwendig, mit solchen Staaten in 2jollverband
zu treten, deren Productions* Verhältnisse, obzwar dieselben über einen
Ueberschuss an Getreide verfügen, nicht stark von jenen Deutschlands
abweichen.
In dieser Hinsicht kommt in erster Reihe die österreichisch-ungarische
Monarchie in Betracht Viele behaupten, dass die Monarchie nur noch kurze
Zeit hindurch unter die Getreide exportirenden Staaten gereiht werden
kann, und dass der Zeitpunkt nicht mehr ferne ist, in welchem die Produc-
tion nicht einmal den inneren Bedarf zu decken im Stande sein werde.
Die Daten über den Waarenverkehr des gemeinsamen Zollgebietes recht-
fertigen diese Behauptung nicht Es ist zwar wahr, dass sich die Ver-
kehrsbilanz vom Roggen meistenteils, vom Mais aber ständig passiv gestal-
tet, von den übrigen Getreidegattungen jedoch und unter diesen von dem
Hauptproduot Ungarns, vom Weizen, nimmt die Exportfahigkeit der Mon-
archie (besonders wenn auch der Mehlexport in Betracht genommen wird),
nicht nur nicht ab, sondern es steigt dieselbe, und es gelangten besonders
während der letzten Jahre neuerlich grosse Mengen auf die Weltmärkte.
Was speziell die Export&higkeit Ungarns betrifft, so sprach Karl
Keleti in seinem ausgezeichneten Werke über die Pariser Weltausstellung
vom Jahre 1878 die Ansicht aus, wir müssten ims mit der Idee befreunden,
dass die zweifelhaft ruhmvolle Rolle, zu Folge welcher wir uns als einen
Hauptverpfleger Europas und als einen par excellence Getreide-Export-Staat
betrachteten, in der nächsten Zukunft aufhören werde. Die früheren Ergeb-
nisse der Production Ungarns, welche damals die amtliche Statistik schon
über 10 — 11 Jahre constatirte, in Betracht genommen, konnte diese Behaup-
tung mit Recht aufgestellt werden ; denn wahrlich, wenn auch Ungarn in
den siebziger Jahren Brotfrüchte exportirte, so war dies nur so möglich, dass
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OSTBBREIOH-tmÖAfiKS tT^) DfitJl^&LAKDS. 245
das Volk das zum Verkaufe bestimmte Material dem eigenen Munde entzog,
und es konnten diejenigen, die an der Zukunft der Industrie Ungarns niobt
zweifelten, getrost bebaupten^ dass die Bevölkerung nur ein wenig mebr
Abwecbslung in ibrer Bescbäftigung und im Einklänge biemit nur ein wenig
mebr Woblstand und Woblbabenbeit benötigt^ um aucb die Production der
günstigeren Jabre selbst consumiren zu können. Seitdem macbte aber die
Agrioultur Ungarns, Dank der intellectueÜen und moraliscben Kraft der
Bevölkerung, riesenbafte Fortscbritte. Dies ist am deutlicbsten ersicbtlicb,
wenn ein Vergleicb aufgestellt wird zwischen der Production der unlängst
verflossenen Zeit. Im Jabre 1868, welcbes als ein sebr reicblicbes betrachtet
wurde, betrug die Weizen-Ernte Ungarns 29*56 Millionen Hectoliter, im
Jabre 1889 hingegen, als nicht nur unter den Froducenten sondern auch in
Handelskreisen überall im ganzen Lande wegen der Missemte Klagen laut
wurden, betrug die Weizen-Ernte 32'96 Millionen Hectoliter. In den ver-
gangenen Jahrzehnten wurde es schon als eine günstige Ernte betrachtet,
wenn die Production 30 Millionen Hectoliter nahe kam ; die günstigen Fech-
Bungen der letzteren Jahre producirten sogar mebr als 50 Millionen Hecto-
Kter.
Sämmtliche Brotfrüchte in Betracht genommen, wurden in Ungarn
allein produdrt :
Im Dnrchscbnitte der Jahre 1869—73 31*78 Millionen Hect.
• € € • 1874—78 39-61 • •
« • • • 1879—83 47-22 t t
« € • € 1884— 88. _. ... 60-70 t «
Die Menge der Brotfrüchte sank zwar im Jahre 1889 zu Folge der
misslicben Ernte auf 4f8'00 Millionen Hectoliter, es übertrifft jedoch diese
Menge noch immer mit Ausnahme des letzteren, alle fünfjährigen Durch-
schnitte früherer Jahre; die Abnahme ersetzt übrigens reichlich die Ernte
des Jahres 1889 von 75*87 Millionen Hectolitem. Es sei hier bemerkt, dass
diese Daten nur die Ernte-Ergebnisse des im strengeren Sinne des Wortes
genommenen Ungarns repräsentiren ; Kroatien- Slavonien producirt ausser-
dem noch jährlich beiläufig 1*89 Millionen Hectoliter Weizen, 1*19 Millionen
Hectoliter Boggen und 811,000 Hectoliter Halbfrucht, insgesammt daher
3*89 Millionen Hectoliter Brotfrüchte. Der Mais wurde weder bei Ungarn
noch bei Eroatien-Slavonien in Bechnung genommen ; dieses Product spielt
aber in vielen Gtegenden eine wichtige Bolle in dem Gonsum der Bevölkerung.
Mne derartige Menge consumirt das Land nicht, nicht einmal, wenn
der Brotoonsum Ghross-Britanniens als Bichtschnur angenommen wird, und
es können noch immer bedeutende Mengen für den österreichischen oder für
den übrigen ausländischen Ck>nsum exportirt werden.
Der Export Ungaras wird weder zu Folge natürlicher Zunahme der
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^ blE OBTIÜälDfi-Vk&SO&äüMÖ
Bevölkerung, noch in Folge der eventuellen gunstigeren Gestaltung des bA"
gemeinen Wohlstandes abnehmen, da die Production die Grenzen ihrer Ent-
wickelunggfahigkeit bei Weitem noch nicht erreicht hat; die sich fortwährend
rationeller entwickelnde Gultur wird, wenn auch nicht von Jahr zu Jahr —
die Agricultur ist stets von der wechselhaften Launenhaftigkeit der Witte-
rung abhängig — so doch im Durchschnitte mehrerer Jahre noch lange Zeit
hindurch die durchschnittliche Production steigern.
Grosse Ersparnisse können noch ohne Einschränkung des Consums
erreicht werden bei der Aussaat Heutzutage geht noch sehr viel Aussaat in
Verlust. Drill- Maschinen stehen nur bei den Gross-Grundbesitiem in An-
wendung, in der Classe der mittleren Grundbesitzer bloe bei sehr wenigen, bei
den Elein-Grundbesitzem überhaupt nicht. Die Säemaschinen, bei welchen
übrigens die Erspamiss nur sehr unbedeutend ist, stehen in noch geringerem
Maasse in Verwendung ; bei den Mittel- und Eleingrundbesitzem ist der
Anbau mit der Hand gebrauchlich. Es stehen viele Beispiele zur Verfügung,
dass bei einem Eleingrundbesitz 140—150 Liter Weizen auf ein ungarisches
Joch (1200 U Klafter) angebaut werden ; dies entspricht 324—327 Litern
per Hectar ; wogegen in Deutschland vom Winterweizen durchschnittheh
auf einen Hectar 170 — 172 Liter gerechnet werden« Die Weizenfläche
Ungarns beträgt jährlich beiläufig 3 Millionen Hectare und es wird auf einem
bedeutenden Teil dieser Fläche die Aussaat maasslos verschwendet. Wenn
aber auch diejuittleren Besitzer die Drill-Maschinen benützen werden, ja
sogar die Eleingrundbesitzer mit einander vereint diese ausserordentlich
nützliche Maschine beschaffen werden, so wird eine beträchtliche Menge
Getreide für den Consum oder Export erspart werden können ; diese Menge
bleibt stets gleich, so unter günstigen als auch unter ungunstigen Verhält-
nissen, da die Aussaat auch nach einer Missemte erforderlich ist, und soll die
zukünftige Ernte nicht schon im voraus vereitelt werden, so ist ebensoviel
Saatkorn notwendig, als nach einer günstigen Ernte.
Wenn wir den Netto-Getreide-Export Ungarns seit dem Jahre 1882 (als
die neue Waarenverkehrsstatistik ins Leben trat) betrachten, ergibt 8i<^,
dass die jährliche durchschnittliche Ausfuhr (nach Abrechnung der impor-
tirten Mengen) von Weizen 5*3 Millionen, von Boggen 1*31 Millionen, von
Gerste 2*64 Millionen, vom Hafer 0*91 Millionen, von Mais 0*78 Millionen
und von Mehl 3*64 Millionen Metercentner betrug; im Jahre 1888 hingegen,
als das meiste exportirt wurde, zeigen sich folgende Ergebnisse. Weizen
7*89 Millionen, Mehl 4*65 Millionen, Boggen 1*65 Million^, Gterste 3*65 Mil-
lionen, Hafer 905 Tausend und Mais 1*06 Millionen Metercentner; das Mehl
auf Weizen umgerechnet, betrug allein der Weizen-Export dieses Jahres
13*95 Millionen Metercentner. Der Export des laufenden Jahres (1890) wird
wahrscheinlich auch noch diese kolossale Menge übertreffen.
Den überwiegenden Teil der Getreide- Ausfuhr Ungarns nimmt jedoch
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OSTEBBBICÄ-tJNGAKNB tlND D)SÜT8CmiA^D8.
U^l
der Gonsum Oesterreiohs in Anspmch ; bei dem Zollbändniss mit Deutsch-
land kann daher nur der Uebeirflusa des ganzen dsterreichisoh-ungarischen
Zollgebietes in Betracht kommen. Nach dem Durchschnitte von 10 Jahren
gestaltet sich die jährliche Mehrausfuhr der österreichisch-ungarischen Mon-
archie von den wichtigeren Getreide-Gattungen und von Mehl folgeüder-
massen:
Weizen ... _ 1.222 Tausend Meter-Centner
Roggen (— ) 407
Gerste 2.695
Malz 959
Hafer 363
Mais (--) 1.363
Mehl 1.419
Das Mehl auf Weizen, das Malz aber auf Gerste umgerechnet, betrug
der Ueberfluss an Weizen 3*19 Millionen, an Gerste hingegen 3*91 li^ionen
Meter-Centner. Bei diesen beiden wichtigen Getreide-Gattungen ze^ sich
daher ein sehr bedeutender Ueberfluss, beim Hafer hingegen nur mehr ein
massiger, vom Boggen jedoch und besonders von Mais weist die Waaren-
Bilanz einen grossen Abgang auf.
Um die Exportfähigkeit der Monarchie beurteilen zu können, musste
der Durchschnitt mehrerer Jahre in Betracht genommen werden, damit sich
in diesen die durch günstige und missliche Ernten verursachten extremen
Ergebnisse ausgleichen. Während der zehn Jahre, deren Durchschnitt mit-
geteilt ist, gelangten bei dem Gtotreide-Verkehr auch derartige Momente zur
Geltang, welche nicht mit dem Wanken der jährlichen Production, sondern
mit anderen Ursachen im Zusammenhange stehen. So war die Monarchie
während der letzteren Jahre bei Weitem nicht auf eine so grosse Menge von
Mais angewiesen, wie in früheren Jahren, die Mehreinfuhr betrug hievon
im Jahre 1888 nur mehr 385,000 Meter-Centoer, im Jahre 1889 hingegen
74,000 Meter-Centner. Die nahmhafte Einfuhr von Mds sank seit dem Zoll-
kriege mit Bumänien, jedoch nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch
in Folge Einschränkung der Branntwein-Production, hauptsächlich der
industriellen Branntwein-Production. Als nämlich der Branntwein-Etport
in Abnahme begriffen war und als bei dem inneren Gonsum auf Kosten der
industriellen Branntweinbrennereien die grösstenteils Elrdäpfel aufarbeiten-
den wirtschaftliehen Branntweinbrennereien immer mehr Terrain eroberten,
musste notwendigerweise der Consum von Mais abnehmen und wir halten es
kaum für möglich, dass wenn auch der Zollkrieg mit Bumänien aufhört,
neuerdings solche Mengen Mais eingeführt werden wie früher.
Die Ein- und Ausfuhr Deutschlands (in und aus dem freien Verkehr)
gestaltet sich, ebenfalls nach dem Durchschnitte der zehn Jahre 1 880— 1889,
fcd^ndermassen :
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ä48
DIE GETBKTDB-VERSORGtKÖ
Einfohrin
Angfohr in
MehreinfnliT
Metar-Centeern
Meter-Oentnein
in Meter-Centeern
4,923 Tausend
438Taaaend
4,485 Tausend
Boggen
7,347 .
86 €
7,261 .
Gerate..
3,353 .
622 €
2,730 .
Ma]ü
... ... 606 «
63 €
545 «
Hafer ..
2,232 .
201 f
2,031 <
Mais
2,171 €
f
2,171 €
Mehl ..
439 .
1,182 •
— <
Deutschland bat daher nur aus dem Mehl eine Mehrausfuhr von
742,000 Meter-Centner; diese Menge auf Weizen umgerechnet* und von
dem Bedarf an Weizen in Abrechnung gebracht, sinkt der Netto-Bedarf an
Weizen auf 3*58 Millionen Meter- Centner, der Bedarf an Gerste stieg hin-
gegen nach Umrechnung des Malzes auf Gerste auf 3*43 Millionen Meter-
Centner.
Wenn nun zwischen dem üeberfluss der Monarchie und zwischen dem
Bedarf Deutschlands ein Vergleich aufgestellt wird, zeigt sich im Durch-
schnitte der zehn Jahre ein jährlicher Abgang:
beim Weizen von ... ... 0*48 Millionen Meter-Gentner
• Boggen € 7*67 t t
i Mais « ... 3*53 < «
• Hafer • ... 1*67 t t
hingegen bei der Gerste ein Üeberfluss von 484,000 Meter-Zentnern.
Diese Daten beweisen unzweifelhaft, dass im Falle einer Zollvereini-
gung die Monarchie und Deutschland zu den auf Getreide-Einfuhr ange-
wiesenen Ländern gehören würden. Dies wäre für Ungarn gewiss nur ein
Vorteil, da die volkswirtschaftlichen Verhältnisse Ungarns mit dem Auf-
blähen der Agrioultur dermassen eng verbunden sind, dass selbe mit dieser
sich entwickeln oder ungünstiger gestalten ; die bedeutende Zunahme der
Preise würde einen allgemeinen Aufschwung bedeuten ; jedoch wäre es für
die in Zollverband tretenden Staaten im allgemeinen gar nicht wünschens-
wert, wenn nebst dem Steigen der Localpreise der Getreide-Gattungen die
im grossen Maasse Getreide producirenden Staaten auch fernerhin mit meh-
reren Millionen Meter-Centnern Getreide das Zollgebiet überfluten würden
und hiedurch die Zollgebühren den einheimischen Consumenten zu Lasten
fallen würden. Zwar ist es unleugbar, dass für die Consumenten Deutsch-
lands auch dieser Zustand einen Fortschritt bedeuten würde, da nämlich die
* Die deutsche landwirtschaftliohe Statistik nimmt 100 Kilogramm Weizen fär
SQ Kilogramm Mehl; es wurde bei der Umrechnung dieses Verhältniss angenommen
{abweichend von dem bei der Ausfuhr Oesterreich-Üngams in Anwendung stehenden
Verhältnisse, welches den Productionsdaten der Budapester Mühlen entnommen wurde.
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OSTERRBIOH-imOABKS UKD DftÜtSOfiLANDÖ. ^
GoDsnmenteD Dentscblands in demselben Maasse von den sie belastenden
QetreidezöUen befreit würden, in welcbem Grade die Getreide-Einfohr die
znr Verfügung stehenden üeberflüsse der österreichisch-ungarischen Mon-
archie yermindem würde.
In neuerer Zeit tauchte die Nachricht auf, und es besitzt dieselbe nicht
wenig Wahrscheinlichkeit, dass das mit Deutschland abzuschliessende Zoll-
bündniss auch auf Italien ausgedehnt wird. Verwirklicht sich diese Nach-
richt, so wird dieselbe all jenen Freude verursachen, denen das wirtschaft-
liche Fortkommen der in Verband tretenden Völker am Herzen liegt. Denn
es würde auf einem so grossen wirtschaftlichen Gebiete, als jenes der zu
Stande kommenden neuen wirtschaftlichen Trippelallianz, der unbeschrankte
richtigerweise mit weniger Hindernissen belastete Verkehr auf die vollstän-
dige Entwiokelung und Geltendmachung der wirtschaftlichen Kräfte die gün-
stigste Wirkung ausüben. Was jedoch die Versorgung der betreffenden
Staaten mit Getreide anbelangt, wäre hiezu in diesem Falle die eigene Pro-
duction des Zollverbandes noch weniger im Stande. Italien ist von Weizen
auf einen sehr grossen Import angewiesen ; im Durchschnitte von 10 Jahren
(1880—1889) betrug die Mebreinfuhr 4*93 Millionen Meter-Gentner. In der
ersten Hälfte des Deoenniums war die Mehreinfuhr noch massig, seit dem
Jahre 1884 jedoch erreichte dieselbe immense Dimensionen und repräsen-
tirte die Mehreinfuhr im Jahre 1886 7*11 Millionen, im Jahre 1886 9*29 Mil-
lionen, im Jahre 1887 10*11 Millionen, im Jahre 1888 6*67 Millionen und
im Jahre 1889 8*72 Millionen Meter Centner. Wenn die Mebreinfuhr von
Mehl (346,000 Meter-Centner) auf Weizen umgerechnet wird, so beträgt
der gesammte vom Auslande zu deckende Weizenbedarf Italiens 5*28 Mil-
lionen Meter- Gentner. Von den übrigen Getreide- Gattungen ist der zu
deckende Bedarf ein viel geringerer, vom Mais durchschnittlich nur 29,000^
vom Hafer 19,000, von Gerste nur 6000 Meter Centner; Italiens Bedarf an
Boggen ist ein sehr geringer, in der Waarenverkehrötatistik ist die Ein- und
Ausfuhr dieser Getreide-Gattung nicht einmal separat ausgewiesen.
Wenn nun auch Italien zu dem ZoUbündniss gerechnet wird, so ändern
sich die oben angeführten Zahlen insofeme, dass der durchschnittliche jähr-
Uche Bedarf an Weizen, welcher vom Auslande zu decken ist, von 480,000
Meter Gentnem auf 5*76 Millionen Meter-Centner steigt
Wenn uns, wie schon früher erwähnt, egoistische Gesichtspunkte
leiten würden, könnten wir uns über eine derartige Gestaltung der Verhält-
nisse niur freuen, weil es eben Ungarns, als des Landes von Bohproducten,
Interesse ist, dass auf den Märkten der verbündeten Staaten eine je grössere
Nachfrage auftrete, und dass hiedurch die Preise sich je höher gestalten
mögen. Die Stabilität des wirtschaftlichen üebereinkommens jedoch, ja sogar
dessen Zustandekommen kann nur von der billigen Befriedigung aller Inter-
essen erhofft werden. Wären vielleicht Deutschland und die Consumenten
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^ t>lB aSTBfilD»-7ttB8ÖBOÜK<;t
Oesterreicbs befriedigt^ wenn die Lage aufrechterhalten bliebe, gegen welche
in Deutschland eine so grosse Unzufriedenheit herrscht, und welcher der
Getreide-Ueberfluss Ungarns nur Linderung, aber nicht Abhilfe zu bieten
im Stande wäre ?
Unter diesen Yerhältnissen ist nur eine richtige Losung erdenklich,
dass nämlich der Zollverband sich auch auf andere Staaten, welche zur
Deckung des oben ausgewiesenen Abganges einen hinlänglichen Ueberfluss
an Getreide besitzen, erstreckt wird.
An Bussland ist natürlich nicht zu denken» teils wegen der Verschlos-
senheit dieses Staates, den es vergebliche Mühe wäre, in eine bessere Rich-
tung zu lenken; teils wegen der Billigkeit und immensen Menge der russi«
sehen Getreide- Production, wodurch eben — wenn üb^haupt der Schutz
vor den im grossen Maasse producirenden Staaten berechtigt ist — in erster
Beihe die Agrarzölle begründet wird. An aussereuropäisehe Staaten ist eben-
falls nicht zu denken. Es wären daher allein die Balkan-Länder berufen, in
der Kette der wirtschaftlich verbündeten mitteleuropäischen Staaten die
fehlenden Glieder zu ersetzen. Obzwar auch diese Länder billiger prodnciren,
als Deutschland und als Ungarn, so gleicht die höhere Intelligenz, das
grössere Capital, mit einem Worte die höhere Entwickehmg d^ Agricultur
ziemlich jene Vorzüge aus, welche den Balkan-Ländern der billigere Boden,
die billigere Arbeitskraft und die extensivere Landwirtschaft zusichert.
Von diesen Ländern könnten hauptsächlich Rumänien und Bulgarien
in Betracht kommen. Griechenland ist selbst ein Import-Staat; die Türkei
hingegen müsste wegen der Eigentümlichkeit ihrer Interessen und Verbind*
lichkeiten ausser Acht gelassen werden. Serbien würde naturgemäss auch
zu diesem Verbände gehören, obzwar auch auf diesen Staat derzeit kein
grosses Gewicht gelegt werden kann, da hier die Netto- Weizen- Ausfuhr im
Durchschnitte von fünf Jahren kaum 350,000 Meter-Gentner betrug, die
Ausfuhr von den übrigen Getreide-Gattungen hing^en ganz unbedeu-
tend war.
Desto wichtiger ist die Rolle Rumäniens und Bulgariens. Das neue Bul-
garien, welches mit seiner grossen Energie und politischen Reife die gerechte
Bewunderung der civilisirten Welt eroberte — macht in wirtschaftlicher Hin-
sicht rapide Fortschritte. Das Umsichgreifen der Landwirtschaft bekundet
am deutlichsten die fortwährende Zunahme der bebauten Flächen. Das
Weizengebiet stieg nämlich während der Jahre 1881 — 1888 von 249,000
Hectaren auf 401,000, das Roggengebiet von 61,000 auf 94,000, das Gerste-
gebiet aber von 299,000 auf 357,000 Hectare ; der Hafer und Mais zeigt
keine derartige Entwickehmg : ersterer stieg von 91,000 Hectaren auf 93,000,
lelzterer von 90,000 Hectaren auf ebensoviel ; — eine grosse Zunahme zeigt
aber der Weinbau und die Tabakproduction : das Gebiet und die Production
verdoppelte sich bei dem Weinbau und verdreifachte sich fast bei dem Tabak.
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O8TEBilMl0&-UllGABH8 Ültb bEDTBCfitAKD^.
tei
Auch die produoirte Getreidemenge nahm im grossen Maasse zu und es
gewann in Folge dessen auch die Ausfuhr einen grossen Aufsdiwung. Im
Jahre 1882 betrug die Weizen-Ausfuhr nur 740,000 Meter-Gentner, im
Jahre 1889 hingegen schon 3.215,000 Meter-Centoer'; während derselben
Zeit stieg die Boggen-Ausfuhr von 220,000 auf 527,000, die Hafer- Ausfuhr
von 20,000 auf 93,000, die Mais- Ausfuhr von 696,000 auf 778,000 Meter-
Geutner. Während letzterer Jahre hatte Bulgarien sogar schon eine Ausfuhr
von Mehl beiläufig 40 bis 50,000 Mjöter-Gefitner. Die Ausfuhr von Gerste
zeigt einen Verfall; dieselbe sank ?on 431,000 auf 287,000 Meter-Gentn^.
In dieser Bntwickelung Bulgariens spielt unzweifelhaft auch die Vereinigung
mit Ostnunelien eine Bolle. Seit der Vereinigung betrug tlie Ausfuhr im>
Durchschnitte von vier Jahren u. z. :
Weizen^ — 2*33 MiUionen Meter-Gentner
Epggen 0*32
Gerste Q19
Hafer 0O3
Mais ... ^ 0-61
Mehl 0-04
Da aber Bulgarien keine beachtenswerte Getreide-Einfuhr besitzt,
können diese Mengen als Netto- Ausfuhr betrachtet werden« — Die Ausfuhr
Rumäniens ist noch viel grösser; dieselbe betrug im Durchschnitte der
JTahre 1879-^1888:
Weizen
Roggen
Gerste
Hafer ..
Mais
Mehl ..
4*14 Millionen Meter-Gentner
0-94
2-20
0*31
614
0O9
Wenn wir diese Ergebnisse mit dem früher ausgewiesenen unbedeckten
Getreidebedarf der österreichisch-ungarischen Monarchie, Deutschlands und
Italiens vergleichen, ergibt sich, dass auf dem ganzen Gebiete, welches wir
uns in einem ZoUbändniss vereint denken, der Ueberfluss bei der Gerste 3 37
Millionen, bei dem Mais 3'32 Millionen, bei dem Weizen 1*22 Millionen Hecto-
liter betragen würde, hingegen zeigt sich ein unbedeckter Abgang beim Bog-
gen von 6*38 Millionen und beim Hafer von 1*25 MilUonen Meter-Gentner,
den Ueberfluss und den Abgang separat addirt: 7*91 Millionen Meter-Gentner
üeberfluss und 7*63 Millionen Meter-Gentner Abgang, was sich gänzlich aus-
gleicht. Wir wollen natürlich nicht behaupten, dass der Bedarf an Boggen
mit Gerste oder Mais gedeckt werden könnte ; Thatsiche ist es aber, dass
sieh die Production bis zu einem gewissen Grade dem Bedarf anbequemt
und dass sich die Aufmerksamkeit der Landwirte jener Getreide-Gattung
zuwendet, welche einträglicher ist, die EinträgUchkeit aber bestimmt in
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erster Reihe der Bedarf. Dass auch unter diesen Umständen Boggen impor*
tirt wurde^ ist unzweifelhaft ; dies wäre jedoch kein Uebel, dem gegenüber
bleibt uns der Export von Qerste und Mehl. — Es wäre ein grosser Pehlar,
eben wegen dieser beiden Waaren-Artikel die Handelsverbindung mit Eng-
land abzubrechen ; dies würde sich in einzelnen günstigen Jahren bei einem
grösseren üeberflusse als jener der Durohschnittsjahre ernstlich rächen.
Der Weizen der Balkan-Länder dürfte nicht ohne jedweden Gegen-
dienst zollfrei oder bei ermässigtem Zoll auf das Gebiet des Zollverbandes
eingeführt werden. Entweder müssten diese Staaten gänzlich in den Zoll-
verband einbezogen werden^ oder es müssten für die Industrie- Artikel der im
2jollverbande stehenden Staaten thunlichst niedrige Zollsätze gesichert wer-
den, — viel massigere als allen übrigen Staaten gegenüber bestehen. Die
Balkan-Länder, entschiedene Länder der Bohproducte, würden sehr viel
gewinnen, wenn deren Getreide auf nahen, sicheren und hinsichtlich der
Preise günstigen Märkten zum Verkaufe gelangen würde und dieselben nicht
gezwungen wären, die unsicheren Märkte Englands, wo die Goncurrenz der
ganzen Welt zusammenwirkt, um die Preise herabzudrücken — aufzusuchen ;
es würde aber auch Deutschland, ebenso Oesterreich, ja sogar Ungarn
gewinnen, wenn die Balkan-Länder als vor der westeuropäischen Goncur-
renz gesicherter Absatzort für die Industrie-Artikel der erwähnten Staaten
erworben werden könnten. Dies wäre ein sehr grosser Erfolg. Es würde sich
verwirklichen, — wovon so lange Zeit hindurch geträumt wurde und was
der Handelsminister Ungarns mit entschlossenem Willen und selbstbewusster
Thatkraft zu verwirklichen bestrebt ist — die Eroberung der Märkte des
Ostens. Es wäre dies eine Eroberung, bei welcher sich alle Parteien für Si^er
betrachten könnten, denn es würde hiedurch weder die wirtschaftliche noch
die politische Unabhängigkeit der Balkan-Länder Abbruch erleiden. Und den-
noch würde dieses Handelsbündniss neben den wirtschaftlichen Vorteilen auch
zur unschätzbaren Quelle der politischen Vorteile. Die Völker des Balkans mit
ihren wirtschaftlichen Interessen dem Westen angewiesen und angereiht, wür-
den sich unter wohlthuender Wirkung der westlichen Givilisation frei und
stark entwickeln -— zum Vorteil der ganzen civilisirten Welt; die Grenzen des
östlichen Barbarentums würden durch den Westen zurückgedrängt werden.
Und Ungarn, diese grosse Landstrasse zwischen Ost und West, welches Land
nur durch die umwälzende Wirkung der türkischen Eroberungen dieser Bolle
verlustig wurde, würde seine frühere Mission neuerdings aufnehmen, um der-
selben mit viel grösserer Fähigkeit zu entsprechen. Auf den Eisenbahnen
Ungarns würden sich die Bohproducte des Ostens und die Industrie- Artikel
des Westens kreuzen, eine reichliche Verzinsung des in den Eisenbahnen an-
gelegten Gapitales von vielen Hundert Millionen zusichernd; die Waaren-
Artikel würden auf den Märkten Ungarns zum Auslande gelangen, die grossen
Handelsgeschäfte würden die mit lebhaftem Blute gefüllten Adern des Ver-
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ÖSTEBBBICH-UNaARNS UND DEl/TSGHIiANDB. ^^
kebree in regere Girculation bringen. Und andererseits würde diese lebbafte
GtfUinmg auf die Landwirtscbaft von aufinuntemder^ auf die Industrie von
anspornender Wirkung sein. Es könnte in der nächsten Nacbbarscbaft der
östlicben Märkte, in dem gebirgigen Siebenbürgen, die Industrie aufblühen,
und die entstehenden Fabriksmittelpunkte würden zu wirklichen Schutz-
mauem der gefährdeten ungarischen Nationalität. Dr. Julius v. Vabqha.
XLIV. JAHRESVERSAMMLUNG DER KISFALIJDY-
GESELLSCHAFT.
Diese älteste und hervorragendste belletristische Gesellschaft Ungarns hielt
ihre diesjährige Jahresversammlung am 8. Februar im Palaste der Ungar. Akademie
der Wissenschaften, in Gegenwart eines ebenso zahlreichen als distinguirteu Pub-
likums. Der Präsident Paul Gyulai eröffnete die Versammlang mit der folgenden
Bede, deren wesentlicher Gegenstand die EntivuMung der ungarischen Beredsam^
keit ist:
Geehrte Versammlung !
Das Arbeitsfeld unserer Gesellschaft ist die Aesthetik und das Gesammtgebiet
der redenden Künste, also auch die Redekunst. Sie hat auch in dieser Hinsicht
gethan, was in ihren Kräften stand. Sie hat die rhetorischen Werke des Aristoteles
und des Anaximens in unsere Sprache übersetzt und Preisau|gaben aus dem Bereiche
der Bedekunst ausgeschrieben. Ich gehe also nur von den Traditionen der Gesell«
Schaft aus, wenn ich die ungarische poUtische Beredsamkeit zum Gegenstande
'meiner Betrachtung mache, einen flüchtigen BUck auf ihre jüngste Vergangenheit
werfe und einige Ideen in Bezug auf ihre Gegenwart ausspreche. Dazu bestimmt
auch einigermassen auch die Pietät. Denn auch zwei MitgUeder unserer Gesell-
Schaft haben an der Begründung der neueren ungarischen politischen Beredsam-
keit lebhaften Anteil genommen : Paul Szemere, dessen sämmtliche Werke die
Gesellschaft jüngst herausgegeben hat, und Franz Kölcsej, dessen hundertste
Geburtstagswende wir im August des vorigen Jahres gefeiert haben.
Paul Szemere war kein Bedner, er interessirte sich aber fortwährend für
jedes Moment der imgarischen Literatur und Gultur. Er nahm nut Bedauern
wahr, dass die Veijüngung des Geschmacks und der Kunst des Stils zwar in der
Entwicklung unserer Poesie und Kunstprosa immer grössere Erobenmgen mache,
dagegen die kirchliche Bednerkanzel und die Tribüne der Beichstags- imd Com!-
tatssäle ziemlich unberührt lasse. Als er in den zwanziger Jahren seine Zeitschrift
i^et es Literaturai (Leben und Literatur) begann, wechselte er über dieses Thema
wiederholt Briefe mit Kölcsey. Sie kamen d* rin überein, dass das Publikum auch
auf die literarische Seite der Beredsamkeit aufmerksam gemacht werden müsse.
Aber Kölcsey glaubte, dass das Beispielgeben mehr wert sei als die Theorie, und
wünschte, dass Jemand mit einem auch aus Uterarischem Gesichtspunkte wertvol-
len Werke aus irgend einem Zweige der bürgerUchen Beredsamkeit auftreten
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^^ XLIV. JAHKB8VER8AMMLUNO DER ÜSPALUDY-OBSELLSCHAFT.
möchte. Szemere forderte ihn seihet hiezn auf nnd so schrieh Eölcsey mehrere,
niemals vorgetragene Beden, von welchen einige auch in f^et 6s Litoratnrat
erscbienen. Es ist eigentümlich, dass Eölcsey so spät zum Bewusstsein sdnes
Bednertalents kam, dass er bis zu seinem 39. Lebennjahre öffentlich nie gesprochen
hat und auch als Zuliörer, wie er selbst sagt, blos einmal in der Generalversamm-
lung des Szatm4rer nnd zweimal auf der Galerie in der Generalversammlung des
Pester Gomitats Erschienen war. Aber 1829 trat der schreibende Redner im Szat-
märer Gomitatssaale und 1832 — 1836 im Reichstage auch ab sprechender auf und
riss nicht blos seine Zuhörer hin, sondern übte auch einen entscheidenden Ein-
flufls auf die Entwicklung der neueren ungarischen politischen Beredsamkeit.
In den ersten Jahrzehnt^i diesem Jahrhunderts stand unsere politische
Beredsamkeit, besonders vom Gesichtspunkte der ungarischen Literatur betrach-
tet, auf keiner hohen Stufe. Die Oberhausmitglieder sprachen grosMntoik latei-
nisch, die Unterhausmitglieder grossenteils ungarisch, aber nicht in der veijüng^
ten ungarischen Sprache und nicht unter dem Einflüsse unserer sich entwickeln-
den Eunstprosa. Auch in unserer Literatur selbst war die rednerische Prosa am
wenigsten ausgebildet. Faludy, Bänöczy und Eazinczy hauchten unserer Prosa
gewfililte Eleganz, wendungsreidhe Leichtigkeit, Pracision uq^d Anmut ein ; aber der
re&orische Schwung ging ihr noch immer ab. Diesen versuchte Eölcsey mit
Erfolg und verpflanzte ihn zugleich aus der Literatur in die Säle des Comitats und
des Reichstags. Die verjüngte ungarische Sprache und die kunstmässigere Bered-
samkeit feierten gleichzeitig ihren Triumph, als Eölcsey auf dem Pressburger Reichs-
tage erschien. Die jüngere Generation empfing die neue Richtung der Beredsam-
keit mit Begeisterung. Deäk, der ebenfalls auf diesem Reichstage zum ersten Male
erschien und unter den Inspirationen der verjüngten ungarischen Literatur aufge-
wachsen war, schloss sich ihm an ; Graf Stefeui Sz^chenyi, der früher Schriftsteller
als Redner war, konnte sich seinem Einflüsse nicht entziehen; Eossuth, dei;
Während dieses Reichstages eine geschriebene Zeitung redigirte, war ein Bewun-
derer Eölcsey's und folgte seinen Fussstapfen ; Graf Aurel Deesewffy und Baron
Josef Eötvös, die inmitten ihrer literarischen Versuche eben um diese Zeit die
politische Laufbalm betreten wollten, waren ebenfalls Anhänger dieser neueren
Richtung der Redekunst.
Es vergingen kaum zwei Jahrzehnte und die ungarische politische Bered-
samkeit war ebenso zur Blüte gelangt wie unsere Dichtung, und beide wetteifer-
ten gleichsam miteinander. Die wertvollsten Producte, welche unsere Literatur in
den SOer und 40er Jahren aufweisen konnte, waren vornehmlich poetische und
oratorische Werke, und die Hauptvertreter der neueren Redekunst blieben diesel-
ben, welche diese Eunst gegründet hatten, wiewohl sich ihnen auch jüngere
Talente anschlössen. Eölcsey schwebten die Meisterwerke der klassischen, vor-
nehmlich der griechischen Redekunst vor Augen, aber er drückte moderne Ideen
nnd Empfindungen aus imd schöpfte aus der Tiefe seines starken Geistes niid
seines weichen Herzens jene Elemente des Pathos und des Spottes, der Versen-
kung und Erhebimg, welche für seine Beredsamkeit so charakteristisch sind. Seine
hervorragenderen Genossen überflügelten ihn in Hinsicht auf Reichtum an poli-
tischen Ideen imd auf parlamentarische Taktik, aber Formschönheit und Spmch-
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XUV. JAHRBSVERÖAMMLÜNO DER KISFALUpT-OBSELLSCHAPT. ^55
konst lernten Alle von ihm. Sz^chenyi war gewissermassen das Gegenteil Kölosey's;
er kümmerte sich wenig um die Form, aber in seinen sohwerfälligrai Sätzen blitz-
ten die Funken des Genies auf und so impfte er unserer Bedekunst ein neues
Element, den Humor, ein. An den Eeden Aurel Dessewffy*s und Josef Eötvös* war
auch der Einfluss der englischen und französischen parlamentanschen Beredsam-
keit bemerkbar. Aurel DessewfiPy's lebendige Klarheit, wendungsreiche Leichtig-
keit und feine Dialektik bereicherten die ungarische Beredsamkeit von einer neuen
Seite. Eötvös erschloss uns die Schätze seines denkenden Geistes und fohlenden
Herzens, indem er mit der ungarischen Vaterlandsliebe europäisobe Ideen ver-
schmelzte.
Indessen ragten aus der Gruppe der ausgezaichneten Bedner zwei Gestalten
empor, nicht blos als die höchsten Bepräsentanten unserer Beredsamkeit, sondern
zur Zeit auch als die Verkörperungen des nationalen Geistes : Deäk und Eossuth.
Dieser erreichte den Höhepunkt seiner Wirkung 1848 — 1849, jener 1861— J 876.
Die Beredsamkeit Beider hatte grosse Thaten zur Folge, welche ihre Gestalt, sowie
das Fiedestal und den Hintergrund derselben noch mehr hervorhoben. Ihr Charak-
ter, ihre Bedekunst, ihre Politik waren gleicherweise verschieden von einander,
aber eben in Folge dieser Verschiedenheit wurden sie in verschiedenen Zeiten zu
Führern der Nation. Ein Hauptelement der Bedekunst Deäk's ist das st^ke Urteil
und die scharfe Logik, jener Eossuth's die lebendige Phantasie und flammende
Leidenschaft;. Deäk's Stil ist einfach, präzis, aber zugleich plastisch, jener Eos*
suth*s bisweilen in IBombast überschlagend, aber immer klangvoll und Ranzend.
Niemand verstand es besser alsDeäk über die Verwicklungen einer Frage licht zu
verbreiten, die Hörer aufzuklären und zu überzeugen ; Eossuth's Eunst war die
Agitation und Begeisterung. Deäk schien die Bednerkunst gleichsam beiseite zu
lassen, er wollte mehr nur den Verstand aufklären, aber erwärmte, ohue zu wollen«
auch 4as Herz ; seine edle Würde, seine aufrichtige Ergriffenheit hob seine Gedan-
ken, machte seine Ausdrücke wirkungsvoller, und er drückte die Wahrheit, von
welcher er ausging oder welche er entwickelte, in so vollendeter Form aus, wie die
grossen Glassiker des Altertums. Eossuth war ganz Bedner, er wollte dies auch
bleiben und nahm alle Mittel der rednerischen Eunst in Anspruch. Er war ein
Meister in der Auseinandersetztmg der allgemeinen Ideen, in der Verkündigung
der Losungsworte der neuzeitlichen Freiheit und in der Ausmalung der Licht-
und Schattenseiten irgend eines Gegenstandes oder Factums, aber ein noch
grösserer Meister, wenn er die Saiten der nationalen Erinnerungen, Wünsche und
Ho£Ennngen anschlug und mit einem pathetischen Aufschrei oder scharfen Spott-
wort den Sturm der Leidenschaft entfachte. Hiezu kam noch der Wohlklang und
grosse Umfang seiner Stimme, der Zauber seines fliessenden und abwechslungs-
reichen Vortrags, welcher von gewählten und doch natürlichen Gesten begleitet
war. Alles dies fehlte bei Peak. Dabei war Deäk blos Parlamentsredner, Eossuth
aber gewissermassen ein Mittelding zwischen Parlaments- und Volksredner, und
diese Eigenschaft destinirte ihn gleichsam zur Bevolution.
In der Bevolution zeigt unsere Bedekunst keine neuere Entwicklung. Im
Parlament gab es kaum einen Eampf der Parteien und Eossuth's Beredsamkeit
erfüllte das Land bis zur Eatastrophe. Zwölf Jahre lang waren die Säle der
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256
XlilV. JAHBB8VEB8AMMLUNG DER KISFALUDT-GESBLLSOHAFT.
Landes- nnd Gomltatshäuser geschlossen and als sie sich wieder anftaten, begeg-
nen wir groesenteils den älteren Rednern in denselben, in deren Fassstapfen
anch die neueren traten. Erst nach der Wiederherstellang unserer Verfas-
sung, als unsere älteren Redner nach und nach abstarben und eine neue
Generation auf die Bühne trat, gewahren wir eine augenfälligere Veränderong.
Die politische Beredsamkeit unserer Tage ist in der That nicht mehr die
alte. Und dies ist auch nicht anders möglich. Die alte Beredsamkeit schöpfte
aus zwei Hauptquellen: aus den Quellen der Oravamina und der Reform-
ideen. Der factische Zustand der Verfassung stand in scharfem Gegensätze zu den
geschriebenen Gesetzen, und die Reformen, selbst die minder bedeutenden, wurden
unablässig gehemmt. Beide Umstände waren eine reiche Quelle der pairiotiBchen
Erregung und rednerischen Inspiration. Die Verfassung zu verteidigen, unsere
Institutionen umzugestalten, die Nation zu regeneriren, das war die grosse Auf-
gabe. Die grossen Erinnerungen der Vergangenheit, die kühnen Hofihungen der
Zukunft hoben die Geister und nährten die Begeisterung. Jetzt ist der factische
Zustand in Einklang mit den Gesetzen, die grossen Principien der Reformen
haben gesiegt and auf der Tagesordnung ist mehr nur die Ausführung der Detailst
die schwere Arbeit des Ausbauens, welche viel Fachkenntniss erfordert, aber weni-
ger auf die Phantasie und das Gemüt wirkt. Deshalb neigt sich unsere Redekunst
gewissermassen dem referirenden, abhandelnden, conversirenden Stil zu. Dies ist
nicht allein bei uns, sondern in ganz Europa der Fall. Auch Frankreich und
England haben heute nicht Redner von der Art, wie in der ersten Hälfte unseres
Jahrhunderts. Dies lässt sich auf mehrere Ursachen zurückführen : teils auf die
Veränderung des Geschmacks, dessen Element derzeit in geringerem Maasse das
Pathos ist, teils auf den Sieg mancher Principien, welche die Geister bis zur
Ermüdung zu grosser Eraftanstrengung gezwungen hatten, teils auf die Enttäu-
schung hinsichtlich gewisser Ideen, welche grosse Redner so laut verkündet
hatten. Ja auch die Wohlredenheit selbst ist in Verruf gekommen. Es gibt im
Auslande und anch bei uns genug Leute, welche die Redekunst überhaupt für ein
theatralisches Kunststück, für literarisches Geistreichthun halten, das eines ernsten
Politikers nicht würdig sei. Trotz alledem wird die Redekunst ebenso wenig aas
der Welt verschwinden, wie die Dichtkunst. Beide wechseln ihren Gegenstand,
ihre Form, geben den Schwankungen des Geschmacks nach, ja schaffen dieselben ;
in ihrem Wesen aber bleiben beide unverändert. In den öffentlichen Verhandlun-
gen wird immer Derjenige am meisten Wirkung erzielen und ein wahrer Redner
sein, der die Ideen klar zu ordnen, die Beweise wohl zu gruppiren, die Teile zu
proportioniren, den natürlichen und charakteristischen Ausdruck zu finden, über
seinen Gegenstand die Lebendigkeit des Geistes, die Wärme des Gemüts ausza-
giessen versteht, möge er sich nun in das Bereich der höheren Redekunst erbe-
ben oder zum abhandelnden und conversirenden Vortrage herabsteigen. Der
Dichter bleibt immer Dichter, ob er nun eine Ode oder eine Elegie oder ein Lied
oder ein Epigramm schreibt. Wie in der Poesie, hat auch in der Prosa jede Kunst-
gattung, jode Kunstform ihre eigene Schönheit, wenn sie aus ihrem Gegenstande
hervorquillt, ein individuelles Gepräge trägt, unsere Aufmerksamkeit, unser In-
teresse zu erregen weiss und auf uns zu wirken vermag.
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XLIY. JAHKB8VEBSAMMLUNG DBB KI8FALUDY-GBSELLB0HAFT. ^7
Es ist daher nioht ein Niedergang unserer Bedekunst, wenn sie unter den
veränderten Verhältnissen andere Formen sucht und findet, als die alte. Wir
müssen aber ihre Eigentümlichkeiten prüfen und ihre Qefahren vermeiden. Auch
unsere alte Bedekunst hatte ihre Schattenseiten. Selbst unsere besseren Bedner
verfielen leicht in Bombast, und die klangvollen Sätze, welche mehr das Qhr, als
die Seele erfüUen, waren in der Mode. Unsere jetzigen Bedner, selbst die besseren,
werden leicht nachlässig, und der oonversirdnde Ton, der sorglos sprühende Witz
passt bisweilen mehr in einen vertraulichen Kreis, als in das Parlament. Die For-
cirung der Würde und des Pathos erzeugt Gezwungenheit, die übertriebene Zwang-
losigkeit wird zur Alltäglichkeit. Es ist unleugbar, dass unsere heutigen Bedner viel-
seitigere Kenntnisse haben, als die alten ; die alten waren zumeist im Staats imd
Privatrecht und der allgemeinen PoUtik bewandert ; jetzt nötigt der viel umfang-
reichere Wirkungskreis unseres Parlaments, die complicirtere Organisation des
Staates und der Gesellschaft unsere Bedner zu vielseitiger Vorbildung. Aber es ist,
als ob die Aelteren das, was sie wussten, lebendiger vorgetragen hätten und weni-
ger in Trockenheit verfallen wären. Wir sprechen viell^cht übermässig viele
sogenannte grosse oder grossangelegte Beden, welche in vielen Fällen blos lang
sind. Dazu kommt noch die übertriebene Mode der Polemik. Das Parlament ist
allerdings der Kampfplatz der Ideen, der Parteien, ja der politischen Leidenschaf-
ten und auch die persönliche Polemik ist unvermeidhch, aber es ist etwas ganz
Anderes, die in der ZergUederung oder Verteidigimg irgend einer Frage vorge-
brachten oder möglichen Einwürfe gruppiit und in ihrem Wesen zu widerlegen,
als im Einzelnen bis in die Kleinlichkeit hinein die einzelnen Bedner zu kritisiren,
was häufig der gehörigen Beleuchtung der Hauptidee, der Abrundung der Bede
Eintrag thut und zu Abschweifungen, Gegenreden und Erläuterungen Anlass gibt,
ludespen, wie immer wir hierüber denken, so viel ist gewiss, dass aU das, was den
überflüssigen Wortaufwand befördert, nicht die Quelle der wahren Beredsam-
keit ist.
Zwischen imserer älteren und neueren Bedekunst besteht auch noch ein
anderer beachtenswerter Unterschied. Unsere ältere Bedekunst stand in engerem
Zusammenhang mit den literarischen Studien, ja mit der Literatur selbst. Die
ausgezeichnetsten Beden wetteiferten zugleich mit den besten Producten unserer
Prosa. Wir haben auch jetzt aiisgezeichnete Bedner, aber dies kann von ihren
Beden bei aller Anerkennung nicht behauptet werden, wenigstens keinesfalls in
solchem Maasse. Es ist als ob der Siim für die literarischen Formen abgenommen
hätte. Wollten sich doch unsere Bedner neben ihren Staats- und reohtswissenschaft-
hchen, finanziellen imd nationalökonomischen Studien mehr mit literarischen Stu-
dien befassen ! Ein guter Scliriftsteller, ja selbst ein guter Verfasser von Beden ist
darum noch kein guter Bedoer auf der Tribüne. Das Schreiben und das Beden sind
zwei vei^schiedene Dinge ; überdies kann der Schriftsteller ohne die Kunst der Bede
bestellen, der Bedner aber ist ohne eine gewisse Kunst des Schreibens nicht denkbar.
Das wissenschaftUche Buch wendet sich an die Fachverständigen, aber die Dich-
tung, die Literatur im engeren Sinne imd die Bedekunst an das Publikum. Mit je
mehr Leichtigkeit, Klarheit, Lebendigkeit der Bedner seine Ideen entwickelt, je
mehr er die Wirksamkeit des Vortrages, die Feinheiten der Sprache in der Gewalt
hat, desto besser dient er der Sache, für die er kämpft, desto mehr wirkt er nicht
üngadMlM BeTne, XI. 1891. IlL Heft. 17
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258 XLIV. JAHRESVERSAMMLUNG DER KISFALÜDY-OBSBLLSCHAPT
nur auf seine Hörer, sondern anoh auf das grosse Publikum, weil in unseren Tagen
eine gesprochene Bede am andern Tage bereits in allen Teilen des Landes gelesen
werden kann. Alles dies kann der Redner am besten aus den grossen Dichtem
und Prosaikern erlernen. Ein französischer Kritiker macht die richtige Bemerkung,
dass die Dichtkunst, welche der höchste Ausdruck der literarischen Kirnst ist,
auch die Prosa mit sich reisst und zur Erhebung zwingt; wenn die Prosa keine
höhere Kunst vor sich sieht, mit welcher sie wetteifern kann, wenn sie nicht
unentwegt die kritischen BUcke des geübten und verfeinerten Geschmacks auf sich
geheftet fohlt, gibt sie ihrer Natur nach und fallt in die Alltäglichkeit zurück.
Wenn indessen der Unterschied zwischen der älteren und neueren Bede-
kunst derart gezogen wird, ist diese Charakteristik mehr nur allgemein zu verstehen
und es kann nicht geleugnet werden, dass wir auch stürmische Tage haben, wo in
unserer, der abhandelnden und conversirenden Prosa zuneigenden Bedekunst das
Pathos auflebt Aber der Uebelstand ist der, dass dies im Yerhältniss zum Gegen-
stande und zur Situation selten der Fall ist und bisweilen, wie Mirabeau zu sagen
pflegte, dem Blitz und Donner der Oper ähnelt. Die Bedekunst ertragt, ja sie liebt
eine gewisse Uebertreibung, eine stärkere Zeichnung und Farbengebung ; aber
wenn wir auch die Uebertreibung übertreiben, wenn wir die starken Züge und
Farben forciren, verirren wir uns leicht in die Karrikatur. Wenn wir die Gefahr
des Vaterlandes, den Verrat an den Interessen der Nation, den Verfall der ö£Eent-
lichen Moral sehr oft erwähnen ; wenn wir auch bei den verhältnissmässig nicht
eben allerwichtigsten Fragen die Sturmglocke läuten, verderben wir unsere Bede,
denn da die Erregung und der Ton mit der Wirklichkeit nicht im Einklänge ist,
ruft er mehr oder weniger einen komischen Gegensatz hervor ; überdies wenn das
Pubhkum etwas oft hört, gewöhnt es sich so sehr daran, dass wir vielleicht gerade
dann keinen Widerhall finden, wenn wirklich eine Gefahr im Anzüge ist. Wenn
wir beim Verluste eines uns teueren Tieres imsere Tränen ausweinen und wehkla-
gen, was bleibt uns für den Fall, wenn uns unser teuerster Freund oder unser Kind
stirbt ? Der Bedner hat auch noch aus anderem Gesichtspunkte die Selbstbeherr-
schung inmitten der Aufwallungen der Leidenschaft nötig. Das Parlament ist
allerdings kein Salon und erträgt bis zu einem gewissen Grad den Spott und die
Schärfe, aber, euphemistisch gesprochen, nicht die Bohheit, am wenigsten dann,
wenn dieselbe beabsichtigt und berechnet ist. Die Bauferei in Worten verdirbt die
Bedekunst ebenso, wie in Griechenland die blutigen Schauspiele des Gircus, ab
die römischen Eroberer dieselben dort einführten, die dramatische Kunst verdar-
ben. Aber vor der bis dahin gehenden Entartung bewahrt uns die Autorität unse-
rer Parteiführer, das Beispiel unserer hervorragenden Bedner und auch die Macht
der öffentlichen Meinung.
Es sind nun fünfzig Jahre dahingegangen, seit sich unsere neuere politische
Bedekunst zu entwickeln begonnen und in ihrer Entwicklung so tiefe Spuren in
der Geschichte unseres öffentlichen Lebens und unserer Literatur zurückgelassen
hat. An sie knüpfen sich die grossen Erinnerungen unserer Wiedergeburt, unseres
Buhmes und unseres Leides, unserer Erhebung und unserer Weisheit. Gebe Gott,
dass die folgenden fünfzig Jahre der vorangegangenen fünfzig würdig seien und
unsere politische Bedekunst unseren nationalen Bestand inmier mehr festige und
unsere Literatur bereicheret
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XLIV. JAHB£»VEB8AMMLÜNG DER EISFALUDY-GE^BLLSOHAFT. ^^
Und hiemit erö£fne ich die vierundvierzigste feierliche Jahressitznng der
Kisfialudy-Gesellschaft.
Hierauf las der Secretär ZoltAn Beötby seinen Bericht über die Wirksam-
keit der Gesethchafi im Jahre 1890, dem wir folgende Daten entnehmen : <
In die bescheidene und stille Thätigkeit der Eisfaludy-Gesellschafb drang
auch in diesem Jahre mehrmals das begeisterte Getöse nationaler und literarischer
Festlichkeiten. In Arad feierte die Nation ihre Blutzeugen durch Aufstellung eines
Erzdenkmals auf dem cPlatze der Märtyrer •. Der schöne Tag war zugleich ein
Fest der ungaiischen Bildhauerkunst. Unsere Poesie und Literatur verdankt ihre
Wiedei^eburt der nationalen Idee, und wie die ungarische Schauspielkunst ist
auch die ungarische Bildhauerkunst im und zum Dienste dieser Idee geboren wor-
den. Auss^em wurde im Yoijahre eine ganze Beihe literarischer Gedenkfeste
gefeiert. Das Comitat Szatm4r feierte die hundertste Geburtstagswende seines gross-
ten Sohnes, Franz Eölcsey. Debreczin giündete auf den Namen und zum Andenken
Michael Cspkonai's einen Verein, welcher seine Thätigkeit mit einer Festsitzung
eröfiEnete; das Comitat Neograd enthüllte feierlich das Porträt Emerich Madäch's;
das evang. Lyceam in Oedenburg feierte am hundertsten Jahrestage der Grründung
seiner ungarischen Gesellschaft das Andenken ihres Gründers Joh. Kis. An allen
diesen Festen nahm unsere Gesellschaft durch ihre Vertreter teil.
Der Erneuerung des Andenkens unserer ehemaUgen Literaturgrössen dien-
ten auch mehrere Publicationen der Gesellschaft. Sie edirte im Yoijahre in drei
grossen Bänden die gesammelten Werke Paul Szemere's, des Meisters des feinen
Geschmacks, unter der Bedaction seines gelehrten Schülers Josef Szvorönyi ; femer
einen weiteren Band der Studien Johann Erdölyi's, eines jener grossen Kritiker,
welche wissen, dass die Kunst die ewige Verjüngung des Menschengeistes ist.
Hieran reihen sich mehrere PubUcationen, welche in gelungenen Uebersetzun-
gen klassische Werke fremder Literaturen der unsiigen aneignen. Diese sind: der
Kyklop des Euripides in der preisgekrönten Uebersetzung Gregor Csiky's ; Göthe's
Iphigenie in Tauris in der trefflichen Uebersetzung Johann Csengeri'^; die
Gedichte Giacomo Leopardi's in der gelungenen Uebersetzung Anton Bad6*s>
endlich Konrad Ferdinand Meyer's historischer Boman cDer Heiliget in der
Uebersetzung Eugen Pöterfy's. Ausserdem veröffentlichte die Gesellschaft im
Vorjahre den M. Band ihrer c Jahrbücher •, welcher unter Anderem eine grössere
Arbeit über die rumänische Volksdichtung von Oskar Mailand enthält, dessen
ethnographische Studienreise die Gesellschaft durch eine Subvention gefördert
hatte, wie sie auch im Vorjahre Julius Sebesty^n unterstützte, der eine reiche
Sammlung ungarischer Volksdichtungen von jenseits dei Donau heimbrachte. Wer
die Geringfügigkeit der Mittel der Gesellschaft kennt« wird diese ihre Editionen
und Forschungen nicht geringachten.
Eine andere Seite der Thätigkeit derKisfaludy-Gesellschaft waren ihre öffent-
Uchen Vorträge. Ihre zehn monatlichen Vortragssitzungen versammelten ein distin-
guirtes und zahlreiches Auditorium. An den daselbst gehaltenen Vorträgen betei-
ligten sich 16 Mitglieder der Gesellschaft und 10 Gäste. Die Zahl der Vorträge
belief sich auf 51, wovon 15 in Prosa und 36 in Versen ; Originale 45, übersetzte
Dichtungen 6 ; ästhetischen und literarhistorischen Inhalts 10, Prosaerzählungen
5, erzählende Gedichte 7, dramatische 4, lyrische 20.
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2W XLIV. JAHRBSVBRßABfMLüNG DER KISPALÜDY-OBSBLLSCHAFT.
Aach ausser dem zahlreichen Aaditorium ihrer Yortragssiieimg^xi erhielt die
Gesellschaft ermunternde Anerkennimg imd materielle Unterstützong. Die Pester
Erste Yaterlfindisohe Sparacsse vermehrte, wie alljährlich, auch im Vorjahre mit
200 fl. das Stammcapital der Gesellschaft, welches nunmehr 112.091 fl. 50 kr.
beträgt. Daro trugen im letzten Jahre noch bei : Emerieh Baghi imd der Tordaer
Frauenverein je 100 fl. als Gründerbeiträge, Ste&n Balogh 100 fl. und Karl Värady
200 fl. als Legate. Andererseite erlitten wir durch den Tod einen schweren Verlust.
Es veriiess uns einer unserer wertesten Genossen : Karl P. Szathm&ry, der in
vielen Zweigen iet Literatur thätig war, besonders aber auf dem Felde des histo
riechen Romans Werke lieferte, welche den Beifall weiter Kreise fanden.
Nach diesen officiellen Enunoiationen folgten die Vorträge. Zuerst las Karl
Szäsz Erinnerungen an Michael Tompa vor dessen Bude, welches von Ignaz
Boskovits im Auftrage der Gesellschaft gemalt, auf der Estrade des Stales auf-
stellt war. Der Vortragende wendete sich direct an das vorzügliche Porträt.
In diesem meisterhaft gelungenen Bilde — dies die wesentlichsten Züge der
künstlerisch ausgeführten, mit voller Wärme geschriebenen und vorgetragenen
Bede — steht Michael Tompa's Antlitz und Gestalt, wie sie sich jenseits des
Lebensmittags, auf dem Gipfel des Mannesalters dem Auge präsentirte, in voller
Wirklichkeit vor mir. Aber das geistige Auge, unterstützt von Gedächtniss und
Phantasie, ist stärker und die von ihm geschauten Bilder sind lebendiger und
reicher, als die vor dem leiblichen Auge stehende Gestalt. Ich sehe ihn in der Fülle
seiner Manneskraft, wie ich ihn 1851 — den 33-jährigen Mann — zum ersten Mal
in seiner halbverfallenen Nelem^rer Pfarrerwohnung besuchte, die er mit so viel
Humor besungen hat, in der er so glücklich war, die seine herzensgute, liebend-
geliebte Gemahlin innerlich und äusserlich mit seinen Lieblingen, den in seinen
«Blumenmärchen» verherrlichten Blumen geschmückt hatte. Damals fühlten die
glücklichen Gatten noch nicht jene Schläge des Lebens, welche ihnen später so
reichlich zugemessen wurden, welche Tompa*8 Leben brachen und ihn frühzeitig
alt machten : den Mhzeitigen Tod ihrer Kinder, das langwierige Kränkeln der zart-
gebauten Frau, sein eigenes, sich rapid entwickelndes Herzleiden, welche ihn der
Welt und den Menschen gegenüber krankhaft empfindlich machten und seinen
gemütvollen Humor in bittere Satire umschlagen UessMi. Aber wenn seine Leiden
sein Cbmüt auch gewissermassen verbitterten, gruben sie seinen Empfindungen
nur ein desto tieferes Bett und gaben seinem poetischen Geiste eine nur noch
potenzirte Kraft. Selbst unter unseren Vortrefflichsten haben nur Wenige so tief
aus sich selbst und nur aus sich selbst geschöpft. Auch die aus der Volksdichtung
empfangenen Stimmungen läuterte er erst durch sein eigenes Gemüt, wie unter
seinen Volksliedern die wertvollsten bezeugen. Seine Liebeslyra hatte wenige
Saiten, diesen aber wusste er wahrhafte Töne zu entlocken. Seine patriotische
Leier vermochte nicht die Begeisterung, nur den Patriotenschmerz ei^lingen zu
lassen. In den Tagen der Revolution und des Freiheitskampfes gab sie kaum einen
Ton, da sein zur Betrachtung hinneigender Geist zum plötzlichen Aufflammen
minder geeignet war. Aber als die Nation niedergeschmettert schwieg und litt, da
schlug er in seinen Gedichten cDer Storch», tAuf derPussta», tBrief an einen
ausgewanderten Freund» Saiten an, welche in allen Heizen Widerball weckten.
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XlilV. JaHBÜBVHBBAMMLUHO DBB KISFAtÜBY-ÖSSttLLSOHAFt. ^^
indem ae dem verbüllten Qedanken eibenao wahren wie ergreifenden AoBd^rock
gaben. Und dennoch erreicht Tompa's Dichtung nicht in diesen unmittelbaren
Ansdrftcken des patriotischen Schmerzes ihren Oipfelpankt. Dieselbe Phantasie,
welche die reizenden «Volksmärchen» und cBlumenmärchen» geschaffen, schuf im
Bunde mit dem Hanptdiarakterzuge seines Oeistes, der sinnenden Betrachtung,
jene Allegorien, deren tielian Sinn Jedermann verstand und deren Wirkung sich
Niemand entziehen konnte: «Der Vogel an seine Jungen», «Der yerfallende
Wald», «Der breitkronige Bieeenbaum» , «Alte Gtenchichte», «Der verwundete
Hirsch», «Bamaon», «Hebräische Legende«, «Herodes», «Ikarus», «Sturm»,
«Der neue Simeon». Wer erinnert sieh nicht noch heute der Wirkung, welche
diese Allegorien übten, und welche er auch mit seinen Einkleidungen ähnlicher
Ideen in das Qewand der Ode nicht überbie/en konnte, wiewohl sich auch hier
Meisterstücke finlen, wie: «Im Schlosse zu Pressburg», «Im November» und vor
Allem «Erinnerung an Eazinczj». — Ich kannte ihn in dieser vollen Olanizeit
seiner Blüte, besser gesagt, seines geistigen Fruchttragens, und h^ite, wo sein
Bild Tor meinen Oeistesaugen wieder lebendig wird, mein Herz vom Zauber-
hauche seines Andenkens wieder erzittert, weiss ich nicht, ob meine liebe oder
meine Verehrung od^ meine Bewunderung für ihn grösser gewesen.
Als ich ihn nach Jahren wiedersah, lauerte in den zahlreichen Runzeln seines
Antlitzes, den tiefen Furchen seiner Stime und im matten Lodern seiner Feuer-
augen schon jener «böse Geist», der nach Vernichtung sehnsüchtige Selbstmord-
gedanke, vor welchen ihn Johann Arany warnte. Doch war derselbe, wiewohl et
ihn oft quälte, blos der Schatten einer vorüberziehenden Wolke auf seinem Geiste
und seinem Antlitze. Er weist ihn zur Buhe in den herrlichen Gedichten: «Glaube»,
«Gottes Wille», «Liebe», «Am Grabe des Theuren» (seines kleinen Sohnes) und den
«Letzten (Gedichten» (an seine Frau). — Der Mensch krümmt sich bereits unter
den Qualen der Auflösung, dass es Qual ist, ihn zu sehen — ich sah ihn — , aber
der Dichter steht noch in der Fülle seiner Kraft da ; der Körper erkaltet, die Extre-
mitäten erstarren bereits, aber das Gehirn g^ht noch, das Herz ist noeh warm
und — liebt f
Noch drei Bilder drängen sich vor mein geistiges Auge: die Bahre, die
Witwe, das Grab. Die beiden ersten führt mir blos die Phantasie vor, das dritte die
Erinnerung. Als ich es sah, ruhten bereits alle Drei darin : das teure Kind, der
Dichter und die Witwe. Ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen in der Ewigkeit ist
bereits in Erfüllung gegangen ; trösten auch uir uns mit dieser Ho&ung, und bis
sie in Erfällung geht, gedenken wir ihrer f Unser Gedenken nähren jene herrlichen
Lieder des Patriotenschmerzes und der patriotischen Erlösungshoffhung, welche
Tompa seiner Nation in der Periode des düstersten Schmerzes gesungen ; dasselbe
unterstützt auch dieses Bildniss, welches sein leibliches Antlitz uns treu vorstellt
und, um seine äussere Gestalt dem Gemeinbewusstsein einzuprägen und -darin zu
erhalten, von unserer Gesellschaft der gegenwärtigen und den künftigen Genera-
tionen hiemit übergeben wird.
Hierauf las Victor Dalmady zwei eigene Gedichte imter dem gemeinsamen
Titel: tin Siebenbürgen^, you denen das erste «Mathias* Geburtshaus» angesichts
des Geburtshauses des grossen Königs in Klausenburg, seinem Andenken eine
Lobeehymn^ singt, während das zweite: «Losungswort» die Losung ausgibt,
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*ßi tlECAUfÖIS OOPPiSe über UKÖAittßiiflft LtTÄ&ATÜft.
jede» Herz, das noch nicht ungarisch ist, der ungarischen YaterlandsUebe zn
gewinnen.
Nun las Karl Yadnai eine längere humorvolle Geschichte : Hymen, Erzäh-
lung von einem heiratsföhigen Jimgling. Der Held der Erzählung ist ein junger
Huszaren-Iieutenant, der die vom Vater ererbte eine halbe Million verschwendet,
überdies hunderttausend Gulden Schulden macht, deshalb aus dem Militärverbande
austreten muss, aber, da zu jener Zeit die Verfassung Ungarns suspendirt ist, von
keiner Verwandten-Clique mit einem Comitatsamt versorgt werden kann, nach
einigen misslungenen Versuchen, sich durch Arbeit seinen Unterhalt zu erwer-
ben, sich schliesslich einer bejahrten reichen Witwe an den Hals wirft, in der
Hofihung, sie binnen zwei Jahren beerben zn können, in dieser Hoffnung jedoch
arg getäuscht wird, da die kränkelnde Gattin in Carlsbad volle Genesung findet,
ihn unter steter Vormundschaft hält und schliesshch, nachdem er sich beim
Jagdvergnügen ein Podagra zugezogen, ihn, der sie zu begraben gehofft hatte, zu
Gntbe geleitet.
Zum Schlüsse las Anton VArady ein Gedicht Josef L^vay*s : tDer alte Nuss-
baunf vor, welches das Lob eines alten Nusnbaumes singt, der einer glücklichen
armen FamiHe ein schattiges Obdach und labende Früchte spendet und dafür ihres
Segens teilhaft wird.
Nun folgte noch die kurze Meldung, dass die letztjährigen P^reisaussohrei-
bungen der Gesellschaft leider resultatlos geblieben seien, worauf der Präsident Pftul
Gyulai mit kurzem Dankwort an das zahlreiche und aufinerksame Auditorium
die 44. feierliche Jahressitznng der Gesellschaft schloss.
FRANCOIS COPPlßE ÜBER UNGARISCHE LITERATUR.
♦
Fran9ois Copp^e hat zu der von Fräulein E. Hom, der Tochter des verewig-
ten imgarischen Staatssecretärs Eduard Hom, herausgegebenen französiscben
Bearbeitung Eoloman Mikszäth'scher Novellen (Kdlmdn de Mikszäth, Scenes Hon-
groises, traduites par E, Harn. Prdface de Frangois Copp^e de VAcaddmie Fran-
qaise, Paris, 1890, Quantin) ein Vorwort geschrieben, das in vollständiger Ueber-
setzung folgendermassen lautet :
dm Jahre 1885, anlässlich der Budapester Industrie- und Kunstausstellung
habe ich eine feenhafte Beise in Ungarn gemacht. Wir waren, an vierzig Franzo-
sen, die Gäste des magyarischen Volkes, welches in uns ganz Frankreich accla-
mirte und festlich bewirtete. Für mich bleibt es eine unvergessliche Erinnerung.
Ich habe nur die Augen zu schliessen, um sie wiederzusehen, die illuminirten
Städte, die geräumigen Banketsäle, wo alle Tokajergläser sich uns zu Ehren erhe-
ben, um zu hören, wie auf den tollen Geigen der Zigeuner die Marseillaise und der
Bäköczi-Marsch losbrechen. Ungarn handelte damals in sehr edelmütiger und sehr
rührender Weise : es reichte Besiegten die Hand. Gewiss, es waren uns, auch nach
unserer Niederlage, sehr wackere Freunde erhalten geblieben. Allein zum ersten
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PRAN901Ö OÖPP^ ijBHB ÜNOABISÖHB IJTBRATtJR. ^^
Mal seit dem verderblichen 1870-er Krieg fühlte Frankreich eine Nation, eine
ganze Nation darch einen grossen Zug von Sympathie zu sich hingezogen. Dieses
Oeffthl — ich mfe meine Beisegeföhrten als Zeugen an — haben wir Alle tief
empfunden und» zu wiederholten Malen, haben wir bei diesen enthusiastischen
Manifestationen zu Gunsten unseres lieben Vaterlandes gefühlt, wie Tränen der
Dankbarkeit und Freude uns in die Augen traten.
Wenn jedoch diese verzauberte Excursion durch zahlreiche Städte im Feet-
gewand mich Ungarn inniglich lieben lehrte, so kann ich nicht sagen, dass sie
mich Ungarn kennen lernen liees. Ich habe dieses schöne Land nicht in seinem
normalen Znstande gesehen. Ich sah es zu sehr geschmückt, sozusagen zu viel in
seinem Sonntagsstaate. Ich bin nicht in sein intimes Leben eingedrungen. cAuf
Wiedersehen,! sagte ich am Tage der Abreise, indem ich meinen lieben Gaatfreun-
den die Hand drückte. Und ich nahm den lebhaften Wunsch mit mir, bald wieder-
zukommen, die blonde Donau wiederzusehen — denn sie macht dem Strauss'schen
Walzer nicht das Vergnügen, blau zu sein — , meine magyarischen Freunde
wiederzufinden, mit ihnen die vergoldeten Tiefebenen und die Akazienwälder zu
durchjagen und auf dem Osärdatische jenen Wein zu trinken, von dem der Dich-
ter Pet6fi sagt : t Alt wie mein Ahn' und warm wie meine Liebstei, während der
Zigeuner, immer näher an meinem Ohr geigend, mir jene berückenden Improvisa-
tionen eingeschänkt hätte, die uns anfangs in so süssen Schlummer wiegen und
Bchliesfllich unsere Nerven bis zum Weinen erschüttern.
Ja, ich war entschlossen, dorthin zurückzukehren. Allein es ist weit vom
Eelchesrand bis zu den Lippen, es ist weit vom zärtlich gehegten Vorsatze bis zu
dessen Verwirklichung. Zu viele Bande, zu viele Pflichten hielten mich in Paris
zurück, und fünf Jahre sind verflossen, ohne dass ich ein zweites Mal den Orient-
Expresflzug hätte besteigen können, um Zigarretten aus türkischem Tabak auf den
Donanqnais rauchen zu gehen, angesichts der stolzen und pittoresken Silhouette
der altehrwürdigen Veste von Ofen.
Nun denn, von diesem, fast sehnsüchtigen Bedauern, dass es mir nicht
möglich war, Ungarn wiederzusehen und besser kennen zu lernen, ward ich so-
eben ein wenig getröstet, nachdem ich ein kurzes und köstliches Buch gelesen,
«Scdnes Hongroises» von Herrn Eoloman de Mikszäth.
Der Herausgebcur, Herr L^grädy, einer unserer liebenswürdigsten Bewirter
im Jahre 1885, bittet mich bei her Zusendung der französischen Uebertragung der
«Seines Hongroisest, ich möge denselben als Einfnhrer beim französischen Pub-
likum dienen, und er teilt mir einige biographische Notizen über den Verfasser
mit, die ich vorerst resumiren werde, da sie notwendig sind, um den Ursprung
seiner Inspiration und die Natur seines Talents zu erklären.
Der Vater Eoloman de Mikszäth's, Johann v. Mikszäth de Kis-Gs61t6,
gehörte dem Eleinadel an, der auf seinem Grund und Boden lebt nach Art der
Bauern, die Wände seiner Herrenwohnung wohl mehr mit Pfeifen und Jagd-
gewehren, als mit Büchereien ausschmückend, welche die Fächer einer Bibliothek
füllen könnten. Er dachte, sein Sohn werde genug wissen, um sein Out zu bear-
beiten, und er hielt ihn gar nicht zum Studiren an. Wir müssen darob dem wür-
digen Edelmann Dank wissen. Nichts ist gefährlicher, als frühzeitiger Unterricht
Wenn man zu früh Bücher liest, wird man ein Buchmensch, «hvresque», wie
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^ö* PRAN9OIS OOPPÄB ÜBER UNOARISCHB LiTHRATtÄ.
Montaigne sich atiadrüokt. Man denkt nicht mehr ans sieh selbst hiMraus ; man
abdicirt von seiner ganzen Persönlichkeit. EolomaD v. Mikssäth hatte somit eine
freie tmd glückliche Kindheit und verbrachte seine ersten Jahre in voller Natur
mit den Baiiem. Später verpflichtete ihn zweifellos seine Mutter, seine Studien
wieder aufzunehmen und er absolvirte sogar sein Jus ihr zu Qefalton ; als er dieee
jedoch während der 1873-er Cholera-Epidemie verloren hatte, wollte der junge
Mann, der frei handeln konnte, von ^?ar keiner iutellectueUen Arbeit mehr reden
hören und nahm seine unabhängigen Gewohnheiten wieder auf. Er blieb auf
seinem Oütchen, jagte, ritt und brachte mit Schäfern und Feldhütern seine Tage,
ja sogar seine Nächte zu. Er setsste sich an ihre Hirtenfeuer, blieb bei ihnen bis
zum Morgenrot unid hess sich ihre Geschichten erzählen. Auf diese Art lernte er
die Charaktere und Sitten dieser von der westlichen Civilisation noch unberührten
und noch halb barbarischen Bevölkerung kennen. Mit seinen wilden Freunden
von einer zuweilen bis zur Herrlichkeit gehenden Freigebigkeit, verwaltete
Mikszäth seine Besitzimgen so gut, dass er sich in zwei Jahren bis zürn lösten
Gulden ruinirt hatte, und, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, ward der
Landedelmann zum Schriftsteller. Gleich bei seinen ersten Publicationen war der
Erfolg ein enormer. Ungarn begriff sogleich, dass eines seiner Kinder für
dieses Land dasselbe zu thun im Begriffe sei, was Sacher-Masoch för GaU^
zien und Bret Harte für Kalifornien gethan; es erkannte in Mikszith ein
Talent voller Saft und Ursprünghchkeit ; es applaudirte diesem reisenden
Erzähler, diesem wahren Dichter, den der nationale Genius so wohl inspirire.
In wenig^i Jahren wurde er volkstümlich ; seine Werke wtirden ins Deutsche
und Bussische übersetzt. Ohne das literarische Genre, dem er seinen Böhm
verdankte, zu vernachlässigen, leistete er auch joumalistisohe Kriegsdienste,
nahm an der Politik Anteil imd wurde ins ungarische Parlament gewählt, in
dem er auch heute sitzt. So hatte sich endlich der ndnirte Edelmann, dei
bizarre und vagabundirende Familiensohn, den fr^iher sidierlich ibehr als^ner
als schlechtes Subjekt behandelt hatte, mit Hilfe seiner Feder ein« glückliche
und geehrte Existenz rekonstituirt.
Ich habe soeben Mikszäth's «Sctoes Hongroises» gelesen und ich bin über-
zeugt, dass dieselben für das französische Publikum eine reizende Enthüllung bil*
den werden. Es sind dies, wie der Titel zeigt, nur sehr kurze Scenen, Bilder, die
ebenso rasch verschwinden, wie sie erschienen sind. Der Autor liat Novellen,
Erzählungen von grösserer Ausdehnung veröffentlicht. Hier aber hat er mit künst-
lerischer Kraftleistimg, oder vielmehr mit bewundernswertem Dichterinstinkt, alle
seine Eindrücke concentrirt, seine Gedanken in einigen wesenvoUen Seiten ver-
dichtet. Es sind Erzählungen, die auch Gedichte sind. Eine jede dieser ländlichen
Scenen enthält zugleich ein kleines Drama, ein landschaftliches Gem^de, eine
Charakterstudie und ein Bild localer Sitten. In einigen Worten heben sich Per-
sönlichkeiten voller Wahrheit und Leben empor, die Umgebung, in der sie sich
bewegen, wird hervorgezaubert, die Handlung gelangt zum Ausdruck und zu
raschem Ende. Es ist Bapidität, mit Vollkommenheit gepaart Und wenn ich
meine Kritikerloupe noch so sehr ans Auge drücke, vermag ich da keine Autoren-
manier, keine Künstlichkeit zu entdecken. Man beachte, dass ich es mit einer
Uebersetzung zu thun habe. Diese verdankt man der eleganten Feder einer jongon
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PlUK^OtS OOPFlte ÜBBB üHOABtdOfilB UTfiRATÜfi. ^^
Ungarin, fttr welche Frankreich ein zweites Vaterland ist, und die alle Feinheiten
unserer Sprache besitzt. Allein eine Uebersetzung ist bei der literarischen Servor-
bringong das, was der Qoss bei der plastischen Scböpfang ist. Wie tren und ebr-
förchtig sie auch sein möge, so drückt eine Uebersetzung stets das Original ein
wenig nieder und läset die Mängel nur mehr zum Vorscheine gelangen. Nun
denn, von Mängeln sehe ich gar nichts in diesen köstlichen Eunstobjecten, welche
die Ausdehnung von Miniaturen haben, obgleich sie mit meisterlicher Grosse aus-
geführt sind.
Und wie man sie lieb gewinnt, nachdem man Mikszäth's Buch gelesen,
diese magyarischen Bauern, naive Naturen, abergläubisch, sinnlich, leidenschaft-
lich, allein mit einem Fond von Adel, ja sozusagen Bitterlichkeit f Man lese die
schöne Oeschichte von Filcsik, dem c Heiden», und seinem alten Pelz, der mit
Tulpen ans roter und grüner Seide bestickt ist. Der Mann ist voll wilder Grösse,
wenn er über die unter freiem Himmel eingesohlafene Bettlerin dieses kostbare
Gewand wirft, das er soeben vom Sterbelager seiner entehrten Tochter gerissen.
Man bewundere Elisabeth Vede*s Unschuld und Bechtlichkeit vor dem Richter, da
sie sich erbötig macht, die Gef&ngnissmonate zu verbüssen, zu denen ihre Schwe-
ster verurteilt ist, die, ehe sie ihre Strafe überstanden, gestorben. Doch nein, ich
will mir nicht den Anschein geben, unter ^esen ausgezeichneten Erzählungen zu
wählen. Alle sind gleich vortrefflich, und wenn man dieses kleine Buch begonnen
haben wird, so wird man es in einem Zuge bis ans Ende lesen und es dann wieder
lesen, um sich darin die Seiten, für die man besondere Vorliebe gewann, zu
bezeichnen.
Niemals haben wir uns in Frankreich so viel mit fremden Literaturen
beschäftigt wie heute. Wir müssen um jeden Preis Neues haben und wir suchen
dasselbe im Exotischen. Dieser Geschmack — für Viele ist es nur eine Mode —
macht uns zuweilen ungerecht gegen uns selbst und wir sind dahin gelangt, bei
Anderen das zu bewundem, was jene Anderen uns entlehnt. Um nur ein Beispiel
zu citiren, so hat uns Bussland gewiss einige Bücher ersten Ranges, ja ersten
Genies, in den letzten zwanzig Jahren gegeben. Allein wer würde es zu behaupten
wagen, dass Tolstoi, indem er seine Kriegsbüder von solch ergreifendem Realis-
mus zeichnete, sich nicht ein wenig der bewundernswerten Schlacht von Waterloo
erinnerte, welche den Roman : tLa Chartreuse de Panne» erö&et. Gewiss, es gibt
keine schmerzlichere und rührendere Figur, als die der Sonia aus «Crime et
chätiment», allein hat unser Mitleid nicht schon auf die todte Stime Fantine's
(in Viktor Hugo's : «Les Miserables») einen Euss des Friedens und der Vergebung
für alles menschliche Leiden niedergelegt ?
loh will, Gott behüte, nicht an dem grossartigen Aufschwung der Meister
des zeitgenössischen Russland mit meiner Bewunderung fbiischen. Ich sage nur«
dass, insoweit es sich um Neues handelt, ich ganz Neues haben will ; hinsichtlick
des Exotischen, will ich ganz exotisches. Das ist die Befriedigung, welche mir
Mikszäih*s «Sc^es Hongroises» gewährt haben. Dieses kleine Buch ist absolut
originell, es verdankt nichts irgend einer anderen Literatur. Es ist magyarisch,
exciusiv magyarisch. Ich stelle es vertrauensvoll den französischen Lesern vor.
Es wird ihnen, Ich bin despen sicher, ein Gefühl exquisiter Ueberraschung geben,
•und sie werden sich wollüstig an dem Dufte berauschen, der dieser Garbe frischer
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iM ÜKdAfilSOHlS JOtJBKALtBTtK.
Idyll^, diesem Feldstransse entströmt, der aasseUiesslich ansBlamen der ungari-
schen Paszta znsammengesetzt ist.
UNGARISCHE JOURNALISTIK IM JAHRE 1891.
Josef Szinyei veröffentlioht in der Vasdmapi Vjsdg (Sonntags-Zeitung) eine
mit ausserordentlichem Fleisse verÜEtöste Uebersicht über den Stand der ungari-
schen Zeitungen und Zeitschriften am Beginne des Jahres 1891, welcher wir
folgende Daten entnehmen.
Es erschienen am Beginne der letzten beiden Jahre in Ungarn :
j^piftf^g
1890
1891
Differeiui
L Politische Tagesbl&tter
23
23
—
n. Politische "Woohenbl&ttor
43
41
- 2
m. Vermischte ülustrirte Blätter
3
3
—
IV. Kirchen- tmd Schtdbl&tter
40
39
— 1
V. Belletristische Blätter
15
17
+ 2
VI. Hmnoristisohe Blätter ... ...
13
10
— 3
VU. Fach-Jonnsle
134
137
+ 3
VlU. Nicht-politische Provinzblätter...
149
147
— 2
IX. Inseraten-Bl&tter
5
5
—
X. Zeitschriften
176
187
+ 11
XI. Vermischte Beilagen
35
36
+ 1
Zusammen:
636
645
+ 9
Im Laufe des Jahres 1890 und am Beginne des Jahres 1891 gingen zusam-
men 92 Journale ein und entstanden 75 neue Zeitungen und Zeitschriften.
Die erste ungarische Zeitung erschien am 1. Januar 1780 (der «Magyar
Hirmondö,» herausgegeben von Mathias Bäth in Pressburg) ; in Budapest erschien
die erste ungarische Zeitung am 8. October 1788 (der «Magyar Merkuriust im Ver-
lage von Franz Paczkö), doch erst die seit dem 2. Juli 1806 erscheinenden «Hazai
Tudösitiisok^ (Vaterländische Nachrichten) von Stefan Kulcsär wussten sich län-
gere Zeit zu erhalten. -
Der erste Aufschwung der ungarischen Journalistik beginnt mit dem Jahre
1830, in welchem 10 Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Schon 1840 hatten
wir 26, 1847 : 33 und in den Sturmjahren 1848/9 plötzlich 86 ungarische Journale.
Die Niederwerfang des Freiheitskrieges vernichtete auch die ungarische Joumali-
"^^ Wir erinnern hier unsere LeRer, dass ein Band ausgezeichneter Mikszith'scher
Skizzen und Erzählungen auch in deutscher Uebersetznng vorliegt: Die guten Hoch-
länder, Ungarisclie Dorfgescki^fiten von Kolommt Mi-kszdth, Uehertragen durch Dr. Adolf
Silbersiein. Mit 28 Illustrationen. Szegedin, 1884, Druck u. Verlag Von L. £ndr4nyi &
Comp., 150 S. D. Bed.
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RtmZft 6ItZUKG8fiftttT0»T£:. ^7
stik. Im Jahre 1850 hatten wir blos 9 nngarisohe Blätter, welche Zahl bis 1861 auf
52 nnd bis 1867 auf 80 stieg. Der Ausgleich und das neu erwachte politische
Leben verliehen der Journalistik einen grossartigen Aufschwung. Schon im Jahre
1868 betrug die Zahl der ungarischen Journale 140, 1876: 240, 1880: 368, 1885:
494, 1889 : 600 und heute 645.
Von diesen 645 Zeitungen und Zeitschriften erscheinen :
in der Hauptstadt 298
in der Provinz 346 (an 140 Orten)
im Auslande (New- York) 1
In fremden Sprachen erscheinen ausserdem in Ungarn 1 89 Zeitungen und
Zeitschriften und zwar:
Anfang
1890
1891
Difleiens
in dentsoher Sprache
110
132
+ 22
• alavifloher .
32
37
+ 5
< mmSiiiseher »
19
15
— 4
• itaUenisoher «
2
2
• franisödsoher <
3
3
Zosammen:
166
189
+ 23
Die GFesammtzahl der in Ungarn in ungarischer oder einer anderen
Sprache erscheinenden Journale ist demnach derzeit 834 (Anfang 1890: 803.
Differenz -f 32).
KURZE SnZUNGSBERICHm
— Akademie der Wissenschaften. In der Sitzung der I. dasse am 3.
Februar hielt den ersten Vortrag das correspondirende Mitglied Ivan T^liy unter
dem Titel : Karl Kisfaludy*8 Elegie ^Mohdcs* griechisch. — Im tEgyetemes Philo-
logiai Eözlönyi, Heft 9., 1890, erschien Karl KisfEdudy's Elegie tMohäcs» von
Gustav Eassai im Originalversmass (Hexameter und Pentameter) ins Griechische
übersetzt. Im 10. Heffe derselben Zeitschrift veröffentUcht Dr. Rudolf Väri kritische
Bemerkungen zu dieser Uebersetzung. Vortragender kritisirt zuerst diese Kritik,
hierauf die Uebersetzung selbst und gibt schliesslich seine eigene Uebersetzung der
genannten Elegie in griechischen Distichen, begleitet von Bemerkungen, in welchen
er jeden gebrauchten Ausdruck durch Citate aus der Sprache der griechischen
Epiker, Elegiker und Dramatiker rechtfertigt.
Den zweiten Vortrag hielt das Ehrenmitglied Anton Zichy Ueber einige an
den Grafen Stefan Sz^chenyi in den Jahren 1827 — 1886 gerichtete Briefe, Als dem
Grafen Steüan Sz^chenyi seine dem Dienste des Vaterlandes geweihte Zeit kost-
barer wurde, sah er sich genötigt, den grössten Teil der an ihn gelangenden Briefe
unbeantwortet zu lassen, ja ungelesen zu vernichten. Wir dürfen daher jene wenigen
(im Ganzen 40) Briefe, welche er der Aufbewahrung in einer besonderen Enveloppe
würdig erachtete, nicht gering scliätzen. Drei darunter stammon von zarter Damen -
band, nämlich von der Herzogin L., von der Gräfin E., welche psychologisch inter-
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z^ KÜB2£ BITZÜK6SBfifiI0fil1S.
essant eind, und von dar Fnxx v. Petröoiy geb. Delevicz^nyL Uoter den von
Mftnnerhand stammenden behandelt Vortragender eingehender den Brief dee Su-
perintendenten Johann EIb, welcher sich anf die von der Emancipation der EatlM>-
Uken liandekiden und von ihm teilweise auch übersetzten Artikel «Bidinbnigh Be^
viewt bezieht und von den aufgeklärten liberalen Ansichten seines Schreibers ein
schönes Zeugniss ablegt. Hierauf den Brildf des ref. Predigers und Dichters
Gregor ^es, der im 70. Lebensjahre seine eigenen Ideen mit Freuden in Sz4-
chenyi*s Werke c Hitelt (über den Credit) abgespiegelt sieht. Aber auch katholische
Priester (Joh. Tatay, f ranz Somogyi und ein Erlauer Priester) beeilten sich, ihrer
Huldigung Ausdruck zu geben. Einer der interessantesten indessen ist ein ausführ-
licher Brief des Orafen Josef Dessewfiy, dessen grössere Hälfte sich mit den Aus-
stellungen befasst, welche Sz^chenyi an der äusseren Form der Zeitschrift tFelsd-
magyarorszägi Minerva» (Oberungarische Minerva) machte. Interessant ist, was er
vom damaligen geheimen Spionirsystem, den t Spitzeln», sagt Vor diesen förchtete
sich auch Graf Stefan Fi^, welcher hoch und teuer schwört, daas er Sz6chenyi*8
Antwort, wenn er ihn einer solchen würdige, nie einer MensohdBBeele seigen werde.
Dieser Graf sieht übrigens in der Urbarial- Ablösung, einer der Gkundideen Sz6-
chenyi's, wenn sie verwirklicht würde, den Untergang unseres Yateriandes. Ein
Brief Alexander Bertha's gibt dem Grafen Nachricht von dem Erscheinen und der
grossen Wirkung des Sz^chenyi'schen «Stadium». Manche suchten ihrer Huldi-
gung durch Geschenksendungen mehr Nachdruck zu geben. Georg Chmel sendet
Gartenerde, Johann N(^meth Yerpel^ter Tabak, unser berühmter Amerikareisender
Wolfgang Bölönyi sechs Bouteillen feinen Wein, welcher es mit dem Madeira auf-
nimmt, Johann Zeyk seine Gedichte u. s. w. Der schönste Brief stammt aus der
Feder Nicolaus Wessel^nyi's, welchen Vortragender bereits im I. Band seines
Werkes über Sz^chenyi's Tagebücher mitgeteilt hat Oberfeldwebel Buzits stellt
sich beiläufig als Tacitus-Uebersetzer vor. Den Bchlnss machen zwei Mitglieder der
damaligen Bifliichstagsjugend : Ste&n Baksay verwahrt sich gegen den von ungefähr
auf ihn gefallenen Vorwurf der Unehrerbietigkeit und Anton Noszlopy sendet ihm
das Poem nach, mit welchem er den aus dem Auslande heimkelnrenden Sz6chenyi
in Pressburg im Namen der Jugend begrüsat hatte. — Anknüpfend an diesen Vor-
trag liest der General-Secretär Koloman Szily das Antwortschreiben Sz6chenyi*s
ai\f ein Huldigungsschreiben des Ingenieurs Johann Gserna-Udvardy, welches sich
im Nachlass des Letzteren vorfand.
— In der Sitzung der H. Classe am 9. Februar las Franz Pulszky über dir
ungarischen heidnischen Oräberfunde. Die Gräberfunde sind die einzigen Denk-
mäler, ans welchen wir auf die Cultur unserer heidnischen Vorfaliren einiger-
massen Schlüsse ziehen können. Deshalb verdienen sie mit Becht das Stadium der
Archäologen. Vortragender zählt die bisherigen heidnisch-ungarischen Gräberfunde
in der chronologischen Beihenfolge ihrer Auffindung auf. Sechzehn dieser Funde
werden im Nationalmuseum aufbewahrt; andere in Provinzialsammlungen. Die
Funde betreffen ausschliesslich Grabstätten vornehmer Personen. In diesen Taj?en
wurde in Szegedin ein reicher Fund gemacht, den Vortragender später besprechen
will. Pulszky zählt die reichsten Funde auf, bemerkt jedoch, dass dieselben an
Wert und Interesse weit hinter anderen Völkerwanderungsfunden zurückstehen.
Die Zahl der Gegenstände ist gering, die Kunst daran unbedeutend. Zum Schlüsse
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KUBZB BTTZUNOSBEBIGHTE. ^^
sählt der VerÜBsser der Reihe nach die (Gegenstände der eiozehien heidnisoh-onga-
nsohen Gräberfunde auf, ohne fär jetzt die Ergebnisse der Untersnohnng zu
resnmiren.
Hierauf hielt das oorrespondirende Mitglied Alad4r Ballagi einen Vortrag
über die Eheschliessimgen in Ungarn im XVIL Jahrhundert. Für die damalige
Unentwickeltheit unseres gesellschaftliohen Lebens spricht nichts so sehr als die
Ckeohiohte der Ehen. In den höheren Kreisen kam das Princip der Erhaltung des
Geschlechtes und des Vermögens rückstohtsloe zui Geltung. Da6 Abhangigkeits-
yerhältniss, in welchem die su Verheiratenden zu ihren Eltern standen, vernichtete
jedes Becht der Individualität. Zahlreiche historische Beispiele beweisen, dass die
beiden gehorsamen Geschöpfe den Willen ihrer Eltern ab Gesetz ehren und mit
ihrer Wahl ziemlich im Beinen sind, bevor sie einander noch gesehen haben. Das
Uofiren ist ganz dberflüssig : die die äusseren Umstände erwägenden Eltern machen
das untereinander aus, was eine spätere Zeit durch Salon-Eroberungamanöver
erzielen lässt. Auch die einander zugedachten jungen Leute selbst sind reine Skla-
ven der Präoocupation, ihre Neigung lediglieh atif das optbche Moment des ersten
Eindrucks angewiesen. Die Brantschau hat kaum einen anderen Zweck ab den,
dass die einander zugedachten Parteien, welche in der Begel einander damab zum
ersten Male im Leben begegnen, einige Worte mit einander wechseln, um nicht
ganz ohne einander gesehen zu haben, den ewigen Bund zu schliessen. Nach statt-
gehabter Brautschau sendet die Familie des Jünglings ein angesehenes Mitglied
ab. Werber zur Familie des Mädchens. Im Falle günstigen Bescheides wird der
Zeitpunkt der «Handreichungt oder Verlobung durch Bingwechsel festgesetzt, bei
welcher Gelegenheit der Priester die Verlobten einander vermählt, welche von da
an bereits Ehegenossen sind, aber nicht die Ehe vollziehen. Die Braut bleibt näm-
lich nach der Handreichung noch eine geraume Zeit, bisweilen auch zwei Jahre
lang, noch daheim, und bt zwar Frau, aber im Jungfranenstande. Der Bräutigam
und seine Verwandten setzen den Tag der Hochzeit fest. Diese wird bei allen
Ständen mit möglichst grossem Pomp voUzogen und die Neuvermählten werden
dadurch dermassen in Unkosten versetzt, dass z. B. dem übrigens wohlhabenden
Grafen Nioolaus Bethlen nach seiner Hochzeit nicht mehr Geld als 25 fl. übrig
blttbi Die Gäste erscheinen insgesammt von Dienertross umgeben mit unzähligen
Wagen. Bei der Hochzeit der Gräfin Barbara Thurzö mit dem Grafen Ohristoph
Erdödy erschienen die hohen Ctäste mit einem (befolge von 2621 Personen und
4324 Pferden. Sie vertilgen 40 Ochsen, 19 Kühe, 140 Kälber, 350 Lämmer, 200
Schweine, 30 Auerochsen, 30 Bebe, 1400 Hühner, 6000 Eier u. s. w., femer 650
Eimer Wein und 295 Eimer Her. Die glänzendste Hochzeit rüstete die Witwe des
Palatins Georg Thurzö, Elisabeth Czobor, gelegentlich der Vermählung ihres
Sohnes im Jabre 1618 in Helmecz, welche nur in Baargeld, nach heutigem Wert
berechnet, mehr als hunderttausend Gulden kostete. Vortragender weist schliesslich
auf Grund ethnographischer und volkspoetischer Studien nach, dass der grösste
TeU der alten Hochzeitsgebränche hie und da noch heute besteht, mit dem Unter-
schiede, dass Dasjenige, was ehemals in den höchsten Kreisen Sitte war, heute nur
noch unter dem Volke bräuchlich ist, welches die alten Gebräuche bis heute
bewahrt hat.
Naeh Beendigung der Vorträge kündete der Classen-Secretär Emeriph Pauer
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270 KURZE SITZUNOBBBRICHTE.
an, dass am 1 1. d. eine aiisserordentliche Sitzung der zweiten Classe der Akademie
stattfindet, deren einzigen Gegenstand ein Vortrag des ordentlichen Mitgliedes
Karl Keleti über die vorläufigen Ergebnisse der 1890er Volkszählung bildet. Diesen
Vortrag teilen wir im nächsten Hefte vollständig mit.
— In der Plenarsitzung am 23. Februar las das correspondirende Mitglied
Alexander Matlekovits eine Denkrede auf das ordenüiche Mitglied Stefan Apdtky.
Penkredner schilderte den Lebenslauf Apäthy's und würdigte dessen Thatigkeit
als Professor, Codificator und juristischer Schriftsteller, insbesondere auf dem Ge-
biete des Handels- und Wechselrechtes. Die Akademie hatte ihn 1873 zum corre-
spondirenden, 1885 zum ordentlichen Mitgliede, der ungarische Juristentag 1889
zum Präsidenten gewählt. Apäthy gehört auf literarischem Gebiete zu den Bahn-
brechern unserer rechts- und staatswissenschaftlichen Literatur. Ueber die Lebens-
verhältnisse und Werke Apäthy's s. den Nekrolog in dieser tUngarischen Bevue»,
1890. S. 173.
Hierauf unterbreitete der Akademie-Präsident der Plenarsitzung den Plan
einer am 21. September 1. J. durch die Akademie zu begehenden Feier des hundert-
jährigen Geburtstages ihres grossen Gründers, des Grafen Stefan Sz6chenyi und
der Verbindung derselben mit der Enthüllung einer, an der Stelle des leeren Schluss-
steines am Akademie-Palaste anzubringenden und die Beichstagsscene, in welcher
Graf Stefan Sz^chenyi zur Gründung der Akademie ein Jahreseinkommen anbot,
darstellenden Belief-Denktafel ; femer machte er Mitteilung über die behufs Ver-
wirklichung dieses Planes bisher unternommenen Schritte, respective die bezüg-
lichen Beratungen einer gestern von ihm zusammenberufenen Commission. Die
Commission schlug vor, zum Zwecke der Zusammenbringung der auf 12,000 fl. ver-
anschlagten Kosten der auf Grund einer Strobrschen Skizze aaszuführenden Denk-
tafel die Unterstützung jener Factoren, Körperschaften, Inschriften, Institute,
Unternehmungen anzusuchen, welche ihr Aufblühen der Initiative des Grafen
Stefan Sz^henyi verdanken, so der Hauptstadt, Donau-Dampfschififahrts-Gesell-
schaft, Walzmühle, Kettenbrücken-Gesellschaft u. s. w., deren der gestrigen Com-
missionssitzung beigezogene Leiter in dieser Beziehung die günstigsten Aussichten
erö£fheten. Präsident beantragt, die Zustinmiung des Directionsrates m diesem
Plane einzuholen und die Commission aus den Beihen der Akademiker durch Fach-
männer zu ergänzen. In die Commission werden Zoltdn Beöthy, Karl Keleti, Julius
Pasteiner, Karl Pulszky und B^la Czobor entsandt und der Präsident mit dem
Arrangement der Denkfeier betraut.
Hierauf meldete der General-Secretär das Ableben des correspondirenden
Mitgliedes Carl Hofi&nann, dem er einen warmen Nachruf widmete. Dann verlas er
eine Zuschrift des k. u. k. Oberstkämmerer- Amtes an den Akademie-Präsidenten,
welche die Mitteilung enthalt, dass Se. Majestät den Auftrag erteilt habe, das für
den Porträtsaal der Akademie bestimmte Porträt des ehemaligen Ehrenmitgliedes
Kronprinzen Erzherzogs Budolf durch den Meister Julius Benczur anfertigen zu
lassen. Dieses neue Zeichen allerhöchster Huld wurde zu freudiger Kenntniss
genommen. — Hierauf unterbreitete der General-Secretär der Plenarsitzung behufs
Verhandlung den Conmiissionsvorschlag betreffend die Abänderung der Geschäfts-
ordnung in Bezug auf die Mitgliederwahlen. Der Vorschlag zerfallt in zwei Teile,
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AX78 PBTOFI S GEDICHTEN.
271
von denen der erste die Untergliederang der Glassen in je zwei Fachgruppen, der
andere die gelegentlich der Wahlen seitens jeder dieser Fachgruppen vorzuneh-
mende Wahl eines fünf- bis siebengliedrigen Candidations- Ausschusses empfiehlt.
Nach längerem Ideen-Austausche wurden beide Teile des Vorschlages mit geringen
Amendements in der Fassung der Gommission mit überwiegender Stimmenmehrheit
angenommen.
Hierauf machte der General-Secretär betreffend die Vervollständigung der
Wandgemälde des Prunksaales der Akademie die Mitteilung, dass Meister Karl Lotz
die Ausführung der projeotirten drei Oruppenbilder übernommen und die Samm-
lungen zur Aufbringung der Kosten (6000 fl.) bereits vor einiger Zeit erfolgreich
begonnen haben, indem zu diesem Zwecke der verewigte Fürstprimas Simor 700 fl.,
Bischof Baron Hornig 500 fl., die Bischöfe Schuster und Lonhardt je 200 fl«, die
Bischöfe Zalka, Bende, DuUnszky je 100 fl., und andere Spender zusammen 1300 fl.
beigetragen haben.
AUS PETOFI'S GEDICHTEN.
L Das Lied der Hunde.
Der Winter ist des Armen Fluch,
Wie 8türmt*s so eisig kalt!
Mit weissem, todtem Leichentuch
Bedeckt der Schnee den Wald.
Was kümmert*s uns ? wir liegen weich
In warmer Ecke hier ;
Denn unser Herr ist gnadenreich.
Und schenkt uns Frei-Quartier !
Dabei ein Fressen sorgenlos,
Aufschnappen Stück um Stück !
Drum sind wir auch in Treue gross,
Ein wahres Hundeglück !
Fnsstritte gibt es freilich auch.
Doch dulden wir sie gern ;
Die Demut ist ja Hundesbrauch,
Und Laune ziert den Herrn.
Schlägt er für unsem Unverstand
Den Bücken uns oft wund :
Dann lecken wir ihm hübsch die Hand,
So machVs ein braver Hund t
n. Das Lied der Wölfe.
Der Winter ist des Armen Fluch,
Wie stürmt's so eisig kaltt
Mit weissem, todtem Leichentuch
Bedeckt der Schnee den Wald.
Wir streifen hin durch Schilf und Rohr,
Durch Sumpf und Wäldermoos ;
Wir kauern auf dem Haidemoor,
Und immer obdachlos f
Wir heulen in das Sturmgebraus
Vor bittrer Hungerqual,
Verjagt von Hürde, Hof und Haus,
Veifolgt durchs Schluchtental.
Wir beissen in den harten Grund,
Das Lamm ist unser Becht ;
Doch feindlich ist uns jeder Hund,
Und jeder Hürdenknecht.
Wir tragen wilden Hungers Weh,
Uns trifft des Jägers Blei ;
Eb rötet unser Blut den Schnee :
Doch sind wir Wölfe frei f
Stefan Bönat.
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272 UNGARISCHE BIBLIOGRAPHIE.
UNGARISCHE BIBLIOGRAPHIE.*
Band Jozsef\ ütazds ismei'eüen dllomds feU, (Beise nach einer anbekannten
Station, 18i9— 185G. Erinnerungen von Josef Barsi.) Budapest, 1890, Franklin, 414 S.
Bdnö Jena. ÜH kdi^ek Amerikäböl (Reisebilder aus Amerika von Eugen B&n6).
Mit fünfzehn Hlustraiionen und zwei Karten. Budapest, 1890, Nagel, 216 S.
Cdky Gerffely, A szokoH urasdg kdt lednya. (Die beiden Töchter der Sokoler
Herrschaft. Novelle von Gregor Csiky.) Budapest, 1890, Franklin, 112 S.
— — A nagyraiermeU, ( Grössen wahn. Prei^ekröntes Lustspiel in drei Auf-
zügen von demselben.) Das., 175 8.
Domarumzky Endre, A renaismncie'kon bölcadszet törUnete, (Geschichte der
Philosophie im Zeitalter der Renaissance von Andreas DomanovszkL Auch unter dem
Titel: Geschichte der Philosophie, IV. Band.) Budapest, 1890, Franklin, 492 S.
Ember öyörgy, Csak eyy nun, (Nur ein «auch», Roman von Georg Ember.)
Grosswardein, 1891, Lang, 210 S.
Euripidesy Der Oyclop, ins Ungarische tibersetzt von Gregor Csiky. Von der
Kisfaludy-Gesellschaft preisgekrönte Uebersetzimg. Budapest, 1890, Franklin, 56 S.
FrakncH Vünios, Mdtyde kirdly, (König Matthias Qorvinus 1440 — 1490, von
Wilhelm Fraknöi. Mit zahlreichen Blustrationen im Text und mehreren Kunstbeila-
gen.) Budapest, 1890, Verlag der Historischen Gesellschaft, 416 8.
Goethe' 8 Iph'genie auf Taurüy ins Ungarische tibersetzt von Johann CsengerL
Von der Kisfaludy-Gesellschaft belobte Uebersetzimg. Budapest, 1890, Franklin, 86 8.
Qyulai PdU Arany Jänos, (Denkrede auf Johann Arany von Paul Gyulai.)
Budapest, 1890, Franklin, 56 S.
Kenes^ B^la^ Kdivli-emlekkönyc (Zur Erinnerung an den ersten ungarischeii
Bibeltibersetzer Kaspar K&roli von Adalbert Kenessey), Budapest, 1890, Homyanszky,
197 8.
Kirdly Pdl, ülpia TroQana, (Ulpia Trajana Augusta Colonia Daciea 8armiz^ge-
tusa metropolis, Daciens Hauptstadt, V4rhely im Komitate Hunyad in Biebenbüigen,
von Paul Kir41y.) Budapest, 1891, Athenäum, 178 S.
Kis Jdnos sujtenntendens emldkezdm, (Erinnerungen aus dem eigenen Leben von
dem 8uperintendenten Johann Kis.) 2. Auflage. Budapest, 1890, Franklin, 702 8.
Kldn Gyulu^ Emldkbeszed Heer ^ Oszcald fököU (Denkrede auf das auswärtige
Mitglied der Akademie Oswald Heer von Jtüius Klein). Budapest. 1890, Akademie
36 8eiten.
Lubrich AyosU Tenndszetbölcselet, (Naturphilosophie, auf Grund der neuesten
Ergebnisse der im Sinne des h. Thomas von Aquino geförderten Forschungen, von
August Lubrich. HI. Band: Die christlich-dualistische Weltanschauung.) Budapest,
1890, Selbstverlag, 712 8.
Ungarn in Wort und Bild, Bearbeitet von Bell F. A., Diaconovich C, Draga-
lina P., Gerlas W., Imendörfler A., Kenedi G., Kraus F., Plavsic A., Römer C. J., Sieg-
meth K., Siegrus E., Stemberg A., Sziklay J. und Weingärtner C. Mit 260 Dlustratio-
nen und neun Karten. Ztirich, 1890, (Budapest, Grill), 534 8.
* Mit AHSschiiiSB der mathematisch-natorwissenBchaftlichen Literatur, der Sohnlbücher
Erbanungsschriften nud Uobersetzungen aus fremden Sprachen, dagegen mit Berucksichti-
' gung der in fremden Sprachen erschienenen, aof Ungarn bezüglichen Schriften.
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GRAF JULIUS ANDßASSY.
Graf Julius Andrässy de Osik-Szentkir&ly und Erasznahorka wurde
geboren in Easchau am 3. März 1823 als Sprössling des älteren Zweiges der
Familie Andrässy. Er war der Sohn des Grafen Karl Andr&ssy und der
Gräfin Etelka Szapäry. Er absolvirte die Mittelschule in Sätora^a-Ujhely
und Tata, beendigte seine Universitätsstudien in Pest und bereiste nachher
Deutschland^ Frankreich, Spanien und England. In die Heimat zurück-
gekehrt, beschäftigte er sich lebhaft mit öffentlichen Angelegenheiten, und
obzwar noch ganz jung, stand er in Folge seiner geistigen Reife dennoch
alsbald in den vordersten Beihen. Im Frühling des Jahres 1846 schrieb er
als S3-jähriger junger Mann in den «Pesti Hirlap» einen Artikel, worin er
das Syst'Cm der Obergespan-Stellvertreter, der sogenannten Administratoren,
welches im Lande eine fieberhafte Erregtheit hervorgerufen hatte, tadelte,
gegen die Gonservativen Stellung nahm und gegen die Angriffe derselben die
von Franz Deäk in der Gravaminalfrage in der Gongregation des Zalaer
Comitates beantragte Adresse in Schutz nahm. Der Zeitungsartikel erregte
Aufsehen, und Graf Emil Dessewffy polemisirte gegen denselben Wochen
hindurch im iBudapesti Hiradöi. Mit dieser Arbeit zog Andrässy die Auf-
merksamkeit Franz Deäk's auf sich, und an diese knüpften sich die ersten
Fäden ihres Freundschaftsverhältnisses, welches in der Folge von epoche-
machender Bedeutung wurde für Ungarn und die Monarchie. Graf Stefan
Sz^henjd kannte Andrässy schon von dessen Eindeszeit her, er gewann ihn
äusserst li^b und hing an ihm mit der ganzen Innigkeit seines Herzens, wo-
von die nachgelassenen Tagebücher Sz^chenyi's in rührendster Weise Zeu-
genschaft ablegen. Er erblickte in Andrässy den Mann der Zukunft, ausge-
stattet mit dem Talente, das von ihm, Szechenjd, begonnene Werk der Be-
form Ungarns zu glücklichem Abschluss zu bringen. Die erste Theissregu-
lirungs-Gesellschaft wählte am 1. Dezember 1845 den 22-jährigen Andrässy
auf Vorschlag Szechenyi's zu ihrem Präsidenten und nahm in ihr Sitzungs-
protokoll die folgenden Worte auf: tZum ordentlichen Präsidenten wurde
mit Stimmeneinhelligkeit der hochgeborene Graf Julius Andrässy gewählt,
den die Gesellschaft auch bisher schon als würdigen Sprossen seiner ruhm-
reichen Ahnen und als neuen, mit leuchtendem Glänze aufsteigenden Stern
UngaiUchc Ravao, XI. 1891. IV. Heft. lg
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274 GRAF JULIUS ANDRiSSY.
des Vaterlandes zu kennen so glücklich war.» Es war um diese Zeit, dass
Szeebenyi dem Vicegespan des Szabolcser Gomitates, Ludwig Eröss sagte :
•Nicht ich werde dieses Reguhrungswerk durchführen, sondern der Jüngling
Julius Andrassy.»
Auf dem Reichstage der Jahre 1847 — 1848 wirkte Andrassy als einer
der Ablegaten des Zempliner Gomitates. Am 2. Februar 1848 schrieb über
ihn Szechenjri in seinem Tagebuche: «AndrÄssy ist violleicht der Einzige,
der unsere Angelegenheiten von einem höheren Gesichtspunkte aus be
trachtet.» Andrassy unterwarf sich nicht blindhngs den Ansichten Sz6-
chenjd's, er widersetzte sich in jener trüben Zeit mehr als einem Plane des-
selben, in noch grösserem Maasse opponirte er aber den Uebergriffen der
Radikalen. Ueber die Vorgänge auf diesem denkwürdigen Reichstage sandte
Andrassy an sein Gomitat regelmässige Ablegatenberichte. Wir citiren aus
einem dieser Berichte, der das Datum des 9. Mai 1849 trägt, einige Sätze,
welche die politische Richtung des nachmaligen Ministers des Aeussem bereits
in klaren Umrissen zeigen.
«Wir als ehemalige Schutzmauer der Christenheit», heisst es in diesem
Berichte, «sind die unmittelbaren Nachbarn des nordischen Riesen, und es
ist vielleicht unsere Bestimmung, dass gleichwie in der Vergangenheit die
Macht des Orients an unseren Mauern sich brach, so in der Zukunft
die Macht des Nordens sich hier breche. Falls das Schicksal uns diese Be-
stimmung zugewiesen hat, dann wollen wir dieselbe mit in Grott gesetztem
Vertrauen hinnehmen, nicht allein darum, weil diese Schicksalsfügung eine
grossartige ist, sondern auch deswegen, weU wir in dem grossen Kampfe,
der unserer vielleicht harrt, auf die Sympathien der europäischen dvilisirten
und freien Völker rechnen können. Wir wollen aber dabei bedenken, dass
wir nur dann siegen können, wenn wir im Kampfe nicht vereinzelt dastehen.
Ungarn hat durch die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit eine wichtige
Position in der Mitte der europäisch gebildeten und freien Nationen einge-
nommen. Damit es diese seine Stellung behaupte, bedarf es der Eintracht
und der Einigkeit, wodurch es stark, und der Sympathien, von welchen es
unterstützt sei. Das Freiheitsgefühl erweckt diese Sympathien, und diese
werden Nährung und Stärkung finden in der Interessengemeinschaft zu-
nächst mit jenen Völkern, mit welchen wir durch die pragmatische Sanction
und durch die Geschichte verknüpft sind, und in weiterer Folge, unter Auf-
rechthaltung unserer nationalen Selbstständigkeit, mit jenem Volksstamme,
welcher die Wiege der Civilisation war und die Buchdruckerkunst und das
Schiesspulver, diese gewaltigsten Waffen des menschlichen Geistes, unter
seine Erfindungen zählt.»
Das erste verantwortliche Ministerium ernannte Andrassy zum Ober-
gespan des Zempliner Gomitates. Unterdessen war der Bürgerkrieg ausge-
brochen und auf die erste Nachricht von der organisirten Erhebung der
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GRAF JUIilüS ANDRÄSSY. 275
Kroaten und Serben griflf Andrässy zum Schwert. Im Juli zum Major der
Nationalgarde, im September zum Adjutanten des Generals Moga ernannt,
nahm er an der Schlacht bei Päkozd, welche mit der Niederlage Jellachich*s
endigte^ theil ; nicht wenig trag zum Erfolge des Tages das wirksame Ein-
greifen einer Batterie bei, welcher Andrässy auf eigene Verantwortlichkeit
die Position angewiesen hatte. Unter den Offizieren, die aus Anlass des
Sieges mit besonderem Lob erwähnt wurden und denen das Abgeordneten-
haus in seiner Sitzung vom 1. Oktober im Namen des Vaterlandes feier-
lichen Dank zollte, befindet sich auch der Name Andrässy's. Auch an der
unglücklichen Schlacht bei Schwechat, in welcher die undisciplinirten, in der
Eile zusammengelesenen ungarischen Heerhaufen den feindlichen Truppen
nicht Stand zu halten vermochten, war Andrässy betheiligt und hier gab er
wiederholt Proben grossen persönlichen Muthes. In den siegreichen Schlach-
ten von Hatvan, Täpiö-Bicske und Isaszeg focht Andrässy als Adjutant
Görgey's. Nun wurde aber seiner noilitärischen Thätigkeit ein Ziel gesetzt.
Er war bereits Honved- Oberst, als ihn der Minister des Aeussem Graf
Kasimir Batthyäny im Juni 1849 in diplomatischer Mission nach Gonstan-
tinopel sandte. Nur zu bald hatte er Gelegenheit seine diplomatische Geschick-
lichkeit zu bethätigen, denn mittlerweile war die Katastrophe von Vilägos
erfolgt und zahlreiche ungarische Patrioten suchten vor der Wärgarbeit
Haynau*s Zuflucht auf türkischem Boden. Auf die Entschiedenheit der Pforte,
womit diese das Verlangen nach Auslieferung der ungarischen Emigranten
zurückwies, hatte Andrässy's Action wesentlichen Einfluss. Von Constan-
tinopel begab sich Andrässy nach London und zwei Jahre später nach Paris.
Inzwischen wurde er, nebst 35 seiner Genossen, als Hochverräther vom
Pester Militär- Gerichte am 21. September 1851 in contumatiam zum
Tode verurteilt und am darauf folgenden Tage auf dem Platze hinter dem
Neugebäude in effigie gehenkt. Das militärgerichtliche Urteil lautete
wie folgt :
«Julius Graf Andrässy, zu Zemplin geboren, bei 26 Jahre alt, katho-
lisch, ledig,. gewesener Obergespan des Zempliner Comitats und Mitglied des
Oberhauses, am 1. Januar 1850 wegen angeschuldeten Hochverrats edicta-
liter citirt, aber nicht erschienen, ist bei gesetzlich erhobenem Thatbestande
durch rechtskräftige Zeugnisse überwiesen, trotz des Allerhöchsten Mani-
festes vom 3. Oktober 1848 als Major der Nationalgarde des Zempliner Co-
mitats an der Schlacht bei Schwechat am 30. Oktober 1848 teilgenommen,
das schon vorher bekleidete Amt eines Obergespans des besagten Comitats in
revolutionärer ßichtung bis Ende März 1849 versehen, darauf von der revo-
lutionären Begierung in der Eigenschaft eines Agenten die Mission nach
Konstantinopel angenommen, als solcher auf dem Wege dahin im Monate
Juni 1849 die Regierung des Fürstenthums Serbien zu einer feindseligen
Haltung gegen Oesterreioh und vorläufigen Bückberufung der Serben und des
18*
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276 GRAF JXTL11I8 ANDRjtsST.
Generals Kniianin zu bewegen gesucht und behufe sicheren Gelingens dieses
Planes zur Unterjochung der Serben und Kroaten der revolutionären Regie-
rung die kühnsten und hinterlistigsten Vorschläge gemacht, in Eonstantinopel
selbst aber bis zur Unterdrückung der Bebellion Alles angewendet zu haben,
um seine officielle Anerkennung bei der ottomanischen Pforte durchzusetzen
und deren Begierungsorgane, wenn nicht anders, so durch ihre eigene Gom-
promittirung, wozu er Mittel der verwerflichsten Art bei der revolutionären
Regierung in Antrag gebracht hatte, zum feindseligen Handeln gegen Oester-
reich zu nötigen.»
In seiner Verbannung beobachtete er scharf und sammelte wertvolle
Erfahrungen für die Zukunft. Mit klarem Blicke durchschaute er die innere
Hohlheit des glanzvollen Empire und er hielt sich fem von der Conspiration
der Emigranten-Politik, welche auf das Eingreifen Napoleons zu Gunsten
des niedergetretenen Ungarn ihre Hoffnungen baute. In Paris befestigte sich
in ihm «immer mehr die Ueberzeugung, dass Ungarns Heil nicht von einem
Kampf gegen die Dynastie, sei es aus eigener Kraft, sei es mit fremder Hilfe
zu erwarten sei, sondern von der ehrlichen Versöhnung Ungarns und des
Königshauses. Darum machte er auch im Jahre 1858 von der ihm auf Ver-
wendung seiner Mutter gewährten Amnestie Gebrauch und kehrte in die
Heimat zurück. Noch in Paris vermählte er sich mit der gefeiertesten jungen
Dame Ungarns, Gräfin Katinka v. Kendeffy, und in diesem Herzensbupde,
welchem zwei Söhne und eine Tochter entsprossen sind, fand er ein beseli-
gendes Glück bis ans Ende seines Lebens.
Mit seiner Heimkehr aus der Emigration beginnt seine eigentliche
politische und staatsmännische Thätigkeit, welche sich fortschreitend in auf-
steigender Linie bewegte, um von Erfolgen gekrönt zu werden, welche in der
neueren Geschichte Ungarns und der Habsburg'schen Monarchie ohne Bei-
spiel sind. Nach dem italienischen Feldzuge wurde die ungarische Frage
akut. Die Notwendigkeit, sich mit der ungarischen Nation zu verständigen,
wurde in Wien erkannt, doch scheute man vor der Wiederherstellung der
ungarischen Verfassung und insbesondere der Gesetze von 1848 zurück und
meinte, Ungarn als einen Teil der constitutionalisirten Gesammtmonarchie
behandeln zu können. An den friedlichen Verfassungskämpfen, wie an den
politischen Gestaltungen, welche den Dualismus begründeten, hatte Andrässy
nächst Deäk den grössten Anteil. Der Emigranten-PoUtik, welche eine
grosse Partei zuhause fortsetzen wollte, trat er mit aller Entschieden-
heit entgegen, er strebte mit Deäk den «Ausgleich», aber auf jenen histo-
rischen und verfassungsmässigen Grundlagen an, wie sie durch die prag-
matische Sanction begründet und durch die Gesetzgebung von 1848 weiter
entwickelt wurden, ohne dabei die Bedingungen der Grossmachtstellung der
Habsburg'schen Monarchie aus dem Auge zu verlieren. Auf dem Beichstage
von 1861, wo Andrässy von Deäk zum ersten Vice-Präsidenten vorgeschlagen
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ÖftA^ JüIilÜB AKDRitsST. ^7?
WQrde^ aber dem Führer der Bescblnss-Partei^ Eoloman Tisza, erlag, war
Ändrässy in diesem Sinne thätig. Doch dieser Reichstag wurde bald aufge-
löst und es wurde in Ungarn ein militärisches Provisorium etablirt. In nutz-
losen Experimenten und Versuchen, Ungarn für den Eintritt in den Wiener
Reichsrat zu gewinnen, erschöpfte Schmerling seine Staatskunst bis zum
Jahre 1865. In diesem Jahre, am 16. April, erschien der berühmte Osterartikel
Franz De&k's, woran Andr&ssy abermals wesentlichen Anteil hatte. Der
leitende Gedanke dieses Artikels war, dass Ungarn seine Hoffnungen in den
König setze und mit unerschütterlichem Vertrauen von ihm sein künftiges
Heil erwarte, im Uebrigen jedoch bereit sei, seine historischen Rechte mit
den Bedingungen der Sicherheit und Grossmachtstellung der Monarchie in
Einklang zu bringen und der Freiheit und dem Gonstitutionalismus der
österreichischen Kronländer keinerlei Hindernisse zu bereiten. Die nächste
Folge dieses Artikels war der Sturz Schmerling's ; der Conservative Georg v.
Majläth wurde zum ungarischen Hofkanzler, der ebenfalls conservative
Baron Paul Sennyey zum Tavernikus Ungarns ernannt, der ungarische
Reichstag wurde einberufen. Andrässy wurde zum Vice-Präsidenten des
Reichstages und zum Präsidenten der Adresscommission gewählt. Nun galt
es, die allgemein gehaltenen Ausgleichs-Ideen in concrete Formeln zu fassen.
Andrässy hielt dafür, dass die friedliche Wiederherstellung der 1848er Gesetze
nicht eher möglich ist, als eine praktische Lösung gefunden wird für die
Frage : in welcher Weise die gemeinsamen Angelegenheiten der Monarchie,
welche schon die 1848er Gesetze anerkannt hatten, von den beiden Legis-
lativen der Monarchie auf verfassimgsmässigem Wege behandelt werden
sollten ? Es stand für ihn fest, dass Ungarn, welches auf dem historischen
Rechtsboden des Dualismus steht, niemals einer Lösungsformel beitreten
werde, welche das Princip der nationalen Selbstständigkeit und des Dualis-
mus bis auf die Person des Herrschers, wo der Dualismus selbstverständlich
seine Grenze findet, nicht voll zum]] Ausdrucke bringt. Ferner müsse die Lö-
sungsformel dem Princip der Verfassungsmässigkeit angepasst werden, weil
sie sonst von der anderen Hälfte der Monarchie nicht angenommen, und
endlich den Interessen der Grossmachtstellung der Monarchie nach aussen
hin Rechnung tragen, weil sie sonst vom Könige zurückgewiesen werden würde.
Die Beweggründe aller drei Factoren, Ungarns, Oesterreichs und 8r. Majestät,
waren in gleicher Weise gerechtfertigt, wenn auch ihrem Ausgangspunkte
nach verschieden. Andrässy hielt dafür, dass Niemand berufener sei
Ungarns staatsrechtliche Forderungen auf historischer Grundlage darzule-
gen und mit Nachdruck zu vertreten, als Franz Deäk. Andererseits war
aber Andrässy auch davon überzeugt, dass der Nachweis für die Berechti-
gung der ungarischen Forderungen, selbst wenn er aufs glänzendste
geführt wird, allein für sich zur Ausgleichung der divergirenden Gesichts-
punkte nicht genüge, so lange für die Behandlung der gemeinsamen
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^?8 ÖRAl? JÜLUTS ANDRi(s8Y.
Angelegenheiten nicht eine Formel gefunden wird, welche dem Dualis^
mus und der Verfassungsmässigkeit in gleichem Maasse gerecht wird. In
diesem letzteren Punkte schienen die Hauptschwierigkeiten für eine
gedeihliche Lösung der obschwebenden Fragen zu liegen, darum beschäf-
tigte er sich hauptsächlich mit diesem Punkte. Andrässy im Vereine
mit Deäk arbeitete die Lösungsformel aus, welche dahin ging, dass die
gemeinsamen Angelegenheiten der beiden Staaten 7on Delegationen, die sich
als vollständig gleichberechtigte Körperschaften gegenüberstehen, vertreten
werden müssten. Der ungarische Reichstag hätte demnach eine bestimmte
Anzahl von Delegirten aus seinem Schosse zu wählen, die jedoch keinerlei
verbindliche Instructionen annehmen dürften. Jede der beiden Delegationen
bildet für sich eine selbstständige, abgeschlossene Körperschaft, die ihre Be-
ratungen gesondert hält. Dies ist der Ursprung der Delegations-Institution, die
seither fortbesteht und sich im Laufe der Jahre nur immer besser bewährt
In dem 67er Ausschusse, welchen der Reichstag zur Ausarbeitung des Aus-
gleichs-Elaborats am 3. März 1866 einsetzte und in der VQ^ diesem Aus-
schusse gewählten engeren Fünfzehner-Commission, deren Präsident er war,
teilte Andrässy mit Deäk die führende Rolle. Das Elaborat wurde fertig,
auch vor den Reichstag gebracht, doch war mittlerweile der österreichisch-
preussische Krieg ausgebrochen und der Reichstag am 26. Juni vertagt
worden. Nach dem böhmischen Feldzuge nahm die Ausgleichs-Action einen
raschen Gang, die Lösung der ungarischen Frage war nun eine brennende
Notwendigkeit geworden, und da ist es bezeichnend, dass Deäk und Andrässy,
weit entfernt, das Missgeschick des Hofes auszubeuten, nur die nämlichen
Forderungen, wie vor dem unglücklichen Kriege, geltend machten. Das
erwähnte Elaborat der Fünfzehner-Commission wurde in Wien als Grund-
lage des Ausgleiches angenommen, Andrässy am 17. Februar 1867 zum
Minister-Präsidenten Ungarns ernannt und mit der Bildung des verantwort-
lichen Ministeriums betraut. An diesem denkwürdigen Tage sprach Franz
Deäk in Gegenwart der Partei für die erfolgreiche Vertretung und Verdol-
metschung der Wünsche derselben und den um das Zustandekommen des
Ausgleiches bethätigten Eifer t seinem Freunde Andrässy, dem uns von der
göttlichen Vorsehung gegebenen providentiellen Manne, seinen Dank ansi.
Die Situation, welche Andrässy bei der Uebemahme der Regierung vor-
fand, war eine überaus schvnerige. Von dem ungarischen Staatswesen bestand
nichts als die Idee. Der Ausgleich selbst wurde von einer starken staatsrecht-
lichen Opposition heftig angefochten. Die Nationalitätenverhältnisse des
Landes waren überaus unerquicklich. Die Beziehungen zu Kroatien sollten
erst geregelt werden. Binnen kurzer Zeit jedoch gelang es Andrässy, den
Staat zu organisiren^ die ausgleichsfeindlichen Elemente zurückzudrängen,
die Einflüsse der österreichischen Militärpartei, welche der Selbständigkeit
Ungarns spinnefeind war, zu paralysiren, die Militärgrenze zu entmilitari-
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ÖRAB^ JtJLIXJS ANDRASSY. ^9^
siren, die Bewegung der Serben und Rumänen zu dämpfen, die kroatische
Frage zu lösen. Unter seiner glücklichen Hand bestanden die gemeinsamen
Institutionen die erste Probe. Die Armee wurde auf Grundlage, der allge-
meinen Wehrpflicht organisirt und die ungarischen Honv^ds atif vollkom-
men nationaler Grundlage wiederhergestellt Andr^y hat das Programm
Szechenyi's wiederbelebt : er schuf die vereinigte Hauptstadt und legte den
Grundstein zu der künftigen Grösse Budapests nieder.
Wichtiger jedoch für die allgemeine europäische Politik und für die
Geschicke der Monarchie ist die Art und Weise, wie Andrässy den gesetz-
Uchen Einfluss Ungarns auf den Gang der auswärtigen Angelegenheiten
ausübte. In dem entscheidungsschweren Jahre 1870 war es Andrässy^ der
gegenüber den abenteuerlichen Plänen Beust's die Neutralität der Monarchie
verfocht und durchsetzte. Die Stellung Beust's war durch sein Verhalten in
der von Bussland aufgeworfenen Pontusfrage und durch seine Zweideutig-
keit gegenüber den föderalistischen Experimenten Hohenwarts, welche eben-
falls von Andrässy zum Scheitern gebracht wurden^ unhaltbar geworden,
und Andrässy wurde am 13. November 1871 zum gemeinsamen Minister
des Auswärtigen und des kaiserlichen Hauses ernannt. Auch bei Antritt
dieser Stellung fand Andrässy eine höchst unerquickliche Situation vor. Die
Monarchie war vollständig isolirt, von teils misstrauischen, teils feindseligen
Mächten umgeben; aus der alten historischen Position in Italien und
Deutschland hinausgedrängt, schien sie die Grundlage und Ziele ihres
Bestandes inmitten der neuen Machtverhältnisse verloren zu haben.
Andrässy hatte den Mut^ nicht nur an der Existenzberechtigung Oester-
reichs^ sondern selbst an seiner grösseren Zukunft nicht zu zweifeln. Er war
vom ersten Augenblick an darüber im Klaren, dass dieselbe nicht im Zurück-
greifen nach Verlorenem^ sondern im Ausgreifen nach dem natürlichen
Gravitationspunkt der Ostmark, nach dem Osten zu suchen sei. Es ist
Andrässy's Verdienst, dass die Monarchie vom Jahre 1872 ab auf alle deut-
schen und italienischen Aspirationen definitiv verzichtet und eine klare
Orientpolitik inaugurirt hat, ohne in einen Conflict mit Bussland zu gera-
ten, als dessen offener Bivale im Orient sie mit Erfolg auftrat. Andrässy
war es, der die Orientpolitik Oesterreichs in ganz neue Bahnen lenkte, indem
er als Ungar den Mut hatte, sieh von dem Dogma, dass die Türkei um
jeden Preis zu erhalten sei, loszusagen. Er trat im Verein und Wetteifer
mit Bussland offen als Protector der Emancipation der christHchen Balkan-
völker auf, welche sich bis dahin gewöhnt hatten, in Oesterreich den prin-
dpiellen Feind auch ihrer gerechtesten Ansprüche zu sehen; er suchte
aber auf demselben Wege auch den Verfall der Türkei aufzuhalten, indem
er ihr zu Beformen riet, welche geeignet waren, jene Völker dem russischen
Einfluss zu entziehen. Hierin gipfelte die Politik, welche Andrässy vom
Anbeginn bis ans Ende seiner Thätigkeit als Minister des Auswärtigen ver-
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^ÖO OÄAP itJUUS AKDrIssY.
folgte. Seine zweite grosse Idee, an der er in allen Phasen seiner Action
unverbrüchlich festhielt, war der Gedanke einer Allianz mit Deutschland.
«Die klare und aufrichtige Friedenspolitik •, welche er in seiner Cir-
culamote bei der Uebemahme der auswärtigen Geschäfte proclamirte,
machte bald genug Eroberungen. Allmälig tritt die Monarchie aus dem Zu-
stande der Isolirtheit heraus. Sollte die Annäherung an Deutschland voll-
zogen werden, so musste man auch die Entfremdung zwischen Oesterreicb-
Ungarn und Bussland überwinden, denn das deutsche Reich stand in engen
Beziehungen zu Bussland. Im Jahre 1872 kam die Drei-Eaiser-Entente zu
Stande, welche in der Folge allerdings nach Aussen den Schein gewann, den
russischen Orientplänen zugute zu kommen ; allein mit der Annäherung an
Bussland war der erste Schritt zur Anbahnung des freundschaftlichen Ver-
hältnisses mit dem deutschen Beich gethan. 1 875 wusste Andrässy den Kaiser-
König Franz Josef, dessen Heroismus in der Pflichterfüllung noch keiner
seiner Minister besser erkannt hatte, zum Besuche Victor Emanuels in Vene-
dig zu bestimmen. Diese Beise legte den Grund zur späteren Ausdehnung des
deutsch-österreichisch-ungarischen Bündnisses auf Italien. Bussland gegen-
über hat Andrässy nicht nur in seiner allgemeinen Haltung, sondern auch in
den auftauchenden concreten Fragen der allerkritischesten Natur jene Stim-
men Lügen gestraft, die seinen Amtsantritt mit der Losung «Bevanohe für
Vilägosi begrüssten. Er hatte in allen seinen Handlungen einzig und allein
das Interesse der Monarchie vor Augen. Von diesem geleitet, nahm er im
serbisch-türkischen Kriege (1876) eine neutrale Stellung ein, und hinderte
die Bussen nicht an dem Kriege gegen die Türkei. Aber die vielfache An-
nahme, dass in Beichstadt eine Art Teilung der Türkei besprochen wurde,
ist durch die Thatsachen widerlegt. Bussland hätte sich auf dem Congresse
gewiss nicht die eroberten Balkanländer entreissen lassen, wenn es ein von
Deutschland mitsignirtes Versprechen Oesterreich- Ungarns besessen hätte.
Die Mission des Generals Sumarakoflf (1877), deren Ziel war, Oesterreich-
Ungam zur Cooperation gegen die Türkei zu bewegen, scheiterte an dem Wider-
stände Andrässy's, der es hiebei nicht unterliess, Bussland vor diesem Kriege
eindringlich zu warnen : auch dies kann als Beweis angesehen werden, dass
in Beichstadt nichts gegen die Türkei beschlossen wurde. Wohl aber scheint
Andrässy seine ganze Politik darauf gerichtet zu haben, dass der Orientkrieg
sich nicht auf Oesterreich-Ungam entlade, dass aber das Habsburger Beich
seine Orientinteressen auf politischem Wege zur Geltung bringe. Diese Politik,
die nach Andrässy's Auffassung ebenso gelten musste, wenn Bussland siegte,
wie wenn es unterlegen wäre, hatte fast die gesammte öffentliche Meinung
gegen sich, aber den Erfolg für sich. Nach dem Fall von Plewna dictirte
Bussland der Türkei bei San Stefano Bedingungen^ die Oesterreich-Ungam
verwerfen konnte : denn die decimirte russische Armee hatte, sobald sie
Konstantinopel occupirte, die englische Flotte vor sich und die intacte
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GRAB* JULIUS ANDRASSY. 28l
HeeresmachtOesterreich-Ungarns hinter sich. Andrässy widerstand der Versu-
chung^ diese Position zu einem Kriege auszunützen, dessen Erfolg sicher war;
er begnügte sich mit dem weniger glänzenden, aber auch weniger gefährli-
chen Erfolg, Bussland vor das europäische Forum zu citiren. Das siegreiche
Zarenreich musste der Ladung zum Berliner Gongress folgen, wo Andrässy
anscheinend unter deutscher Patronanz, die leitende Bolle spielte. Es gelang
ihm, von Europa das bedingungslose Mandat zur Besetzung Bosniens zu
erwirken, während sich Bussland verpflichten musste, die von ihm besetzten
Teile der Türkei binnen Jahresfrist zu räumen : ein Besultat, das überall
mehr gewürdigt wurde, als in Oesterreich-Ungam. Hier war die öflfentliche
Meinung nach den wiederholten Versicherungen der offiziösen Presse, dass
die Occupation Bosniens nicht der Endzweck der österreichisch-ungarischen
Politik sei, desorientirt, durch die Schwierigkeiten und vielfach überschätzten
Opfer der Occupation selbst erbittert und durch den Wahn erschreckt, dass
das Ausgreifen nach slavischen Gebieten den Dualismus, die Herrschaft des
deutschen und magyarischen Elements, bedrohe. Andrässy hatte harte par-
lamentarische Kämpfe zu bestehen, aus denen er, unter Aufopferung seiner
einst unermesslichen Popularität, siegreich hervorging, allerdings mit
dem Entschlüsse, sich solchem Bingen nicht wieder auszusetzen. 1879
reichte er seine Demission ein und hielt sie trotz des Drängens seines
Monarchen aufrecht. Aber noch als demissionirter Minister vollführte er die
bedeutsamste seiner Thaten : er schloss mit Fürst Bismarck, der auf die
Nachricht von Andrässy's Bücktritt nach Gastein geeilt war, das deutsch-
österreichisch-ungarische Bündniss. So hinterliess er die Monarchie, deren
Eiistenz bei seinem Amtsantritt fraglich schien, in einer Position neuen
Ansehens und gemehrten Prestiges.
Er selbst trug den Keim der Krankheit, die ihn zehn Jahre später, am
18. Februar 1890, dahinraffen sollte, bereits in sich. Er hörte jedoch nicht auf,
sich als Privatmann und Parlamentarier an den öffentlichen Angelegenheiten
ratend und controllirend zu beteiligen. Vieles, was seither auf dem Gebiete
der äusseren und inneren Politik Oesterreich-Ungams geschah, vielleicht noch
mehr, was nicht geschah, ist auf seinen Einfluss zurück zu führen. Sein
Bücktritt hat ihm nichts von seiner Bedeutung genommen und ihm seine
Beliebtheit zurückgegeben. Er blieb auch seither immerfort der Batgeber
des Königs und des Landes, und in kritischen Augenblicken war sein Wort
entscheidend für die Bichtung, die eingeschlagen werden sollte. In der stür-
mischen abgelaufenen Wehrdebatte vor zwei Jahren war es Andrässy, der
die Krone über die Berechtigung des Wunsches der Nation aufklärte, wäh-
rend er zu gleicher Zeit im Oberhause das System der gemeinsamen Armee
verteidigte. Nebstdem hatte er stets ein reges Interesse für unser gesell-
schaftliches und Kunstleben, für jede Bewegung auf dem Gebiete unserer
Volkswirtschaft und unserer Cultur, — für die Angelegenheiten der unga-
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^^2 (j^AF JttLItTR ANDRjCsRt.
rischen Akadeniie der Wissenschaften aber ganz besonders ein warmes
Herz. Unter seiner Premierschaft hat die Gesetzgebung die Staatssnbvention
für die Akademie systemisirt. Seine am 10. Juni 1876 erfolgte Wahl zum
Directionsmitgliede nahm er freudig an, und nach seiner Heimkehr aus
Wien liess er vielmals in den Beratungen der Akademie seine entschei-
dende Stimme vernehmen. Im Jahre 1888 wurde er zum Ehrenmitglied der
n. Glasse gewählt, und er erschien fleissig zu den Classensitzungen. Nach dem
Heimgänge Treforts wurde er 1 889 für die Präsidentschaft der Akademie
candidirt, er konnte jedoch aus Bücksicht auf seinen Gesundheitszustand
diese Würde nicht annehmen.
Anlässlich seines Todes bezeugte die Akademie ihre Verehrung für den
Heimgegangenen auch dadurch, dass sie ihre Säulenhalle für die Aufbah-
ruDg des Leichnams zur Verfügung stellte. Von hier wurde er am 21. Februar
1890 zur ewigen Buhe bestattet. Seit dem Hinscheiden Franz Deäk's gab es
keine Trauerkundgebung, die derjenigen glich, mit welcher der Verlust
Andrässy's beweint worden ist. *
VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890.
Gelesen in der aiiflserordentlichen Sitzung der ungarischen Akademie der Wissen-
schaften am 11. Februar 1891.
Wie der sorgsame Landwirt und Kaufmann von Jahr zu Jahr sein In-
ventar macht und sich Klarheit schafft über sein Vermögen, dessen Hebung
oder Bäckgang die Bilanz ausweist, so inventirt auch der Staat von Zeit zu
Zeit seinen wertvollsten Besitz, die Bevölkerung. Was jedoch der Einzelne
von Jahr zu Jahr ausfährt, vollbringt der Staat, dem ein längeres Leben be-
schieden ist, nur in jedem zehnten Jahre. Auch Ungarn macht, getreu den
internationalen Bestimmungen, am letzten Tage jedes ablaufenden Jahr-
zehntes seine Bevölkerungs-Bilanz ; — so hat es auch um Mittemacht des
31. Decembers 1890, zum dritten Male seit Wiederherstellung der selb-
ständigen ungarischen Begierung, gethan.
Die vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung, welche im statistischen
Landesbureau zusammengestellt werden, habe ich zunächst dem mit der
Durchfährung des die Volkszählung verordnenden Gesetzes betrauten Mini-
ster in amtlicher Vorlage mitgeteilt, der dieselben wieder Sr. Majestät,
* Diesen auf den verläaslichsten Informationen beruhenden Nekrolog, der aus
der Feder eines Mannes stammt, der dem grossen Staatsmann nahegestanden, ent-
nehmen wir dem Feber Hefte des «Anzeigerat (Ertesitö) der Ungar. Akademie. D. Bed.
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VORLÄUFIGE ERGEBNlBSfe DER VOLKSZÄHLUNG 1890. ^S^i
unserem für das Glück und den Fortschritt seines Volkes warm fühlenden
gekrönten Könige unterbreitet hat.
Hier, in der ungarischen Akademie der Wissenschaften^ bringe ich nun
diese Elrgebnisse zur Eenntniss der ganzen Nation, welche dieselben gewiss
mit Freude und Genugthuung empfangen wird. Denn wir haben an Zahl
und an Kraft zugenommen. Die Bevölkerung des ungarischen Reiches ist in
dem verflossenen Jahrzehnte um 10 Percent angewachsen, d. h. die Civil-
bevölkerung der Länder der St. Stefanskrone hat 17 Millionen überschritten!
Wenn wir das activ dienende k. u. k. Militär mit 91,396, die kön. ungarische
Honved mit 16,074 und die kön. ung. Gendarmerie mit 6306, insgesammt
mit 113,776 Mann hinzurechnen, so hebt sich die Zahl der thatsächlich An-
wesenden auf 17.449,705, sie beträgt also rund 17 Vi Millionen.
Diese Ziffer hat eine grosse, eine riesige Bedeutung, denn darin, dass
die Bevölkerung unseres Vaterlandes um mehr als anderthalb Milhonen zu-
nahm, spiegeln sich sämmtliche politischen, volkswirtschaftlichen und sani-
tären Errungenschaften des vergossenen Jahrzehntes wider. Vergleichen wir
nur die jüngste Vergangenheit mit der Gegenwart und wir werden uns von
der Wahrheit meiner Behauptung überzeugen. Mit welch drückenden, ja
niederschmetternden Gefühlen war ich gezwungen, meinem geehrten Audi-
torium vor 10 Jahren von derselben Stelle aus zu gestehen, dass Ungarns
Bevölkerung in dem Jahrzehnt 1870 — 1880, ja, richtiger seit 1869, also in
eilf Jahren von 15.417,000, nur auf 15.610,000 Seelen gestiegen ist, so dass
der Zuwachs kaum 1 V* Percent betrug und einem Jahresdurchschnitt von
kaum 0*1 1 Percent entsprach. Wohl fallen in diese traurigen unvergesslichen
siebziger Jahre ausser der Handelskrise die Cholera, die unfruchtbaren Jahre,
die üeberschwemmungen u. s. w. und alle Kämpfe und Opfer der volkswirt-
schaftlichen Beconstruction.
Die anwesende bürgerliche Bevölkerung betrug :
Im Jahre 1890 Im Jahre 1880 Also im Jahre 1890 mehr
In Ungarn 15.122,514 13.728,622 1.393,892 = 10-15 Vo
In Fiume und dessen Gebiet 29,001 20,981 8,020 = 38-22 %
In Kroatien-Slavonien 2.184,414 1.892,499 291,915 = 15'42 7o
Insgesammt im UDgsr. Reich 17.335,929 15.642,102 1.693,827 = 10-82 Vo
Es ist natürlich, dass die Bevölkerungsverhältnisse in einem so grossen,
ge<^raphisch und volkswirtschaftlich so verschiedenartigen und 322,000
Quadrat-Kilometer übersteigenden Staat wie Ungarn weder einen gleichen
Zustand, noch eine gleiche Zunahme aufweisen können. Wir können
uns also besser orientiren, wenn wir das ungarische Mutterland, von
welchem ich in erster Beihe sprechen will, wenn auch nicht nach Gomitaten,
welche schliesslich nur politische oder administrative Begriffe sind, so doch
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'^^ VORLÄUFIGE ERGJfeBkiSSE DER VOLKSZAHLUNG 18Ö0.
nach natorgemäss gebadeten Gruppen betrachten und die Bevölkerung so
untersuchen.
Die anwesende bürgerliche Bevölkerung betrug :
Im Jahre 1890 Im Jahre 1880 Im Jahre 1890 also mehr
Am linken Donaimfer ... 1.875,140 1.752,04.9 123,091 = 7-02%
« rechten € 2.751,357 2.566,946 184,411 = 7-15%
Zwischen der Donan und derTheiss 2.757,635 2.343,384 414,251 = 17*67 %
Am rechten Theissufer .,. ... 1.516,991 1.440,028 76,963= 5*34%
€ Unken € 2.068,027 1.820,855 247,172=13-57%
Im Donau-Maros- Winkel 1.906,315 1.721,312 185,003=10-74%
In den siebenbürgischen Comit aten 2.247,049 2.084,048 163,001 = 7-82%
Insgesammt 15.122,514 13.728.622 1.393,892 = 10-15%
Am stärksten ist die Zunahme also zwischen der Donau und der
Theiss: 17*67 Percent; dann kommen die Gomitate am linken Theissufer
mit 1 3*57 Percent. Beide Gegenden sind H^uptsitze des Ungartums. Aber
auch in dem etwa 90 Percent Ungarn besitzenden Comitat Borsod beträgt
die Zunahme 12*03 Percent, im Donau-Maros- Winkel, in Gs&n&A, wo nahezu
70 Percent der Bevölkerung Ungarn sind, beläuft sich die Zunahme auf
nahezu 20 Percent. Eine Stagnation kommt blos im Comitat Abauj-Toma
vor, wo die Bevölkerung beinahe dieselbe ist, wie vor 10 Jahren. Ein Rück-
fall ist nur in drei Municipien wahrzunehmen : im Wieselburger Comitat um
715Seelen, im Säroser Comitat um 494 und im ZipserComitat um 8793Seelen.
In allen vier Comitaten war die Auswanderung nach Amerika erwiesen,
welche nur im Zipser Comitat grössere Dimensionen angenommen hat, wo
die Abnahme der in ihrer Heimat keinen gehörigen Erwerb findenden Be-
völkerung wahrscheinlich dem Verfall des Bergbaues zuzuschreiben ist.
Wenn wir auch innerhalb der Comitate kleinere Flächen und auch die
Kreise in Betracht ziehen, zu welchen auch die Städte mit geordnetem Ma-
gistrat gehören, so können wir noch an mehreren Orten eine Verminderung
der Bevölkerung finden, was aber die Zunahme der in gesunderen Verhält-
nissen befindlichen Kreise wieder ausgleicht Ein Beispiel hiefür ist das
Säroser Comitat. Die Bevölkerung desselben hat um 494 Seelen abgenommen,
welcher Umstand der continuirlichen Auswanderung nach Amerika zuzu-
schreiben ist. Dies geht aus der Thatsache hervor, dass die Abnahme aus-
schliesslich auf die Kreise Also- und Felsö-Tarcza entfällt, wo die Auswande-
rung später begonnen hat, während in den übrigen Kreisen des Comitates
eine geringe Zunahme sich zeigt, weil in diesen die Auswanderung schon im
Jahre 1879 begonnen hat und schon in der 1880er Volkszählung zum Aus-
druck gekommen ist.
Die Bevölkerung der Stadt Werschetz ist um 500 Seelen zurückge-
gangen. Der Bürgermeister dieser Stadt sagt hierüber: «Im Jahre 1880 er-
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VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 189t). 285
freute sich der Weinbau noch der schönsten Blüte, weshalb damals noch
viele fremde Taglöhner in unserer Stadt wohnten und bei der damaligen
Volkszählung mitgerechnet wurden. Seither hat die Phylloxera solch schreck-
liche Verheerungen angerichtet, dass das Weinbau-Terrain von 9000 Joch
auf 2600 Joch zurückgegangen ist. Es liegt auf der Hand, dass demzufolge
nicht nur die überflüssig gewordenen Taglöhner fortgezogen sind, sondern
auch die zugrunde gegangenen Weingartenbesitzer zu Hunderten teils nach
anderen Gemeinden, teils nach dem Auslande (Bulgarien, Serbien, Amerika)
ausgewandert sind.»
Hier haben also locale Ursachen zur Verminderung der Bevölke-
rung geführt. Zu diesen localen Ursachen zählt an vielen Orten auch die
Verlegung der Garnisonen. Die Verheerungen der Phylloxera möchte ich
indessen nicht zu den localen Ursachen zählen, vielmehr betrachte ich sie
als ein das ganze Land betrefifendes Uebel. Ich werde kaum fehlgehen, wenn
ich behaupte, dass in dem jenseits der Donau gelegenen, so hervorragenden
Teile des Landes, welcher im Jahre 1880, als in vier grossen Gegenden des
Landes die Bevölkerungsziffer eine Abnahme zeigte, doch um 6 Percent zu-
genommen hatte, die jetzige, blos 7*18 Percent betragende Zunahme dieser
Landes-Calamität zuzuschreiben ist.
Die eingelaufenen Volkszählungsdaten sind noch nicht aufgearbeitet
und so kann ich nicht untersuchen, was für eine Bevölkerung es ist, welche
beispielsweise die Zunahme in Slavonien herbeigeführt hat. Da ich aber
weiss, dass auch am Plattensee die Weingärten dem Verderben verfallen sind
und da ich sehe, dass die Bevölkerung des Veszprimer Gomitates kaum um
3 Percent, die der Somogy kaum um 6 Percent zugenommen hat, liegt der
Schluss nahe, dass Viele von ihrem verheerten Weingarten- Gebiet anders-
wohin gezogen sind. Wenn nämlich die gut situirten Alfölder Comitate,
welche im Jahre 1880 um 100,000 Seelen abgenommen hatten, jetzt eine
Zunahme von 10 bis 15 Percent und mehr zeigen, so scheint es unmöglich,
dass nicht auch die wohlhabenden Comitate jenseits der Donau in demselben
Verhältnisse zugenommen haben sollen. Wohl gibt es einen abscheulichen
Grund, welcher besonders im Somogyer Comitat und merkwürdigerweise
unter den Beformirten in trauriger Weise der natürlichen Zunahme Eintra
thut, doch will ich diese Ursache hier nicht des Näheren erörtern ; ich gehe
vielmehr zu den erfreulicheren Seiten der Volkszählung über.
Hieher gehört vor Allem die Zunahme der Bevölkerung der Städte,
dieser Brennpunkte der Intelligenz unseres Volkes. Schon bei Vorlage der
Resultate der 1880er Volkszählung habe ich die Populations- Verhältnisse
unserer 143 Städte besonders gewürdigt. Seitdem haben sich einige kleinere
Städte mit geregeltem Magistrat in Grossgemeinden umgestaltet und figu-
riren somit nicht mehr in den Listen. In den übrig gebliebenen 136 Städten
hat sich die Bevölkerung, welche insgesammt 2.130,294 Seelen betrug, auf
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28«
VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890.
2.451,136 Seelen erhöht, was einer 15'06percentigen Zunahme entspricht.
Dass Budapest, die blühende Hauptstadt unseres Vaterlandes mit einer Zu-
nahme von 37*19 Percent an erster Stelle steht, ist aus den in den Blättern
veröffentlichen Yolkszählimgs-Resultaten bereits bekannt. Weniger bekannt
dürfte die Thatsaohe sein, dass nach Budapest den höchsten Percentsatz die
Stadt Marmaros-Sziget aufweist, deren Bevölkerung während des letzten
Decenniums von 10,000 sich auf ungefähr 15,000 Seelen, d, i. um 36*34
Percent vermehrt hat. Mit Freude könnten wir dieses Factum begrüs-
sen, wenn wir es der natürlichen Entwicklung der Stadt zuschreiben
dürften, doch glaube ich, dass diese staunenswerte Zunahme mehr den
gewissenlosen und gewaltsamen Massregeln Busslands zuzuschreiben ist, —
und ich überlasse den PoUtikem die Beurteilung der Frage, ob das
Hereinströmen dieser aus einem anderen Staate verdrängten Vermögens-
und erwerbslosen Volksschichten für unser Vaterland als vorteilhaft ange-
sehen werden kann.
Eine Zunahme von über 30 Percent weisen nur noch die Städte Alt-
sohl und Eaposvär auf, was bei beiden mehr auf locale Ursachen zurück-
zuführen ist, indem dieses Ergebniss namenthch bei der Stadt Altsohl durch
den Umstand zu erklären ist, dass sie zum Mittelpunkte eines grossen Eisen-
bahnnetzes gemacht wurde. Auch Miskolcz zeigt eine Zunahme von 25*19
Percent, was wir der naturgemässen Entwicklung dieses den Hiuidel zwischen
Unter- und Oberungam vermittelnden commerziellen Emporiums verdanken.
Ausserdem ergeben noch 6 Städte eine mehr als 20 Percent betragende Zu-
nahme der Bevölkerung, darunter Grosswardein, Steinamanger und Zalh-
Egerszeg ; unsere grossen Agrarstädte des Alföld haben im Durchschnitte
um 15 — 18 Percent an Bevölkerung zugenommen.
Im Allgemeinen haben wir ausser den genannten noch 1 1 Städte, die um
15—18 Percent, 1 9 Städte, die um 11 — 15 Percent und 8 Städte, die um mehr
als 10 Percent zugenommen haben, wobei nur solche Städte in Bechnung
gezogen wurden, die zugleich eine Bevölkerung von mehr als 5000 Seelen auf-
weisen. Von wesentlicherer Bedeutung ist, dass von unseren grösseren Städten
mehrere in eine höhere Volkszählungs-Kategorie eingetreten sind, denn nur
das dichtere Zusammenwohnen kann einer Gemeinde den städtischen Cha-
rakter verleihen. Es waren :
Städte mit über
5,000 Seelen
10,000
i20,000
30,000
40,000
50,000
60,000
70,000
80,000
100,000
Im Jahre 1890
30
30
19
8
4
3
1
\
1
Im Jahre 1880
34
33
20
3
2
2
1
1
1
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VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890. 287
Die Zahl der Städte mit einer Einwohner-Zahl von 5000 bis 20,000
war im Jahre 1880 noch eine grössere; indem aber die Bevölkerung in den-
selben zugenommen hat, vermehrten sie die folgenden Kategorien. So ist die
Stadt Arad von 30,000 auf 40,000, in die 50,000 die Städte Pressburg und
Debreczin, in die 70,000 Szabadka, in die 80.000 die Stadt Szegedin ge-
stiegen.
Die Stadt Fiume hat um mehr als 8000 Seelen zugenommen ; doch ist
auch Kroatien Slavonien hinsichtlich der Zunahme der Bevölkerung nicht
hinter dem Mutterlande zurückgeblieben. Agram und Mitrovitz ergeben eine
Zunahme von über 30Vn, (Agram = 31 '63^/0), Belovar und Brood über
20^/^ Karlovitz und Sissek 10— 12o/o. Dagegen hat Karlstadt um ^2'8lVo
abgenommen, was aber der fehlerhaften Gonscription zugeschrieben wird,
deren Bectification soeben im Zuge ist. Die drei Littoralstädte Buccari,
Zengg und Carlopago sind in ihrer Bevölkerung auch schon von 1870 auf
1880 zurückgegangen ; im letzten Jahrzehnt gestalteten sich hier die Ver-
hältnisse noch trauriger. Es scheint, dass die starke Zunahme der Städte
Triest und Fiume diesen kleineren Hafenstädten nicht günstig ist Yerhält-
nissmässig hat die Bevölkerung der Nebenländer sich stärker vermehrt, als
die des Mutterlandes, denn die im Jahre 1880 constatirte Givilbevölkerung
mit 1.892,499 Seelen ist bis 1890, wie wir gesehen, auf 2.184,144 Seelen
gestiegen, was 15*42 Vo entspricht, dem nur 10*157o betragenden Zuwachs
des engeren Ungarn gegenüber. Diese Ziffer entspringt aber nicht blos aus
dem Geburtsplus des dortigen Volkes. Der eifrige und strebsame Leiter des
Agramer statistischen Amtes Dr. Zoricsics trachtete vor der fac tisch durch-
geführten Zählung im Wege der (Kombination der Daten der Populations-
bewegung die annähernde Bevölkerungszahl der dortigen Comitate zu erfor-
schen. Dies ist ihm auch ziemlich gut gelungen. Nur in vier Comitaten,
namentlich in Pozsega, Belovar, Kreuz und Veröcze überstieg die factisch
ermittelte Bevölkerung die ausgerechnete um beinahe 55,000 Seelen. «Und
eben dies sind jene vier Komitate — sagt er selbst — , in welchen die Ein-
wanderung aus Ungarn, Böhmen und Mähren, wie auch aus anderen Comi-
taten Ejroatien-Slavoniens vor längerer Zeit begonnen hat, und auch jetzt
noch ständig oder zum grossen Teil anhält.»
Wer sieht nicht in diesen Populationsdaten der benachbarten Neben-
länder die Quelle einiger geringerer Zunahmen unserer transdanubischen
Comitate, da der Umstand bekannt ist, auf welchen auch schon die Gesell-
schaft ihr Augenmerk gerichtet hat, dass die Bevölkerung dieser Gegenden sich
insbesondere in Slavonien niederlässt, in diesem Complex, welcher aus Co-
mitaten besteht, die vor noch nicht gar langer Zeit ungarisch waren.
Wird man dort drüben — was ich übrigens eben unter unseren heu-
tigen politischen Verhältnissen eher glaube, als wir es noch vor Kurzem
hoffen konnten — im Sammeln der auf die Muttersprache bezüglichen Daten
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288
VORLÄÜFIGK ERGEBNISBE DER VOLKSZÄHLUNG 1890.
80 gewissenhaft vorgehen, wie dies bei uns geschehen ist? In diesem Falle
wird es nach der Aufarbeitung der Details nicht eben überaus schwer sein,
unsere engeren Landsleute auch jenseits der Drau zu finden.
Denn ein anderes Mittel als die Sprache steht uns nicht zur Verfügung,
um die ungarische Nationalität festzustellen ; wenn wir aber dieses Mittel,
frei von jeder chauvinistischen Absichtlichkeit, richtig anwenden, kommen
wir der Ermittlung dessen sehr nahe, wieviel wir Ungarn sind ?
Ich weiss sehr gut, dass diese Frage meine geehrten Zuhörer am
meisten interessirt. Ich leugne es nicht, dass auch ich in erster Reihe dies
ergründen wollte. Da jedoch die sprachlichen Verhältnisse nur nach mehr-
maligem Durchsehen und combinirtem Vergleichen der mehr als 17 Millionen
Zählzettel ermittelt werden können, habe ich eine einigermassen conjecturale
Berechnung angewendet, über deren Unschitldi^keit ich übrigens sofort
Rechenschaft geben werde, wobei ich im vorhinein überzeugt bin, dass mich
Niemand einer parteiischen Schönfärberei zeihen wird. '^
Bevor ich jedoch auf diesen interessanten und zu^^^^ letzten Teil
meines Vortrages übergehe, ist es meine Pflicht, auf noch eim^^orteilhafte,
ebenfalls bei diesem Anlasse ermittelte Thatsache hinzuweisen, wP^ welcher
ausser der ziffermässigen Zunahme unseres Volkes auch die Ve^^^B^'^^"
zunähme desselben gefolgert werden kann. Dies ist die Zahl der ^^user,
welche bei der letzten Zählung ebenfalls gesammelt wurde.
Betrachten wir daher dieses Verhältniss näher und sehen wir die
der Häuser ; diese war :
Im Jahre 1890 Im Jahre 1880
In Ungarn 2.543,086 2.299,366
In Fiume und Gebiet 1,831 1,503
In Kroatien-Slavonien 3i4,565 27 6,5 54
Zusammen
Im J. 1890 mehr
243,720
328
68,011
2.889,482 2.577,423 312,059
Diese absoluten Ziffern zeigen uns nur in geringem Maasse den rich-
tigen Weg. Der Vergleichbarkeit wegen müssen wir auch hier zu den Per-
centen unsere Zuflucht nehmen und die gewonnenen Besultate auch mit den
Percenten der Populationszunahme vergleichen. Dann finden wir, dass die
Zunahme
der Häuser der Population
.. 10-59 Vo 10-15 %
21-82 Vo 38-22 %
^.._ 24^59%^ 15-42%
12-18 %
in Ungarn _ ...
in Fiume nnd Gebiet ._
in Kroatien-Slavonien
im Durchschnitt
\
i
10-82 Vo betragen hat.
Und wie beredt sprechen diese Zahlen ! Anscheinend präsentirt sich
das Mutterland am ärmsten, insofern hier zwischen der Vermehrung der
Bevölkerung und der Steigenmg der Häuserzahl kaum ein halbes Peroent
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VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890. 289
Unterschied ist. Wir lassen Fiume bei Seite, wo die Zunahme der Häuser
hinter der der Bevölkerung um 16*4 Percent zurückblieb, was daraus erklär-
lich ist, dass in Fiume, hervorgehend aus dem Charakter der Hafenstadt,
auf engem Baume mehrere Stockwerke hohe Häuser erbaut werden. Das
grössere Fercentuale Ejroatien-Slavoniens, wo die Bevölkerungszunahme
ebenfalls um 9*17 Percent überschritten ist, macht uns nicht irre; hier
kommt die früher erwähnte Golonisation und Einwanderung zum Ausdruck,
da neue Ankömmlinge zuerst für Wohnhäuser Sorge tragen müssen.
Es gibt auch bei uns Comitate, z. B. Hont, Neutra, Baranya, Weissen-
burg, Tolna, Bäcs, Gsongräd, Bekes, sogar ganze Landesteile, wie das Donau-
Maros-Eck und die siebenbürgischen Comitate, in welchen das Häuser-
zunahme-Percentuale das der Bevölkerungszunahme übersteigt. Wenn wir
aber bedenken, dass im ganzen Lande nur in Wieselburg die Häuserzahl
um 0*83 Percent abnahm, während sich in dem an Bevölkerung stagniren-
den Abauj-Toma die Häuserzahl doch um 0*94 Percent, in den abnehmen-
den Comitaten Säros und Zips die Häuserzahl doch um 6*23 Percent bezie-
hungsweise 6*33 Percent hob, müssen wir zu der Ueberzeugung kommen,
dass die Auswanderung sich nicht in sehr tiefe Schichten erstreckte, und dass
das Volk die Auswanderung nur als Erwerbsquelle betrachtet und weniger
aus Expatriirungsabsicht das Vaterland verlässt. Diese Ansicht scheint noch
ein anderer Umstand zu rechtfertigen.
In Ungarn entfallen 1031 Frauen auf je 1000 Männer. Nach meinen
früheren Untersuchungen habe ich klargestellt, dass die westeuropäische
Proportion zwischen den Geschlechtern die Mitte Ungarns durchschneidet ;
in der westlichen Hälfte unseres Vaterlandes gilt eine der westeuropäischen
Proportion ganz gleiche, während in der östlichen, insbesondere unter den
beiden griechischen Confessionen, das umgekehrte Verhältniss immer mehr
zum Vorschein kommt. Hier überschreitet die Anzahl der Frauen die der
Männer nicht, sie erreicht sie nicht einmal, so zwar, dass in einigen Comi-
taten, z. B. in Krassö-Szöreny, Besztercze-Naszod, Csik, Hunyad und Udvar-
hely auf je 1000 Männer kaum 950—980 Frauen entfallen.
Wenn wir nun in Erfahrung bringen, dass in dem als stagnirend cha-
rakterisirten Abauj-Torna 1 147, in dem an Bevölkerung abnehmenden Zipser
und Säroser Comitat 1136 und 1163 Frauen auf je 1000 Männer entfallen,
müssen wir folgern — und diese Erfahrung machte ich bereits im Jahre 1881,
als die Auswanderung noch nicht so sehr in Mode war — , dass die
männliche Bevölkerung nur zeitweilig in andere Comitate oder Länder zieht
oder sogar über den Ocean geht, dass sie also mit nur wenigen Ausnahmen
ihr Vaterland nicht endgiltig zu verlassen gedenkt, sondern zu ihren Lieben
zurückkehrt, für die auch unter dem groben Eotzentuche ihr Herz warm
schlägt, und dass sie durch die zeitweilig auf sich genommene freiwillige
Verbannung das Schicksal ihrer daheimgebliebenen Familie verbessern
Ungarische Beme, XI. 1801. IV. H^tt, |9
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290 VORLÄUFIGE EBGEBNI8SE DER VOLKSZÄHLUNG 189a
will. — Es ist daher kein Grund zu grosser Besorgniss über das Verkommen
unserer Bevölkerung, wohl aber örund^ uns über die Zunahme des Magya-
rentums zu freuen.
Woher ich dies weiss? Ich habe es schon eingestanden, — nicht aus
der Zählung der Zählkarten ; ich schliesse es auch nicht aus der zehnjährigen
Wirkung des Gesetzes, welches die ungarische Sprache in die Volksschule
einführte und mit welchem wir wohl in Städten und in Gegenden mit ge-
mischter Bevölkerung^ nicht aber dort, wo die Nationalitäten fremder
Zunge dicht beisammen wohnen, flroberungen machen werden. Ich brauchte
aber auch zu keinem Kunstgriff meine Zuflucht zu nehmen. Die sprach-
lichen und Nationalitätsverhältnisse sind bekannt. Wir wissen bereits
seit 1880 in Percenten, wie viel ungarische und anderssprachige Einwohner
in jedem Gomitat und in jeder Stadt leben. Wenn ich daher den etwaigen
Vermehrungsvorrang des ungarischen, als des herrschenden Stammes, ganz
ausser Bechnung lasse, sondern nur die im Jahre 1880 eruirte Percentual-
zahl der ungarischen Bevölkerungszunahme als Multiplicator für die in den
einzelnen Gomitaten vorhandene Bevölkerungszahl nehme, muss ich die
Minimalzahl erhalten — ich wiederhole es, unter Fernhaltung jeden Neben-
umstandes —, um welche sich die magyarische Bevölkerung im letzten Jahr-
zehnte vermehrt hat.
Ich will mein Verfahren durch ein Beispiel verständlich machen und
illustriren: Im Gomitat^ Jäsz-Nagykun-Szolnok war im Jahre 1880 das
ungarische Bevölkerungs-Percentuale 94*91 Vo, die ungarische Bevölke-
rung war damals 39,310, also bat sich das Magyarentum daselbst um
39,310 X 94-91 : 100 = 37,309 vermehrt. Richtig ist, dass dies eines der
günstigsten Beispiele meiner Berechnung ist, denn ein grösseres Percent
hat die magyarische Bevölkerung in keinem Comitat. Wir können aber
auch das andere Extrem nehmen. Da ist das Ärvaer Gomitat, welches im
Jahre 1880 nur 0*43 Vo Ungarn aufwies. Obige Bechnung ergibt für die
1890er Vermehrung 3251 X 0-437o : 100 = 14 d. h. in Irva hätte nach
dieser Rechnung die magyarische Bevölkerung nur um 14 Seelen zugenom-
men, was sicherlich die Arvaer selbst nicht behaupten.
Ich hoffe, nach diesen Beispielen wird mich Niemand des Chauvinismus
zeihen oder mich — wie ich seinerzeit vom deutschen Schulverein ver-
dächtigt wurde — der Datenfalschung anklagen !
Nach Durchführung dieser Arbeit hatte ich in Erfahrung gebracht,
dass sich das Ungartum folg^idermassen vermehrt hat :
Auf der linken Seite der Donau um 36,123 Seelen
Auf der rechten Seite der Donau um _ 1 19,862 c
Zwischen Donau und Theiss um 286,925 •
Auf der rechten Seite der Theiius um 47,159 «
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VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890. 291
Auf der linken Seite der Tbeiss um 128,142 Seelen
Im Maros-Donau- Winkel um 34,913 •
In den siebenbärgisohen Comitaten um 42,740 f
Zusammen um 695,864 Seelen ;
somit entfallt von der gesammten Vermehrung der Bevölkerung im Mutterlande
mehr als die Hälfte auf die Ungarn.
Die Volkszählung vom Jahre 1880 hat 6.165,088 Ungarn aasgewiesen.
Hinzugerechnet die vom Lande provisorisch Abwesenden nach dem allge-
meinen Landespercent, sowie die im factischen Militär- und Honv^ddienste
Stehenden und jene 817,668, welche ungarisch verstehen: hatte ich damals
schon 7.342,800 Ungarn festgestellt. Nur die Anwendung einer einzigen con-
jectoralen Zahl möge gestattet sein, dass ich nämlich zu der aus dem vorigen
Jahrzehnte stammenden Summe der ungarisch verstehenden Anderssprachi-
gen 20 Percent hinzuschlage. Ich weiss, das ist eine willkürliche Zahl ; allein
mit eineSr Bundschau im Vaterlande und blos die jüngste Greneration in Be-
tracht gezogen und die schon im Jahre 1880 factisch festgestellten Sprach-
Verhältnisse als Grundzahl genommen, wird, glaube ich, Jedermann einsehen,
dass ich mit diesen 163,000 Seelen diesseits der anzunehmenden Zahl ge-
blieben bin, was unsere definitiven Daten, wie ich hoffe, bekräftigen werden.
Es steht sogar die Gonstatinmg eines noch besseren Besultates zu erwarten.
Wir erhalten daher eine runde Zahl von 8.200,000 ungarisch sprechen-
den Landsleuten. Ob diese Alle mit Leib und Seele Ungarn sind ? Wer
könnte daran zweifeln ? Aber um hier nicht fehl zu gehen, liess ich, auf
Rechnung der Malcontenten und der ungarisch sprechenden Agitatoren
fremder Nationalität, zur Ausgleichung der Zahl 2200 Seelen fallen, und
dann repräsentirt, die heutige factische Volkszabl in Betracht gezogen,
das Ungartum im Mutterlande 54*22 Percent und dies bildet in der Bevöl-
kerung des Landes eine starke absolute Majorität.
Fürderhin kann uns Niemand mehr den Vorwurf machen, dass in
diesem Lande die nationale Minorität herrsche, denn die zahlreichste nicht-
magyarische Nationalität übersteigt in unserem Lande kaum 15 Percent, und
die absolute Majorität gehört allezeit der ungarischen Nation.
Earl Eeleti.
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^^2 DIE EISENBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
DIE EISENBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
Gelesen am 12. Jänner 1891 in der ungar. Akademie der Wissenschafken.
Das Ziel, nach welchem, unterstützt von der Opferwilligkeit der Nation,
Begierung und Legislative beständig strebten, ist endlich erreicht : das
1891er Staatsbudget zeigt das Qleiohgewicht im Staatshaushalte völlig her-
gestellt und mit demselben schliesst die zweiundzwanzigjährige Periode
chronischer Defizite.
Eigentlich dürfen wir schon das 1890er Jahr nicht zu diesem Zeit-
abschnitt rechnen, denn es scheint, dass das thatsächliche Ergebniss nicht
nur das kleine, auf eine halbe Million veranschlagte Defizit Verschwinden
liess, sondern die Staatscasse um einen erheblichen Ueberschuss berei-
cherte, so dass sich jener Zeitraum, welcher ein so wechselndes Bild schwäch-
lichen Yerzagens und grosser Eraftanstrengung, unerfahrener Missgriffe und
zielbewusster Vorhersicht vor uns entrollt, eigentlich nur auf 21 Jahre
erstreckt.
Eine gründliche Studie über diesen Zeitabschnitt aus finanziellem
Gesichtspunkte anzufertigen, wäre eine ungewöhnlich interessante und
dankbare Aufgabe, und in der That ist die Zeit gekommen, in welcher die
Fachliteratur sich bemühen sollte, mit objectiver, geschichtlicher Auffas-
sung die dunklen Pfade, auf welchen unsere Staatsfinanzen während dieser
Periode wandelten, zu beleuchten.
Jedermann weiss im Allgemeinen, dass die anhaltende Störung des
Gleichgewichtes unseres Staatshaushaltes zum Teil durch den üebereifer
hervorgerufen wurde, mit welchem wir die Versäumnisse von Jahrhunderten
auf einmal nachholen wollten, zum Teil durch die wachsenden Militärlasten,
die uns der Zwang der europäischen Situation aufbürdete, zum Teil aber auch
durch den Mangel gebührender Rigorosität auf staatsfinanziellem Gebiete und
durch die etwas leichtfertige Auffassung, welche lange Zeit hindurch das
kreuzerweise Sparen verachtete, das doch bei einer so armen Nation von
vornherein völlig motivirt gewesen wäre. Ausserdem wirkten natürlich
viele andere Ursachen zusammen, um dieses bedauerliche Resultat hervor-
zurufen. Dieses ist teils ein Ausfluss unserer Wirtschaftsverhältnisse, teils
eine Folge unserer mit Oesterreich abgeschlossenen Verträge, bei denen wir
die anfangs begangenen Fehler erst später und auch dann nicht einmal
vollständig zu rectificiren vermochten.
In welchem Maasse die verschiedenen Ursachen auf die Verschlimme-
rung unseres Staatshaushaltes Einfluss übten, ist bisher ziffermässig noch
nicht nachgewiesen worden. Es ist auch schwer, apodiktisch sichere Posten
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M^ IKiBäNBAHKEK IM UKGARISOHEM STAAT8HAU8HAI/CE. ^^^
an&nstellen. Jene staatlichen Bedärfnisse, welche während dieser 21 Jahre
in unserem Budget als Ausgaben figuriren^ haben fast ausnahmslos mit
vollem Rechte ihre Befriedigung fordern können. Die Frage ist nur, bis zu
welcher Grenze? Ob sie aufschiebbar waren oder nicht, und im letzteren
Falle, wie weit sie ihre Deckung aus den eigenen staatlichen Erträgnissen
fanden und wie weit sie Yeranlasser des Defizits und der riesigen Last der
in Folge des Defizits sich anhäufenden Staatsschulden gewesen sind. Die
befriedigende Beantwortung aller dieser Fragen erheischt ausser der bis ins
kleinste Detail eingehenden Durchforschung unseres Staatshaushaltes und
ausser der Durcharbeitung der Schlussreehnungen noch die ernste Inbe-
trachtnahme unserer wirtschaftUchen und politischen Verhältnisse und die
helle Beleuchtung ihrer Wechselwirkung.
Diese anspruchslose Abhandlung will keine so grosse und kühne Auf-
gabe lösen ; ich habe mich in den folgenden Blättern nur bemüht, nachzu-
weisen, welchen Anteil die im Interesse des vaterländischen Eisenbahn-
wesens gebrachten Opfer an der Hervorbringung der seit 1869 ununter-
brochen anhaltenden Defizite hatten, natürlich ohne zu vergessen, dass
diese Opfer zum Teil ihre Gompensation fanden in jenem Zuwachse des
Staatsvermögens, welchen der Wert der Staatsbahnen jetzt repräsentirt^
und dass sie dieselbe vielleicht ganz finden in dem uncalculirbaren indirecten
Nutzen, welchen sämmtliche Zweige unserer Yolkswirthschaft den Eisen-
bahnen verdanken.
Wie viel wir seit 1869 für den Ausbau unseres Eisenbahnnetzes und
für die Erhöhung der Yerkehrscapadtät desselben auf deren heutigen Stand
geopfert haben, ist nicht leicht festzustellen. Es wird nicht ausgedrückt durch
das Investitionscapital der Staatsbahnen, selbst dann nicht, wenn wir den
Betrag der an die garantirten Eisenbahnen verabfolgten Zinsengarantie-
y orschüsse hinzurechnen ; denn das Beinerträgniss der Eisenbahnen deckte
beiweitem nicht die Jahreszinsen und Tilgungsquoten des Investitions-
capitals, uiid die Zinsengarantie-Yorschüsse waren, obschon sie den betref-
fenden Eisenbahnen sammt vier Peroent Zinsen zur Last geschrieben wur-
den, meist nur fictive Werte, und der Staat verzichtete auch gelegentlich
der später erfolgten YerstaatUchung auf deren Bückersatz. Es genügt selbst
nicht, wenn man die unbedeckten Annuitäten des InvestitionsGapitals und
die jährlich bezahlten Zinsengarantie- Yorschüsse in Rechnung nimmt.
Denn der Staat war genötigt, da er diese Summen aus seinen eigenen
Einnahmsquellen nicht zu decken vermochte, zu Staatsanlehen seine Zu-
flucht zu nehmen ; es sind daher in jedem einzelnen Jahre nicht nur die
thatsächlich in Eisenbahnen investirten Summen, die Zinsengarantie -Yor-
sehüsse und die Annuitäten der direct zu Bahnzwecken aufgenonmienen
Anlehen in Rechnung zu nehmen, sondern auch der Proportionalteil der
Annuitäten jener Anlehen, aus welchen die unbedeckt gebliebenen EÜsen-
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5^4- DIB EISENBAHNEN IM ül^GARIftOHEN STAATßÖAÜSttALTfi.
bahnauagaben des früheren Jahres, beziehungsweise der früheren Jahre
ersetzt wurden. So bildet sich eine ununterbrochene Verkettung, bei welcher
die für die Entwicklung des Eisenbahnwesens geopferten Nettobeträge und
die zu deren Bedeckung aufgewendeten verschiedenen Änlehen als Glieder
aneinander gereiht sind, wobei jedes vorherige Glied auch das nächstfol-
gende influenzirt, weil man in jedem späteren Jahre auch die Zinsen der im
vorangehenden Jahre zur Deckung der aus dem Eisenbahnwesen herrüh-
renden Ausgaben aufgenommenen Anlehen in die Beihe der übrigen Passiv-
posten einfügen muss. Wenn man die Frage so au£Easst — und richtig
kann man sie nur so aufifiassen, — dann ist die Eraftanstrengung, welche
die Nation im Interesse der Verkehrsbahnen und insbesondere der Elisen-
bahnen gemacht hat, zweifellos eine viel grössere, als man auf den ersten
Blick denken mag. Wenn unsere Staatsschuld lawinenartig anwuchs, dann
hatten gerade diese Eraftanstrengungen, gerade diese Opfer, wie wir dies
weiter unten auch ziffermässig nachweisen werden, hieran den gröesten
AntheiL
Ob aber der Vorgang, welchen wir befolgen, ein richtiger ist? Ob diese
combinative Berechnung sich der Wirklichkeit nähert und ob wir nicht,
indem wir nach Wahrheit forschen, die wichtige Frage, welche wir ins
Beine bringen wollen, in falsches Licht setzen ? Diese Fragen kann man mit
Becht aufwerfen, und ich muss, bevor ich an meinen Gegenstand heran-
trete, die Bechtfertigung meines Vorgehens voranschicken.
Es ist unmöglich, mit voller Bestimmtheit nachzuweisen, aus welchen
Quellen die in Eisenbahnen investirteh oder im Allgenieinen im Interesse
des Eisenbahnwesens geopferten Summen herbeigesdiafft worden sind.
Wenn wir die in Folge der Eisenbahnverstaatlichung übernommenen Lasten
nicht zählen, hatten wir nur zwei Anlehen, welche ausschliesslich oder fast
ausschliesslich in Eisenbahnen investirt wurden : das 1 867er Eisenbahn-
Anlehen und das Pfandbrief- Anlehen der Gömörer Industriebahnen. Die
Bestimmung des 30-Millionen-Anlehens war zwar teilw^e gleichfalls die
Deckung von Eisenbahnbaukosten, aber die bestimmungsgemässe Manipu-
lation dieses im Jahre 1872 realisirten Anlehens hörte schon im Jahre 1873
auf und der Ueberrest desselben vom Jahre 1872 wurde in die übrigen
Staatseinnahmen einbezogen und verlor seinen specifizisohen Charakter.
Wie man demnach bestimmen köime, ob die späteren Eisen bahnbaukosten,
Investitionen, Eisenbahn-Zinsengarantiezuschüsse u. s. w. aus den ordent-
lichen Einnahmen des Staates oder aber aus Staatsanlehen gedeckt wur-
den und aus welchen Staatsanlehen, ist eine unwillkürlich auftauchende
Frage. Es ist wahr, dass bei den Ausgabeposten der Ursprung der ver^
brauchten Summe nicht ersichtlich gemacht ist, und dies wäre auch über-
flüssig ; zweifellos ist aber, dass aus den ordentlichen Staatseinnahmen die
Ausgaben nicht gedeckt werden konnten und dass demnach die im Interesse
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t>te tilS&KBAH^&K IM ÜKGARlSOfiEK 8TAA!r8HAtJS6AI/rt&. ^^
unseres fÜsenbnhnweseDS gebrachten Opfer in dem jährliehen Staatshaus-
halts-Defizit zum Ausdruck gelangten. Und nachdem die Legislative für die
Deckung dieser Defizite mit besonderer Bezeichnung der Oreditquellen Sorge
getragen, Verstössen wir offenbar nicht gegen die Wahrheit, wenn wir den
Betrag der von Jahr zu Jahr für Eisenbahnen geopferten Netto- Ausgaben zu
Lasten jenes Staatsanlehens schreiben, aus welchem in dem betreffenden
Jahre das Gassendefizit bedeckt wurde.
Die Basis, auf welcher ich meine Bechnungen veranstaltete, ist dem-
nach eine genügend feste, eine genügend reelle. Trotzdem schmeichle ich
mir, nicht mehr, als ein annähernd wahres Besultat zu geben ; zweifellos
ist zwischen der Wirklichkeit und den von mir deduciiien Zahlen einige
Abweichung. Wer unsere Staatsschlussrechnungen kennt, wird wissen, wie
schwer es ist, aus denselben nach irgend welcher Bichtung zwischen der
Gegenwart und der Vergangenheit ein vergleichendes Bild zu gewinnen.
Die wechselnden Principien, welche zeitweise bezüglich der Bedaction der
Staatsschlussrechnungen und bezüglich der Verrechnung herrschten, machen
jede solche Vergleichung überaus mühsam, und obgleich ich zur Extrahirung
der Daten die freundliche Mithilfe einiger (Kollegen in Anspruch nahm, wage
ich doch nicht zu behaupten, dass meine Daten ohne Lücken und frei
von jeglichem Lrrtume seien. Indessen bei Beträgen, welche sich auf Hun-
derte von Millionen belaufen, verändern kleine Irrtümer oder Abweichun-
gen das Besultat nicht.
Da wir die im Interesse der Eisenbahnen gebrachten Opfer in
erster Beihe mit dem staatlichen Defizit vergleichen wollen, haben wir das
Schlussrechnungsdefizit während des in Bede stehenden Zeitraumes voran-
zuöchicken. Der Staatsrechnungshof weist in dem den Schlussrechnungen
beigegebenen detaillirten Berichte alljährlich das Defizit aus, und zwar
nimmt derselbe den Standpunkt ein, als Defizit das ganze Plus anzunehmen,
um welches die Ausgaben die aus den eigenen Hüfsquellen des Staates
resultirenden Einnahmen fiberschreiten. Dieser Standpunkt gibt zweifellos
das reellste und strengste Maass für die Beurteilung der Finanzlage. Wollte
man minder streng vorgehen, so könnte man die Investitionen, welche
eigentlich eine Vermögensvermehrung repräsentiren, von dem Defizit
abziehen. Dies Vorgehen würde aber leicht auf einen Irrweg führen. Bei
Investitionen ist nämlich nicht nur deren Herstellungswert und deren wirt-
schaftlicher Wert in Betracht zu nehmen, sondern auch deren Erträgniss ;
denn vom Standpunkte der Staatshaushaltung sind solche Investitionen,
welche zwar öffentlichen Nutzen gewähren, aber dem Staate unmittel-
bar gar kein oder nur ein geringes Erträgniss bringen, kein äquipari-
render Wert mit den im Wege von Anlehen aufgebrachten Summen,
welche eine Verzinsung erheischen und dem Staate fortwährend Lasten
snferlc^n.
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^6 DIE BIBBNBAHNEN IM UKGARISGHBN STAATSHAÜSHAt/lä.
Nehmen wir daher die Daten des Obersten Bechnungshofes an^ so
finden sich seit 1869 folgende Jabresdefizite :
1869: 13.066,790; 1870: 28.749,345; 1871: 35.554,853; 1872
42.153,134; 1873: 64.080,907; 1874: 61.518,925; 1875: 40.498,436
1876: 31.260,933; 1877: 26.451,034; 1878: 58.924,721; 1879: 38.260,045
1880:41.963,574; 1881 :48,065,401 ; 1882: 46.343,544; 1883: 39.135,892
1884: 41.018,451 ; 1885: 40.200,527 ; 1886: 43.041,767; 1887: 49.416,735
1888 : 24.103,491 ; 1889 : 1.386,898.
W&hrend dieser 21 Jahre können wir zwei oder richtiger drei Perioden
unterscheiden. Die erste währte bis 1874, als die alte DeÄk-Partei-Begierung
die Zügel in Händen hatte ; die zweite von 1875 bis inclusive 1877, die Ent*
wirrung der Staatsfinanzen unter dem Fusionscabinet ; die dritte aber von
1878 (bosnische Occupation) bis heute. Da jedoch die beiden letzten Perioden
weder durch das System, noch durch die Personen von einander getrennt
sind, sondern blos durch das auswärtige Ereigniss der bosnischen Occupa-
tion — obwohl dies zweifellos bedeutenden Einfiuss auf unseren Staats-
haushalt hatte, — scheint es richtiger blos zwei Perioden zu unterscheiden :
die vor 1875 und die seitherige. In der ersten sechsjährigen Periode belief
sich die Summe der Defizite auf 245*12 Millionen Gulden und das durch-
schnittliche Jahresdefizit war 40*85 MilUonen Oulden, während in der
zweiten Periode, welche anderthalb Jahrzehnte umfasst, die gesammten
Defizite 570*07 Millionen Gulden ausmachten und das durchschnittliche
Jahresdefizit 38 Millionen Gulden betrug. Ein sehr grosser Unterschied zwi-
schen den durchschnittUchen Jahresdefiziten zeigt sich demnach nicht,
allein wir wollen sehen, wie weit die Eisenbahnen die Veranlassung dieser
grossen Defizite gesondert in der ersten und in der zweiten Periode gewe-
sen sind.
Der Staat war nach zwei Richtungen hin bestrebt, der Entwickelung
des ungarischen Eisenbahnnetzes Vorschub zu leisten, teils direct durch den
Bau staatlicher Linien, teils — zu Folge Ännahine des Principes der Erträg-
niss-Garantie — indirecte dadurch, dass mit einer Aussicht auf staatliche
Garantie das Privat-Capital zur Teilnahme an Eisenbahn-Unternehmungen
angespornt wurde. Letzteres Vorgehen war das regelmässige, ersteres wurde
nur ausnahmsweise verfolgt. Gegenwärtig aber, da wir die wirtschaftliche
Wirkung des damaligen Systems auf Grund vollendeter Ergebnisse zu beur-
teilen im Stande sind, können wir ohne Zaudern über das System der Zinsen-
Garantie den Stab brechen. Damals jedoch wurden und konnten auch die
Verhältnisse nicht aus demselben Gesichtspunkte betrachtet werden, wie
gegenwärtig. Das System der Zinsengarantie dominirte nicht nur in Oester-
reich, sondern auch in Ungarn ; die ungarische Begierung erbte dasselbe
von der österreichischen. Dieses System wurde nach den damaligen Erfah-
rungen nicht einmal für gefahrvoll angesehen, garantirte Bahnen waren ja
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DIE EISEKBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
2«?
die damals im Betrieb Ertebenden österreiobiscben Staatsbabnen/ die Süd-
babn und die Tbeissbabn^ und die Erträgniss- Garantie war — wenigstens
niebt andauernd — mit keiner Belastung des Staates verbunden. Dies
konnte aucb bezüglicb der in neuerer Zeit concessionirten garantirten
Babnen erbofft werden. Es bestand jedocb ein wesentlicber Unterscbied
zwiscben den älteren und neueren Babnen ; erstere fübrten durcb die best-
situirten Teile des Landes^ letztere bingegen durcb solcbe Gegenden, in
welcben dem Eisenbabnverkebr, ebenso den Personen- wie aucb den
Waaren-Verkebr betreffend, keine derartig ausgiebigen Quellen zur Verfü-
gung standen wie in jenen Teilen des Landes, deren Bevölkerung eine dicb-
tere ist, und deren culturelle Yerbältnisse ziemlicb entwickelt waren. Die
Folge bievon war, dass die Zinsengarantie- Vorscbässe in kurzer Zeit die
Staatscassa derartig in Ansprucb nabmen, dass diese Summen allein im
Stande gewesen wären die Störung des finanziellen Gleicbgewicbtes zu
verursacben. Diese Last war jedocb in den ersten Jabren der Periode, über
welche sieb diese Abhandlung erstreckt, nocb nicht fühlbar ; eine Ausgabe
unter diesem Titel tritt zum erstenmal in der Staatsschlussrechnung des
Jahres 1870 hervor.
Das erste materielle Opfer, welches Ungarn nach Eroberung seiner Ver-
fassung im Interesse der Eisenbahnen brachte, war der Ankauf der Pest-
Losonczer Linie der in missliche finanzielle Verhältnisse geratenen Unga-
rischen Nordbahn im Jahre 1 868. Zu diesem Zwecke wurde das auf Grund
des G.-Art. Xni vom Jahre 1867 aufgenommene Eisenbahn- Anleben ver-
wendet, welches im nominellen Werte von 85.125,600 Silber-Gulden emit-
tirt wurde. Von der Verwertung dieser Obligationen flössen, wie dies aus
den nach gänzlicher Abwickelung der Anleihe durcb den Obersten Staats-
rechnungshof und die Schlussrecbnungs-Commission vorgelegten Berichten
ersichtlich ist, nur 68.969,178 Gulden im Bankwerte in die Staatscassa ein ;
bievon wurden zu Ankauf und zum Bau von Eisenbahnen und Eisenbahn-
Fabriken 67.511,733 Gulden verwendet, — doch nahmen von dieser Summe
5.799,887 . Gulden die Intercalar-Zinsen der in Eisenbahnen angelegten
Capitalien in Ansprucb.
Von der Eisenbahn- Anleihe wurden im Jahre 1868 10* 12 Millionen
Gulden auf Eisenbahnen verwendet, in diesem Jahre resultirt die Staats-
Schlussrechnung noch mit einem Ueberschuss.
Im Jahre 1869 nabmen die Eisenbahn-Bauten 11*20 Millionen in An-
spruch. Li diesem Jahr wurde die Eisenbahn- Anleihe nocb fondsmässig
verwaltet, und es erbellt aus den diesbezüglichen Rechnungen, dass nicht
nur diese ganze Summe von der benannten Anleihe gedeckt wurde, sondern
aucb jene 1*23 Millionen Gulden, um welche Summe die geleisteten Liter-
calar-Zinsen die Zinsen der aus der Eisenbahn-Anleihe nutzbringend ange-
legten Gapitalien und das Netto Erträgniss der erstandenen Staatsbahn über-
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m
Dite BiSENBAHNtiK IM ÜNOABlSOHteM STAATSftAÜSÖALtB.
trafen. Die Netto- Ausgabe für Eisenbahnen betrug im Jahre 1869 12*43 Mil-
lionen öulden und ist daher nur um 637 Tausend öulden geringer als das
Defizit desselben Jahres.
Im Jahre 1870 gestalteten sich die Ausgaben folgendermassen :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen und Ankauf der
Maschinen-Fabrik _ — 13.115,425 fl.
Netto- Ausgabe beider fondsmässig verwalteten Eisenbahn-
Anleihe ._ 2.089,136 €
Zinsengarantie- Vorschüsse _. ... ... 3.034,332 t
Zusammen 18.238,893 0.
Von dieser Summe wurden 14.051,980 Gulden aus der Eisenbahn-
Anleihe gedeckt, 4.186,913 Gulden hingegen sind in dem unbedeckten Ab-
gang der Schlussrechnung enthalten. Das Defizit dieses Jahres übertraf die
auf Eisenbahnen verwendeten Summen schon um 10.510,452 Gulden.
Ausgaben im Jahre 1871 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 16.334,026 fl.
Netto- Ausgabe bei der fondsmässig verwalteten Eisen-
bahn-Anleihe 2.317,343 €
Zinsengarantie-Vorsohusse 3.828,114 t
Zusammen 22.479,483 fl.
In diesem Jahre war die auf Eisenbahnen verwendete Summe schon
um mehr als 13 Millionen Gulden geringer als das Defizit des Jahres. Da
zur Beendigung der im Bau begrififenen Eisenbahnen die Eisenbahn- Anleihe
vom Jahre 1867 voraussichtlich nicht hinreichend war, wurde die Regie-
rung mit dem G.-Art. XLV zur Emission einer 30 Millionen Silber-Gulden -
Anleihe bevollmächtigt, welche Anleihe teilweise auch zur Deckung des
jährlichen Defizites diente. Im Jahre 1872 wurde ausserdem auch noch eine
andere Eisenbahn- Anleihe emittirt, das mit dem G.-Art. XXXVII vom Jahre
1871 concessionirte Pfandbrief- Anlohen der Gömörer Industrie-Bahnen.
Bevor jedoch die Verwendung dieser beiden Anleihen detaillirt würde, teilen
wir die im Jahre 1872 auf Eisenbahn- Zwecke verausgabten Summen mit:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 19.453,332 fl.
Netto- Ausgabe bei derfondsmässigverwaltetenEisenbalm-
Anleihe 4.582,774 t
Gömörer Anlehen, Zinsen und Amortisation 390,777 «
30 Millionen-Anleihe, die auf dieses Jahr entfallenden
Zinsen und Amortisation 302,046 •
Zinsengarantie' Vorschüsse ... ... 6433,243 t
Zusammen.. 31.162.172 fl.
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blfi EtRt:l4ßAHNB>( IM UNOARISCHEN STAA'TSHAÜBaALTfi. ^^
Hievon wurden 14.731,175 Gulden von der Eisenbahn- Anleihe,
5.472,335 Gulden von der 30 Millionen Anleihe, und 982,105 Gulden von
dem Gtömörer Pfandbrief- Anlehen gedeckt.
Im Jahre 1873 betrugen die Ausgaben:
Bau von Eisenbahnen und Investitionen 18.551,995 fl.
Eisenbahn- Anleihe, Zinsen, Amortisation und Manipula-
ti^ns-Kosten _ _ ._. 5.393,055 •
Gömörer Pfandbrief- Anlehen, Zinsen, Amortisation mid
Manipulations-Kosten .. 427,733 •
80 Millionen-Anleihe, Zinsen, Amortisation und Mani-
pulations-Kosten 2.110,460 •
54 Millionen- Anleihe, die auf dieses Jahr entfallenden
Zinsen und Amortisation 312,976 •
Zinsengarantie- Vorschüsse __. 13.858,672 •
Zusammen 40.654,891 fl.
In Abrechnung gebracht das Beinerträgniss der Staats-
bahnen und der Maschinen-Fabrik ... ' ... 1.198,723 •
Verbleibt 39.456,168 fl.
Es ist nunmehr notwendig anzugeben, welche Summen von der
30 Mfllionen- und von der laut G.-Art. XXXII des Jahres 1872 emittirten
54 Millionen-Anleihe auf Eisenbahn-Zwecke verausgabt wurden. Von der
30 Millionen- Anleihe wurden im Jahre 1872 5.472,335 Gulden, im Jahre
1873 aber 7,250,774 Gulden zum Bau von Eisenbahnen und auf Investi-
tionen bei den Staatsbahnen verwendet. Da aber von der ganzen An-
leihe — mit Einrechnung der Intercalar- Zinsen der nutzbringend ange-
legten Gapitalien — 25.920,200 Gulden im Bankwerte in die Staatsoassa
einflössen^ standen von dieser Anleihe mit Ende des Jahres 1872 nach Ab-
rechnung obiger Summen nur mehr 13.197,091 fl. zur Verfügung. In den
Jahren 1870, 1871 und 1872 betrugen aber allein jene Ausgaben zu Eisen-
bahn-Zwecken, welche weder von der Eisenbahn-Anleihe, weder von dem
Gtömörer- Anlehen, noch von der 30 Millionen Gulden- Anleihe gedeckt wur-
den, 19.111,312 Gulden, daher um vieles mehr, als der oben angeführte
restliche Betrag der 30 Millionen-Anleihe. Es kann demnach die ganze
30 Millionen Gulden- Anleihe auf Bechnung der Eisenbahnen geschrieben
werden, die unbedeckten 5.914,221 Gulden fallen schon zu Lasten der
54 Millionen Gulden-Anleihe. Von derselben Anleihe wurden laut Schluss-
rechnung im Jahre 1878 auf Eisenbahn-Bauten und Investitionen factisch
6.832,201 Gulden verwendet, — und da von den Eisenbahn- Auslagen des
nämlichen Jahres 1.609,578 Gulden noch von dem resüichen Betrag der
Eisenbahn- Anleihe gedeckt werden konnten, 4.112,687 Gulden hingegen
von dem Gömörer Pfandbrief- Anlehen, müssen noch weitere 19*65 Mil-
lionen Gulden zu Lasten der 54 Millionen Gulden- Anleihe geschrieben
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3(K) D]E EISENBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSäAÜSHALTfi.
werden, so, dass 76*54 pGt. dieser Anleihe (natürlich das Gotische Ergebniss
der Anleihe im Bankwerte als Qrundcapital betrachtet) durch Eisenbahn-
Bauten und sonstige im Interesse des Eisenbahnwesens gebrachte Opfer
in Anspruch genommen wurden. In den nachfolgenden Jahren sind zu den
Eisenbahn- Auslagen nach obigen VerhiUtnissen die jährlichen Zinsen, Amor-
tisation und Manipulationskosten der 54 Millionen-Gulden «Anleihe hinzu-
gerechnet. Noch eines sei bemerkt: die Eisenbahn- Anleihe vom Jabre 1867
sowohl, als auch die 30 und 54 Millionen öulden- Anleihe waren im Silberwert
festgestellt, erstere in Frankwährung, die beiden letzteren in Pfund Ster-
lingen. Dies war damals von keiner Wichtigkeit, denn das Gold hatte dem
Silber gegenüber noch kein Agio ; später jedoch, als das Silber immer mehr
und mehr an Wert verlor, wurden die in Franken und Sterlingen rückzahl-
baren Anleihen in Gold-Anleihen umgewandelt. Und nun setze ich die
von Jahr zu Jahr schreitende Mitteilung der schon begonnenen ziffermässi-
gen Ausweise fort.
Im Jalure 1874:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen bei den Staats-
bahnen und bei der Staats-Maschinen-Fabrik 10.851,298 fl.
Eisenbahn-Anleihe _ 5.314,486 t
Gömörer Kandbrief-Anlehen ... ^ 424,604 *
30 Millionen-Gulden-Anleihe 2.101,422 •
54 Millionen-Gulden- Anleihe 2.352,306 t
Zinsengarantie- Vorschüsse 16.420,505 fl.
Zusammen ... _.. 37.464,621 fl.
Abgerechnet das Netto-Ergebniss der Staatsbabnen und
der Maschmen-Fabrik 76,890 fl.
Verbleibt ... ... 37.387,731 fl.
Hievon wurden 1.441,364 Gulden von dem Gömörer Pfandbrief-
Anlehen gedeckt, die restlichen 35.946,367 Gulden hingegen entfallen zu
Lasten der auf Grund des G.-Art. XXXIII vom Jahre 1873 emittirten
schwebenden Schuld im Werte von 76Vs Millionen Gulden. In Betracht
genommen, dass nach dem nominellen Wert von 76^/« Millionen Silber-
gulden in die Staatscassa im Bankwerte nur 71.655,889 Gulden einflössen,
waren zur Deckung obigen Abganges Obligationen im nominellen Werte
von 38.372,400 Gulden erforderlich.
Im Jahre 1875:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen bei den verschie-
denen Staatsbabnen und bei der Staats-Mascbinenfabrik 2.679, 1 96 fl.
Eisenbahn- Anleihe... _.. ... . _.. ... ... ... 5.207,220 €
Gömörer Pfandbrief-Anlehen __ 424,338 •
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DIB ET8ENBAHNEN IM UNOARISCHEN STAATSHAUSHAJiTE. 301
30 Millionen-Gulden- Anleihe ... 2.141,793 fl.
54. • € t ..... _. 2.995,088 •
76V« • . . .. 2.532,578 •
ZinsengarantJe-Yorsohüsse 14.713,358 •
Zusammen 30.693,571 fl.
Abgereohnet das Netfco-Ergebniss der Staatsbabnen und
der Maflchinen-Fabrik _. ... 1.529,701 fl.
Verbleibt 29.163,870 fl.
Dieser Abgang belastet ausschliesslich die auf Grund des G.-Ari XIV
vom Jahre 1874 emittirte 76 Va Millionen Gulden- Anleihe, richtigerweise
die zweite Hälfte der 153 Millionen- Anleihe. Diese 76 Vj» Millionen Gulden
resultirten im Bankwerte 70.186,757 Gulden, zur Deckung des ausgewie-
senen Abganges mussten daher Obligationen im nominellen Werte von
31.785,600 Gulden emittirt werden. Diese Emission, hinzu gerechnet die
vorjährige, beziffert sich daher im Ganzen auf 70,158,000 Gulden.
Im Jahre 1876:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen ... 2.41 1,019 fl.
Eisenbahn- Anleihe 5.682,420 •
Gömörer Pfandbrief-Anlehen _ 455,653 •
30 Millionen- Anleihe .. 2.258,081 •
54 t t 3.131,933 t
153 € t ... 5.051,376 t
Zinsengarantie- Vorschüsse*) 14.048,457 •
Zusammen 33.038,939 fl.
Abgerechnet das Netto-Ergebniss der Staatsbabnen und
der Maschinen-Fabrik 2.177,044 fl.
Verbleibt , 30.861,895 fl.
Zur Deckung dieser Summe war — als Grundlage die bei der Emission
des Jalires 1876 erzielten Ergebnisse angenommen — die Emission von
6percentigen GoldrenteObligationen im nominellen Werte von 33.273,000
Gulden erforderlich.
Im Jahre 1877 :
Bau von Eisenbahnen und Investitionen . ... 2.907,013 fl.
Eisenbahn-Anleihe... 5.706,577 t
Gömörer Pfandbrief-Anlehen 464,355 t
* Die rückgezahlten Vorschüsse sind sowohl hier als auch bei den übrigen
Jahren von den an die Eisenbahnen ausbezahlten Zinsengarantie-Vorschüssen in
Abrechnung gebracht.
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302 piE EIRENBAHNEN IM I'NGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
30 Millionen- Anleihe „ 2.330,629 fl.
54 • • ^ 3.382,917 •
Verstaatlichung der Ostbahn 810,349 •
Zinsen der 153 MilUonen- Anleihe 5.177,660 t
Zinsen der Goldrente ... 2.550,375 •
Zinsengarantie-Yorschüsse 15.446,881 •
Zusammen 38.776,756 0.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 2.625,000 fl.
Verbleibt 36.151,756 fl.
Diese Summe entspricht 6percentigen Goldrenten- Obligationen von
39.141,000 Gulden im nominellen Werte (den überwiegenden Teil bildet
die Emission vom Jahre 1877) und da im Jahre 1878 auch die zweite
Hälfte der 153 Milhonen- Anleihe in eine 6percentige Goldrente convertirt
wurde, verminderte sich der von der 153 Millionen -Anleihe auf Eisenbahn-
Auslagen entfallende Teil auf 31.785,600 Gulden, die Goldrenten-Obliga-
tionen stiegen hingegen auf 125.248,000 Gulden. In den Ausweisen für das
Jahr 1878 sind die Zinsen schon nach diesen Summen berechnet.
Im Jahre 1878 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 2.248,142 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.460,774 •
Gömörer Pfandbrief- Anlehen ... 446,292 •
30 Millionen- Anleihe _ 2.251,505 f
54 • € 3.227,718 t
Verstaatlichung der Ostbahn ._ 552,547 •
Zinsen der 153 Millionen- Anleihe* ... ._ 3.699,585 t
Zinsen-Quote der 6-percentigen Goldrente ** 3.055,158 t
Zinsengarantie- Vorschüsse 14.531,370 t
Zusammen 35.473,091 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 2.218.824 fl.
Verbleibt 33.254,267 fl.
Zur Deckung dieser Summe waren 6percentige Goldrenten-Obligationen
im nominellen Werte von 39.317,000 Gulden nach dem Gnrse vom Jahre
1879 erforderlich. Mit dieser Summe stieg der auf die Eisenbahnen veraus-
gabte Teil der Goldrente (nachdem in diesem Jahre auch die zweite Hälfte
i" In Anbetracht dessen, dass die Gon Version der ersten Hälfte der 153 Mü-
lionen-Anleihe nicht mit Anfang dos Jahres vollzogen wurde.
** Nach Abrechnung der bei dem Verkauf der Obligationen erfolgten Ck>apon-
Bückerstattungen.
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DIE EISENBAHNEN IM UNOARISCHEN STAATSHAUSHALTE. '^^^
der 153 Millionen Anleihe einbezogen and in Goldrenten-Obligationen um-
getauscht wurde) auf 208,147.000 Gulden.
Im Jahre 1879:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen- Fabrik 3.519,625 fl.
Eisenbahn- Anleihe 5.512,520 •
Gömörer Pfandbrief- Anlehen 444,185 «
3Ü MiUionen- Anleihe — 2.247,194«
54 « « ... - 3.U2.566 «
Capitals- Amortisationen der Waagthalbahn 600,000«
Verstaatlichung der Osfcbahn ._ — . __. 4.637,161«
Zinsen-Quote der 153 Millionen- Anleihe* 1.035,238«
Zinsen-Qaote der 6-percentigen Goldrente ** 8.842,716 «
Zinsengarantie-Yorschüsse ... ir^l7,742_«^
Zusammen 41.798,947 fl.
Abgerechnet dos Netto-Ergebniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik ,.- 3.583,567 fl.
Verbleibt 38.215,380 fl.
Diesen Abgang nach dem Curse vom Jahre 1 879 auf Goldrente um-
gerechnet, gewinnen wir als Ergebniss 6percentige Goldrente im nominellen
Werte von 45.182.000 Gulden, wodurch der vorjährige Stand der Goldrente
auf 253.329,000 Gulden erhöht wird.
Im Jahre 1880:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 1.239,558 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.404,824 «
Gömörer Pfandbrief- Anlehen ._ 434,517«
30 Millionen- Anleihe... ... 2.255,344 •
54 • « 3.140,651 •
Verstaathchung der Ostbahn 4.628,739 «
« der Theissbahn 2.556,925 «
Capitals-Amortisation der Waagtalbahn 600,000 «
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waag-
talbahn .._ ... 314,470 «
Linie Agram-Earlstadt ' 140,748«
Zinsen der 6-percentigen Goldrente 17.935,693 •
Zinsengarantie-Vorsohüsse _ 12.128,363 •
Zusammen 50.779,822 fl.
Abgerechnet das BeinerträgniBs der Btaatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 4.954,712 fl.
Verbleibt 45.825,110 0.
* In Anbetracht dessen, dass die Conversion der zweiten Hälfte der 153 Mil-
lionen-Anleihe nicht mit Anfang des Jahres vollzogen wurde.
** Naoh Abrechnung der bei dem Verkauf der Obligationen erfolgten Ooupon-
Bückerstattoogen.
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304 piE EISENBAHNEN TM INGARISCHEN RTAATSHAüRHALtE.
Hievon können 15.019,585 Gulden (rund 15 Millionen Gulden in
nominellem Werte) zu Lasten der in demselben Jahr emittirten Goldrente
geschrieben werden, — es steigt hiedurch die im Interesse des Eisenbahn-
wesens verwendete Summe der Goldrente auf 268.329,000 Gulden — die
restlichen 30.805,525 Gulden fallen hingegen zu Lasten der im Jahre 1881
emittirten Papierrenten- Obligationen. Diese Summe entspricht^ nach dem
damaligen durchschnittlichen Curs von 80*01, 38.502,000 Gulden Papier-
renten-Obligationen nominellen Wertes.
Im Jahre 1881 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 7.438,618 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.393,665 •
Gömörer Pfandbrief-Anlehen 449,160 •
30 MiUionen- Anleihe 2.187,953 t
54 • • .. 3.118,228 •
Verstaathchung der Ostbahn _ 4.645,884 •
• der Theissbahn 3.836,149 t
Capitals-Amortisation der Waagtalbahn 600,000 t
S^insen nach dem rückständigen Eaofyreis der Waag-
talbahn 275,470 i
Linie Agram-Karlstadt 280,200 •
Zinsen der 6-percentigen Goldrente 18.997,693 t
Zinsen der Papierrente 1.925,100 t
Zinsengarantie- Vorschüsse ... ., 13.758,519 t
Zusammen 62.906,639 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 6.800,000 fl.
Verbleibt 56.106,639 fl.
Diese Summe teils auf die im Jahre 1881, teils auf die im Jahre 1882
emittirten Papierrente (Curs 86'29) umgerechnet, gewinnen wir 65.999,200
Gulden Papierrente nominellen Wertes ; die Summe der Papierrente steigt
hiedurch auf 104.501,200 Gulden. Angenommen, dass von der vorjährigen
6percentigen Goldrente 100 MiUionen convertirt wurden, was 139.309,000
Gulden 4percentiger Goldrente gleichkommt, kann auf Rechnung der Eisen-
bahn-Auslagen die gleiche Summe 4percentiger und 168.320,000 Gulden im
nominellen Werte 6percentige Goldrente geschrieben werden.
Im Jahre 1882:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 18.423,314 fl.
Eisenbahn- Anleihe * 5.626,808 t
Gömörer Pfandbrief-Anlehen 448,441 t
30 Millionen-Anleihe ._ ... 2.260,296 t
54 t • 3.188,457 t
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MB EISBNBAUNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE. 305
Verstaatlichung der Ostbahn 1.645,881 fl.
t der Theissbahn ' 3.908,525«
Capitals -Amortisation der Waagthalbahn .._ .._ ... 600,000«
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waag-
talbahn : -236,470 «
Zinsen der 6percentieen Ooldrente , 12.018,690 «
« • 4 • Goldrente* 5.175,908«
« • 5 « Papierrente * _ 4.625,060 «
Zinsengarantie-Vorschüsse _. 10.610,616 «
Zusammen 72.054,519 0.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen- Fabrik 11.620,451 fl.
Verbleibt 60.434^817
Hieven wuräen 39.406,224 Gulden durch Papierrenten im nominellen
Werte von 46.308,600 Gulden gedeckt, die gesammte Emission belastet
diese Rechnung. Die restliche Summe von 21.037,844 Gulden, da dieselbe
durch keine Anleihe Deckung fand, wird in den nachfolgenden Ausweisen
— um den Einfluss, welchen dieser Abgang auf die Gestaltung der finaa-
zieUen Verhältnisse ausübt, beachten zu können, — als fictive Capitalsanlage
aufigenommen und mit 5Vo Zinsen berechnet. Es könnte diese fictive Capi-
talsanlage mit dem Course der Papierrente berechnet werden, Wir wollen
jedoch in unseren Berechnungen lieber rigoroser vorgehen und rechnen die-
selbe daher al pari. In diesem Jahre wurde 6percentige Goldrente im nomi-
nellen Werte von 37.491.200 Gulden auf 4percentigq Goldreute im nomi-
nellen Werte von 50.260,000 Gulden convertirt ; jene Summe daher, welche
zu Lasten der Eisenbahnen geschrieben werden kann, bilden folgende
Posten : 130.837,800 Gulden 6percentige Goldrente, 189.569.400 4percentige
Goldrente, 150.809,800 Gulden Papierrente, sämmtliche im nominellen
Werte, femer 21.027,844 Gulden fictive Capitalsanlage.
Im Jahre 1883 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen- Fabrik 1 8.781, 32 i fi.
Eisenbahn-Anleihe _. 5.514,551 «
Gömörer Pfandbrief- Anlehen .._ .._ ... 449,370 «
30 Millionen- Anleihe „....' ... : 2.352,025«
5^ f « .i 3.209,971 •
Verstaatlichung der Ostbahn 4.682,515 «
« der Theissbahn .,. 3.810,730 «
Capitals- Amortisation der Waagtalbahn 600,000«
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waag-
talbahn ... 197,470«
* Nach Abrechnung der Cöupon-Rückerstattungen.
ungarische Berae XT. 1891. IV. Heft. ^
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306 DIB BI8ENBAHNBN IM UNGARIßCHEN STAATSHAUSHALTE.
Linie Agram-Karlstadt ... . _ _. 286,875 fl.
Zinsen der 6percentigen Goldrente 9.420,321 t
€ • 4 c Goldrente* .. 7.416,049 •
€ • 5 € Papierrente* 6.367,512 t
Fictive Capitals- Anlage ... 1.051,400 t
Zinsengarantie- YorBchüsse ... .._ 11.180,307 t
Zusammon 75.320,420 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen imd
der Maschinen-Fabrik ... .. .„ ... 0.646,878 fl.
Verbleibt 65.673,542 fl.
Von dieser Summe können 42.145,872 Gulden für im Jahre 1884
emittirte Papierrente von 48.459,200 Gulden im nominellen Werte gleich
angenommen werden, es verbleiben daher 23.527,670 Gulden auf fictive
Gapitalsanlage. Wenn dies, sowie auch jener Umstand in Betracht genommen
wird, dass in diesem Jahre auch 6percentige Goldrente im nominellen Werte
von 51.091,300 Gulden convertirt wurde, so belaufen sich jene Capitalien,
deren entsprechende Zinsen zu Lasten des Eisenbahnwesens verrechnet
werden müssen, auf nachstehende Summen :
6percentige Geldanleihe 79.746,500 fl.
4 t € 259.569,400 t
5 t Papierrente _ 199.269,000 t
Fictive Capitals- Anlage 44.555,514 t
Im Jahre 1884:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 17.238,320 fl.
Eisenbahn- Anleihe 5.683,577 t
Gömörer PÜEUidbrief-Anlehen 464,547 t
30 MilKonen- Anleihe 2.305,476«
54 t t „ 3.300,294 t
Verstaatlichung der Ostbahn 4.766,607 t
t der Theissbahn 4.011,838 t
t der L Siebenbürger Bahn 2.055,229 t
Verstaatlichung der Donau-Drau-Eisenbahn 599,097 t
Capitals- Amortisation der Waagtalbahn ... _.. _ 600,000 t
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waagthal-
Bahn - - 158,470 f
Tauschwert der Neu-Szöny-Brucker Bahn 2.611,704 t
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Neu-Szöny-
BruckerBahn 47,573 t
Linie Agram-Karlstadt 291,900 t
* Nach Abrechnung der Goupon-Bückerstattongen.
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DIB HIOTNBAHNBN IM UNGAMSOHBN STAATSHAUSHALTE. -^07
Zinsen der Gporcentigen Goldrente .. 5.813,520 fl.
• f 4 « Goldrente* 11.494,347 «
• «5 • Papierrente 8.545,05!2 t
Zinsen der fictiven Capitals- Anlage 2.227,784 •
Zinsengarantie- Vorschüsse 9.513,050 •
Zusammen 81.728,385 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 8.510,108 fl.
Verbleibt ~ "73^1^,277117
Hieven 30.033,500 Gulden auf Papierrente — Emission vom Jahre
1885 — umgerechnet, kommt diese Summe 32,924.900 Gulden Papierrente
nominellen Wertes gleich, die restlichen 43.184,777 Gulden werden als
fictive Gapitalsanlage verrechnet. In diesem Jahre wurden auch noch die
räckständigen 6percentigen Goldrente-Obligationen convertirt. Statt der
6percentigen Obligationen von 79.746,500 Gulden nominellen Wertes
muflsten 107.702,077 Gulden^ ebenfalls nominellen Wertes, 4percentige
Obligationen emittirt werden. Demnach betrug der verzinsbare Stand :
4percentige Goldrente ... 367.271,477 fl.
5 • Papierrente... 232.193,900 •
Fictive Capitals-Anlage 87.740,291 t
Im Jahre 1885 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 12.146,056 fl.
Bisenbahn- Anleihe 5.784,696
Gomörer Pfandbrief- Anlehen .. ... ... ... ... 467,920
30 MiUionen- Anleihe 2.307,698
54 • • — 3.309,976
Verstaatlichung der Ostbahn 4.744,524
• der Theissbahn 3.708,023
f der L Siebenbürger Bahn _ 2.061,404
t der Donau-Drau-Eisenbahn' ... 604,813
• der Alföld-Fiumaner Bahn 2.071,593
Tauschwert der Neu-Szöny-Brucker Bahn 2.500,000
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Neu-Szöny-
Braoker Bahn _ 250,000
Capitals- Amortisation der Waagtal-Bahn ._ 600,000
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waagtal-
Bahn.. ._ ... ... ... .i. 119,470
Linie Agram-Karlstadt 291,900
* Nach Abrechnung der Coupon-Rückerstattnngen.
20*
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^B DIB EISENBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
Zinsen der 4peroentigen Goldrente 17.042,807 fl.
f € 5 t Papierrente ... ._ 10.833,677 «
Zinsen der fictiven Capitals- Anlage „ 4.386,522«
Zinsengarantie-Vorschüsse 7.736,9 75 •
Zusammen 80.968.054 0.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik , 12.265,182 fl.
Verbleibt 68.702,872 fl.
Hievon fanden 47.241,034 Gulden in der im Jahre 1886 emittirten
Papierrente von 51.203,900 Gulden im nominellen Werte Deckung,
21.461,838 Gulden entfallen auf fictive Gapitalsanlage, und es beträgt dem-
nach der verzinsbare Stand :
4percentige Goldrente 367.271,477 fl.
5 « Papierrente 283.397,800 «
Fictive Capitals- Anlage 109.202,129 t
Im Jahre 1886 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 8.961,583 fl.
Eisenbahn- Anleihe ,.. 5.947,097
Gömörer Pfandbrief- Anlehen 481,463
30 Millionen- Anleihe _. ... 2.423,931
54 f • 3.359,692
Verstaatliehnng der Ostbahn .., 4.811,662
• der Theissbahn ... 3.597,115
« der I. Siebenbtirger Bahn 2.082.727
f der Donau-Drau-Bahn 609,913
f der Alföld-Fiumaner Bahn 2.102,324
Tauschwert der Neu-Szöny-Brucker-Bahn 2.500,000
Zinsen nach dem rückstandigen Kaufpreis der Nen-
Szöny-Brucker Bahn ... 125,000
Capitals- Amortisation der Waagtal-Bahn ... 600,000
Zinsen nach dem räckständigen Kaufpreis der Waagtal-
Bahn 80,470
Linie Agram-Karlstadt 300,150
Zinsen der 4percentigen Goldrente 18.452,623
f €5 « Papierrente 13.130.463
Zinsen der fictiven Oapitals-Anlage 5.459,614
Zinsengarantie- Vorschüsse 7.803,617
Zusammen.. 82.829,444 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 14.579,939 fl.
Verbleibt ... _ ... 68.249,505 fl.
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bl^ iBIS£)lBABK£N IM tJNGABISCHBN Sf AATSBAXJBHALTti.
309
Hievou können 56.616,651 Gulden durch die im Jahre 1^87 emittirte
Papierrente im nominellen Werte von 64.863,100 Gulden als gedeckt ange-
nommen werden, die übrigen 1 1 .632,854 Gulden entfallen auf die fictive
Gapitalsanlage. Älldies in Bechnung genommen, gestaltet sich der verzins-
bare Stand folgendermassen :
4percentige Goldrente 367.271,477 fl.
5 « Papierrrente ... 348.260,900 t
Fictive Capitals-Anlage ... ... 120.834,983 t
Im Jahre 1887 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 9.477,331 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.%8,671
Gömörer Pfandbrief- Anlehen 484,086
30 Millionen- Anleihe 2.449,168
54 • f 3.369,670
Verstaatlichung der Ostbahn 4.800,979
' • der Theiss-Bahn 3.512,058
f der I. Siebenbürger Bahn 2.068,643
f der Donau-Drau-Bahn 606,897
• Alföld-Piumaner Bahn 2.107,589
Capitals- Amortisation der Waagtal-Bahn 600,000
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waagtal-
Bahn 41,470
linie Agram-Karlstadt 302,100
Zinsen der 4percentigen Goldrente 18.509,234
r • 5 • Papierrente 16.067,941
Zinsen der fictiven Capitals-Anlage 6.040,756
Zinsengarantie- Vorschüsse 7.021,806
Zusammen 83.428,399 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik ... 15.601,671 fl.
Verbleibt 67.826,728 fl.
Hievon fanden 44.117,355 Gulden in der im Jahre 1888 emittirten
Goldrente von 47.000,000 Gulden, 7.510,481 Gulden hingegen in der in dem-
selben Jahre emittirten Papierrente von 8.814,600 Gulden Deckung, beide
Benten dem nominellen Werte nach genommen; die restlichen 16.198,892
Gulden werden auf Bechnung der fictiven Gapitalsanlage geschrieben«
Der verzinsbare Stand ist daher nachfolgender:
4percentige Goldrente
5 « Papierrente
Fictive Capitals- Anlage .
414.271,477 fl.
357.075,500 «
137.033,875 •
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•^10 DIE EIRE^RAHNBt« ik Ü^OABISCH^ BtAAtBÖAÜSttAtTtt.
Im Jahre 1888 :
ßau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 8.424,770 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.766,503 t
Gömörer Pfimdbrief-Anlehen 462,316 t
30 Millionen-Anleihe 2.315,562 t
54 f • — 3.367,482 •
Verstaatlichung der Ostbahn 4.782,179 •
« der Tlieissbahn 3.423,923 t
• der I. Siebenbürger Bahn 2.065,172 c
i Donau-Drau-Bahn ... — .._ (509,217 •
• Alföld-Fiumaner-Bahn 2.103,678 t
Capitals-Amortisation der Waagtal-Bahn... ._ 488,000 •
Zinsen nach dem rückständigen Kaofyreis der Waagtal-
Bahn ... _.. 6,110 •
Linie Agram -Karlstadt 294,600 t
Zinsen der 4percentigGn Gk)ldrente 18.905,945 •
• • 5 • Papierrente ... 17.320,392 •
Zinsen der fictiven Gapitals- Anlage 6.851.202 t
Zinsengarantie-Yorschüsse 6.618,643 •
Zusammen 83.805,694 fl.
Abgerechnet das Reinerträgniss der Staatsbahnen imd
der Maschinen-Fabrik ... _. ... 18.694,754 fl.
Verbleibt 65.110,940 fl.
Hieven 1.367,006 Gulden zu Lasten der im Jahre 1889 emittirten
Papierrente geschrieben, welche 1.411,500 Gulden im nominellen Wert re-
präsentirt, die übrigen 63.743.934 Gulden hingegen zu der fictiven Gapitals-
anlage gerechnet, betragen die verzinsbaren Schulden ausser der Eisenbahn-
Anleihe vom Jahre 1867, ausser dem Gömörer Pfandbrief- Anlehen, der 30
und 54 Millionen-Anleihe, ferner ausser der zu Folge Verstaatlichung von
Eisenbahnen entstandenen Lasten, u. z. :
4percentige Goldrente 414.271,477 fl.
5 • Papierrente 358.487,000 t
Fictive Capitals-Anlage ... ... ... _. ... ... ... 200.777,809 •
Im Jahre 1889 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 6.557,228 fl.
Eisenbahn- Anleihe 4.617,971 •
Gömörer Pfandbrief- Anlehen 333,727 t
30 Millionen- Anleihe 1.410,345 •
54 • « 1.767,622 •
Verstaatlichung der Ostbahn i. - ... 4.658,190«
« der Theissbahn ... 2.879,118«
« der I. Siebenbürger Eisenbahn 1.637,190 •
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l>tfi filSlBNBAHi^N I^ ÜKOAftlSCH^ StAA^HAÜSäALTB. ^ll
Verstaatüchung der Donau*Drau Bahn 470,043 fl,
« der Alföld-Fiumaner Bahn 1.673,235 t
« der I. Galizischen Eisenbahn 1.081,031 •
€ der ungarischen Westbahn 1.785,933 «
« der Budapest-Fünfkirchner Eisenbahn 287,700 c
Linie Agram-Karlstadt _ 282,000 t
Zinsen der 4percentigen Goldrente 20.127,157 t
€ f 5 « Papierrente 17.881,800 •
• der fictiven Capitals-Anlage 10.038,398 t
Zinsengarantie-Yorsohüsse 4.174,600 •
Zusammen 81.663,897 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 19.865,302 fl.
Verbleibt 61.798,595 fl.
Wir gelangten biemit zu dem Ende der mühevollen, yielleicht für die
Leser ermüdenden Berechnungen, und können nun von den aa^eklärten
Besultaten die Schlassfolgerungen ableiten. Das Defizit unseres Staatshaus-
haltes hat| wie oben erwiesen^ von 1869 bis 1889 inclusive insgesammt
815.195,403 Gulden betragen und während derselben Zeit haben die im
Interesse der Entwicklung des Eisenbahnwesens geopferten Summen und
deren Zinseszinsen nicht weniger als 961.717,480 Gulden repräsentirt; sie
haben demnach die Staatshaushaltungsdefizite um 146*55 Millionen Gulden
überstiegen.
Diese Ziffern erweisen am besten, wie riesig das Opfer war, welches
der ungarische Staat der Entwicklung des Eisenbahnwesens brachte. Ohne
dieses Opfer hätten wir, wenn auch alle anderen Ausgaben ebenso gross
geblieben wären, als sie thatsächlich waren, wenn auch die Kosten der bos-
nischen Oconpation und die ganze Last des Eriegsbudgets auf unsem Staats-
haushalt ebenso gedrückt hätte, wie dies der Fall war, und wenn auch die
eigenen Einkünfte des Staates reichlicher eingeflossen wären, dennoch unsere
gesammten Ausgaben aus unseren eigenen Einnahmsquellen zu decken ver-
mocht und hätten noch einen b^rächtlichen üeberschuss bebalten.
Wenn wir indess die beiden finanziellen Perioden, die vor 1875 und
die nachherige gesondert betrachten, wird ein scharf pointirter Unterschied
in die Augen fallen. Während nämlich in der sechsjährigen Periode von
1869 bis 1874 die Defizite zusammen 83*97 Millionen Gulden oder per Jahr
dorchschnittlich um 14 MilHdfieB mehr ausmachten als die für Eisenbahnen
geopferten Summen, haben in der fünfzehnjährigen Periode von 1875 bis
1889 die Staatshaushaltsdeficite zusammen S30*52 Millionen Gulden betra-
gen und machten jährlich durchschnittlich um 15*37 Millionen Gulden
weniger aus als die Beträge, welche die Eisenbahnen direct oder indirect
verschlangen. Hieraus ist ersichtlich, dass vor 1875 auch ohne Eisenbahn-
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31*2 DIB EISENBAHNEN IM UNGAftlftCHEN STAATSHAÜRÖALtÖ.
Bau, Eisenbahnzinsen-Ghurantie u. s. w. ein Defizit gewesen wäre^ während
seit 1875 die Hauptquelle des Defizites unmittelbar auf das Eisenbahnwesen
zurückgeführt werden kann. Nach der Fusion war das Staatshaushaltungs-
defizit nur bis 1881 grösser als diese Opfer und auch damals nicht alljährlich
(beträchtlich nur 1875 in der Uebergangszeit, femer 1878 im bosnischen
Kriegsjahre), später blieb sogar das übergrosae 1887er Deficit um 18-41 Mil-
lionen Gulden unter den directen und indirecten Eisenbahn-Ausgaben.
Wir wiederholen ein allbekanntes Factum, indem wir aussprechen,
dass für die Eisenbahn-Lasten die Verantwortung nicht die Gegenwart, son-
dern die Vergangenheit trifft. Der grösste Teil der staatlichen Bahnbauten
und die Feststellung des ganzen Zinsengarantie- Systems fällt in die ersten
Jahre der constitutionellen Aera oder in die derselben vorangebende Zeil
In dem fün&ehnjährigen Zeitraum, obschon während desselben unser Bahn-
netz von 6422 Kilometern auf 10,870 Kilometer stieg, wurde keine einzige
Eisenbahn mit Gewährung von Zinsengarantie concessionirt. Staatsbahnen
wurden zwar auch während dieser Zeit gebaut, diese bildeten aber Ergän-
zungen des alten unterbrochenen Bahnnetzes und waren, abgesehen vom
wirtschaftlichen Nutzen, auch aus finanziellem Gesichtspunkte vorteilhaft,
indem sie das ganze Netz ertragsfähiger machten. Alldas, was in den letzten
anderthalb Jahrzehnten in Gestalt von in Eisenbahnen investirten Summen
oder von Zinseszinsen der durch nie rückersetzte Garantie- Vorschüsse ver-
schlungenen Anlehen den ungarischen Staatshaushalt bedrückte, war eine
ererbte Last. Wie gross diese war, zeigen die obigen Ziffern in erstaunlicher
Weise. Es gab Jahre, wo die Last 73 Millionen betrug, und in der That ver-
mögen wir erst bei Inbetrachtnahme dieser Zahlen gebührend zu würdigen,
wie gross die Aufgabe' war, unseren Staatshaushalt zu regeln, und welche
Kraftanstrengung, welcher Heroismus nötig waren, um die gleich einer La-
wine anwachsende Zinsenlast, welche beinahe das ganze Gebäude unserer
Staatlichkeit zu zerschmettern drohte, zum Stillstand zu bringen.
Noch eine sehr interessante Lehre ergeben obige Zahlen. Während näm-
lich die directen und indirecten Eisen bahn-Netto- Ausgaben bis 1884 unauf-
hörlich, und zwar in rascher Progression wuchsen, sehen wir seit 1883 eine
stufenweise Abnahme. iBin oberfiä^^icher Beobachter würde sich vielleicht
mit der Erklärung begnügen, dass die Eisenbahn-Ausgaben notwendiger-
weise abnehmen mussten, weil in diesem Jahre die grösseren Bahnbanten
(Budapest- Semlin und die Brucker Linie) beendigt wurden. Dies stehl jedoch
nicht, was sich am besten erweisen wird, wenn wir das 1884er Jaht, wo die
Ausgaben den Höhepunkt erreichten, mit einem späteren Jahre vergleichen,
allein nicht cumulativ, sondern unter Gruppirung der Ausgabenpostien na(^
ihrer Beschaffenheit. Wir wollen das Jahr 1888 als Beispiel nehmen, obwohl
das Jahr 1 889 noch günstiger wäre, weil bei letzterem die Gonversion der
Eisenbahn -Anlehen die Bechnung erschweren würde. Es beitrugen:
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DIE filSENBAHNBN IM ukOARISOHEN STAATSHAUSHALTE. 313
1884 1888
Bahnbau-Ankauf und Investition 20.947,967 fl. 9.213,480 fl.
Lasten nach verstaatlichten Bahnen ... 11.432,771 • 12.984,169«
Alte Eisenbnhn-Anlehen ... 11.753,894« 11.911,863«
Entsprechende Zinsen der Gold- und Papier-
Rente 28.080,703 « 43.077,539 «
Zinsengarantie- Vorschüsse 9.513,050 « 6.618,643 fl.
Für Eisenbahnban and Investition wurden demnach im Jahre 1888
zwar um 11*73 Millionen Gulden weniger ausgegeben, als 1884, allein die
Zinsen-Last der zu Eisenbahn^wecken verwendeten Beträge warum 15'15
Millionen Gulden grösser, was jene Ersparnisse überwiegt, — und wenn das
Endresultat im Jahre 1888 ungeachtet dessen nahezu um 8 Millionen Gulden
günstiger ist, können wir dies den Verstaatlichungen, der Ergänzung des
Staatsbahnnetzes und jenet selbstbewussten Eisenbahnpolitik zuschreiben,
die gleichzeitig dem wirtschaftlichen Wohle des Landes und den Interessen
des Staatsschatzes dient. Die Belastung des Staates durch die für die ver-
staatlichten Bahnen übernommenen Schulden und für die Zinsengarantie-
Vorschüsse war im Jahre 1 888 nicht grösser, sondern sogar kleiner als 1 884
und doch hob sich das Beinerträgniss der Staatsbahnen von 8*51 Millionen
Gulden auf 18*69 Millionen Gulden. Wenn wir auch die Neubauten in Be-
tracht nehmen, ist dies ein so glänzender Erfolg, von welchem man sich
noch vor fünf Jahren nichts träumen liess, und dies dient für die Zukunft als
Bürgschaft, dass die Entwicklung der Staatsbahnen von Jahr zu Jahr mehr
von jener Last, welche die im Interesse des Eisenbahnwesens gebrachten
riesigen Opfer den Steuerträgem auferlegten, von deren Schultern herab-
nehmen werde.
Dass noch viel übrig bleibt, was aus den sonstigen Einnahmsquellen
des Staates beizutragen ist, um die Zinsenlast der zu Eisenbahnzwecken
verwendeten Beträge zu decken, lässt sich nicht leugnen. Allein heute
betrachtet man die Staatsfinanzen aus dem Gesichtspunkte des starren Fis-
calismus, und wir können jene Opfer, welche indirect mittelst des Auf-
schwunges der verschiedenen Zweige der Volkswirtschaft und mittelst der
Steigerung des Wohlstandes der Steuerträger zurückerstattet werden, keines-
wegs für unfruchtbare Ausgäben erklären. Wäre wohl der ungarische Staat
im Stande gewesen, alle jene Aufgaben, die sich an den Begrifif des modernen
Staates knüpfen, nur annähernd zu lösen, wäre er im Stande gewesen, jene
Lasten, welche die Landesverteidigung und die Eriegsbereitschaft uns auf-
laden, ohne zusammenzubrechen, zu ertragen, und wäre wohl selbst die Ge-
sellschaft und die Volkswirtschaft fähig gewesen, ohne eine Katastrophe jene
grossen Krisen auszuhalten, welche die civilisirte Welt von einem Ende zum
andern durchliefen, wenn unsere wirtschaftlichen Kräfte in den Eisenbahnen
und in der ungarischen Eisenbahnpolitik nicht einen so wirksamen Stütz-
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•^^i DIE EISfiKBAfiKfiN IM ÜNOARtSCHBN HTAATSHAÜSHaLUS.
punkt gefanden hätten ? Die grossen Eraftanstrengongen sind daher nicht
nur motivirt, sondern sie waren unbedingt notwendig, und wir mussten
sie machen, wenn wir nicht yom grossen Concurrenzkampf der modernen
Nationen endgiltig fernbleiben wollten.
Indess wollen wir nicht im entferntesten behaupten, dass Alles so am
besten war, wie es geschah. Es lässt sich nicht leugnen, dass anfangs auf
dem Gebiete der Eisenbahn -Angelegenheiten viele Irrtümer vorkamen und
dass sich imsere Finanzlage zum Teil anders gestaltet hätte, wenn immer
dieselbe Einsicht und Fachkenntniss bei Leitung dieser Angelegenheiten
geherrscht haben würden, wie in neuerer Zeit Es kann nicht unser Zweck
sein, auf die Irrtümer hinzuweisen ; diese Fragen sind genügend ventilirt
und geklärt und die öffentliche Meinung will sie nicht nur nicht beschö-
nigen, sondern ist vielleicht geneigt, sie übermässig streng zu beurteilen.
Unsererseits wollen wir, indem wir den gegenwärtigen Elrfolgen unsere volle
Anerkennung zollen, auch gegen die Vergangenheit Billigkeit walten
lassen. Man darf die Anfangsschwierigkeiten nicht übersehen und darf die
neueren und älteren Bahnbauten nicht blos nach der Grösse des per Kilo-
meter investirten Gapitales beurteilen. Wie viel höher war damals der
Eisenpreis und wie viel theuerer das Capital ! Schon diese beiden Factoren
sind genügend, um die damaUgen und die gegenwärtigen Baukosten nicht
mit gleichem Maasse zu messen.
Vielleicht der grösste Tadel, welcher die Vergangenheit trifft, ist, dass
man die damalige Kraft der Nation nicht genügend in Anspruch nahm,
sondern die Lasten leicht, man kann sagen fast leichtsinnig auf die Zukunft
überwälzte. England hat sogar die Kosten seiner grossen Kriege, welche in
den letzten zwei Jahrhunderten 32 Milliarden Francs betrugen, nicht rein
mittelst Staatsanlehen bedeckt, sondern ein Driitel dieser kolossalen Summen
durch Steigerung der Staatseinkünfte aufgebracht. Wir aber haben unsere
gesammten Investitionen mittelst geborgter Gelder bewerkstelligt, welches
Vorgehen das chronische Deficit nach sich zog. Die mit Zinseszinsen an-
wachsende Last führte das Staatsschiff auf eine Untiefe, von welcher man es
kaum flott zu machen vermochte.
Heute ist, dank der Vorsehung und der mit Energie gepaarten Weis-
heit unserer leitenden Staatsmänner, das Defizit verschwunden. Die grosse
Kraftanstrengung, mittelst der wir dies erreicht haben, kann uns als glän-
zende Kraftprobe mit Vertrauen erfüllen ; aber wir müssen auch die Ab-
gründe beleuchten, die zu vermeiden sind, wenn wir nicht das Heiligste,
wofür unser Herz schlägt, aufs Spiel setzen wollen : Ungarns zukünftige
Grösse und staatliche Selbstständigkeit. Josef v. Jbkelfalüsst.
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GRAF B^IiA SZ^HENYI*S REIßE IM ÖSTLICHEN AStkS. -^^'^
GRAF BfiLA SZtoENTI'S REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN.
Vor kurzer Zeit erregte das jüngste Werk über diese nunmehr allbe-
kafinte Expedition nicht nur in den wissenschaftlichen, sondern fast in allen
Kreisen Ungarns berechtigtes Aufsehen, denn so weit wir uns erinnern
können, wurde eine so bedeutende Beise von Ungarn bisher nicht unter-
nommen, und dann gibt es wohl kaum ein zweites ungarisches Buch,
welches an Pracht der Ausstattung mit diesem Werke wetteifern könnte. Ja,
wir wollen noch weiter gehen und behaupten, dass es in der ganzen grossen
geographischen Literatur nur wenige Bücher gibt, welche in jeder Hinsicht
diesem Werke Sz^henyi's an die Seite gestellt werden können.
Ein ungarischer Magnat, der ausser seinem grossen Namen noch ein
bedeutendes Vermögen besitzt, unternimmt eine auf mehrere Jahre berech-
nete Beise, aber nicht zum Vergnügen, sondern um der Wissenschaft und
dem Vaterlande Dienste zu leisten. Denn obwohl wir Magnaten in grosser
Zahl, und diese auch enorme Beichtümer besitzen, so ist dies in Ungarn
sozusagen der erste Fall, dass auf Kosten eines derselben eine wissenschaft-
liche Expedition unternommen wurde. In England sorgt der « Spleen •, der
in Wirklichkeit oft nur Wissens- und Thatendurst ist, für dergleichen Unter-
nehmungen ; Amerika, das Land der Beklame, stellt ebenfalls ein grosses
Gontingent von Forschem ; Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien, ja
sogar das kleine Portugal sorgt durch ein selbstständiges Budget für die
Wahrung seiner wohlerkannten Interessen; nur unsere Monarchie und
unsere Lords geben für dergleichen kein Geld aus. Um so mehr Lob und
Anerkennung verdient es, wenn sich ein Mitglied der höchsten Gesellschaft
entschliesst, einige Jahre in uncivilisirten Ländern zuzubringen und sich
Gefahren auszusetzen, um eben eine ivissenschafüiche Beise zu unter-
nehmen. Für uns ist dies die Hauptsache, die Wissenschaft ; denn wie viel
Opfer derselben auch gebracht werden, ist sie dennoch reich genug, um die-
selben zurückzuerstatten. Und die wissenschaftlichen Er^bnisse dieser Expe-
dition sind in ihrem geradezu grossartigen Erfolge schon an sich Lohn genug.
In einem grossen Band, dem noch ein zweiter folgen soll, finden wir eine ganze
Geographie, (Geologie und Naturgeschichte des Beiches der Mitte. All diese
Fächer sind mit einer Gewissenhaftigkeit in Datenmaterial und Quellen-
studium behandelt, dass das Werk seinen Verfassern, dem Grafen Szechenyi,
dem Prof. Ludwig v. Löczy und dem Consul Kreitner alle Ehre macht, ja, wir
müssen dem Grafen ganz besonderen Dank wissen für die gute Wahl, die er
bei seinen Beisegefährten getroffen, welche sich in jeder Beziehung der ihnen
gestellten Aufgabe gewachsen und würdig zeigten. Unsere Wissenschaft und
unser Vaterland sind daher dem Grafen Bela Szechenyi zu grösstem Danke
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*^^ß GRAF BELA SZ^CHENTI*S REIBE IM ÖSTLICHEl* ASifeM.
verpflichtet^ und es bliebe nnr zu wünschen^ dass unsere Magnaten dem
edlen Beispiele des Yortreffliohen Mannes nacheifern würden.
Abgesehen von den wissenschaftlichen Erfolgen solcher Expeditionen
ist auch die commerzielle Ausbeute derselben nicht zu unterschätzen. Wir
Ungarn sind schon seit langer Zeit gleichsam prädestinirt, mit dem Oriente
Handelsverbindungen zu schaffen und aufrecht zu erhalten ; wir sind vielleicht
die einzige «saturirte» Nation, die nicht auf Vergrösserung des Terrains aus-
geht; wir haben nirgends Colonien ; wir brauchen auch keinen Fuss breit
fremden Landes ; aber Handel und Industrie sollen und können sich darum
um so leichter entwickeln. Es war sicherlich sehr wohl bedacht, warum Graf
Szechenyi sich nach China begab. Vor ihm hatten sich schon viele und
bedeutende Beisende dort umgesehen, wenn sie auch nicht in die unfruchtbare
Wüste und überhaupt nicht so weit vorgedrungen sind. Denn zu Abenteuern
oder auch zu Studien dürfte ja selbst Afrika geeigneter sein. Aber wir glau-
ben nicht zu irren, wenn wir denken, dass der Graf, der von seinem unver-
gesslichen Vater wohl ein grosses Stück Geist und Talent geerbt hat, auch
die handelspolitischen Interessen unserer Monarchie vor Augen hatte, als er
seinen Weg eben nach China einschlug. Es ist dies nur eine Vermutung,
welche jedoch unleugbar viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Denn gerade
China ist jenes Land, welches auf einer relativ hohen Stufe der Civilisation
stehend, in Bälde einem ungeahnten Aufschwung entgegensehen darf, da es
erst vor Kurzem der europäischen Cultur erschlossen wurde, und obzwar
das ganze seefahrende Europa — Amerika nicht zu nennen — eine riesige
Concurrenz bietet, so hat doch auch unser Land berechtigte Aussicht, nur
müssen wir die dortigen Verhältnisse aufs genaueste kennen lernen. Es ist
wohl nicht daran zu zweifeln, dass wir in nicht langer Zeit vom Chef des
Unternehmens selbst oder doch von einem seiner Begleiter auch in dieser
Hinsicht ausführlichen Bericht zu erwarten haben.
Was den edlen Forscher speciell veranlasst hat, die Reise zu unter-
nehmen, darüber berichtet er selbst in seiner Widmung. «Ich widme dieses
bescheidene Werk dem Andenken meiner unvergesslichen, engelhaften Gat-
tin, Gräfin Hanna Erdödy. — Als ich Dich noch mein nennen konnte, war
ich der Glücklichste auf der Welt, nun ich Dich verlor, bin ich einer der
Unglücklichsten unter den Sterblichen . . . Der brennende Sand der Wüste,
welcher kein Leben auf sich duldet, die zum Himmel ragenden Schneeberge
von Tibet, die dort herrschende Buhe und Einsamkeit ist die rechte Heimat
der Unglücklichen. Als wäre sie nur für solche geschaffen worden. Fem vom
Getöse der Welt, ungestört, konnte ich immer wieder in Gedanken die glück-
lichen Augenblicke der Vergangenheit durchleben, und gebrochenen, doch
dankbaren Herzens wiederhole ich die Worte des Dichters, welche Du slß
Braut an mich richtetest :
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GRAF BÄLA SZ^CHBNYI*8 REIßE IM ÖSTLICHEN ARIEN. ^^^
«Je pense ä toi quand le soleil se l^ve^
J'y pense encore^ quand il a fibi son cours ;
Mais si parfois dans mon sommeii je reve
C'est mon bonheur de te cherir toiyours !»
Drei Jahre lang dauerte die Vorbereitung zur Expedition, von 1874 —
1877. Ausser den Vorstudien, die der Graf machen inusste, war eine der
schwierigsten Aufgaben die Wahl geeigneter Beisegefährten. Obzwar Sze-
chenyi in dieser Beziehung sehr liberal dachte: «Die Wissenschaft und die
Kunst haben keine scharf begrenzte Heimat», so wollte er doch dem Wahl-
spruche getreu bleiben : «ä tous les coeurs bien n^s, la patrie est ch^re». Und
so fiel seine Wahl nach langem Suchen auf drei heimische Kräfte, 6. v. Bälint
als Philologen, Oberlieutenant 6. Kreitner als geographischen, und L. y. Löczy
als naturgeschichtlichen Observator. In wie fem diese Wahl nicht nur ge-
rechtfertigt, sondern auch eine gelungene war, beweist schon der erste Band
des uns vorliegenden Werkes, mit dem sich — betreffs der wissenschaftlichen
Resultate — ausser Bohlfis' Beise kein neueres Werk dieser Gattung mes-
sen kann.
Die ganze Bäuberromantik, wie sie sich ähnlichen Beisebeschreibungen
so verführerisch aufdrängt, fehlt hier, und die männliche Würde, mit welcher
die Erinnerung an manches Abenteuer unterdrückt ist, wird den denkenden
Leser die Grösse der ausgestandenen Gefahren nicht vergessen lassen; — das
Beisewerk wendet sich eben mit dem ganzen Ernste der grossen Errungen-
schaften nur an den ernsten, durch Effecthascherei nicht mehr zu blenden-
den Leser.
Der erste Band des Werkes enthält eine Einleitung mit einem Vor-
wort aus der Feder des Grafen Szdchenyi, einem geographischen Teil von
Kreitner, und einer Geologie China's von Loczy.
Im Jahre 1877, den 4. December, bestieg die Expedition in Triest den
Lloyd-Dampfer «Polluce». Nach kurzem Aufenthalt in Dschedda warf man
endlieh am 9. Januar 1878 in Bombay Anker. Nach einem Aufenthalte von
18 Tagen machten die Beisenden einen Ausflug auf die von ihren in Fels
gehauenen Tempeln berühmte Insel Elephante. In Bombay teilte sich die
Gesellschaft. Graf Szechenyi fuhr mitBälint nach Ahmadabad auf die Jagd,
um nach derselben sich nach Süd-Indien zu begeben, während Kreitner und
Löczy nach Galcutta gingen.
Es war nämlich eine ganz vorzügliche Idee Szdchenyi's, seine Arbeits-
kraft vor dem Beginn ihrer eigentlichen Thätigkeit auf möglichst grosse
Territorien zu verteilen, um nicht nur eine einzige Boute kennen zu lernen,
soAdem aus verhältnissmässig riesigen angrenzenden Gegenden so viel Daten
als möglich und die gehörige Uebung zur Erforschung der zu bereisenden
unbekannten Gegenden zu erlangen, Löczy und Kreitner besuchten Allaha-
bady Benares, die beilige Stadt am Ganges, und kamen am 24. Januar in
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^'^ «RAF b6la 8ZI?.rHENTl'fl REISE TM ÖSTLICHEN ASIEN.
Calcutta an. Von hier aus machten sie einen Ausflug in das Himdlaya-
Gebirge, speciell nach Dardschiling, wo ein Landsmann, der Linguist Ale-
xander Körösi Csoma begraben liegi Hier bot sich ihnen im Anblicke der
höchsten Berge der Welt ein nicht alltagliches Bild dar! — Professor
Loczy dehnte jedoch seinen Ausflug noch bis an die tibetanische Grenze am
Dselep-la aus.
Am 2. März traf auch Graf Szdchenyi mit B&lint in Calcutta ein. Von
hier fuhr die ganze Expedition nach Singapore, wo dann wieder Graf Sze-
chenyi mit Loczy ein Schiff nach Batavia, B41int und Ereitner eines nach
Hongkong bestiegen. Auf Java unternahmen der Graf und Loczy besondere
Ausfluge und fuhren nach kurzem Aufenthalte über Singapore, Macao, Kan-
ton nach Hongkong.
Von Hongkong fuhr die Expedition nach Schanghai, wo sie von einem
sehr schweren Schlage getroffen wurde^ indem der Linguist Bälint auf Drän-
gen der Aerzte sofort nach Europa zurückkehren musste, was für die erhoffte
linguistische Ausbeutung der Expedition natürlich einen fast unersetzlichen
Verlust bedeutet
Von Schanghai aus begaben sich Szechenyi und Ereitner nach Japan>
während Löczy die Aufgabe erhielt, eine in geologischer Beziehung fast
unbekannte Gegend zu besuchen. Er konnte seme Aufgabe nicht ganz aus-
führen^ da er vom Fieber ergriffen wurde und nach Schanghai zurückkehren
musste. Doch brachte er von dieser Beise Material genug mit, das in einem
besonderen Oapitel der dritten Abteilung unseres Werkes eine entsprechende
Verarbeitung fand.
Unterdessen besuchten die beiden erwähnten Herren Nagasaki, Osaka,
Kioto, Nagoya, Yokohama und endlich Tokio, wo sie den erloschenen Vul-
kan Fusiyama bestiegen. Von Tokio führte der Weg nach Hakodate auf
Jesso. Hierher reiste Ereitner allein, da Szechenyi nach Schanghai zurück-
fuhr. Ereitner erwarb sich auf Jesso Verdienste um die Erforschung der
Aino*s, eines eingeborenen, jedoch dem Untergange geweihten Volksstammes.
Er wies zuerst nach, dass die Aino's von Natur nicht braun, wohl aber
schrecklich schmutzig sind und wohl nur aus diesem Grunde bis jetzt
für braun galten.
Während Ereitner noch in Japan war, reiste der Graf nach Peking, um
sich dort Beisepässe zu verschaffen. Noch in Budapest erhielt Graf Szechenyi
vom damaligen Minister des Aeussem, Grafen Andrässy und dem Minister-
präsidenten Tisza Legitimationen und Empfehlimgsschreiben an alle Ge-
sandtschaften, und so von allen Seiten aufs Wirksamste unterstützt, gelang
es ihm auch ziemlich leicht, das Gewünschte zu erlangen. Sehr hilfreich
und zuvorkommend war ihm gegenüber einer der Mächtigsten im chinesi-
schen Beiche, der Vice-Eönig von Petschili, Li-Hung-Tschang, einer der-
jenigen, die in China zuerst die Fahne des Fortschrittes entfalteten, weshalb
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GRAF BBLA RZÄCHENTI*R REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN. 319
er wohl gründlich verhasst, aber anderseits auch anerkannt ist. Li-Hung-
Tscbang empfing den Grafen und den General-Gonsul von Boleslawski in
zuvorkommendster, freundlicher Weise. Er versprach seine mächtige Befür-
wortung des Unternehmens im Tsungli-Yamen^ und hielt auch Wort, denn
das Minister-Gollegium war bereits bei der Ankunft des Grafen von Allem
unterrichtei
Den 8. October wurde Graf Sz^henyi im Tsungli-Yamen empfangen.
Das Präsidium im Ministerrate führte Prinz Eung^ der Gross- Oheim des
Kaisers von China. Nachdem der Zweck der Expedition schriftlich darge-
stellt und dem Bäte übergeben worden war, was in China unerlässlich
notwendig ist, und nachdem Sz^chenyi versprochen hatte, Berichte über die
inneren Zustände des Beiches einzusenden, erhielt er nach einigen Tagen
den gewünschten Pass. Den Transport des Geldes (in Silber) übernahm aus
Gefälligkeit einer der ersten chinesischen Banquiers, Herr Hu, und nachdem
auch die Ausrüstung der Expedition vollendet war, schiffte sich diese am
7. December in Schanghai ein, um den Yang-Tze-Kiang hinaufzufahren.
Im Tagebuche Sz^henyi's steht: «Endlich brechen wir von Schanghai auf,
wohl ausgerüstet mit Allem. Jeder Schritt nach Westen führt uns unserem
geliebten Vaterland entgegen; bis wir es jedoch durch Mongolien und Buss-
land oder durch Tibet und Indien erreichen, werden wir vielen Entbeh-
rungen, Mühseligkeiten und Gefahren ausgesetzt sein. Vielleicht hilft uns
Gott und vielleicht führt uns unser Stern nach Hause. — Heute beginnen
unsere ernsteren wissenschaftlichen Studien. Die bisherigen waren üebung,
Zdtvertreib und Vergnügen. Wir können nun zeigen, ob wir etwas zu
leisten im Stande sind, und ob wir den Erwartungen, welche die gebildete
Welt an solche Expeditionen knüpft, einigermassen entsprechen werden?»
Als regelmässiger Begleiter und Dolmetsch wurde ein Chinese aufge-
nommen, der im Bewusstsein seiner ünentbehrlichkeit § unverschämt stahl».
Auch eine der vielen Annehmlichkeiten ! — Es ist übrigens merkwürdig und
auch charakteristisch für die Autoren, dass sie das Volk in China fast überall
loben ; nur sehr selten zeigt sich Groll gegen dasselbe. Auch erfahrt man
gleich die Gründe für das feindUohe Verhalten des Volkes. Hauptsächlich
ist letzteres dort zu beobachten, wo schon vor unseren Forschem Europäer
gereist waren!
Nanking wurde in der Nacht passirt, und da ausser in Kiu-Kiang
nicht gelandet wurde, kam die ganze Gesellschaft wohlbehalten in Wu-
Tschang, respective in Hankau an. Hier besuchte die Expedition Li-Hang-
Tschang, den Bruder des früher erwähnten Li-Hung-Tschang, welcher der-
selben ausser einem Boote noch ein Kanonenboot als Bedeckung zur Ver-
fügung stellte. Mit Empfehlungen an die Mandarine in La-Ho-Eu versehen,
verliess die Gesellschaft alsbald Hankau. «Von diesem Momente an befanden
wir uns in den Händen der Chinesen.» Da das Boot sich als zu schwer erwies,
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•^20 GRAF BISlA SZEOHENYi'b REISE TM ÖSTLICHEN ASIEN.
musste man drei kleinere Boote nehmen und kam nach 22 Tagen in La-Ho-
Ku an. Nach einer weiteren Wasserfahrt von 30 Tagen verliess die Expedi-
tion bei Tin-Tse-Kuan den Fiuss, um die Landreise anzutreten.
Zu diesem Zwecke musste man sich das einzige Gommunicationsmittel,
nämlich Lasttiere, Pferde oder Maultiere verschaffen. Durch Protection (für
Geld und gute Worte) waren die gewünschten Tiere auch zu haben und
nach Uebersteigen des T^m-Ltn^-Gebirges erreichte die Expedition Si-
Ngan-Fu. Auf diesem Wege sahen die Beisenden zuerst Lösswohnungen,
denen sie später öfter begegneten.
Die chinesischen Städte besitzen zwei Haupttypen ; sie sind nämlich
entweder befestigt, d. h. von einer Mauer umgeben, oder offen, in letzterem
Falle sind sie gewöhnlich grosse Dörfer. Die Zahl der Einwohner varürt
stark; doch findet man nicht selten Städte, welche über 100,000 Seelen
zählen. Die Gebäude an und für sich genügten noch, würde nicht überall
ein so riesiger Schmutz herrschen. Auf den Gassen hegen Kehrichthaufen,
in welchen Borstenvieh wühlt ; menschliche Leichname und Cadaver von
Tieren liegen oft tagelang unbeerdigt mitten in den belebtesten Gassen
und so fort. — Dem Volke ist aber ein gewisser Humor, eine Nonchalance
eigen, die es demselben möglich machen, über alles Aufregende leicht hin-
wegzugehen ; in der grössten Wut genügt ein Witz, eine Bemerkung, um
einen ganzen Haufen Menschen zum Lachen zu bringen, und danü hat man
bekanntlich gewonnenes Spiel. Dem Geologen Loczy passirte es, dass er von
einer wütenden Menge veifolgt, in einen Laden flüchten musste ; eine Be-
merkung über ein gut gemästetes Schwein veränderte jedoch die Lage im
Augenbhcke. Die Chinesen sind sozusagen noch Kinder, welche auch nur
dem momentanen Gefühl gehorchen.
Trotzdem gibt es j edoch in China eine verhältnissmässig sehr entwickelte
Cultur und Wissenschaft. Es gibt hier keine öffentlichen Schulen ; sie haben
den Charakter der Privatanstalten. Die Studien beziehen sich nur auf Ge-
schichte und KeUgionsjphilosophie nebst der Elrlemung von Classikem,
während die exacten Wissenschaften ganz vernachlässigt werden. Die Stu-
denten erhalten im Collegium ausser Wohnung und Kost vom Gouverneur
monatUches Gehalt, wofür sie jedoch je eine philosophische Arbeit liefern
müssen. Die beste Arbeit wird prämürt. Das Alter der Studenten varürt
zwischen 15 — 70 Jahren. Nach absolvirtem Studium muss jeder Student
in Gegenwart des Vicekönigs und zahlreicher Würdenträger öffentUche Prü-
fungen ablegen. Wer das erste Bigorosum gemacht hat, besitzt das Becht,
ein zweites und zuletzt ein drittes abzulegen. Jede gelungene Prüfung erhebt
den Studenten über seine Mitmenschen. Diejenigen, die erst die zweite Prü-
fung abgelegt, bilden die Beamten-Classe, welche neun Bangstufen hat
Wenn jemand auch die dritte Prüfung bestanden, so besitzt er das Becht,
vor dem Kaiser die höchste Prüfung zu machen. Nach dieser wird er MitgUed
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ORAF B&LA 8ZECHENYI*8 REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN. -^21
der Akademie Han-Lin; als solches erhält er lebensläDgliches Gehalt. «Erb-
liche Würden besitzen nur die Angehörigen der kaiserlichen Familie.» Wird
jemand also geadelt, so ist dieser Adel nicht erblich, sondern im Gegenteile
rückwirkend, indem manchmal sogar der sechste Vorahne, durch und für
die Verdienste seines Ur-Ürenkels, den Adel erhält ! Wenn auch diese Sitte
an und für sich ebenso unrichtig ist, wie das Gegenteil, ist es immerhin
bemerkenswert, dass man in einem zurückgebliebenen Lande solch* merk-
würdige Ansichten trifft. Man scheint hier den «seif made man» schon länger
zu schätzen, als in der «neuen» Welt.
Eine merkwürdige Eigenschaft ist femer die Etiquette der Chinesen.
Diese ist Lebensbedürfniss, wenn auch oft, besonders für den Fremden,
höchst lästig. Etiquette ist immer das Besultat einer Epoche geistiger Stag-
nation, welche mancherlei Ursachen haben kann, hauptsächlich aber eine
Folge von Unterdrückung seitens eines fremden Volkes ist. — eine auch in
der Geschichte Ghina's sehr leicht nachweisbare Erscheinung. Bevor man
einen Schritt aus dem Hause thut, muss man sich sog. «grosse» und
«kleine» Visitkarten machen lassen. Letztere zeigen nur den Namen, erstere
aber alle Titel des Besitzers an. «Vom Vicekönig angefangen bis zum
Nachtwächter, jeder verlangt die Einhändigung der Visitkarte eines eintref-
fenden Beisenden, und ist glücklich, wenn er in den Besitz der «grossen»
gelangen kann» «Wurde ein Pferdekauf abgeschlossen, so war der
Händler erst zufrieden, wenn er die grosse Karte mit in den Kauf bekam,
und selbst die als Escorte beigestellten Soldaten wurden erst gefügig, wenn
sie die schriftliche Aufklärung erhalten hatten, wen sie begleiteten.»
Die Art der Begrüssung ist verschieden. Untergeordnete knien nieder^
um ihre Ehrfurcht zu bezeigen. Es kam vor, dass selbst commandirende
Generale vor den Mitgliedern der Expedition niederknieten. Von Ebenbür-
tigen wird man durch Verbeugung begrüsst. Handschlag ist noch nicht
überall eingebürgert. Bei der Tafel oder auch bei anderen Gelegenheiten
sitzt der Fremde auf dem Ehrenplatze zur Linken des Gastwirtes. Das
Mahl ist gewöhnlich sehr lang und schliesst mit ungezuckertem Th^e. Hat
man die Theetasse vom Munde abgesetzt, so erhebt man sich sofort und geht
unter fortwährenden Complimenten und « Tschin »-s aus dem Hause. Die
Chinesen kochen zwar gut, doch ist die unbekannte Provenienz der Speisen
unbehaglich ; auch wird Alles so stark gewürzt, dass es für einen eiuropäi-
schen Gaumen fast ungeniessbar wird ; die Beisenden konnten eine lange
Zeit hindurch nirgends geniessbare Milch erhalten! Zum Essen bedient
sich der Chinese nicht der Gabeln und Messer, sondern elfenbeinerner
Essst&be.
Eine merkwürdige Sitte ist es, dass man nach Genuss der letzten,
unausbleiblichen Tasse Thee augenblicklich das Mahl verlässt. Uebrigens
gibt es noch unzählige Gebräuche, welche den unserigen diametral entgegen-
Ungariflch« Berue. XI. 1891. IV. Heft. 21
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3:^2 GRAF B^LA 8Z^CHENTl's REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN.
gesetzt sind. «So ist die Trauerfarbe in China weiss, der Ehrensitz ist zur
Linken des Hausherrn ; zum Zeichen der Ehrfurcht wird der Hut aufbe-
halten, die Männer tragen kein Hemd, die Frauen kennen keinen Bock. In
den Sattel steigt man von rechts; geschrieben wird nach unten und von
rechts nach links; mit der Bussole orientirt man sich immer nach Süden. Als
Höllenqualen denkt man nicht an das Brennen, sondern an das Erfrieren in
Eiskrystallen.»
«Eine eigentümliche Stellung nehmen die Frauen ein. Die ganze Be-
gierung hat einen familiären Anstrich ; die Ehrfurcht vor den Eltern, haupt-
sächlich aber vor der Mutter bildet die Basis der Moralität. Trotzdem sind die
Frauen, wenigstens in den vornehmeren Familien, ganz und gar von den
Männern abgesondert Die Absonderung ist aber gründlich verschieden vom
Leben in den Harems ; die Frau in China besitzt vielmehr Freiheiten, ja
sogar bestimmte Vorrechte, so dass die Absonderung viel eher als Ausfluss
der Schicklichkeit und Eleganz erscheini Bei der Handwerker- und acker-
bauenden Classe besitzen die Frauen und Mädchen dieselben Freiheiten,
wie bei uns. Einzig und allein die vermögenden und vornehmen Damen
huldigen den Sitten, welche der chinesische «bon ton» erfordert. In solchen
Fällen werden schon die Kinder streng abgesondert ; es ist unschicklich, den
Vater nach seiner Frau und seinen Töchtern zu befragen ; sein bester Freund
sogar darf sie nicht sehen. Meistens heiratet der Bräutigam die Braut, ohne
sie gesehen zu haben und erbhcki ihr Gesicht erst, wenn sie schon seine
Frau ist . . . Der Chinese liebt Geselligkeit und Plauderei ausserordentlich,
die Frau darf aber an solchen nicht teilnehmen. Und trotzdem ist die Frau
das belebende Glied in der Familie und ihr Einfluss ist sehr gross. So wor-
den wir in Si-Nying-Fu von einem Mandarin ersucht, ihn zu besuchen, da
seine Frau uns sehen möchte, natürlich durch eine Maueröffnung» . . .
Doch kehren wir jetzt zu den Beisenden zurück. «In St Ngan Fu sah
ich eine grosse Menge Bettler, arme Leute und grosses Elend.» Hier besich-
tigte die Expedition auch die berühmte «Nestorianische Tafel». Diese stammt
aus dem Jahre 781 und beweist, dass die Nestorianer schon vor so vielen
Jahrhunderten ihr Bekehrungswerk begonnen. Ueber diese Tafel haben wir
im demnächst erscheinenden H. Bande des Werkes von Bector Heller eine
sehr interessante Arbeit zu erwarten. Von Si-Ngan-Fu erreichte die Expe-
dition in 20 Tagen Lan-Tschou-Fu. Die Beisenden bestiegen Maultiere,
während ihr Gepäck auf Wagen geladen wurde. Auf dieser Tour traf die
Herren der erste Frost; sie sahen den Hoang-Ho fast ganz zugefroren. «Dies
ist einer der namhaftesten Ströme unserer Erde. Schon oft wechselte er sein
Bett. In früheren Zeiten lag seine Mündung bei dem Golf von Pe-TschüLi,
unter dem 39. Grad, jetzt mündet er um ungefähr 5 Grad südlicher. Ob
diese Veränderungen kataklismatisch sind oder aber durch Verschlammung
hervorgerufen wurden, kann nicht festgestellt werden. Ein Blick auf die
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GRAF Bihk SZEOHBNYl's REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN. 323
Karte zeigt nns seinen merkwürdigen, unregelmässigen Lauf; der Fluss
richtet gewöhnlich grössere Verwüstungen an, als er Segen verbreiten
könnte.!
Die Beisenden beobachteten zweimal sogenannte Neben-Sonnen und
öfter Mondhöfe^ deren Entstehung sie dem feinen Staube der in der Luft
schwebte, zuschreiben.
Von letzterem hatten sie besonders viel zu leiden. So schreibt Kreitner :
«Ich will nichts erzählen von dem unstillbaren Sehnen nach reinen Händen,
in deren durch die Trockenheit der Luft zerrissenen Flächen der Staub sich
als unausrottbare Tättowirung eingefressen hat . . .», doch erging es ja be-
sonders auch dem Gesichte so^ und die kleinste Berührung desselben genügte,
um es bluten zu machen. Der Schmutz, der in dem grossen Lande herrscht,
übt einen deprimirenden Einfluss aus; bei Tag Strapazen aller Art, bei
Nacht keine Buhe wegen gewisser Insecten, immerwährend vom Pöbel
begafft, und als « Jang-kwei-tse» (fremde Teufel) titulirt, das sind fürwahr
Plagen, die im S